Heiligsprechung mit Schattenseiten
Eine einfache Frau aus dem Westerwald kümmerte sich ihr Leben lang um Waisen und Arme. Deshalb – und für eine angebliche Wunderheilung – soll Katharina Kasper heilig gesprochen werden. Doch daran gibt es Kritik.
In der Pfarrkirche von Wirges, auch "Westerwälder Dom" genannt, legte Katharina Kasper 1851 ihr Ordensgelübde ab. Im Pfarrhaus daneben proben seit dem Sommer 130 Sänger für Auftritte im Rahmen der Heiligsprechung. Johannes Schröder, 26-jähriger Kantor der katholischen Pfarrei, dirigiert den Projektchor.
"Wir proben für den Dankgottesdienst am 15. Oktober in St. Ignazio in Rom und für das Pontifikalamt am 21. Oktober hier im Westerwälder Dom", sagt Schröder. Los geht’s mit dem Warmsingen. Ganz unabsichtlich werden da die zentralen Fragen formuliert. Der Dirigent singt: "Wieso-o denn bloß?"
Wieso bloß wird eine Westerwälder Bauerntochter aus der napoleonischen Nachkriegszeit 1978 selig- und 2018 heiliggesprochen? Wieso wird die Gründerin des Ordens der Armen Dienstmägde Jesu Christi als allererste aus dem Bistum Limburg zur "Ehre der Altäre" erhoben, wie es auf katholisch heißt?
In Dernbach, dem Nachbardorf von Wirges, muss man auf dem sonnigen Platz hinterm Mutterhaus der "Armen Dienstmägde" nicht lange warten, um auf Fans von Katharina Kasper und den sogenannten Dernbacher Schwestern zu stoßen.
"Sie war ja ein einfaches Bauernmädchen ohne große schulische Bildung oder irgendetwas, und trotzdem hat sie es geschafft, junge Frauen zu begeistern für ... ja natürlich damals Krankenpflege, Kindererziehung. Das was sie vollbracht hat, ist toll, erfüllt uns mit Stolz", sagt Birgit Wagner.
Sie nannte ihre Tochter Katharina, wählte für sie die Kita, danach die Schule der Dernbacher Schwestern. Wagners Mutter lebt im Pflegeheim der "Dernbacher Gruppe Katharina Kasper", ihre Tochter arbeitet heute als Altenpflegerin in einem anderen Heim dieses christlichen Konzerns. An 130 Standorten in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen arbeiten über 6.000 Mitarbeiter in der Holding. Das sind zehnmal mehr Menschen als der Orden heute weltweit Mitglieder hat. In den Gesellschafter-Organisationen bestimmen die Schwestern die Geschicke des Konzerns mit.
Eine Kinder-Bewahranstalt für Verwaiste
Eva Jung überquert den Platz hinterm Kloster mit ihrer dreijährigen Tochter. Auch sie begeistert, dass die Ordensgründerin heiliggesprochen wird: "Ja, hier im Dorf ist das ja ein ganz großes Thema, da sie ja die erste war, die einen Kindergarten errichtet hat, direkt gegenüber vom Kloster."
Besser gesagt: zunächst eine Kinder-"Bewahranstalt" für Verwaiste. Denn im Zuge der Armuts-Auswanderung nach den napoleonischen Kriegen blieben viele Kinder allein zurück, weiß Matthias Theodor Kloft, Direktor des Diözesanmuseums Limburg: "Raues Klima, schwierige Landwirtschaft - der Westerwald kennt im 19. Jahrhundert noch Hungersnot, und nach der Säkularisation sind gerade im katholischen Bereich durch die Aufhebung der Klöster die alten karitativen Organisationen zusammengebrochen."
Armenhilfe und Pflege fehlen. Katharina stammt aus einer zehnköpfigen Kleinbauernfamilie und erkennt die Missstände. Für den Protestanten und Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen ist die Westerwälder Hungersnot Anlass, Brotbackvereine als Selbsthilfe zu gründen, Vorläufer bäuerlicher Genossenschaften. Raiffeisens katholische Zeitgenossin Katharina Kasper gründet zunächst einen "Frommen religiösen Hilfsverein" für Frauen. Mit folgendem Selbstbild, so der Kirchenrechtler Thomas Schüller:
"Wir sind Frauen, die selbstbestimmt ihr Leben in die Hand nehmen und die als vom Evangelium erfasst, jetzt sagen, unser Auftrag ist oder mein Charisma ist, sich um die Schwächsten und Armen zu kümmern. Das finde ich schon eine hohe Autonomie. Dass dann Frauen aus der damaligen Zeit das als Chance sahen, aus dem Einflussbereich von Ehemännern oder Kirchenmännern zu kommen und in einer Ordensgemeinschaft ihre Heimat zu finden, finde ich gut."
Katharina motivierte Tausende zum Dienst
Lieber "Arme Dienstmagd Jesu Christi" als Magd eines Bauern oder des eigenen Ehemanns. Lieber Keuschheit, also Verzicht auf Sexualität, als Tod im Kindbett – so lässt sich über die Motivlage spekulieren. Wie dem auch sei: "Katharina ist die erste 'Gender-Heilige'", schmunzelt Professor Kloft. Ihre Devise: "Insbesondere Frauen müssen auch an Bildung kommen. Eine Frau, die nur schwach gebildet war, schafft es, dass Mädchenbildung auch in die Armutsgegenden kommt. Und sie macht dies, weil sie sich Gott in besonderer Weise verbunden fühlt."
"Wunder hat die Katharina ganz viele gewirkt", sagt der Limburger Bischof Georg Bätzing. "Wie es gelingen kann, innerhalb von 30 Jahren 1700 Frauen zu einem Leben im Dienst an den Ärmsten der Armen zu motivieren, das ist für mich das viel größere Wunder als das medizinische, was da geschehen ist."
Das medizinische Wunder – damit meint der Bischof die Wunderheilung in Indien, die Papst Franziskus für die Heiligsprechung anerkannte. Der indische Ordensbruder Leo war nach einem Auto-Unfall mit Kopfverletzung und inneren Blutungen im November 2011 für klinisch tot befunden worden. Doch nachdem Schwestern die Selige Katharina im Gebet anriefen, soll der Tote zum Leben erwacht und ganz ohne weitere Operationen bis Anfang 2012 komplett gesundet sein. Da wird die Geschichte für manchen zu wundersam, sogar an Katharinas Heimatort Dernbach. Dort sagen Passanten: "Ich bin ein bisschen skeptisch. Ich kann's nicht nachvollziehen." Oder: "Das kommt mir schon seltsam vor."
Tebartz-van Elst beantragte die Heiligsprechung
In einer Privataudienz beim Papst hatte der Limburger Ex-Bischof Tebartz-van Elst die Heiligsprechung im Februar 2012 beantragt. Damals aber fehlte noch das nötige Wunder. Kurz vorher, im Januar, waren Franz-Peter Tebartz-van Elst und sein Generalvikar Kaspar wieder mal nach Indien gejettet. Um soziale Projekte der Dernbacher Schwestern zu unterstützen, hieß es. Franz Kaspar, Nachfahre von Katharina, hatte das schon so oft getan, dass er Bonusmeilen übrig hatte. Beim erneuten Indien-Flug Anfang 2012 verwandelte er diese in ein First-class-Upgrade für Tebartz und sich. Das leugnete der Bischof zunächst. Ein "Upgrade-Wunder" spottete "Spiegel Online". Danach gewann der Protest gegen Tebartz' Amtsführung an Schubkraft.
"Für mich war es das Schlimmste, was der Bischof damals gemacht hat, die Lüge mit dem Flugzeug", sagt der Westerwälder Winfried Himmerich. Der Pensionär singt mit seiner Frau im Projektchor Heiligsprechung. Einmal in der Woche proben die Sänger im großen Saal des katholischen Pfarrzentrums in Wirges.
Organisierte der Ex-Bischof Zeugen?
Bei der Indien-Reise von Tebartz und Kaspar sei es "auch noch um ein Wunder der Ordensgründerin unserer Dernbacher Schwestern" gegangen, zitiert "Spiegel Online" den damaligen Bischof. Erst später stellt sich heraus: Die Wunderheilung, von der Tebartz beim Papst-Besuch noch nichts wusste, soll sich unmittelbar vorher in Indien ereignet haben. Kann es sein, dass die beiden ellenbogenstarken Würdenträger nachgeholfen haben, beim Organisieren von Zeugen vielleicht?
"Das glaube ich eigentlich nicht", kontert entschieden Birgit Wagner, Katholikin in Dernbach. Die Sänger im Nachbarort Wirges hat sie auf ihrer Seite: "So ja. So ja. So jahaha."
Auch Bischof Georg Bätzing weist Mutmaßungen zurück, es sei bei der indischen Wunderheilung nicht mit rechten Dingen zugegangen. Zentral für die Heiligsprechung Katharinas sei, dass sie im Volk verehrt werde. Aber, so stellt der Tebartz-Nachfolger klar: "Wenn niemand den Willen anstrengt, dass jemand selig- oder heiliggesprochen wird, dann geschieht auch nichts. Lobby-Arbeit ist notwendig, Lobby-Arbeit fürs Gute ist auch nichts Schlimmes."
Wie weit darf Lobby-Arbeit gehen? Kritiker urteilten, die gesamte Amtsführung von Bischof Tebartz habe "auf Lüge" beruht. Weshalb sich Zweifel auch an der Redlichkeit seiner Lobbyarbeit fürs Wunder aufdrängen. Tebartz' Nachfolger Georg Bätzing teilt diese Zweifel nicht: "Dass das jetzt in Indien geschah – ich muss ehrlich sagen, da habe ich auch nicht reingeguckt, wie die Zusammenhänge da sind. Dass die Kontakte zu den indischen Schwestern der Armen Dienstmägde immer bestanden haben und dass es da auch Notwendigkeiten gibt und gab, die zu besuchen, ist überhaupt keine Frage."
Patricia Becker fährt als Chorsängerin mit nach Rom und meint: "Also, Tebartz-van Elst, das ist ja so eine Sache für sich. Also, ich glaube, man sollte die Sache auf sich beruhen lassen. Es ist vorbei. Das regt die Leute nur noch mal mehr auf. Er hat es vorangetrieben – vielen Dank! Aber jetzt ist auch gut."
"Die Heiligsprechung ist kein Grund zu vergeben"
Schwamm drüber - über Geldverschwendung, Lüge und absolutistischen Führungsstil? Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller kennt das Bistum Limburg gut, er hat für Tebartz' bescheidenen Vorgänger, den populären Bischof Franz Kamphaus gearbeitet:
"Die Heiligsprechung ist sicherlich kein Grund zu vergessen und zu vergeben, was Bischof Tebartz-van Elst und sein Generalvikar den Gläubigen zugefügt haben. Das ist nochmal auf einer ganz anderen Ebene. Das ändert nichts daran, dass man ihnen durchaus dankbar sein kann, dass sie das Verfahren der Heiligsprechung weiter fortgeführt haben. Aber es nimmt ihnen nichts von ihren Taten, die sie begangen haben."
"Die Heiligsprechung ist sicherlich kein Grund zu vergessen und zu vergeben, was Bischof Tebartz-van Elst und sein Generalvikar den Gläubigen zugefügt haben. Das ist nochmal auf einer ganz anderen Ebene. Das ändert nichts daran, dass man ihnen durchaus dankbar sein kann, dass sie das Verfahren der Heiligsprechung weiter fortgeführt haben. Aber es nimmt ihnen nichts von ihren Taten, die sie begangen haben."
Bischof Bätzing hat seinem Vorgänger Tebartz-van Elst einen Dankesbrief geschrieben. Das frühere Limburger Bistums-Oberhaupt habe sich für die Heiligsprechung eingesetzt – mehr nicht, davon ist Georg Bätzing überzeugt. "Es braucht eine unabhängige Mediziner-Kommission, wo auch nicht nur Katholiken drin sind, es braucht Zeugnisse, notarielle Bestätigungen, Urkunden. Das wird gehoben auf die Ebene einer Unabhängigkeit der Bezeugung, das ist wichtig. Sonst hätte es den Geruch von, na ja, kann man das auch machen – und das wäre, glaube ich, schlimm, weil es dann eher schaden würde als nutzen."
Kirche fand keine Gegenargumente
Dass die erste Heilige im Bistum Limburg eine Vorfahrin von Tebartz' Generalvikar Franz Kaspar ist, auch das kann befremden. Allerdings nur, wenn man mit Heiligsprechungsverfahren in der katholischen Kirche nicht vertraut ist. Professor Schüller ist bekannt als kritischer Kopf, aber daran, dass sich Franz Kaspar so intensiv für eine Verwandte einsetzte, stößt er sich nicht:
"Sofern die Absichten redlich sind, habe ich damit kein Problem, weil das Verfahren an sich in Rom ja nach strengen Maßstäben durchgeführt wird, es zum Beispiel auch immer jemanden gibt, der als 'Advocatus Diaboli', der alle negativen Seiten der selig- oder heiligzusprechenden Person untersucht und die auch benennt. Insofern ist für eine gewisse Objektivität im Verfahren selbst gesorgt."
Diese Untersuchung stelle auch sicher, glaubt der Kirchenrechtler, dass trotz lückenhafter Forschung keine dunklen Flecken in Katharinas Engagement für Waisenkinder übersehen wurden. "Es wird die 'Bewahrung' gewesen sein, unter den Maßstäben, wie man Pädagogik Mitte des 19. Jahrhunderts betrieben hat. Was wir wissen ist, dass es keine offenkundigen schweren Versäumnisse in dem Punkt gegeben hat, aber das müsste man jetzt historisch noch genauer erforschen."
In den Kinderheimen wurden Kinder blutig geschlagen
Anlass zur Nachfrage und zum Weiterforschen gibt es. Denn im 20. Jahrhundert kam es in den Kinderheimen der "Armen Dienstmägde" zu Gewaltexzessen und Psycho-Terror, weit über das übliche Maß an schwarzer Pädagogik hinaus. Schwestern schlugen Kinder mit Gürteln und Kleiderbügeln teilweise blutig, ob in Dernbach oder Rüdesheim-Aulhausen, ob in Essen oder Eschweiler bei Aachen. Es kam auch zu sexuellem Missbrauch, vorrangig ausgeübt von männlichen Heimleitern, Ärzten und Priestern.
Alexander Markus Homes hat im Sankt-Vincenz-Stift in Rüdesheim-Aulhausen körperliche und sexuelle Gewalt erlebt. Fast zehn Jahre lang, bis 1975. Christliche Erziehung durch die Schwestern hieß für ihn, ständig bestraft zu werden. Homes sagt heute: "Also, man wurde geprügelt auf jeden Fall für alle möglichen Anlässe. Sie haben sich immer berufen auf den Gott im Himmel, dessen Auftrag sie quasi ausführen - die Gewalt, die Misshandlungen und, und, und."
"Ein Foltergefängnis für Kinder" nannte eine Betroffene das Dernbacher Heim aus ihrer Erfahrung der 50er- und 60er-Jahre. Die frühere Provinzleitung der "Armen Dienstmägde" leugnete dies lange, gegen elf Opfer von Eschweiler erstattete sie sogar Strafanzeige. Später entschuldigte sie sich, aber nur pauschal. Es klang widerwillig.
"Ein Foltergefängnis für Kinder" nannte eine Betroffene das Dernbacher Heim aus ihrer Erfahrung der 50er- und 60er-Jahre. Die frühere Provinzleitung der "Armen Dienstmägde" leugnete dies lange, gegen elf Opfer von Eschweiler erstattete sie sogar Strafanzeige. Später entschuldigte sie sich, aber nur pauschal. Es klang widerwillig.
Die katholische Kirche arbeitete die Übergriffe nie auf
Opfer- und Expertenaussagen in parlamentarischen Anhörungen, vereinzelte Studien mit begrenztem Untersuchungszeitraum und die Auswertung von befristeten Telefon-Hotlines belegen langjährige Menschenrechtsverletzungen. Doch die in ihren Heimen, Internaten und unter dem Dach von Ordensgemeinschaften verübten Verbrechen an Kindern systematisch wissenschaftlich aufzuarbeiten, steht der katholischen Kirche noch bevor. Fürs Bistum Limburg wird das ein weiteres beschämendes Kapitel.
Ist also die Heiligsprechung von Katharina Kasper Anlass auch zum trauernden Gedenken? Bischof Georg Bätzing: "Ja, Licht und Schatten gehören zusammen. Es gibt Opfer von Machtmissbrauch, Gewalt auch von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen der 'Armen Dienstmägde'. Das ist ganz wichtig, das auch zu benennen, dass in unseren kirchlichen Einrichtungen und in Einrichtungen von Ordensleuten nicht so mit Kindern und jungen Menschen umgegangen wurde, wie es sich gehört. Sondern dass ihnen Schaden zugefügt wurde."
Theresia Winkelhöfer, neue Provinzoberin der "Armen Dienstmägde Jesu Christi", sieht es so: "Ich denke, dass man das schon um der Menschen willen im Blick behalten muss. Man darf es nicht vergessen. Weil die Menschen, die dafür verantwortlich waren, nicht mehr leben, sollte man aber auch einen Schlussstrich ziehen können."
Alexander Markus Homes kann das nicht, weil Depressionen und körperliche Leiden sein Leben beeinträchtigen. Den Orden aufzulösen und die geplante Heiligsprechung der Gründerin abzusagen, schlägt Homes vor. Schwester Theresia kommentiert: "Ich hab' so was noch nicht gehört. Aber wenn es so gesagt würde: Verständnis haben kann ich dafür. Obwohl Katharina natürlich absolut nichts dafür kann."