Gewählt, gezählt, verzockt
Die Bilder gingen um die Welt: Prügelnde Polizisten gehen am 1.Oktober 2017 gegen wählende Katalanen vor, am Tag des Unabhängigkeitsreferendums. Heute wissen wir, Katalonien ist nicht unabhängig geworden. Aber ist dort nun Ruhe eingekehrt?
Rosarote T-Shirts und Flaggen wohin man schaut. Hunderttausende Menschen haben sich am 11. September im Zentrum von Barcelona versammelt, sie rufen "Independencia!", "Unabhängigkeit".
Viele von ihnen sind überzeugte Separatisten, die den harten Schnitt mit Spanien wollen. Doch etliche Demonstranten sind weniger radikal, nachdenklicher. Aus der Erfahrung des "heißen Herbstes" 2017 haben sie gelernt, dass Spanien eine einseitige Abspaltung ihrer Region nicht akzeptiert, wie Demo-Teilnehmerin Maria Luisa.
"Ich würde mich freuen, wenn wir unabhängig wären. Aber ich habe verstanden, dass das nur im Einvernehmen mit der Regierung in Madrid funktioniert. Wir können nicht sagen: 'Wir schließen die Tür und gehen', das klappt nicht."
Spaltung statt Abspaltung
Auch wenn das Meer aus Separatisten-Flaggen an diesem Septembertag zeigen soll, dass ganz Katalonien raus will aus Spanien - Umfragen und Wahlergebnisse zeigen etwas anderes: Nämlich dass etwa die Hälfte der Katalanen unabhängig werden möchte, die andere Hälfte nicht. Durch die katalanische Bevölkerung zieht sich ein tiefer Riss.
Der 1. Oktober 2017 war in Katalonien ein regnerischer Sonntag. Schon früh bildeten sich vor Schulen und Gemeindezentren Menschenschlangen. Viele Katalanen wollten darüber abstimmen, ob Katalonien unabhängig werden soll. Auch diese Frau vor einer Schule im Viertel Sant Antoni in Barcelona:
"Ich bin sehr gerührt. Ich hätte nie gedacht, dass tatsächlich dieser Tag kommen würde. Dass wir entscheiden dürfen! Dass wir uns von einem Land befreien dürfen, das uns nicht sein lässt, was wir sind!"
Wie diese Frau dürften die meisten, die damals in der Schlange standen, für die Unabhängigkeit sein. Die meisten Gegner der Abspaltung blieben zu Hause. Eine Art stiller Protest.
Das Referendum war illegal - sagt Madrid
Unabhängig oder nicht: Über diese Frage darf in Spanien eigentlich gar nicht abgestimmt werden. Das hatte das spanische Verfassungsgericht kurz zuvor unmissverständlich klar gemacht - und die Abstimmung verboten. Die Regionalregierung unter Carles Puigdemont scherte das nicht. Sie wollte das Referendum unbedingt durchziehen.
Die spanische Regierung wollte das unbedingt verhindern. Sie schickte mehr als 5000 Polizisten zusätzlich nach Katalonien. Auch deshalb, weil sie Zweifel hatte, dass die katalanische Regionalpolizei auf ihrer Seite steht. Die Zeichen standen auf Konfrontation. Und die kam dann auch.
In einigen Wahllokalen prügelten spanische Polizisten mit Schlagstöcken auf Menschen ein, andere zogen Frauen an den Haaren. Die Bilder gingen um die Welt. Josep, ein Bürger aus Barcelona, zeigte sich damals fassungslos:
"Wie die Polizei hier vorgeht, ist absolut unverhältnismäßig - gemessen daran, was wir tun wollen: wählen gehen. Ja, Spanien kann das Referendum als illegal einstufen, aber sich nicht so verhalten. In einem solchen Staat wollen wir nicht mehr leben."
Die Empörung war auch außerhalb von Katalonien groß - und die Regierung in Madrid international unter Druck. Ministerpräsident Rajoy versuchte weiterhin, das Thema Katalonien als innenpolitisches Problem zu behandeln. Zwei Tage nach dem Referendum hielt der spanische König Felipe VI. eine Fernsehansprache:
"Ich weiß sehr gut, dass in Katalonien große Sorge herrscht mit Blick auf das Verhalten der autonomen Behörden. Denjenigen, die das fühlen, sage ich: Sie sind nicht allein - und sie werden es nie sein. Sie haben die Solidarität der übrigen Spanier und die absolute Garantie, dass ihr Rechtsstaat ihre Freiheit und ihre Rechte verteidigt."
Die Rede kam nicht gut an in Katalonien. In Barcelona schlugen viele Bürger danach wütend auf Töpfe. Ein Zeichen des Protests.
Zwischen Madrid und Barcelona begann eine wochenlange Nervenprobe. Das Ganze gipfelte darin, dass die katalanische Parlamentspräsidentin Ende Oktober die Republik Katalonien verkündete. Dann ging alles ganz schnell: Die spanische Regierung stellte die katalanische Verwaltung vorübergehend unter ihre Kontrolle.
Einige katalanische Politiker kamen in Untersuchungshaft, andere flüchteten ins Ausland - darunter auch Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont. Die spanische Justiz wirft ihnen "Rebellion" vor – also gewaltsames Aufbegehren gegen den Staat. Ein Vorwurf, der von Anfang an für große Diskussionen sorgt.
Heute sind die roten Linien markiert
Bei den Neuwahlen im Dezember gewannen die Separatisten wieder. Aber erst im Mai 2018 bekommen die Katalanen eine neue Regierung. Auch sie strebt die Unabhängigkeit Kataloniens an. Und der neue Ministerpräsident Quim Torra lässt keine Gelegenheit aus, sich über die staatliche Repression zu beklagen. Aber er weiß nun, wo die roten Linien sind. Und dass die spanische Justiz ernst macht, wenn sie es für nötig hält.
Fake News in sozialen Netzwerken
Inzwischen ist klar, dass rund um das Unabhängigkeits-Referendum in Katalonien viele Fake News die Runde gemacht haben. Behauptungen von Separatisten und Abspaltungs-Gegnern, die sich rasend schnell über die sozialen Netzwerke im Internet verbreiteten - und Fakten, die von einigen Medien in einen falschen Kontext gerückt wurden. Dabei ging es vor allem um den massiven Einsatz der spanischen Polizei vor den Abstimmungslokalen. Dass die Medien hauptsächlich die Bilder prügelnder Polizisten zeigten, erzeugte ein Zerrbild der tatsächlichen Lage, meint der Buchautor Joaquim Coll. Er engagiert sich bei der "Societat Civil Catalana", einer Bürgerinitiative gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens.
"Es ist ein perfekter Sturm entstanden. Es stimmt natürlich, dass es zu brutalen Szenen vor Abstimmungslokalen kam, wie wir es im Fernsehen und im Internet gesehen haben - das war falsch von Seiten der Polizei und muss kritisiert werden. Aber an den allermeisten Orten lief der Polizeieinsatz korrekt ab."
Tatsächlich kam es nur vor einer Handvoll Abstimmungslokalen zu Gewaltszenen. Die spanische Polizei schloss rund 400 Lokale von insgesamt 2300 - diese Zahlen stammen von der katalanischen Regionalregierung.
Problemlose Stimmabgabe meist möglich
An den allermeisten Orten konnten die Menschen also problemlos ihre Stimme abgeben. Für Diskussionen sorgte außerdem die Zahl der Katalanen, die beim Einsatz der Polizei verletzt worden sein sollen. Schon kurz nach Öffnung der Abstimmungslokale berichtete die katalanische Regionalregierung von hunderten Verletzten, am Tag darauf von mehr als 1000.
Heute ist klar, dass nur zwei Menschen schwer verletzt wurden. Einer erlitt einen Herzinfarkt, ein anderer wurde von einem Gummigeschoss der Polizei ins Gesicht getroffen - und erblindete auf einem Auge. Die katalanische Regionalregierung zählte zu den angeblich 1000 Verletzten auch solche, die nur leichte Kratzer abbekommen haben oder sich von der Polizei verängstigt oder verschreckt fühlten. Die Chefin der separatistischen Bürgerbewegung ANC, Elisenda Paluzie, beharrt auf der hohen Opferzahl.
"Es waren keine 1000 Menschen, die länger im Krankenhaus bleiben mussten. Aber 1000 Verletzte, die behandelt wurden. Leute, denen zum Beispiel ein Schlag verpasst und ihnen dabei vielleicht ihr Arm gebrochen wurde, gehen natürlich ins Krankenhaus. Aber sie werden nicht stationär aufgenommen."
Die sich zuspitzende Lage in Katalonien machte im Herbst 2017 nicht nur vielen Bürgern Sorgen, sondern auch Unternehmern und Anlegern. Die großen Konzerne der Region bekamen das beim Aktienkurs zu spüren. Manche Anleger fürchteten, dass die Region im Falle einer Unabhängigkeit aus der Euro-Zone fliegen könnte – und damit auch aus dem Einflussbereich der Europäischen Zentralbank.
2500 Unternehmen haben ihren Verwaltungssitz verlegt
Sicherheitshalber verlegten einige Konzerne deshalb ihren offiziellen Sitz außerhalb Kataloniens. Darunter Unternehmen, die in Katalonien zu den Schwergewichten gehören: Die Banken Sabadell oder Caixa zum Beispiel.
Nach aktuellen Zahlen der Regionalregierung haben zwischen dem vergangenen Oktober und Ende Juli dieses Jahres gut 2500 Unternehmen die Entscheidung getroffen, ihren Verwaltungssitz in andere Teile Spaniens zu verlegen. Andere Quellen sprechen sogar noch von deutlich mehr Firmen. In Katalonien ist man traditionell stolz auf seine starke Wirtschaft - da schmerzen solche Meldungen besonders. Die ANC-Vorsitzende Elisenda Paluzie will die Zahlen nicht überbewerten.
"Die Verlegung des Firmensitzes wirkt sich in keiner Weise auf das Bruttoinlandsprodukt aus. Wenn man nicht auch Arbeiter in andere Regionen verlegt, Fabriken oder Büros - dann ist die Auswirkung gleich null."
Das sei in Katalonien der Fall: Wegen des spanischen Steuersystems habe die Region keinerlei Einbußen zu verzeichnen. Für Paluzie handelt es sich bei vielen Meldungen um die abgewanderten Unternehmen um reine Angstmacherei. Tatsache ist jedenfalls, dass sich viele in Katalonien Sorgen machen. Das gilt vor allem für die, die dort Geschäfte treiben.
Zweckoptimismus bei der Wirtschaft
Für Albert Peters, den Präsidenten des deutschen Führungskräfte-Vereins, hat sich die Lage in Katalonien allerdings mittlerweile beruhigt. Zwar gebe es Einbußen bei den Investitionen, das Wachstum in Katalonien habe allerdings nicht gelitten. Ein Jahr nach dem illegalen Referendum blickt er mit Optimismus auf die Lage dort.
"Selbst wenn es sich jetzt nochmal aufheizt - das kann man verstehen, das sind Emotionen - denke ich, dass alle Beteiligten wissen, dass sie diesen Konflikt nur lösen, wenn sie menschlich und sozial zusammenkommen. Weder vonseiten Madrids noch von der katalanischen Seite ist man an einer Spaltung interessiert. Also muss man hier daran arbeiten, dass diese Gesellschaften wieder zusammenkommen."
Vic und der "böse" spanische Staat
Nicht an einer Spaltung interessiert? Das sieht nicht jeder so in Katalonien. Für manche ist die Spaltung längst da. Für Carme Vilaró zum Beispiel. Wenn sie sich an den 1. Oktober erinnert, legt sich ein Schleier über ihren Blick. Vilaró engagiert sich für den Unabhängigkeits-Verband ANC in der katalanischen Ortschaft Vic.
"An jenem Tag waren wir ein Volk - in all seiner Vielfältigkeit! Da waren junge Leute, alte Leute... Und an jenem Tag war zu sehen, dass es einen Kampf zwischen dem Bösen und dem Guten gibt, in der gesamten Menschheit. Als der Faschismus unschuldige, unbewaffnete Menschen angriff - da manifestierte sich der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen!"
Das Böse war für sie der spanische Staat - und seine Polizei. Mit dieser Ansicht ist Vilaró hier in Vic nicht allein. Der Ort liegt im hügeligen Hinterland von Katalonien, rund eine Autostunde Fahrt von Barcelona entfernt. Bei den letzten Parlamentswahlen in Katalonien bekamen die separatistischen Parteien hier rund drei Viertel aller Stimmen. "Freiheit für die politischen Häftlinge" steht auf einem großen Transparent zu lesen, das vom Balkon des Rathauses hängt. Aus dem Lautsprecher am Rathaus war über Wochen hinweg jeden Abend Glockengeläut zu hören.
Bitte die Gefangenen nicht vergessen
Eine Mahnung, die, wie sie sie nennen, "politischen Gefangenen" nicht zu vergessen. Und nicht vom Weg in Richtung Unabhängigkeit abzukommen. Organisiert wurde die Aktion unter anderem von der Separatisten-Organisation "Omnium Cultural". Alfred Verdaguer ist der lokale Vorsitzende der Organisation:
"Wir waren der Meinung, dass wir uns täglich daran erinnern sollten, dass wir in einer Situation leben, die nicht normal ist. Daran zu erinnern, dass es Menschen gibt, die für ihre Meinungen im Gefängnis sitzen. Das ist nicht gerecht."
Natürlich brauchten sie dafür die Erlaubnis der Bürgermeisterin. Anna Erra hat sie ihnen gern gegeben:
"De que sirve esto?...no les olvidamos".
"Die Inhaftierten sollen wissen, dass sie nicht allein sind. Und dass wir sie nicht vergessen", sagt sie. Erra ist seit gut drei Jahren Bürgermeisterin der 40.000-Einwohner-Stadt. Und eine begeisterte Vorkämpferin für eine Unabhängige Republik Kataloniens.
"Unsere Herzen haben sie schon verloren"
Die sei de facto schon jetzt Realität: "Wir sind eine Republik - aber eine, die sich noch nicht konkretisiert hat. Für uns gilt der Auftrag des 1. Oktober. Na ja gut, rein rechtlich gesehen sind wir noch keine Republik - aber mit dem Herzen schon. Das heißt: Sehr viele von uns haben von Spanien schon Abschied genommen. Vielleicht werden wir noch eine lange Zeit durch die Verwaltung aneinander gebunden sein. Aber was unsere Gefühle und Herzen angeht - da haben sie uns schon verloren."
Die Lautsprecher-Durchsagen waren nicht die einzige Aktion, mit der Vic für Schlagzeilen gesorgt hat. Zuletzt wollten Separatisten-Organisationen den Bahnhofsplatz in einen "Platz des 1. Oktober" umbenennen - scheiterten aber am Widerstand der Nachbarn. Auf dem besagten Platz sitzt Jaume und trinkt einen Kaffee. Jaume war dagegen, dass der Platz ohne größere Volksbefragung umbenannt werden sollte. Und er war auch gegen die Durchsagen am Rathaus. Er selbst sei Katalanist - aber das sei ist ihm alles zu radikal.
"Die Lautsprecher des Rathauses für solche einseitigen Durchsagen zu benutzen - das gefällt mir nicht. Ich sage immer: Das hier ist das Gebiet der Apachen-Indianer. Wenn du ein bisschen die Stimme erhebst und sagst, dass du gegen den Separatismus bist, dann bringt das die Leute auf. Ich wurde dann schon mal gefragt, ob meine Nachnamen nicht aus einer anderen Gegend kommen."
Staatsfahne mit und ohne Hinweisschild
Die Welt ist klein in Vic. Hier ist man unter sich. Die Küste mit ihren Touristen ist fern - und Madrid auch. Auf dem Rathaus steht zwar eine spanische Fahne, aber sie ist kaum zu sehen. Dafür aber das Schild davor: "Die Staatsfahne steht auf diesem Rathaus aufgrund einer Zwangsmaßnahme der Zentralregierung", ist dort zu lesen. Katalonien ist in der Frage der Unabhängigkeit geteilt. In Vic weiß man, woran man ist.
Am Rathaus von La Canonja hängt die spanische Fahne ohne Hinweisschild. Im Rathaus des 6000-Einwohner-Ortes bei Tarragona regiert ein Bürgermeister der sozialistischen Partei Kataloniens, die eine Unabhängigkeit der Region strikt ablehnt. Die Bewohner des Dorfes hätten ihn gewählt, weil sie genauso denken, sagt Rathauschef Roc Muñoz.
"Als Reaktion auf die Unabhängigkeitsbewegung geben die Leute im Dorf ihre Stimme der politischen Kraft, die genau anders denkt. Unsere Partei gewinnt hier seit Jahren. In unserem 13-köpfigen Gemeinderat gehören zehn Mitglieder der sozialistischen Partei an. Wir haben also eine sehr bequeme absolute Mehrheit."
Katalanisch aber nicht separatistisch - La Canonja
Wer durch La Canonja geht, sieht kaum Separatisten-Flaggen oder gelbe Schleifen für die inhaftierten katalanischen Politiker. Beim Referendum vor einem Jahr lautete das Ergebnis in La Canonja zwar: knapp 87 Prozent für die Abspaltung von Spanien - aber es hat gerade einmal jeder vierte Bewohner seine Stimme abgegeben. Ramona sagt, die meisten ihrer Nachbarn hätten das Referendum aus Protest ignoriert - wie auch sie.
"Ich bin gegen die Unabhängigkeit. Das hier ist Spanien. Katalonien soll kein eigener Staat werden. Was diese Leute Revolution nennen, macht die Menschen kaputt."
Natürlich sei sie Katalanin, sagt Ramona, aber auch Spanierin. Eine andere Frau auf der Dorfhauptstraße, ebenfalls Gegnerin einer Unabhängigkeit, drückt es so aus:
"Ich komme aus Andalusien und lebe hier seit etwa 50 Jahren. Ich mag meine Heimat, aber ich mag auch die Gegend hier. Für mich ist klar, dass ich mich der Region anpasse, in der ich lebe: Ich bin keine Katalanin, habe aber Katalanisch gelernt."
Menschen wie diese Frau machen heute die Mehrheit der Bevölkerung von La Canonja aus: Es sind Südspanier und ihre Nachkommen. In den 50er und 60er Jahren kamen sie in die Küstenregion Kataloniens, weil es dort Arbeit gab. Diese Familien sprechen zu Hause fast nur Spanisch, nicht Katalanisch. Und daher können sie mit der Separatisten-Bewegung kaum etwas anfangen, erklärt der katalanische Sprachwissenschaftler Jordi Amat.
"Katalonien war immer schon eine der Regionen Spaniens mit viel Industrie. Diese Provinzen, vor allem die an der Küste, haben deshalb massiv Menschen aus den ärmeren Teilen Spaniens angezogen. In jene Gebiete Kataloniens, in denen heute die Unabhängigkeitsbewegung stark ist, kamen dagegen kaum Einwanderer."
Damit meint er vor allem das Landesinnere Kataloniens - eine Zone, in der nur wenige größere Firmen sitzen, die Wirtschaftskraft also schwächer ist. La Canonja hat dagegen jede Menge Industrie zu bieten: Im Südteil des Ortes befinden sich die Werke von mehreren großen Chemiekonzernen, auch von der deutschen BASF.
Ministerpräsident Sánchez setzt auf Dialog
Katalonien ist gespalten – und die Lage zwischen der katalanischen und der spanischen Regierung verfahren. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez versucht, Kompromisse zu suchen. Er will miteinander ins Gespräch kommen, setzt auf Dialog statt auf Konfrontation.
Sánchez und der katalanische Regionalpräsident Torra könnten unterschiedlicher kaum sein: Torra ist glühender Separatist – Sánchez sieht es als seine Aufgabe, die Einheit Spaniens zu garantieren. Er nannte Torra schon mal einen "Rassisten" oder "den Le Pen Spaniens". Aber da war Sánchez auch noch nicht Regierungschef.
Ein erstes Treffen zwischen dem Ministerpräsidenten Sánchez und Torra im Juli ging ohne große Ergebnisse zu Ende. Aber immerhin: Der Ton hat sich verändert. Das betonte auch Quim Torra auf seiner eigenen Pressekonferenz nach dem Treffen.
"Wir sind uns beide einig, dass das Thema Katalonien ein politisches Thema ist, das auch politisch gelöst werden muss. Das war für uns Katalanen sehr wichtig. Wir haben über alles gesprochen. Es ist Monate her, dass ein katalanischer Präsident mit einem spanischen Ministerpräsidenten über alles gesprochen hat."
Zwei Männer und ihre Kontrolleure
Genau diesen Dialog kritisiert die konservative Opposition in Spanien. So zum Beispiel Inés Arrimadas von der Partei Ciudadanos. Sánchez mache den Separatisten zu viele Zugeständnisse, so Arrimadas. Weil er die Stimmen der katalanischen Regionalparteien im Parlament brauche, um mit seiner Minderheitsregierung durch die Legislaturperiode zu kommen.
"Obwohl Herr Torra in dieser Woche viel Unerhörtes gemacht hat, nimmt ihn Sánchez trotzdem ganz normal in Empfang: Weil er von Torra abhängig ist, damit er weiterhin regieren kann. Uns scheint das aber nicht normal zu sein. Torra beleidigt weiterhin Millionen von Katalanen, Herr Sánchez sollte diese Menschen lieber in Schutz nehmen."
Doch trotz aller versöhnlichen Töne zwischen Sánchez und Torra: Die beiden haben politische Vorstellungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und Anhänger hinter sich, die ihnen genau auf die Finger schauen, keine faulen Kompromisse wollen.
Die beiden Politiker bleiben Gegner, die Lage zwischen Madrid und Barcelona verfahren. Aber immerhin: Die Funkstille ist vorbei. Ein Jahr nach dem 1. Oktober ist zumindest das etwas, das Hoffnung macht.