Kate Tempest: "Brand New Ancients/Brandneue Klassiker". Lyrik
Aus dem Englischen von Johanna Wange
Suhrkamp, Berlin, 2017
112 Seiten, 14 Euro
"Denn die Götter sind in uns"
Die tragische Geschichte zweier benachbarter Familien erzählt Kate Tempest in "Brand New Ancients". Die Eastend Boys und Girls, das sind ihre Götter. Die Lyrikerin setzt ihnen in ihrem Langgedicht ein Denkmal - das ist genauso schlicht wie ergreifend.
Mythen 3.0 – Kate Tempest entdeckt Pandora, Medea, Dionysos und Co. im London von heute. Die Eastend Boys und Girls, das sind ihre Götter, ihre "Brand New Ancients". Ihnen setzt die 31-Jährige ein Denkmal:
"Die Götter sind alle hier.
Denn die Götter sind in uns."
Denn die Götter sind in uns."
"Brand New Ancients" ist ein Song – früher hätte man es Ballade genannt, der die Geschichte zweier benachbarter Familien und ihrer Kinder erzählt. Einfache Menschen in bescheidenen Verhältnissen, die zwei von ihnen zu eng geworden sind.
Der Ausbruchsversuch ist eine Affäre, die Jane ausgerechnet mit Nachbar Brian beginnt. Aus dieser "Brand New Pandora" schlüpft das Baby Tommy. Und während der ebenso arg- wie ahnungslose "Vater" Kevin es hingebungsvoll großzieht, geben sich Brian und seine Ehefrau Mary, die "Brand New Medea", dem Suff hin. Der gemeinsame Sohn Clive wird vernachlässigt und bekommt den Frust seiner Eltern in Form von Schlägen zu spüren.
Showdown in einer Kneipe
Stoff für eine antike Tragödie mit modernen Protagonisten. Clive gerät auf die schiefe Bahn. Tommy, sein Halbbruder, macht dagegen Karriere, verliert darüber aber seine Freundin Glory aus dem Blick. – Später kommt es zum Showdown in einer Kneipe: Clive versucht mit einem Kumpel, Glory zu vergewaltigen. Die aber wehrt sich tapfer, bis schließlich Tommy eintrifft:
"er stand wie angewurzelt,
unbemerkt und nutzlos,
während Glory heller brannte als jede Tochter des Zeus,
der Kampf in ihren Augen entflammte auch ihn."
unbemerkt und nutzlos,
während Glory heller brannte als jede Tochter des Zeus,
der Kampf in ihren Augen entflammte auch ihn."
Diese dramatische Nacht heilt Tommy von seiner Hybris. Er findet mit Glory zum gemeinsamen Glück zurück, während Clive in der Versenkung verschwindet. Moral von der Geschicht': "Die Götter werden Götter, wenn sie nur zu lieben wagen.”
"Brand New Ancients" ist dazu gedacht, laut gelesen zu werden. Diesen Hinweis hat Kate Tempest ihrem Langgedicht vorangestellt. Es ist ein wichtiger Hinweis. Denn wer erlebt, wie die Autorin voller Inbrunst und Empathie ihre "spoken word performances" zum Besten gibt, wer hört, wie Tempest ihrem Pseudonym alle Ehre macht und in einem Wortsturm mit Tempiwechseln, Synkopen und Reimen die Texte kraftvoll nach vorn peitscht, der überhört gern, dass "Brand New Ancients" viele Klischees bedient.
Leider geht diese Energie in der spröden Übersetzung von Johanna Wange fast völlig verloren:
"the gods are in the office blocks
the gods are at their desks
the gods are sick of always giving
more and getting less"
the gods are at their desks
the gods are sick of always giving
more and getting less"
"die Götter sind in Bürokomplexen
die Götter sitzen am Schreibtisch
die Götter wollen nicht immer mehr geben und
weniger kriegen"
die Götter sitzen am Schreibtisch
die Götter wollen nicht immer mehr geben und
weniger kriegen"
Seit "Brand New Ancients" ist die Rapperin Kate Tempest auch als Lyrikerin anerkannt. Als bislang jüngste Autorin hat sie dafür den Ted Hughes Award erhalten, den Lyrikpreis der britischen Poetry Society. Die Erfolgsformel ist die eines guten Poetry-Slam-Textes: "Brand New Ancients" ist schlicht. Und ergreifend.