Geschichte mit Turbulenzen
Der Leipziger Katholikentag versammelt sich zum 100. Mal. Der Publizist Hans Maier würdigte als früherer Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken die Verdienste in der Geschichte.
Leipzig erwartet rund 30.000 Gäste zum 100. Katholikentag. Unter dem Motto "Seht, da ist der Mensch" sollen gesellschaftlich und innerkirchlich relevante Themen in zahlreichen Foren diskutiert werden. Gottesdienste und Konzerte werden in dieser Woche das Stadtbild bestimmen. Angesichts des Jubiläums wagte der frühere Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Hans Maier (1976-1988) einen historischen Rückblick auf die Tradition des Katholikentages.
Abgrenzungen von Mehrheitstrends
Es sei der Versuch gewesen, einen gesamtdeutschen Katholizismus zu schaffen, erinnerte der Politologe und Publizist an die Anfänge in der bürgerlichen Revolution von 1948. "Zunächst einmal lagen die Katholikentage quer zur modernen deutschen Geschichte", sagte Maier. "Sie lagen quer zur Bismarck-Ära." Die Katholiken seien im Kulturkampf von der nationalliberalen und protestantischen Mehrheit bekämpft worden. "In der Hitler-Zeit gab es Katholikentage überhaupt nicht."
Die Leitung des Katholikentages habe sich 1933 geweigert, Hitler eine Ergebenheitsadresse zu schicken. "Ich finde, das sind ruhmreiche Abgrenzungen von Mehrheitstrends", sagte Maier. Aber es habe auch immer wieder innerkirchlichen Streit gegeben. Der wichtigste sei 1922 beim Münchner Katholikentag gewesen, als der monarchistische Kardinal Faulhaber und der republikanisch gesinnte Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer aufeinander stießen. Rund um die Pillenenzyklika habe es 1968 in Essen dann große Turbulenzen gegeben. "Das führte zu einem heftigen Aufstand und zu der Forderung eines deutschen Nationalkonzils."
Annäherung mit Protestanten
Maier räumte im Rückblick ein, dass vieles aus der heutigen Sicht, gerade bei den Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, nur noch schwer nachvollziehbar sei. "Alles Dinge, die man heute kaum mehr verstehen kann, denn glücklicherweise haben sich ja seither Katholiken und Protestanten keine Kämpfe mehr geliefert, sondern einander angenähert."
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Der Katholikentag beginnt heute zum 100. Mal, und was vielleicht nicht jedem bewusst ist, dass diese Versammlung katholischer Laien ein Kind der bürgerlichen Revolution von 1848 ist, mancher sagt auch, ein uneheliches Kind. Wie es um das Erwachsenwerden dieses Kindes steht, darüber will ich vor dem 100. Katholikentag in Leipzig mit einem Mann reden, der Politiker, Politikwissenschaftler, Publizist und bis 1988 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken gewesen ist, Professor Hans Maier, auch bekannt als ein Mann, der immer wider den Stachel gelöckt hat, gegen Bischöfe, aber, was fast noch schlimmer ist, als wenn es der Papst gewesen wäre, als Kultusminister in Bayern auch gegen einen gewissen bayerischen Ministerpräsidenten namens Strauß. Professor Maier, schönen guten Morgen!
Hans Maier: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Inwiefern ist das so, dass der Katholikentag ein Kind der Revolution von 1848 ist?
Maier: Er fand parallel zu den Beratungen der Paulskirche statt, und einige katholische Abgeordnete der Paulskirche hatten auch die Initiative ergriffen im benachbarten Mainz, zusammenzukommen, und man stützte sich auf die von der Paulskirche proklamierte Vereinsfreiheit. Vorher waren die Katholiken ja eingeschlossen in die vielen Staaten des Deutschen Bundes. Die Bischöfe durften nicht miteinander sprechen, kommunizieren, zusammenkommen. Es gab also keine gesamtdeutschen Katholizismus, und den wollte man neu schaffen mit Hilfe der Mittel, die die Revolution den Bürgern an die Hand gegeben hatte.
von Billerbeck: 100 Jahre Katholikentag, das ist Zeit für genug Streit, da gab es immer wieder heftige Turbulenzen. Welche finden Sie denn besonders wichtig für die Geschichte dieser Laienbewegung?
Maier: Zunächst einmal lagen die Katholikentage quer zur Entwicklung der modernen deutschen Geschichte, sie lagen quer zur Bismarck-Ära. Im Kulturkampf wurden die Katholiken ja nun befehdet von der nationalliberalen und protestantischen Mehrheit und mussten sich auf die eigenen Füße stellen. Dann in der Hitler-Zeit gab es Katholikentage überhaupt nicht, weil sich 1933 die Katholikentagsleitung geweigert hatte, eine Ergebenheitsadresse an Hitler zu schicken. Ich finde, das sind ruhmreiche Abgrenzungen von Mehrheitstrends.
Aber es gab natürlich auch innerkirchlichen Streit – darauf spielt ja Ihre Frage an. Ich glaube, der wichtigste war 1922 beim Münchener Katholikentag, zwischen dem Kardinal Faulhaber auf der einen Seite, der ein Monarchist war und die neue Republik ablehnte, und dem damals 46-jährigen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der ein Republikaner war und sich auf den Boden der neuen Verfassung stellte. Das war ein heftiger Zusammenstoß, nur mühsam bemäntelt durch den Segenswunsch, den Adenauer am Schluss aussprach. Da konnte der Kardinal natürlich nicht dagegenhalten, da musste er zähneknirschend der Versammlung den Segen geben. Und dann gab es 1968 die große Turbulenz in Essen. Der Auslöser war die damalige sogenannte Pillen-Enzyklika Papst Paul VI., also das Verbot empfängnisverhütender Mittel für die Katholiken. Das führte zu einem heftigen Aufstand und zu der Forderung eines deutschen Nationalkonzils.
Katholiken in der Minderheit
von Billerbeck: Sie haben den Kulturkampf schon erwähnt mit den Protestanten, aus heutiger Sicht vieles kaum noch nachvollziehbar. Und in diesem Kulturkampf nach 1871 wollten die Protestanten die Katholiken zwar als Mitbürger nicht aus der staatlichen Gemeinschaft entlassen, aber dann doch störende Katholiken aus dem Reich drängen. Und es gab den sogenannten Kanzelparagraf, der sollte politische Äußerungen von Geistlichen unterbinden. Einige von ihnen wurden auch inhaftiert. Was hat die katholische Minderheit damals gelernt?
Maier: Ja, es war so, dass im Bismarck-Reich die Katholiken plötzlich in der Minderheit waren. Vorher im Deutschen Bund, zu dem ja Österreich mit seinen deutschen Teilen gehörte, waren die Katholiken in einer knappen Mehrheit, also ungefähr war das Verhältnis ausgeglichen. Im kleindeutschen Reich, da fiel ja nach 1866 Österreich aus, und da waren plötzlich die Katholiken nur noch ein Drittel, und die Zweidrittel Protestanten waren sehr mächtig, einmal statistisch die größere Menge, zum anderen aber auch kulturell führend. Und so hat Rudolf Virchow diesen Kampf mit den Katholiken zum Kulturkampf erklärt.
Eine merkwürdige Geschichte, von heute aus gesehen, gewissermaßen eine Verfolgung einer Konfession unter dem Vorwand kultureller Höherbildung. Denn man wollte die Katholiken erziehen, man wollte sie heranführen an die Werte des deutschen Idealismus, der deutschen Klassik. Die Geistlichen sollten ein entsprechendes Examen machen. Alles Dinge, die man heute kaum mehr verstehen kann, denn glücklicherweise haben sich ja seither Katholiken und Protestanten keine Kämpfe mehr geliefert, sondern einander angenähert.
Streit um Paragraph 218
von Billerbeck: Ein Jahr, das haben Sie vorhin erwähnt, das Jahr 1968, auf dem Essener Katholikentag, da hatten ja die Laien für den Aufstand gegen die Enzyklika des Papstes Paul VI. plädiert, gegen den Rat seiner Mehrheit der Berater den Katholiken den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel verboten hat. Und damals gab es ja die Forderung nach einem Nationalkonzil. Sie haben sich auch immer schwer dafür eingesetzt, dass es zum Beispiel Schwangerenkonfliktberatung gibt. Wie hat dieses Thema auch die katholische Kirche geprägt?
Maier: Die Katholiken haben seinerzeit an der Neugestaltung des Paragrafen 218 ja führend mitgewirkt. Ich erinnere nur an einen Namen, Ernst-Wolfgang Böckenförde, der damals Bundesverfassungsrichter war. Das Verfassungsgericht hat mehrfach die Vorschläge des Bundestages zurückgewiesen, und man hat sich dann am Ende auf eine Linie geeinigt, die den zentralen Wert der Beratung betonte. Bis heute haben wir in Deutschland keine einfache Fristenlösung, sondern die Beratung ist Pflicht. Das ist einzigartig auch in der europäischen Rechtsgeschichte. Und wir haben damit, meine ich, doch ganz gute Erfahrungen gemacht.
Die Abtreibungen sind zurückgegangen, und vor allem, die Frauen sind einbezogen worden in den Entwicklungsprozess. Man kann ja das Leben nicht schützen gegen die Frauen, man muss es mit den Frauen tun, man muss sie zu gewinnen suchen. Und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also der Träger der Katholikentage, wir waren entschlossen nach dem von Rom erzwungenen Ausstieg der Bischöfe aus der Schwangerenkonfliktberatung, diese weiterzuführen, und zwar mit Hilfe – das ist eine Parallele zu 1848 –, mit Hilfe des Vereinsrechts. Wir behaupten nicht im Verein donum vitae, dass wir die Kirche sind, aber wir sind Katholiken, und wir stützen uns auf das bürgerliche Recht, wie wir meinen, durchaus im Auftrag auch der Humanität gegenüber den Frauen und gegenüber der ganzen Gesellschaft.
von Billerbeck: Professor Hans Maier war das vor Beginn des 100. Katholikentags, der heute in Leipzig seine Diskussionen beginnt. Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.