Katholische Familienpolitik

Die Moral und Doppelmoral der Kirche

Papst Franziskus während einer Audienz auf dem Petersplatz im Vatikan 2018.
Kann Papst Franziskus Brücken zwischen konservativen und progressiven Kräften in der katholischen Kirche schlagen? © Spaziani / dpa
Von Uwe Bork |
Mit ihren rigorosen Dogmen zur Untrennbarkeit der Ehe, Empfängnisverhütung und Homosexualität gleicht die Familienpolitik der katholischen Kirche schon längst einer Predigt, der keiner mehr zuhört, meint Uwe Bork anlässlich des "Internationalen Weltfamilientreffens".
Eutychus, dieser Name sagt Ihnen etwas? Nun ja, sein biblischer Auftritt war relativ kurz. Interessant macht ihn jedoch, dass er als vermutlich erstes Opfer der Kirche selbst ins Neue Testament eingegangen ist.
Als der junge Mann nämlich einmal einer Predigt des Apostels Paulus lauschte, tat er das nur anfangs sehr gebannt. Je länger Paulus aber predigte, desto mehr verflüchtigte sich dieser Bann. Eutychus, der im dritten Stock eines Hauses auf einem Fensterbrett zugehört hatte, schlief ein, fiel aus besagtem Fenster und war tot.

Dogmatische Starrheit und ein ermüdetes Kirchenvolk

Die heutige katholische Kirche läuft mit ihren sexual- und familienpolitischen Positionen Gefahr, den fatalen Fehler des Apostels Paulus zu wiederholen. Auch sie predigt und predigt, ermüdet mit dogmatischer Starrheit aber eher das Kirchenvolk, als dass sie ihm den – zumindest nach Meinung ihrer traditionellen Theologen – einzig gottgefälligen Weg wiese. Selbst überzeugte Katholiken folgen daher inzwischen immer öfter ihrem eigenen Gewissen, statt sich von greisen Kurienkardinälen einschüchtern zu lassen.
Hinzu kommt: Zwar hat Jesus selbst versichert, die "Pforten der Hölle" würden seine Kirche niemals überwältigen, doch inzwischen erledigt sie das ganz gut selbst. Viel zu viele ihrer Geistlichen haben sich als nur scheinbar gute Hirten erwiesen. Wenn – wie erst jetzt wieder aus den USA zu hören – Tausende von Kindern in kirchlichen Einrichtungen gequält wurden und die Oberhirten diese Verbrechen zudem vertuschen, dann untergräbt das die Glaubwürdigkeit der Kirche, nachhaltig und weltweit.

Kann Franziskus Brücken schlagen?

Gott sei Dank, mag da mancher Katholik ein Stoßgebet gen Himmel schicken, Gott sei Dank hat nun mit Papst Franziskus im Vatikan aber wenigstens ein Mann das Sagen, der dort nach einer langen Periode der Selbstbespiegelung wieder die Fenster zur Welt aufstößt.
Ob diese neuen Perspektiven allerdings nachhaltig zu neuen Ansichten führen werden, das muss sich erst einmal erweisen. So groß die katholische Kirche mit ihren mehr als zwei Milliarden Gläubigen ist, so uneinheitlich ist sie schließlich auch. Brücken zwischen Konservativen und Progressiven etwa zu Themen wie Homosexualität, Empfängnisverhütung oder auch nur Ehescheidung zu schlagen, dürfte sogar einem fähigen Pontifex wie Papst Franziskus schwerfallen.

Das rigorose Gebot der Untrennbarkeit der Ehe

Nehmen wir nur einmal die von der katholischen Kirche mit Vehemenz verteidigte Unauflöslichkeit der Ehe, die es im Judentum übrigens so nie gegeben hat. Zwar heißt es nach der katholischen Einheitsübersetzung tatsächlich im Markusevangelium: "Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen." Viele Theologen wie Laien können sich heute dennoch kaum vorstellen, dass Jesus mit diesem Ausspruch wirklich zwei Menschen auf Gedeih und Verderb lebenslang aneinanderketten wollte.
Solch unbarmherziger Rigorismus, mit dem er zudem noch das Alte Testament revidiert hätte, dürfte dem menschenfreundlichen Gottessohn mit seiner Liebe zu den Schwachen der Gesellschaft wohl eher fremd gewesen sein. Er könnte seine Worte vielmehr als einen eindringlichen Appell und nicht als ein ehernes Gesetz formuliert haben: Ihr solltet zusammenbleiben, ihr müsst es aber nicht um jeden Preis.

Immer weiterpredigen

Dass die katholische Kirche mit ihrem Schatz – aber eben auch ihrer Last – an Traditionen sich in solchen für unzählige Menschen in ihrem Alltag wichtigen Punkten schnell bewegen wird, ist allerdings leider nicht zu erwarten. Zumindest nicht, wenn sie sich am redefreudigen Paulus orientiert. Der holte zwar den armen Eutychus auf wunderbare Weise wieder ins Leben zurück, danach predigte er jedoch – wie die Apostelgeschichte lakonisch vermerkt – weiter bis zum Morgengrauen.

Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zwei Mal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.

Der Journalist Uwe Bork
© Deutschlandradio / Manfred Hilling
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