"All Girls To The Front!"
"Riot Grrrl" hieß die Bewegung, die Anfang der 90er-Jahre allzu männliche Gewissheiten des Punks erschütterte. Maßgeblich daran beteiligt war die Band Bikini Kill um die Sängerin Kathleen Hanna. Die Vorkämpferin für feministische Themen im Punk wird heute 50 Jahre alt.
"All Girls To The Front! I'm Not Kidding."
"Girls To The Front!", Frauen in die erste Reihe, hieß es bei den Riot Grrrls Anfang der 90er-Jahre. Frauen in die erste Reihe, aber auch: Frauen an die Instrumente von Rock und Punk. Die Gruppe, die das postulierte, war Bikini Kill – die Band von Kathleen Hanna.
Kathleen Hanna: Sie schreit mehr, als dass sie singt. Jedes Wort bahnt sich druckvoll seinen Weg nach draußen.
Kathleen Hanna thematisiert in ihren Songs absurde Körperideale für Frauen, Unterdrückung, Missbrauch und Vergewaltigung. Bevor sie ihre Wut aber mit Bikini Kill herausschreit, verarbeitete sie sie in Spoken-Word-Auftritten, in Modeschauen und Fotocollagen.
Die Schriftstellerin Kathy Acker brachte Hanna schließlich auf den Weg, Musik zu machen, wie Hanna in der Dokumentation "The Punk Singer" von 2013 erzählt:
"She told me: 'Why do you wanna write?' And I said: 'Because nobody has ever listened to me in my whole life. And I have all this stuff that I wanna say.' And she said: 'Why are you doing spoken word? You should be in a band. Nobody goes to spoken word, but people go to see bands.' So I went home and started a band."
"Revolution girl style now!"
Hanna schrieb als Studentin für Zines, DIY-Magazine über Bands, Bewegungen, Menschen. Eins hieß "Riot Grrrl" und sollte später den Namen der Bewegung prägen. Eins anderes "Bikini Kill" – es wurde zum Namen der Band, die sie mit Tobi Vail und Kathi Wilcox gründete.
"We're Bikini Kill and we want revolution girl style now!"
Es folgten Bands wie "Bratmobile", "Heavens To Betsy" oder "Excuse 17".
Carrie Brownstein, die mit ihrer Band Sleater-Kinney nur wenige Jahre nach den ersten Shows von Bikini Kill auf der Bühne stand, schreibt in ihrer Autobiografie über die Band von Kathleen Hanna :
"Ich empfinde es als großes Glück, dass Bikini Kill vor uns da waren. Als ich später bei Sleater-Kinney spielte, waren viele der anfänglichen Kämpfe – um Raum, Respekt und Anerkennung innerhalb der Punk- und Indieszene – schon ausgefochten."
Bikini Kill selbst waren inspiriert vom Punk der späten 70er-Jahre, vor allem vom DIY-Gedanken: selber machen statt zögern. Aber: Die meisten Bands dieser Ära waren männlich besetzt. Anders: The Slits – aus London. Ihr Debüt "Cut" von 1979 ist eins der Alben, die Kathleen Hanna am meisten geprägt haben.
Vorkämpferinnen sind The Slits in Sachen Akzeptanz von Frauen im Punk, aber den Feminismus-Stempel lehnten sie ab. Dass sich Bands explizit feministische Themen auf die Agenda schreiben, änderte erst Riot Grrrl. Carrie Brownstein von Sleater-Kinney:
"Man kann den Einfluss von Riot Grrrl gar nicht unterschätzen – vor allem hinsichtlich des Ziels, Feminismus zu entmystifizieren, Feminismus aus dem akademischen Kontext zu befreien, der sehr esoterisch und befremdlich wirken kann. Riot Grrrl hat Feminismus zu einem Teil der Pop-Kultur gemacht."
Geschichte auch aus weiblicher Perspektive
Bikini Kill lösten sich 1998 auf. Kathleen Hanna veröffentlichte daraufhin ein Soloalbum und gründete eine neue Band: "Le Tigre".
Bei Le Tigre geht es um Punk als Haltung. Le Tigre sind gleichzeitig trashig und politisch. Ihr Song "Hot Topic" zählt über 50 Namen von Frauen auf, von Gertrude Stein bis Yoko Ono, von Angela Davis bis Sleater-Kinney.
Zehn Jahre nach Riot Grrrl kämpften Le Tigre dafür, dass die Geschichte auch aus weiblicher Perspektive geschrieben wird: Herstory statt History.
Kathleen Hanna, eine der größten Musikgeschichtsschreiberinnen, verschwand 2005 von der Bildfläche aufgrund einer Erkrankung an Lyme-Borreliose. Seit einigen Jahren steht sie wieder auf der Bühne – mit The Julie Ruin.
Heute gibt es mehr Bands mit weiblicher Beteiligung denn je, mehr Produzentinnen, mehr Frauen in der ersten Reihe. Doch "Girls To The Front", das Credo von Kathleen Hanna, hat nicht an Bedeutung verloren.
Heute bedeutet es oft auch: trans* und queere Menschen mit nach vorn – und Feminismus wird intersektional, denkt People of Colour und Klassenunterschiede mit. Kathleen Hanna, eine der Ikonen der Gleichberechtigung, dürfte das gefallen.