Katharina Hacker: "Die Gäste"
© S. Fischer Verlag
Pandemische Ängste im Puppenstubenformat
06:02 Minuten
Katharina Hacker
Die GästeS. Fischer, Frankfurt am Main 2022256 Seiten
20,00 Euro
Nach einem überraschenden Erbe eröffnet ihre Hauptfigur ein Café, mitten in der Pandemie. Doch was Buchpreisträgerin Katharina Hacker als literarisch anspielungsreiches Kabinett menschlicher Sorgen anlegt, gerät allzu niedlich.
Pünktlich zum 50. Geburtstag klingelt ein Bote an der Tür. Die Erzählerin solle sich rasch zu Doktor Kowalk begeben, dem Rechtsanwalt ihrer vor 17 Jahren verstorbenen Großmutter. Flugs ist sie dort, die Tür ächzt, der Rechtsanwalt brummt.
Friederike fügt sich wie selbstverständlich in die Wendung, die ihr Leben nun nimmt. Sie hat ein Café in der Pohlstraße geerbt, gleich um die Ecke ihrer Wohnung in der Kurfürstenstraße. Es ist ein kleines Karree in Schöneberg, in dem dieser Berlin-Roman spielt – mitten in der Gegenwart und also in der Pandemie.
Ein Neuanfang nach 25 Jahren
Die Koordinaten sind real. Der Ton ist märchenhaft. „Zuhause ist niemand, dem ich eine Tasse Tee bringen könnte“, erklärt Friederike dem Anwalt. Und schon fährt sie nach Dahlem, um nach 25 Jahren ihre Stelle zu kündigen am „Institut für schwindende Idiome“.
Vor kurzem hatte sie noch Mann und Sohn. Florian ist gegangen, als die Eltern ihm am 18. Geburtstag endlich sagten, dass sie ihn adoptiert haben. Bald darauf nahm Daniel eine Professur in den USA an.
Der bisherige Inhaber übergibt ihr klaglos die Bar, als die er das Café nutzte, auch er will hinaus in die Welt. Er empfiehlt ihr seine polnische Kellnerin. Mit Kasia und ihrem Freund Stislaw stemmt Friederike den Umbau, bald sitzt sie da und wartet auf Gäste.
Im Café ist jeder willkommen
Von E.T.A Hoffmann über die Märchen der Brüder Grimm bis hin zu Beckett, Kafka und Grass‘ „Rättin“ reichen die literarischen Anspielungen, mit denen Katharina Hacker die kleine Welt ausstaffiert, die sie in ihrem Roman entwirft. Es ist eine Miniaturwelt mit eigener Unterwelt. Im Keller des Cafés hausen die Ratten der Stadt, bekleidet wie Menschen, und spielen den Untergang. Im Gebälk leben Würmer und Käfer.
Jeder Gast ist willkommen, gerade weil es während „der großen Pandemie“ so wenig Orte gibt, an die man gehen kann. Es kommen Studierende und alte Damen. Ein Zuhälter namens Benedikt macht das Café zum Anlaufpunkt für seine Prostituierten, nebenbei handelt er mit Organen. Man hofft auf die Trauergäste des nahen Friedhofs.
Putzig statt wirklichkeitsmächtig
Nach einem Einbruch schenkt ihr Stislaw einen Hund. Er nennt ihn Pollux, „wie Licht aus Polen“. Längst schläft Friederike auch im Café, eingerollt in einem „Sesselchen“. Sie ist sehr klein und scheint manchmal weiter zu schrumpfen. So sieht es Robert, der ihr Geliebter wird. Meistens ist auch er auf Reisen.
Was ist das für ein Roman, dieses bizarre Pandemie-Märchen, das so putzig daherkommt, dass es nicht sehr wirklichkeitsmächtig wirkt?
Verniedlichungsfeldzug gegen größte Ängste
„Man muss den größten Kummer auch vergessen“, heißt es einmal, und damit ist weniger die Pandemie gemeint als der verschwundene Sohn. Die Sorge um ihre Kinder sei ihre größte Angst, erzählte Katharina Hacker einmal in einem Interview, ihre zweitgrößte, dass sie selbst sterbe, bevor ihre Töchter erwachsen sind.
„Die Gäste“ ist ein aufs Puppenstubenformat geschrumpftes Kabinett pandemischer Ängste. Ein Verniedlichungsfeldzug, verspielt, rätselhaft und in gewisser Weise auch „unerbittlich ziellos“, wie die Autorin vor Jahren eine der beiden Hauptfiguren ihres Romans „Die Habenichtse“ charakterisierte, für den sie 2006 den Deutschen Buchpreis erhielt.