Sport als Ersatzreligion?
Sind Fußballstadien Kathedralen des Alltags, ist Sport, ist Fußball eine Ersatzreligion? Übernimmt der rituelle Sportkonsum die soziale Funktion des sonntäglichen Kirchgangs? Solchen Fragen widmete sich jetzt das Festival "Rendezvous mit der Geschichte" in Weimar.
Für einen solchen Wertewandel sprächen die Massenbegeisterung, die Verehrung für Spieler und Mannschaften, die enormen Gefühle, die Sport auslösen kann – bei Sportlern und Zuschauern – und der Schwund der Kirchengänger, wie Moderator Michael Hesse referierte:
Michael Hesse: "56 Prozent aller Deutschen gehören einer der großen Kirchen an; das sind über 40 Millionen Menschen. Zum EM-Viertefinale haben 28 Millionen Deutsche das Spiel Deutschland-Italien gesehen. 1965 sind jeden Sonntag 12 Millionen Katholiken in die Kirche gegangen. Heute sind es nur noch 2,5 Millionen. Allein zu den Bundesligaspielen pilgern Woche für Woche über 250.000 Fans. Das sind die Erstligaspiele. Für 59 Prozent der Deutschen gelten die christlichen Werte nicht mehr; in Ostdeutschland sind es 84 Prozent."
Natürlich stellt sich die Frage, ob der Stellenwert des Sports erst in den letzten Jahrzehnten in der öffentlichen Wahrnehmung, Begleitung und Emotionalisierung so gestiegen ist, oder ob es Vorläufer gab. Eva Gajek, Historikerin, sieht eine Parallelbewegung von dem Aufkommen der Massenmedien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Sportinszenierung z.B. durch den Journalisten Pierre de Coubertin, dem Erfinder der neuzeitlichen Olympischen Spiele, und deren religiöser Aufladung.
Eva Gajek: "Ich meine, die Konzeption von Pierre de Coubertin orientiert sich natürlich an einem gewissen religiösen Spiritus, an Ritualen… Also, da fließt natürlich viel mit ein, was auch zentral genutzt wird, um genau solche Assoziationen wie Religion und Sport miteinander zu verknüpfen."
Michael Hesse: "56 Prozent aller Deutschen gehören einer der großen Kirchen an; das sind über 40 Millionen Menschen. Zum EM-Viertefinale haben 28 Millionen Deutsche das Spiel Deutschland-Italien gesehen. 1965 sind jeden Sonntag 12 Millionen Katholiken in die Kirche gegangen. Heute sind es nur noch 2,5 Millionen. Allein zu den Bundesligaspielen pilgern Woche für Woche über 250.000 Fans. Das sind die Erstligaspiele. Für 59 Prozent der Deutschen gelten die christlichen Werte nicht mehr; in Ostdeutschland sind es 84 Prozent."
Natürlich stellt sich die Frage, ob der Stellenwert des Sports erst in den letzten Jahrzehnten in der öffentlichen Wahrnehmung, Begleitung und Emotionalisierung so gestiegen ist, oder ob es Vorläufer gab. Eva Gajek, Historikerin, sieht eine Parallelbewegung von dem Aufkommen der Massenmedien zu Beginn des 20. Jahrhunderts, der Sportinszenierung z.B. durch den Journalisten Pierre de Coubertin, dem Erfinder der neuzeitlichen Olympischen Spiele, und deren religiöser Aufladung.
Eva Gajek: "Ich meine, die Konzeption von Pierre de Coubertin orientiert sich natürlich an einem gewissen religiösen Spiritus, an Ritualen… Also, da fließt natürlich viel mit ein, was auch zentral genutzt wird, um genau solche Assoziationen wie Religion und Sport miteinander zu verknüpfen."
Der Begriff des Religiösen im Sport
Der Sportsoziologe Gunter Gebauer versuchte den Begriff des Religiösen im Sport etwas tiefer zu hängen. Ersatzreligion – so weit würde er nicht gehen, obwohl er viele Elemente des Religiösen im Sport erkennt. Es gebe im Menschen eine große Bereitschaft zu glauben, die Frage sei nur, woran? In Sport und in Religionen sieht er gleichermaßen den Wunsch nach Magie befriedigt, nach heiligen Orten, nach Ritualen, nach Sinnstiftung und Struktur im Tages- und Lebensablauf, nach Identität. Gerade dort, wo es den Menschen im profanen Alltag daran fehlt:
Gunter Gebauer: "Das heißt also, auf die Frage, 'Wer sind wir?', gibt eventuell der Verein eine Antwort. Auch die Fragen, 'Was gibt uns Mut, was gibt uns Hoffnung, was hält uns am Leben?', kann es sein, dass Fußballvereine, Nationalmannschaft solche Fragen auch beantwortet. Und wenn man sich die Rituale anguckt, die in den Stadien passieren, dann haben die tatsächlich den Charakter, der von Religionssoziologen konstatiert wird als ein Brodeln, als eine Gärung, als ein Zwischenzustand. Und da kann es auch sein, dass Leute, der Fußball, der den Menschen so packt, dass das dann für sie einen religiösen Gehalt bekommt. Ich will jetzt nicht von Reinigung, Katharsis, solchen Sachen reden. Das ist mir zu schleierhaft, ob das wirklich passiert."
Also doch eher Religions-Ersatz als Ersatz-Religion? Der Erfurter Fußballtrainer Stefan Krämer berichtete von geradezu absurden und nicht immer zitierbaren abergläubischen Ritualen von Spielern, Trainern und Fans. So habe er mal bis tief in den Winter hinein bei Frost im T-Shirt am Spielfeldrand gestanden, weil er sich vom Tragen dieses Kleidungsstücks Siege erhoffte.
Also doch eher Religions-Ersatz als Ersatz-Religion? Der Erfurter Fußballtrainer Stefan Krämer berichtete von geradezu absurden und nicht immer zitierbaren abergläubischen Ritualen von Spielern, Trainern und Fans. So habe er mal bis tief in den Winter hinein bei Frost im T-Shirt am Spielfeldrand gestanden, weil er sich vom Tragen dieses Kleidungsstücks Siege erhoffte.
"Ich bin da abergläubisch"
Stefan Krämer: "Also, ich bin da abergläubisch. Ich parke immer am selben Parkplatz, ich kaufe immer an derselben Tankstelle dieselben Kaugummis, obwohl sie mir nicht schmecken, nur, weil ich sie einmal gekauft habe, und danach haben wir gewonnen. Und jetzt habe ich die ganze Schublade voll von diesen widerlichen Kaugummis, die ich gar nicht esse. Ich muss sie trotzdem kaufen."
Mit wirklichem Glauben, der in Lebenskrisen helfen kann, hätten aber sowohl der Aberglaube als auch die quasireligiösen Rituale in Stadien wenig zu tun. Nur am Rand ging es um die mediale Inszenierung des Sports, um dessen Merkantilisierung und Indienstnahme durch die Politik – in Diktaturen, aber auch in Demokratien. Der Konsens aller aber war: Man soll in religiös-verbrämten Fan-Gesängen auch ruhig einen Schuss Ironie mithören. Und Gott hätte ohnehin besseres zu tun, als sich um einzelne Mannschaften zu kümmern.
Mit wirklichem Glauben, der in Lebenskrisen helfen kann, hätten aber sowohl der Aberglaube als auch die quasireligiösen Rituale in Stadien wenig zu tun. Nur am Rand ging es um die mediale Inszenierung des Sports, um dessen Merkantilisierung und Indienstnahme durch die Politik – in Diktaturen, aber auch in Demokratien. Der Konsens aller aber war: Man soll in religiös-verbrämten Fan-Gesängen auch ruhig einen Schuss Ironie mithören. Und Gott hätte ohnehin besseres zu tun, als sich um einzelne Mannschaften zu kümmern.