Kathleen Vereecken: "Alles wird gut, immer"
Mit Illustrationen von Julie Völk
Übersetzt aus dem Niederländischen von Meike Blatnik
Gerstenberg, Hildesheim 2021
144 Seiten, 14 Euro
Zusammenhalten hilft
05:38 Minuten
Das neue Buch der belgischen Autorin Kathleen Vereecken wurde 2019 unter anderem als bestes flämisches Kinderbuch ausgezeichnet. Jetzt liegt die Geschichte über das Mädchen Alice und ihre Sicht auf den Ersten Weltkrieg auch auf Deutsch vor.
"Alles wird gut, immer", verspricht Alices Mutter ihrer Tochter immer wieder. Es ist das Mantra der Belgierin und ihrer fünfköpfigen Familie - auch dann noch, als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht.
Alices Mutter will einfach daran glauben, dass nichts geschieht, dass das friedliche Leben in dem kleinen Ort, mit seinen Familien und Festen weiter geht. Selbst dann noch, als die ersten Flüchtlinge ins Dorf kommen. Gefolgt von deutschen Soldaten, die auf dem Weg nach Frankreich eine Schneise der Verwüstung hinter sich her ziehen.
Beobachtend naiv erzählt - und dabei erschreckend genau
Mittendrin ist Alice, die etwa Zwölfjährige, die leidenschaftlich gerne Kettenkarussell fährt, Süßigkeiten nascht und ihre Freundin Johanna über alles liebt. Sie lebt in den Tag hinein, freut sich über alles und jeden und spürt doch: Etwas stimmt nicht. Und so erzählt sie diese Geschichte. Ganz im Ton eines jungen Mädchens: beobachtend naiv und dabei doch erschreckend genau.
Drängend wird so die Atmosphäre aus Hoffen und Bangen spürbar. Wo jede kleine Veränderung in der Stimme der Eltern davon erzählt, dass eben doch nicht alles gut ist. "Ich sah nicht, wie sich meine Eltern in den nächsten Tagen langsamer bewegten. Wie angestrengt ihr Lächeln wirkte, bis es schließlich verschwand. (...) Natürlich sah ich das schon alles. Aber ich wollte nicht."
Der Kriegt frisst sich in das Leben
Immer tiefer frisst sich der Krieg in das Leben der Familie. Hunger, Heimatlosigkeit, Angst und Tod. Nichts wird ihnen erspart. Die Mutter stirbt bei einem Raketenangriff, die große Schwester an Typhus und der Vater und Alices älterer Bruder werden krank, beziehungsweise schwer verwundet.
Und so muss Alice plötzlich Verantwortung übernehmen, die für ein Kind eigentlich zu groß ist. Gemeinsam mit ihren zwei jüngeren Geschwistern flieht sie nach Frankreich, sucht Zuflucht in einem Kloster.
Dort angekommen, kann sie endlich wieder sein, was sie ist: ein Kind.
Zeitlose Kriegsgeschichte
Kathleen Vereecken* erzählt aus Sicht eines Kindes eine erschreckend zeitlose Geschichte von Krieg und Flucht. Auf historische Daten verzichtet sie dabei völlig. Die kriegführenden Deutschen werden kaum erwähnt. Genauso wenig wird erklärt, warum das eigentlich neutrale Belgien doch noch in den Ersten Weltkrieg eintritt.
Dafür stehen die Gefühle, die Sorgen und Nöte von Alice im Vordergrund. Sie lassen deutlich werden, wie ohnmächtig ein Krieg die Bevölkerung macht, wie das Leben plötzlich von Grund auf erschüttert wird, wie Unglück von jetzt auf sofort über einen einbrechen kann.
Diese Geschichte findet auch heute noch statt
Die große Kunst der Autorin besteht darin, wie sie es schafft, dieses Drama so unaufgeregt aufzuschreiben, dass auch jungen Leserinnen und Leser ab zehn Jahren diese Geschichte mit Gewinn lesen können. Einfach indem sie verstehen: Diese Geschichte findet immer wieder statt, auch jetzt mitten in Europa. Wieder suchen Menschen Zuflucht: Frauen, Männer, Kinder. Und so wie Alice sind auch sie angewiesen auf Menschen, die bereit sind zu helfen und zu teilen.
Und das ist wohl die wichtigste Botschaft dieses 144-seitigen Buches mit seinen feinen kleinen schwarz-weiß gezeichneten Illustrationen von Julie Völk: Nur mit Zusammenhalt kann auch in finsteren Zeiten noch vieles gut werden.
*Wir haben im Vorspann zu dieser Rezension die Angabe zur Nationalität von Kathleen Vereecken korrigiert.