102. Katholikentag in Stuttgart
Gläubige beim Schlussgottesdienst des 102. Katholikentags: In Stuttgart habe sich ein weißes, wohlsituiertes Milieu getroffen, das auf andere Menschen ausschließend wirke, kritisiert unsere Kommentatorin. © picture alliance / dpa / Marijan Murat
Der letzte Warnschuss
02:50 Minuten

Beim Katholikentag wurde über sinkende Teilnehmerzahl und innerkirchliche Krisen gesprochen. Doch selbst mit besserer Aufarbeitung des Missbrauchs wäre es nicht getan, meint Kirsten Dietrich: Der Graben zwischen Kirche und Gesellschaft sei viel tiefer.
Hier die meist mittelalten, mittelschlanken, praktisch gekleideten Katholikentagsbesucher mit praktischem Rucksack und diesem speziellen Suchblick des Touristen.
Da das Publikum der Stuttgarter Innenstadt mit Tüten voller Markenklamotten, bauchfreien Tops, strahlend weißen Sneakers – die oft so genannte normale Gesellschaft, in die die Kirche mit ihren vielen Angeboten, Diskussionen, Denkanstößen ja hineinwirken will.
Glücksrad reicht nicht
Nur: wie eigentlich? Glaubt wirklich jemand, dass es ein Angebot für alle ist, vor dem Zelt der Caritas ein Glücksrad zu drehen, um dann Quizfragen zu beantworten – danach zum Beispiel, wie viele Sprachen man spreche?
Ein bisschen Latein, höre ich eine Jugendliche sagen. Aber die war natürlich weiß, nicht geschminkt und bauchfrei schon gar nicht.
Die Aktion war sicher gut gemeint – hey, toll, wie viele Sprachen du sprichst – und hinkt den aktuellen Debatten doch hoffnungslos hinterher, wo es längst darum geht, die Sprachenvielfalt der Einwanderungsgesellschaft nicht wohlwollend zu beklatschen, sondern ihr angemessenen Raum, zum Beispiel im schulischen Sprachunterricht, zu geben.
Traditionen einer Sonderwelt
Ein kleines Beispiel, aber ein symptomatisches. Es ist dieses Wohlwollende der Zuwendung, das ich zunehmend schwer erträglich finde und das wie wenig anderes deutlich macht, wie sehr kirchliche Traditionen und vielleicht katholische besonders inzwischen in einer Sonderwelt spielen – egal, wie gut es die einzelnen Engagierten meinen.
Beim Eröffnungsabend hatten die Veranstalter die so genannten Gemeinden anderer Muttersprachen – von kroatisch über spanisch und albanisch bis ukrainisch-griechisch-katholisch – in einem Bereich der Innenstadt konzentriert, wo sie unter der Überschrift "Musik, Tanz, Spezialitäten" zeigen konnten, was sie so zu bieten haben. Zitat aus dem Programm: "Sie bereichern nicht nur die Gemeindefeste mit ihren Künsten, sondern auch das tägliche Leben in unseren Städten."
Außerhalb solcher Begegnungsrahmen herrscht Schweigen. Es gibt keine Anknüpfungspunkte für Begegnungen. Das Angebot ist so eindeutig in einem bestimmten Milieu und Lebensstil verankert – und der ist weiß, westdeutsch, wohlsituiert –, dass er ausschließend auf alle anderen wirkt. Egal, wie groß ein symbolisches "Herzlich willkommen, wir helfen euch gerne" über allen Angeboten steht.
Der Faden ist abgerissen
Das war mal anders. Katholischsein war mal ein Medium, über das zum Beispiel soziale Ideen in eine Gesellschaft getragen werden konnten, in der wenig Privilegierte sonst keine Stimme hatten.
Irgendwann hat die Kirche, oder genauer: haben die Mitglieder, für die das Milieu dieser Kirche passte, diesen Faden in die Gesellschaft abreißen lassen.
Das hat die Kirche lange nicht gemerkt oder nicht merken wollen, weil angestammte Privilegien länger halten als tatsächliche Mehrheiten oder Rückhalt. Aber die leeren Stühle in Stuttgart und, mehr noch, die Sprachlosigkeit gegenüber allen, die keinen Katholikentagsschal tragen, sind so etwas wie der letzte Warnschuss.
Die katholische Kirche muss dringend raus aus der Komfortzone. Von außen rein kommt nämlich schon lang kaum noch jemand.