Kasperltheater in Zeitlupe

Von Christian Gampert |
Das Ende der Liebe bei der Hochzeit gleich mitgedacht - das ist eine der zynischen Absurditäten, die sich in der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs Stück "Hier und Jetzt" im Zürcher Schiffbau finden lassen. Regisseur Jürgen Gosch hat dort Kleinbürger-Rituale in Zeitlupe auf die Bühne gebracht.
Roland Schimmelpfennig ist ein großer Ironiker vor dem Herrn: In seinen letzten Stücken schickte er tumbe deutsche Freaks durch Amerika ("Start up") oder ließ eine skurrile Bootsgesellschaft zuerst kentern und dann herumschwadronieren ("Calypso"). Jetzt hat er Bertold Brechts "Kleinbürgerhochzeit" in ein zeitgemäßes Schnittmuster gesteckt: Das Stück spielt ganz im "Hier und Jetzt", in dem schon mancher Liebe und Erfüllung suchte - und dann mit banalen Klischees abgespeist wurde.

Auch hier erweist sich Schimmelpfennig wieder als routinierter, leichthändiger Arrangeur: Er sammelt Floskeln und Groschenheft-Sentimentalitäten, und die in sich schon absurde Situation einer Hochzeitsgesellschaft mit ihren rhetorischen Versuchen, Tänzchen und Saufgelagen wird von ihm optimal ausgebeutet.

Das Stück hat eine lyrische Grundstruktur. In melancholisch-nachdenklichem Sprachgestus berichten da elf Personen von sich selbst und vor allem von den anderen, und der Klatsch und die Missgunst, die dabei zutage treten, wirken durch das feierliche Metrum des Textes nur umso makabrer.

Eine Gegenwarts-Diagnose: Ein ältliches Paar um die 50 gibt sich endlich das Jawort, und Schimmelpfennig lässt sie an der weißgedeckten langen Hochzeitstafel nun die Suppe auslöffeln, die sie sich eingebrockt haben. Der Autor erzählt Vorgeschichte und Zukunft des Hochzeitspaares gleich mit, der Liebhaber der Braut sitzt schon am Tisch - ein böser Abgesang auf die Liebe, die in der etablierten Beziehung stirbt und beim Fremdgehen ihre Wiederauferstehung als Farce feiert.

Katja, die Braut, findet ihren neuen Lover Martin beim Einkauf im Elektrobaumarkt - so viel Zynismus, so viel Banalität waren nie. Dörte Lyssewski markiert schon beim Erzählen diverse Orgasmen, Charly Hübner, der Spießer als Frauenheld, gibt gute Ratschläge für den Aufriss ("Man muss sprechen!"), und Georg, der verlassene Bräutigam, führt immer wieder ein Waldhorn zum Mund, um entweder gar nichts oder einen klagenden, kläglichen Ton zu produzieren.

Wolfgang Michael spielt diesen Georg als verlebten 68er-Freak, der dann zum Rächer, Vampir und Drachentöter mutiert und ein Blutbad anrichtet wie im Kettensägenmassaker. Das alles ist allerdings als so makabres Kasperltheater gespielt, mit ständigen Wiederholungen, Prösterchen, Katzenmusik, Tanzposen, dreckigen Witzen und seltsamen Ansprachen, dass man sich eine Stunde lang köstlich amüsiert.

Kleinbürger-Rituale in Zeitlupe, das ist das, was Regisseur Jürgen Gosch nun mal am besten kann. Zwischendurch lässt er zwei Hochzeitsgäste (Gottfried Breitfuß und Fabian Krüger) archaische Bruderkämpfe aufführen und sich nackert in dem Sand wälzen, mit dem Ausstatter Johannes Schütz die große Schiffbauhalle sorgfältig eingemoddert hat. Und die dazuengagierte Berliner Schauspielerin Christine Schorn, eine Kratzbürste von Eheweib, fährt an der Tafel ihrem Gatten übers Maul und philosophiert über die Langlebigkeit der Stechmücke, also über sich selbst.

Sie sitzen da wie beim letzten Abendmahl und erzählen Nonsense, beschwören Natur-Idyllen und Verlassenheits-Szenarien. Sie kleckern mit Rotwein, sie kotzen und lästern - eine Mischung aus "Nachtasyl" für die Mittelklasse und Marco Ferreris "Das große Fresse".

Eine Stunde lang ist das wunderbares Gegenwarts-Kabarett, nach einer Weile aber läuft die Performance leer. Es sind leider nur Karikaturen, die da über die Liebe verhandeln. Schimmelpfennig schreibt immer nur die Andeutung eines Stücks, immer nur eine Ouverture. Wenn es ernst werden müsste, zieht er zurück.

"Hier und Jetzt"
Von Roland Schimmelpfennig
Inszenierung: Jürgen Gosch
Züricher Schiffbau