Sammelband „Das rebellische Spiel“

Fußball und Politik sind nicht zu trennen

11:18 Minuten
Buchcover von "Das rebellische Spiel"
© Die Werkstatt
Das rebellische Spiel. Die Macht des Fußballs im Nahen Osten und die Katar-WMDie Werkstatt, 2022

272 Seiten

22,00 Euro

Jan Busse im Gespräch mit Christian Rabhansl · 29.10.2022
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Politologe Jan Busse und Historiker René Wildangel beleuchten im Sammelband „Das rebellische Spiel“ die Verflechtungen von Politik und Fußball im Nahen Osten. Dabei nehmen sie die Katar-WM, aber auch viele historische Ereignisse in den Blick.
Ist die Fußball-WM schon gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen hat, weil alle Kritik am Gastgeberland Katar dann doch kaum etwas gebracht hat? Oder bietet die Veranstaltung eine Chance, im Nahen Osten etwas zu ändern in Sachen Menschenrechte? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Sammelband „Das rebellische Spiel. Die Macht des Fußballs im Nahen Osten und die Katar-WM" unter anderem.
Die Herausgeber Jan Busse und René Wildangel nehmen dafür die Region als Ganzes sowohl historisch als auch zeitgenössisch in den Blick. Dabei hätten sie festgestellt, „dass man Fußball und Politik nicht voneinander trennen kann“, sagt der Politikwissenschaftler Busse. Das gilt für alle Regionen, auch Europa. „Aber im Nahen Osten zeigt sich das noch deutlich ausgeprägter.“

Ausdruck von Kontrolle und Unterdrückung

Dabei sei Fußball einerseits Ausdruck von Kontrolle und Unterdrückung. „Es wird von Kolonialmächten eingesetzt zu diesen Zwecken“, so Busse. Vor allem die Briten hatten darauf in ihren Kolonien in West-Asien und Ägypten gesetzt.
Andererseits habe Fußball auch ein emanzipatorisches, ermächtigendes Potenzial. Beispielsweise bei anti-kolonialen Bewegungen, die nach nationaler Unabhängigkeit streben, im Fall von Ultras während des Arabischen Frühlings oder aktuell im Zuge von Frauenrechtsbewegungen und Protesten in Iran.

Unabhängigkeitsbestrebungen und Fußball

Eines der plastischen Beispiele ist aber die Bildung eines eigenen Nationalteams während der Unabhängigkeitsbewegungen Algeriens nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals war das Land komplett unter französischer Kontrolle, bis sich die Unabhängigkeitsbewegung FLN formierte und es zum Krieg mit Frankreich kam. Dieser „verlagerte sich auf den Fußballplatz“, so Busse. Denn 1958 gründete sich eine FLN-eigene Fußballnationalmannschaft. Zu ihr gehörten auch Fußballer, die zuvor in der Ersten Liga Frankreichs gespielt hatten. „Die setzten eine Menge aufs Spiel“, so Busse. 1962 wurde Algerien schließlich unabhängig.
Trotz dieser vom Buch attestierten „rebellischen Kraft“ des Spiels befördern Regime und Autokraten den Fußball im eigenen Land oft, wie die WM in Katar zeigt. Die Großveranstaltung sei zwar ein „riesiger PR-Coup“, sagt Busse. „Aber gleichzeitig hat Katar sicherlich unterschätzt, wie viel Kritik an der Menschenrechtssituation und den mangelnden Freiheitsrechten in dieser absolutistischen Monarchie auf einmal auf Katar gelenkt ist.“ Ob das Land letztendlich mit einem Image-Zugewinn oder -Verlust rechnen muss, lasse sich jetzt noch nicht sagen. „Meine Befürchtung ist da eher, dass in zwei, drei Jahren die Erinnerungen an die schönen Bilder von der WM überwiegen werden und die Auseinandersetzung mit der Kritik nicht mehr so sehr im Vordergrund steht.“

WM-Boykott hätte vermutlich wenig gebracht

Der Vereinnahmung des Fußballs stehen auch Fußballfans bisweilen unkritisch gegenüber. Manche Fußballfans würden den Sport nur als Ereignis konsumieren, gerade bei großen Public-Viewing-Events, meint Busse, gleichzeitig gebe es aber Ultra-Gruppierungen, die sich intensiv mit der Politisierung des Sports auseinandersetzen.
Von einem Boykott der WM hält Busse wenig. „Ich glaube, das hätte nichts gebracht. Das wäre eine symbolische Geste gewesen.“ Schließlich sei das Problem nicht Katar, sondern die Art und Weise, wie Weltmeisterschaften vergeben werden. „Extrem intransparent, mit hoher Anfälligkeit für Korruption, ohne dass es wirklich Kriterien für Menschenrechtsstandards und Ähnliches gibt. Da müsste was geändert werden.“ Auch das Agieren der FIFA hält Busse für hochproblematisch. „Da wird komplett unkritisch mit der Situation vor Ort umgegangen. Da muss ein sehr starkes Umdenken stattfinden, und ich würde sagen, dass da die Fans auch ein gewisses Druckmittel haben.“
Die beiden Herausgeber Busse und Wildangel beschäftigen sich seit vielen Jahren beruflich mit dem Nahen Osten, haben dort auch gelebt – und sind gleichzeitig Fußballfans. Nun hoffen sie, mit dem Buch „den allgemein interessierten Fußballfan vielleicht ein bisschen mehr für den Nahen Osten und Nordafrika insgesamt zu interessieren“.
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