Kassenschlager ohne Worte
Dass ein Dokumentarfilm über die Mönche eines Schweigeordens weltweit 1,2 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte, kam für viele überraschend. Die Filmstiftung NRW gab eine Studie in Auftrag, um herauszufinden, warum der Film so erfolgreich war.
Der Gesang der Mönche ist einer der wenigen Momente, in denen die Stille des Klosters durchbrochen wird. Ansonsten gilt die Maxime: "Erst in völliger Stille beginnt man, zu hören. Erst wenn die Sprache verstummt, beginnt man zu sehen." Der Orden der Karthäuser wird als der strengste Orden der römisch-katholischen Kirche angesehen.
Das Mutterkloster, die "Grande Chartreuse", liegt in den Bergen in der Nähe von Grenoble. Dort widmen sich etwa 40 Mönche ständigem Schweigen, dem Gottesdienst, dem geistlichen Leben. Ein Film, in dem nur geschwiegen wird? Eigentlich tödlich für das Kino. Dass der Film dennoch diese Erfolgsgeschichte schreibt, liegt für Susanne Grüneklee, die die Studie durchführte, zuerst am Filmemacher selbst:
"Ganz wichtig natürlich die Persönlichkeit von Philip Gröning, die das Ganze ersonnen hat und dann auch Stück für Stück durchgesetzt und gestemmt hat."
Weitsichtig, kreativ und durchsetzungsstark, so kann man den heute 51-Jährigen Philip Gröning beschreiben, der das Filmprojekt im Jahr 2000 konkret beginnt. Doch die Idee dazu stammte von 1984. Bereits damals hatte er mit einem Kollegen dem Prior des Klosters geschrieben und das Projekt vorgestellt.
Philip Gröning: "Der hat uns dann erlaubt, da mal sechs Tage zu sein. Und hat nach den sechs Tagen gesagt: Na ja, jetzt ist ein schlechter Moment. Kommt mal in zehn Jahren wieder, oder so. Aber ich mochte den gerne und habe danach so alle fünf Jahre, mal auf dem Weg nach Spanien oder so, eigentlich in Momenten, wo sich in meinem Leben Sachen radikal geändert haben, das Bedürfnis gehabt, mit dem mal zu sprechen. Gar nicht über den Film. Weil der Film war für mich erledigt. 15 Jahre auf einen Film warten, mache ich doch nicht. Und so blieb aber so ein persönlicher Kontakt."
16 Jahre später erhält Philip Gröning den Anruf, dass er den Film machen könne. Die Auflagen für seine Arbeit: kein künstliches Licht, keine zusätzliche Musik, keine Kommentare, kein Team. Gröning ist sich bewusst, dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, und er will von Anfang an kein Nischenprodukt drehen, sondern einen großen Film produzieren. Auf rund 1,2 Millionen DM kalkuliert er das Budget.
Für einen Dokumentarfilm eine gigantische Summe. Aber mit großer Beharrlichkeit gelingt es ihm, Fernsehdirektoren, Filmförderer und Verleiher zu überzeugen. Und ein Novum in der TV-Geschichte: ARD und ZDF finanzieren gemeinsam einen Dokumentarfilm. Monatelang bereitet Gröning die Filmarbeit vor: Er probiert Kameras aus, macht Probeaufnahmen, lässt sich beraten. Dann darf er sechs Monate im Kloster drehen und lebt in dieser Zeit wie ein Mönch.
Strukturiert hat Philip Gröning seinen Film durch den Wechsel der Jahreszeiten und durch Bibelauszüge, die er wie in alten Stummfilmen auf Schrifttafeln einblendet. Das Ganze unterstreicht die Rhythmisierung des Klosteralltages. Es gibt aber auch ungewöhnliche Momente im Film, zum Beispiel wenn zwei Novizen um die Aufnahme im Kloster bitten.
"Lieber Etiénne und Benjamin, ich frage Euch nun beide: Seid Ihr bereit, unsere klösterliche Lebensform anzunehmen als den Weg, durch den Gott Euch zum inneren Heiligtum Eurer Seele führen wird, wo sein Dasein offenbart und Ihr in Übereinstimmung mit ihm leben werdet?"
"Die große Stille" kommt dem Leben im Kloster so nahe wie möglich: nicht obwohl, sondern weil er auf Kommentare verzichtet und einzig und allein Menschen in ihrem Sein zeigt. Für die Vermarktung eines Films scheinbar ein Katastrophe, die sich noch dadurch vergrößerte, dass Philip Gröning zweieinhalb Jahre für den Schnitt braucht. Aber der Filmemacher hat den Gleichmut der Mönche für sich entdeckt:
"Ja, was ich mitnehme und was ich gelernt habe ist, dass die eine irrsinnige Angstfreiheit haben. Diese völlige Angstfreiheit in dem Raum, in dem sie leben. Und dieses völlige Zutrauen, dass alles gut ist. Und dann habe ich überlegt: Woher kommt denn diese völlige Angstfreiheit? Und dann dachte ich: Okay, das hängt zusammen mit dem Nicht-Angst-haben vor dem Tod, Vertrauen, dass Gott alles richtig macht."
Mehrfach muss der Kinostarttermin verschoben werden. Doch als es 2005 endlich losgeht, gelingt dem X-Filmverleih – geführt wie von Gotteshand – eine stille, perfekte Vermarktung: Der Trailer zum Film ist viereinhalb Minuten lang, doppelt so lang wie üblich, ohne ein Wort und fasziniert die Besucher.
Zuerst gibt es Vorführungen bei den Filmfestivals in Venedig und Toronto, vor der Deutschen Bischofskonferenz und beim Weltjugendtag in Düsseldorf. Dann wird "Die große Stille" hierzulande zunächst in Kirchen gezeigt und anschließend im Kino. Vor allem aber setzt der Verleih nicht wie sonst üblich auf schnellen Erfolg, sondern auf langsamen, aber dauerhaften.
Mit nur einer Handvoll Kopien erreicht der Film jede Woche rund 10.000 Besucher – monatelang. Und er erreicht Menschen, die sonst nie ins Kino gehen. In München fragen 100 Nonnen an der Kasse nach einer Gruppenermäßigung. Der Erfolg spricht sich herum, und schon bald interessieren sich auch internationale Verleiher. Das Ungewöhnliche, so glaubt Susanne Grüneklee, setzt sich durch:
"Ich glaube, es ist weniger das Neue, auf jeden Fall schon das Unverwechselbare. Mit Neuigkeiten werden wir ja überhäuft. Ich glaube, es ist das Bedürfnis, in diesem ganzen unübersichtlichen Wust, in dem wir leben, in dieser Unübersichtlichkeit, einen Felsen zu finden, auf dem man was bauen kann.
Sich Fragen zu beantworten wie: Welche Werte sind wirklich wichtig? Wie strukturiere ich mein Leben? Was macht Sinn und so weiter? Und ich glaube, der Film ist eine Anregung, wie intensiv man sich auch mit metaphysischen oder anderen Dingen auseinandersetzen kann."
Nachzulesen ist die Studie "Die große Stille und der laute Markt" auf der Website der Filmstiftung NRW.
Das Mutterkloster, die "Grande Chartreuse", liegt in den Bergen in der Nähe von Grenoble. Dort widmen sich etwa 40 Mönche ständigem Schweigen, dem Gottesdienst, dem geistlichen Leben. Ein Film, in dem nur geschwiegen wird? Eigentlich tödlich für das Kino. Dass der Film dennoch diese Erfolgsgeschichte schreibt, liegt für Susanne Grüneklee, die die Studie durchführte, zuerst am Filmemacher selbst:
"Ganz wichtig natürlich die Persönlichkeit von Philip Gröning, die das Ganze ersonnen hat und dann auch Stück für Stück durchgesetzt und gestemmt hat."
Weitsichtig, kreativ und durchsetzungsstark, so kann man den heute 51-Jährigen Philip Gröning beschreiben, der das Filmprojekt im Jahr 2000 konkret beginnt. Doch die Idee dazu stammte von 1984. Bereits damals hatte er mit einem Kollegen dem Prior des Klosters geschrieben und das Projekt vorgestellt.
Philip Gröning: "Der hat uns dann erlaubt, da mal sechs Tage zu sein. Und hat nach den sechs Tagen gesagt: Na ja, jetzt ist ein schlechter Moment. Kommt mal in zehn Jahren wieder, oder so. Aber ich mochte den gerne und habe danach so alle fünf Jahre, mal auf dem Weg nach Spanien oder so, eigentlich in Momenten, wo sich in meinem Leben Sachen radikal geändert haben, das Bedürfnis gehabt, mit dem mal zu sprechen. Gar nicht über den Film. Weil der Film war für mich erledigt. 15 Jahre auf einen Film warten, mache ich doch nicht. Und so blieb aber so ein persönlicher Kontakt."
16 Jahre später erhält Philip Gröning den Anruf, dass er den Film machen könne. Die Auflagen für seine Arbeit: kein künstliches Licht, keine zusätzliche Musik, keine Kommentare, kein Team. Gröning ist sich bewusst, dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, und er will von Anfang an kein Nischenprodukt drehen, sondern einen großen Film produzieren. Auf rund 1,2 Millionen DM kalkuliert er das Budget.
Für einen Dokumentarfilm eine gigantische Summe. Aber mit großer Beharrlichkeit gelingt es ihm, Fernsehdirektoren, Filmförderer und Verleiher zu überzeugen. Und ein Novum in der TV-Geschichte: ARD und ZDF finanzieren gemeinsam einen Dokumentarfilm. Monatelang bereitet Gröning die Filmarbeit vor: Er probiert Kameras aus, macht Probeaufnahmen, lässt sich beraten. Dann darf er sechs Monate im Kloster drehen und lebt in dieser Zeit wie ein Mönch.
Strukturiert hat Philip Gröning seinen Film durch den Wechsel der Jahreszeiten und durch Bibelauszüge, die er wie in alten Stummfilmen auf Schrifttafeln einblendet. Das Ganze unterstreicht die Rhythmisierung des Klosteralltages. Es gibt aber auch ungewöhnliche Momente im Film, zum Beispiel wenn zwei Novizen um die Aufnahme im Kloster bitten.
"Lieber Etiénne und Benjamin, ich frage Euch nun beide: Seid Ihr bereit, unsere klösterliche Lebensform anzunehmen als den Weg, durch den Gott Euch zum inneren Heiligtum Eurer Seele führen wird, wo sein Dasein offenbart und Ihr in Übereinstimmung mit ihm leben werdet?"
"Die große Stille" kommt dem Leben im Kloster so nahe wie möglich: nicht obwohl, sondern weil er auf Kommentare verzichtet und einzig und allein Menschen in ihrem Sein zeigt. Für die Vermarktung eines Films scheinbar ein Katastrophe, die sich noch dadurch vergrößerte, dass Philip Gröning zweieinhalb Jahre für den Schnitt braucht. Aber der Filmemacher hat den Gleichmut der Mönche für sich entdeckt:
"Ja, was ich mitnehme und was ich gelernt habe ist, dass die eine irrsinnige Angstfreiheit haben. Diese völlige Angstfreiheit in dem Raum, in dem sie leben. Und dieses völlige Zutrauen, dass alles gut ist. Und dann habe ich überlegt: Woher kommt denn diese völlige Angstfreiheit? Und dann dachte ich: Okay, das hängt zusammen mit dem Nicht-Angst-haben vor dem Tod, Vertrauen, dass Gott alles richtig macht."
Mehrfach muss der Kinostarttermin verschoben werden. Doch als es 2005 endlich losgeht, gelingt dem X-Filmverleih – geführt wie von Gotteshand – eine stille, perfekte Vermarktung: Der Trailer zum Film ist viereinhalb Minuten lang, doppelt so lang wie üblich, ohne ein Wort und fasziniert die Besucher.
Zuerst gibt es Vorführungen bei den Filmfestivals in Venedig und Toronto, vor der Deutschen Bischofskonferenz und beim Weltjugendtag in Düsseldorf. Dann wird "Die große Stille" hierzulande zunächst in Kirchen gezeigt und anschließend im Kino. Vor allem aber setzt der Verleih nicht wie sonst üblich auf schnellen Erfolg, sondern auf langsamen, aber dauerhaften.
Mit nur einer Handvoll Kopien erreicht der Film jede Woche rund 10.000 Besucher – monatelang. Und er erreicht Menschen, die sonst nie ins Kino gehen. In München fragen 100 Nonnen an der Kasse nach einer Gruppenermäßigung. Der Erfolg spricht sich herum, und schon bald interessieren sich auch internationale Verleiher. Das Ungewöhnliche, so glaubt Susanne Grüneklee, setzt sich durch:
"Ich glaube, es ist weniger das Neue, auf jeden Fall schon das Unverwechselbare. Mit Neuigkeiten werden wir ja überhäuft. Ich glaube, es ist das Bedürfnis, in diesem ganzen unübersichtlichen Wust, in dem wir leben, in dieser Unübersichtlichkeit, einen Felsen zu finden, auf dem man was bauen kann.
Sich Fragen zu beantworten wie: Welche Werte sind wirklich wichtig? Wie strukturiere ich mein Leben? Was macht Sinn und so weiter? Und ich glaube, der Film ist eine Anregung, wie intensiv man sich auch mit metaphysischen oder anderen Dingen auseinandersetzen kann."
Nachzulesen ist die Studie "Die große Stille und der laute Markt" auf der Website der Filmstiftung NRW.