Der Kirche gehen die Priester aus
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Weil der Katholischen Kirche in Deutschland der Priesternachwuchs fehlt, werden immer mehr ausländische Geistliche rekrutiert. Das führt auch zu Sprachproblemen - Besuch bei einer Priesterweihe in Berlin.
In der neoromanischen St.-Joseph-Kirche ist an diesem Samstag jeder Platz besetzt. Die Herren tragen Anzug, die Damen Sommerkleid und hochhackige Sandalen. Polnische, spanische und italienische Sprachfetzen schwirren durch die Luft. Berlins Erzbischof Heiner Koch schreitet zum Altar:
"Ich grüße Sie herzlich, die Sie aus so vielen Ländern hier heute Morgen nach Berlin nach St. Joseph zur Priesterweihe gekommen sind. Ich begrüße Sie, die Sie gekommen sind, als Familien, die Eltern, die Geschwister, die Heimatpfarreien. Aus Italien, aus Polen, aus Ecuador. Herzlich willkommen!"
Sechs Fragen für die Weihe
Für die drei Priesteramtskandidaten und ihre Eltern dürfte es ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Tag ihres Lebens sein. Giovanni Donadel, Krzystof Gaul und Ronald Humberto Prado Palma haben alle drei eine lange Ausbildung hinter sich. Sie sind Mitte 30. Und sie sind bereit.
"Seid Ihr bereit, das Priesteramt als zuverlässige Mitarbeiter des Bischofs auszuüben und so unter der Führung des heiligen Geistes die Gemeinde des Herrn umsichtig zu leiten? Ich bin bereit."
Sechs Fragen müssen sie beantworten. Dann gehen sie einzeln vor und knien vor dem Bischof nieder, versprechen ihm Ehrfurcht und Gehorsam. Den Höhepunkt der Weihe haben sie bereits am Vortag geprobt – die drei legen sich nebeneinander ausgestreckt auf den Boden vor den Altar, den Blick nach unten auf den Boden gerichtet. Die Gemeinde besingt alle katholischen Heiligen.
"Kyrie eleison, Christe eleison, heilige Maria Mutter Gottes."
Kaum jemand kennt Gott
Berlins Erzbischof Heiner Koch legt den dreien nacheinander die Hände auf den Kopf. Die anderen anwesenden Priester des Erzbistums folgen. Einige sind so gebrechlich, dass sie kaum in der Lage sind, die wenigen Stufen zum Altar hochzusteigen. Andere sind der deutschen Sprache nicht mächtig, sie tragen deshalb Kopfhörer – für die Übersetzung des deutschen Gottesdienstes in ihre jeweilige Muttersprache.
"Ich bin glücklich. Der schönste Tag meines Lebens. Darauf warte ich schon viele Jahre. Seit mehr als 20 Jahren bin ich auf dem Weg zum Priester. Jetzt habe ich das Ziel erreicht. Es ist der Start für ein neues Leben. Ich hoffe, dass ich dieses Leben bis an sein Ende zusammen mit Christus führen kann."
Ronald Prado aus Ecuador trägt ein bodenlanges, golddurchwirktes Gewand. Wie die anderen beiden frisch Geweihten hat er kein herkömmliches Priesterseminar besucht, sondern sich dem sogenannten neokatechumenalen Weg angeschlossen. Kleine geistliche Gemeinschaften sind das, die sich der Mission verschrieben haben und weltweit Priesterseminare betreiben. Das Los entschied über den Umzug von Ronald Prado von Ecuador in die deutsche Hauptstadt.
"Für mich war das Schwierigste, also die größte Herausforderung, nicht bloß außerhalb meines Heimatlandes zu sein, sondern Jesus Christus in einer Umgebung zu preisen, wo kaum jemand Gott kennt. Wo man noch nicht einmal über den Glauben redet. Das ist die größte Herausforderung: in einer neuen Sprache über Jesus Christus sprechen und alle erreichen, obwohl sie Gott überhaupt nicht kennen."
Schwieriges Umfeld für Katholiken
Berlin als Hort der Ungläubigen: Wer am Pfingstsamstag nach dem Gottesdienst die St.-Joseph-Kirche verlässt und auf die Müllerstraße tritt, weiß sofort, wovon Ronald Prado spricht. Der Sockel des neoromanischen Gotteshauses ist mit Graffiti besprüht. Rechts der Kirche ein arabischer Supermarkt, links ein türkisches Reisebüro. Natürlich ist es schwierig, in diesem Umfeld Priester zu sein, sagt auch Giovanni Donadel, der aus Italien nach Berlin gekommen ist.
"In Italien sind alle Katholiken. Mehr oder weniger. Aber sie wissen nicht, warum. Hier im Gegenteil: Wer katholisch ist, dem ist das bewusst. Das hat mich positiv überrascht."
18 von 100 Priestern in Deutschland sind Ausländer. Viele stammen aus Indien oder Polen, andere vom afrikanischen Kontinent. Nicht immer sind tiefgläubige bayerische Gemeinden glücklich über einen Priester aus Schwarzafrika, dessen Deutsch womöglich nicht ausreicht. Aber der Priestermangel ist vielerorts so groß, dass auf ausländische Geistliche nicht verzichtet werden kann. Wurden vor 50 Jahren in Deutschland noch etwa 500 Priester jährlich geweiht, sind es heute nur noch etwa 70 bis 80.
Keine Schwarzen nach Brandenburg
Auch das Erzbistum Berlin ist auf ausländische Geistliche angewiesen. In der Hauptstadt ist das allerdings kaum ein Problem, sind doch zwei von drei Katholiken in der Hauptstadt ebenfalls Ausländer. Anders sieht es in Brandenburg und Vorpommern aus, auch diese Regionen gehören zum Berliner Erzbistum.
"Nach Brandenburg schicken wir keine Schwarzen", sagt Matthias Goy. Er leitet den Ausbildungsbereich im Erzbistum und ist selbst Priester.
"Das ist kompliziert, jemanden, der eine dunkle Hautfarbe hat, tatsächlich nach Brandenburg zu schicken. Nicht weil er eine dunkle Hautfarbe hat, sondern weil er vielleicht manchmal Deutsch gar nicht artikulieren kann. Der kann vielleicht die Sprache theoretisch besser als ein Deutscher, aber er ist nicht in der Lage, manche Dinge auszusprechen."
Kein schwarzer Priester nach Brandenburg - schützt das Erzbistum Berlin damit lediglich Priester und Gemeinden vor großen Enttäuschungen? Oder lässt sich diese Haltung schon rassistisch nennen? Nimmt Ausbildungsleiter Matthias Goy damit Rücksicht auf AfD-Anhänger, die ihre Heimat ausländerfrei halten wollen? Ein heikles Thema.
"Das hat mit der AfD in dem Sinne nichts zu tun, sondern wir gucken schon, dass die Passung der Seelsorger zu den Menschen stimmt. Weil niemand kann wirklich Menschen begleiten, wo man nicht den Erfahrungs- oder Verstehenshintergrund hat. Und umgekehrt. Manche Menschen tun sich schwer mit jemandem, wo sie nicht einmal die Predigt verstehen."
Entscheidung fürs Leben
Die Predigten des frisch gebackenen Priesters Giovanni Donadel versteht jeder, sein Deutsch ist einwandfrei. Der Italiener ist kein "Importpriester", er hat Theologie und Philosophie in Deutschland studiert, arbeitet jetzt in einer Gemeinde im brandenburgischen Hennigsdorf. Am Tag nach seiner Weihe feiert er ausgelassen mit Familie, Freunden und seiner Gemeinde im Garten der Kirche "Zu den Heiligen Schutzengeln":
"Irgendwann muss man auch Entscheidungen treffen. Schlimmer wäre, noch das ganze Leben unentschlossen zu bleiben. Ich bin als Typ eben so einer. Ziemlich unentschlossen. Deshalb hat meine Ausbildung auch so lange gedauert. Aber mir ist eine Last vom Herzen gefallen, diese Entscheidung getroffen zu haben. Für mich war es eine Befreiung. Endlich habe ich mich entschieden."
Eine Entscheidung für den Rest des Lebens. Gegen eine Frau, gegen eine Familie, für den Zölibat: "Das ist tatsächlich die Lebensentscheidung. So wie die Hochzeit. Für immer und ewig? Für immer und ewig, tatsächlich."
An diesem Sonntag, einen Tag nach seiner Priesterweihe, wirkt Giovanni Donadel gelöst, in sich ruhend, eins mit sich und seiner Kirche. Er gibt zu: Lange habe er gezweifelt.
"Werde ich damit glücklich sein? Werde ich überhaupt damit klarkommen, alleine zu leben, in einem fremden Land, ohne Familie, ein bisschen so die menschlichen Zweifel, die man hat. Ist das eine richtige Arbeit, werde ich dann genug Sicherheiten haben und so weiter?"
Das Böse kann jedem passieren
Giovanni Donadel hat sich in einer Zeit für das Priesteramt entschieden, in der die Katholische Kirche durch eine ihrer größten Krisen geht. Der Missbrauchsskandal hat sie in ihren Grundfesten erschüttert. Doch Giovanni Donadel spricht von Verfehlungen Einzelner, mit den Strukturen der Kirche habe das nichts zu tun:
"Wenn das Böse, wenn der Teufel eine Person fallen lässt, dann geschieht so etwas. Kann mir passieren, kann einem Priester passieren, kann einem verheirateten Mann passieren."
Katholische Priester überall auf der Welt haben in den vergangenen Jahrzehnten ihre Macht ausgenutzt und Schwächere, die ihnen anvertraut wurden, sexuell missbraucht. Das Thema sei inzwischen in die Priesterausbildung eingeflossen, versichert die Katholische Kirche.
Der frisch geweihte Giovanni Donadel hat dazu eine ganz eigene Haltung. Als Priester verfüge er gar nicht über mehr Macht: "Im Gegenteil. Was ich spüre, ist eher eine größere Verantwortung. Aber überhaupt nicht mehr Macht."