Ältestes Kloster der Welt digitalisiert seine Schätze
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Das Katharinenkloster am Sinai ist das älteste in christlicher Tradition. Seit dem 3. Jahrhundert leben Mönche in der ägyptischen Wüste. Und doch geht es dort ganz modern zu: beim Einsatz von Technik wie im Dialog der Religionen.
Schlag zwölf - Zeit für die Mittagsmesse im Katharinenkloster. Wie jeden Tag seit 1500 Jahren. Wir befinden uns im ältesten aktiven Kloster der Welt. Das Katharinenkloster liegt fast 1600 Meter über dem Meer im Süden der ägyptischen Halbinsel Sinai. Rundum Granit und Sand, Sonne und Stille. Bereits im 3. Jahrhundert kamen erste christlichen Eremiten in dieses karge Gebirge, um ihr Leben ganz Gott zu widmen. Mitte des 6. Jahrhunderts wurde das heutige Kloster gebaut.
Leben im Rhythmus der Gebete
25 griechisch-orthodoxe Mönche leben zurzeit hier. Sie sehen es als ihre wichtigste Aufgabe an, die spirituelle Tradition dieses Ortes weiterzuführen. Religiöse Pflichten geben den Rhythmus vor: Morgenandacht von 4 bis 7.30 Uhr in der Früh, Mittagsmesse, Vespergebet.
Die Mönche tragen lange weiße Bärte und weite schwarze Kutten. Man wähnt sich in biblischen Zeiten am Ende der Welt. Doch was ist das für ein hoher Piepton im Hintergrund?
"Das ist die Batterie, die neben der Kirche das Museum mit Elektrizität speist", erklärt der Klosterbibliothekar Father Justin, der mich durch die Anlage führt. Die Illusion kompletter Abgeschiedenheit löst sich auf: Die Moderne hat hier längst Einzug gehalten. Elektrizität, Telefon, Internet.
Der Mönch als Blogger
Father Justin betreibt in seiner Zelle einen Blog, in seiner Kutte trägt er ein iPhone. Außerdem überwacht der Mönch ein ambitioniertes Digitalprojekt: Tausende von Manuskripten werden fotografiert und ins Netz gestellt. Hochaufgelöst, in Farbe. Zum ersten Mal wird dieses Verfahren auf eine ganze Textsammlung angewendet. Hier, in der ältesten christlichen Bibliothek der Welt. Den Mönchen ist Technik recht, solange sie dem spirituellen Erbe dient.
"Wir haben die Pflicht, zu teilen, was wir haben. Wir möchten unser spirituelles Erbe bekannter machen und geschätzt wissen", sagt Father Justin. Es ist allerdings nicht leicht, in Zeiten des Internets Mönch zu sein. Im Grunde ein Widerspruch in sich, wie Father Justin ausführt:
"Historisch kam man auf den Sinai, um weit weg von der Welt zu sein. Doch nun, mit dem Internet, kommt die ganze Welt hineingeströmt. Die Isolation ist in gewissem Sinne zu Ende. Aber wir müssen das spirituelle Erbe lebendig halten. Also müssen wir aus eigenem Antrieb die isolierte, karge Lebensweise aufrechterhalten."
Ein Magnet für Touristen und Gläubige
Normalerweise strömt die Welt hier nicht nur virtuell, sondern auch physisch herein: Fast täglich besichtigen Pilger das Kloster und seine berühmte Ikonensammlung. Anschließend besteigen sie den Berg Sinai. Es heißt, Moses habe auf dessen Gipfel die zehn Gebote in Empfang genommen. Heute kaufen Wanderer zuoberst am Kiosk eine heiße Schokolade. Doch wegen der Corona-Pandemie liegt der Tourismus lahm. Das Kloster ist für Besucher nur zum Teil geöffnet.
Leer ist die Anlage trotzdem nicht. Arbeiter restaurieren eine Fassade. Viele sprechen wie die Mönche griechisch. Father Justin ist der einzige Nicht-Grieche unter den Geistlichen. Der 71-Jährige kommt ursprünglich aus Texas.
Das Kloster gleicht einem kleinen Dorf. Garten, Küche, Laden - alles da. Besonders wichtig: ein üppiges Gestrüpp. Es ist nicht etwa so, dass dieser Busch im Kloster gepflanzt wurde, sondern das Kloster ist rund um den Busch gewachsen. Es soll der brennende Dornbusch sein, aus dem, glaubt man der hebräischen Bibel, vor etwa 3600 Jahren Gott zu Moses sprach.
Seit dem 6. Jahrhundert ist ständig etwas hinzu- oder umgebaut worden. Was an diesem Klosterpuzzle am meisten überrascht: eine Moschee samt Minarett. Eine einstige Kapelle, die im 11. Jahrhundert konvertiert worden ist. Diese Moschee in einem christlichen Kloster ist ein Plädoyer für die friedliche Koexistenz der Religionen.
Beduinen schützen das christliche Erbe
Muslime sind auch die rund 140 Beduinen, die für das Kloster arbeiten: als Wächter, Fahrer, Gärtner oder Köche. Das Oberhaupt des ansässigen Jabalija-Stammes, Scheich Ahmed, berät die Mönche und besucht das Kloster oft. Er ist weltgewandt und tolerant:
"Für uns ist die christliche Religion die Religion der Liebe. Die koptischen Christen waren zuerst in Ägypten, der Islam kam später dazu. Prophet Mohammed sagt, dass jeder Muslim die Mönche respektieren, das Kloster schützen und keineswegs bestehlen soll."
Mit letzteren Worten paraphrasiert Scheich Ahmed einen Schutzbrief des Propheten Mohammed. Das Kloster besitzt davon mehrere Abschriften. Die Beduinen fühlen sich bis heute verpflichtet, das Kloster zu verteidigen, so wie ihre Vorfahren es vor über 1000 Jahren taten.
Nur 2017 griff die Terrororganisation IS einen nahen Polizeiposten an. All die Jahrhunderte zuvor wurde das Kloster nie direkt angegriffen, nie seiner wertvollen Schätze beraubt. Obwohl die gesamte Region seit dem 7. Jahrhundert nicht mehr christlich ist. Für Scheich Ahmed gehören die drei abrahamitischen Religionen zusammen:
"Die drei Religionen sind wie ein Baum", sagt er. "Das Judentum ist die Wurzel, das Christentum ist der Stamm, und der Islam ist das Laub."
Uralte Manuskripte verbinden die Religionen
Judentum, Christentum und Islam kommen hier zusammen. Viele der Manuskripte, die nun fotografiert werden, sollen, wenn es nach Father Justin geht, bald der ganzen Welt als Zeugnisse dienen für ein seit dem frühen Mittelalter gepflegtes friedliches Miteinander der Religionen.
"Die Manuskripte sind Beispiele für die harmonischen Beziehungen zwischen den Christen und den arabischen Herrschern", erklärt Father Justin. "Sie dienen als wichtige Vorbilder für den Religionsfrieden, den wir heute brauchen."
Bis zu 17 Jahrhunderte haben die Schriften dank des knochentrockenen Wüstenklimas bereits überlebt. Nun werden ihre Inhalte gerettet bis in alle digitale Ewigkeit – und so zugleich der ganzen Welt zur Verfügung gestellt. Das Katharinenkloster ist ein Ort voller Wunder: überirdischer und irdischer.