"Sie haben keine Mehrheit für die Unabhängigkeit"
Am Sonntag sollen die Katalanen über die Unabhängigkeit ihrer Region abstimmen. Ob es wirklich dazu kommt, ist strittig – und polarisiert auch die Vertreter der katalanischen Kultur. Schriftsteller Javier Cercas lehnt das Referendum ab.
Der alte Markt im Stadtteil El Born in Barcelona ist ein fast heiliger Ort in der katalanischen Mythologie. Hier unterlagen die letzten katalanischen Truppen im spanischen Erbfolgekrieg 1714 dem Bourbonenheer. Für katalanische Nationalisten war dies der Verlust ihrer Unabhängigkeit:
"Ich bin katalanischer Bürger. Seit 300 Jahre sind wir Teil dieses Staats und es ist seither kein Jahr vergangen, in dem uns Spanien nicht wie einen Tumor behandelt hätte."
Sagt Albert Sánchez Piñol einem Café vor der alten Markthalle. Sein Roman Victus über die damaligen Ereignisse wurde zum Bestseller:
"Darum ist es das Beste, wenn wir unsere Kultur, unsere Wirtschaft, unsere Institutionen selbst verwalten, integriert in Europa. Es gibt keine tolerantere Kultur als die katalanische."
Noch nie so viel Literatur auf Katalanisch veröffentlicht
Jedes Jahr unternehme Spanien etwas gegen die katalanische Sprache, meint der 52-Jährige. Allerdings: Dank aufwändiger Förderprogramme verstehen inzwischen mehr als 90 Prozent der Menschen in Katalonien die katalanische Sprache. Noch nie wurde so viel Literatur auf Katalanisch veröffentlicht und gelesen:
"Das wäre ja noch schöner. Natürlich kann ich in der Sprache veröffentlichen, in der ich will. Mir geht es nicht um einen Angriff auf das Kastilische. Ich will nur nicht, dass sie mir die katalanische Sprache kaputt machen. Das versteht kein Kastilier. Sie haben ein spanisches Projekt. Das kann man nicht ändern. Vielleicht ändern sie sich irgendwann, aber das Beste ist, Spanien zu verlassen."
Besonders verlockend an der Unabhängigkeit: Kulturelle Altlasten würden damit sofort entsorgt:
"Mit der katalanischen Republik könnten wir ein neues Abkommen mit dem Vatikan über die Rolle der Kirche aushandeln. Genauso die Armee. Die spanische Armee ist das reaktionärste, was man sich vorstellen kann. Unser Militär wäre überschaubarer. Der Finanzsektor: Jede Regulierung geht über Madrid. Dabei ist es doch schlimm, wie die Banken mit den Kleinsparern umgehen."
Ein wenig schwarz-weiß wirkt diese Darstellung der Verhältnisse durchaus. Die spanische Wirklichkeit mag komplexer sein, hat der Utopie einer neuen katalanischen Republik aber nur wenig entgegenzusetzen.
"Spanisch wird wie eine Fremdsprache unterrichtet"
Javier Cercas winkt beim Thema Unabhängigkeit hingegen müde ab. Die Unabhängigkeit sei für ihre Anhänger eine Glaubensfrage, meint der Autor von "Soldaten von Salamis" in seinem Büro im Zentrum Barcelonas:
"In den Schulen wird nur Katalanisch gesprochen. Spanisch wird wie eine Fremdsprache unterrichtet, eine Stunde in der Woche. Wie kann man da sagen, Katalanisch sei eine unterdrückte Sprache? Katalanisch war während der Franco-Diktatur unterdrückt. Aber heute ist die Behauptung schlicht falsch. Bei nur einer Schulstunde Spanisch in der Woche. Sonst ist alles auf Katalanisch."
Auch Cercas spricht beide Sprachen, schreibt in der Tageszeitung "El País" regelmäßig gegen die Nationalisten an. Er beklagt sich, sie hätten den öffentlichen Raum in Katalonien völlig eingenommen, die Sprache politisch instrumentalisiert. Andere Positionen kämen kaum mehr zu Wort, beklagt er sich.
"Es entsteht ein falscher Eindruck einer Einheit durch die Angst Andersdenkender, sich zu äußern. Man hat den Eindruck, alle seien für die Unabhängigkeit. Aber wenn gewählt wird, wählen nur 47 Prozent Parteien, die für die Unabhängigkeit sind. Hätten wir eine breite Mehrheit für die Unabhängigkeit, wäre das Thema längst erledigt. Aber sie haben keine Mehrheit, daher die gegenwärtige Politik."
Darum solle ja über die Frage abgestimmt werden, argumentieren die Nationalisten. Doch Cercas ist gegen das Referendum. Auch Ex-Diktator Francisco Franco habe Referenden abgehalten, eine Abstimmung gegen die Verfassung sei nicht demokratisch. Katalonien drohe zu einer rechtsfreien Region zu werden. Er sagt aber auch:
"So wie die Katalanen akzeptieren müssen, dass Spanisch ein Teil ihrer Kultur ist, müssen die Spanier akzeptieren, in einem Land mit vielen Kulturen und Sprachen zu leben. Das ist etwas Wunderbares! Die zentralistische Kultur versteht das nicht. Aber ich denke, die jungen Leute werden das ändern. Umfragen zufolge billigen die unter 35-Jährigen die Unabhängigkeitsbewegung nicht. Das gibt mir Hoffnung."