"Wir wollen unsere Türen wieder aufsperren!"
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Die frühere Eiskunstläuferin Katarina Witt betreibt in Potsdam ein Fitnessstudio. Sie kritisiert die undifferenzierten Corona-Maßnahmen. Mit entsprechenden Konzepten sei ein Fitnesstraining durchaus möglich.
Die frühere Eiskunstläuferin Katarina Witt läuft mit blitzenden Augen durch ihr leeres Fitnessstudio in der Potsdamer Innenstadt. Keines der Geräte wird benutzt, stattdessen müssen die Angestellten Staub wischen.
"Ich möchte mich hier nicht in den Mittelpunkt stellen. Mir geht es um eine ganze Branche. Und es setzt mir natürlich zu, dass man zum Nichtstun verurteilt ist. Sie sehen ja selber, hier ist kein großer Verkehr, kein großer Menschenauflauf. Man kann das über Regeln hinkriegen, mit pro Person 20 Quadratmeter oder 30 Quadratmeter. Ich bin dafür, dass man das mit einem fairen Weg hinkriegt. Und zwar für alle."
Die prominente Fitnessstudio-Betreiberin kritisiert die – wie sie sagt – undifferenzierten Maßnahmen des für sie seit November andauernden Corona-Lockdowns. Fast ein halbes Jahr geht das nun schon so, schiebt sie noch hinterher.
"Und da wünscht man sich von der Politik auch am Mittwoch bei einer Entscheidung, dass man auch mal über den Tellerrand hinausguckt." Man höre von so vielen wunderbaren Ideen der digitalen Erfassung, sagt Witt.
"Ob das die Luca-App ist; ob das ein Bürgermeister in Rostock ist, der da eine andere Öffnungsstrategie hat; ob das der Tübingen-Fall ist." Sie wünsche sich, "dass man differenziert und unterschiedlich lokal vorgeht". In Potsdam etwa sei der Inzidenz-Wert niedriger.
Aktuell liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in der Brandenburger Landeshauptstadt laut Robert-Koch-Institut bei exakt 37,2.
Es gehe ihr nicht um ihr eigenes Fitnessstudio, wiederholt Katarina Witt und es sprudelt aus ihr nur so heraus. So viele Kleinunternehmer, Einzelhändler, Soloselbstständige und Künstler seien in Schieflagen geraten. Dass Traditionsgeschäfte schließen müssten, das tue ihr im Herzen weh.
Gegen komplett geschlossene Branchen
"Ich verlange, dass die Politik großflächiger denkt. Das geht nicht mehr, dass Branchen komplett geschlossen werden, die Hilfen nur schleppend kommen."
Einzelne Türen ihres mit bodentiefen Fenstern versehenen Fitnessstudios sind mit den Ortsnamen ihrer Olympiasiege gekennzeichnet.
"Wo der Gesundheitscheck ist, ist Sarajewo. Da habe ich meine erste Goldmedaille gewonnen. Dann gibt es einen Beratungsraum, was die Mitgliedschaft beinhaltet, das ist dann der Calgary-Raum. Da hatte ich meine zweite Goldmedaille gewonnen. Und da, wo praktisch gearbeitet werden muss, das ist das Büro. Der heißt Lillehammer, da bin ich ‚nur‘ Siebte geworden. Das heißt, da sind wir noch lange nicht am Ziel angelangt. Da müssen wir fleißig sein."
Ihre Schlittschuhe hat sie schon vor Jahren an den Nagel gehängt. Die Politik müsse wie Leistungssportler agieren, schiebt Katarina Witt hinterher, die viele immer noch nur Kati nennen. Einfach mal alles geben, und zwar zu hundert Prozent. Es sei die Zeit des Machens, Ausprobierens, der Beweglichkeit, nicht des Abwiegelns und Abwartens.
"Ich würde mir wünschen, dass man auch viel mehr auf seine Bevölkerung hört. Auch vertraut."
"Für alle dieselben Regeln"
Sebastian Walter – Fraktionschef der Linken im Brandenburger Landtag – kann den Unmut verstehen.
"Wenn ich einen Blumenladen öffne, dann muss ich erklären, warum ich einen Schuhladen nicht öffnen kann. Wenn Blumenläden öffnen dürfen, wenn sie mindestens 50 Prozent ihrer Ladenfläche draußen haben, dann verstehe ich Schuhhändler, die sich bei mir melden und sagen, wenn ich jetzt meine Schuhe draußen hinstelle, dann könnte ich ja auch öffnen."
Das seien Dinge, die geklärt werden müssten. "Da sind wir offen für klare Regeln, die müssen für alle gleich gelten."
Das sei aber im Land Brandenburg nicht der Fall. "Weil man ja letzte Woche meinte, man könne mit Blumen den Corona-Blues beenden. Das ist nicht der richtige Weg."
Bisher galt die SPD in Brandenburg bei den Corona-Maßnahmen als vorsichtig. Hat immer wieder vor überschnellen Öffnungsstrategien gewarnt. Doch jetzt ist ein Stimmungswandel zu beobachten. Brandenburgs SPD-Fraktionschef Erik Stohn bringt kreative Gedanken in die Debatte ein.
"Was wir uns gegebenenfalls auch vorstellen können – Frankreich macht es ja auch – dass man kleine Geschäfte, wo Hygienekonzepte einfacher umzusetzen sind als bei großen Malls, dass man da vorangeht. Dass man da Gehwege unbürokratisch stärker zur Verfügung stellt, um da Waren zu präsentieren." Oder dass man Außengastronomie dort stattfinden lassen könne.
Zumachen oder mit Schulden rausgehen?
Eine knappe Autostunde von Potsdam entfernt liegt Zeuthen, Landkreis Dahme-Spreewald, Berliner Speckgürtel. Hier arbeitet seit 14 Jahren die 40-jährige Mandy Rechenberger in ihrem eigenen Kosmetikstudio. "Angelface-Beauty" heißt es.
Kundinnen waren schon lange nicht mehr da. Vielleicht werden sie auch nie mehr kommen. Denn mit dem kleinen unscheinbaren Kosmetikstudio in einer kleinen Zeuthener Nebenstraße könnte es bald vorbei sein.
"Man überlegt: Nehme ich die fünf Euro, die ich noch habe und mache zu? Und suche mir einen anderen Job? Oder man wartet, bis man hier mit Schulden rausgeht. Obwohl man immer gut dagestanden hat."
Die Auftragsbücher waren immer voll, es gab im Jahr kaum freie Termine. Doch jetzt weiß Mandy Rechenberger nicht so recht weiter. Für dieses Jahr habe sie noch keinen einzigen Cent Unterstützung erhalten.
"Also, ich habe mir mein Limit bis heute gesetzt. Meine Hoffnung ist jetzt noch der April. Und deswegen warte ich jetzt noch. Wenn dann nichts geschieht, muss ich eine Entscheidung treffen."
Studios als Begegnungsstätten
Auch ihr fehlt – wie Katarina Witt - das Verständnis, dass differenzierte Öffnungsstrategien fehlen. Und Mandy Rechenberger - Obermeisterin der Kosmetiker-Innung im Kammerbezirk Frankfurt/Oder und Cottbus - ist empört, dass viele Politiker nur über die Kleinunternehmer sprechen, aber kaum mit ihnen selbst das Gespräch suchen.
"Ich habe mit der Kreishandwerkerschaft viele Briefe und E-Mails geschrieben. Die machen sich nicht mal mehr die Arbeit, den Verlauf zu löschen, an welchen Sachbearbeiter die Schreiben weitergeschickt werden. Weil es oben gar nicht mehr beantwortet wird. Und das ist natürlich, wenn wir als Interessengemeinschaft uns da hinwenden mit den Handwerkskammern zusammen, das ist dermaßen enttäuschend, das geht nicht."
Orte wie Kosmetikstudios sind Begegnungsstätten, sagt sie noch. Ähnlich formuliert es die Eiskunstläuferin und Fitnessstudio-Inhaberin Katarina Witt. Gerade deshalb bräuchten sie alle eine Öffnungsperspektive. Und hofft, dass die Appelle im Bundeskanzleramt, in den Staatskanzleien der Länder nun endlich auch ankommen.
"Wir wollen wieder unsere Türen aufsperren und das anbieten, wofür unser Herz schlägt. Nämlich für den Sport."