Katholische Kirche

"Der Mensch ist ja nicht für sich heilig"

Johannes Paul II. (Aufnahme vom Oktober 1979)
Johannes Paul II. (Aufnahme vom Oktober 1979) © picture alliance / dpa / Martin Athenstädt
Rainer Kampling im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Die ehemaligen Päpste Johannes Paul II. und Johannes XXIII. sollen in Rom heiliggesprochen werden. Eine intensive Prüfung ging dem voraus. Allein für Johannes Paul II. wurden "ganze Regale" an Akten und Schriften gesichtet, sagt der FU-Professor Rainer Kampling.
Liane von Billerbeck: Santo subito! – Heilig, aber sofort! Das riefen die Gläubigen auf dem römischen Petersplatz bei der Beisetzung von Johannes Paul II. Neun lange Jahre hat es gedauert, nun spricht Papst Franziskus seinen Vorvorgänger am kommenden Sonntag heilig. Wie aus der Forderung durch vox populi, also die Stimme des Volkes, ein Prozedere mit exakten Regeln wurde und wie die Heiligsprechung in der Kirchengeschichte gelaufen ist, das soll jetzt mein Thema sein im Gespräch mit Rainer Kampling. Er ist Professor für katholische Theologie an der Freien Universität Berlin und jetzt im Studio, herzlich willkommen!
Rainer Kampling: Guten Tag!
von Billerbeck: Sie haben damals bei der Beisetzung von Johannes Paul II. in einem "taz"-Interview gesagt, das dauere neun bis zehn Jahre. Sie haben recht gehabt! Warum ist das Verfahren eigentlich so langwierig und auch so genau festgelegt?
Kampling: Es handelt sich um ein Prozessverfahren mit mehreren Etappen, wahnsinnig viele Anhörungen, Untersuchung der Schriften, was bei ihm nun besonders ist, weil er sehr viel geschrieben hat.
von Billerbeck: Wie viel Seiten waren das so etwa?
"Seligsprechung und jetzt eben Heiligsprechung"
Kampling: Man spricht nicht von Seiten, sondern von Metern. Also, es müssen ganze Regale voll gewesen sein, denn Sie dürfen nicht vergessen, alle Schriften werden gesichtet. Da trotz seines langen Pontifikats Polnisch nicht Umgangssprache im Vatikan ist, mussten die auch noch übersetzt werden. Also, wir können uns kaum vorstellen, welche logistische Leistung es war, das in dieser Zeit zu machen. Die Prozesse liefen dann zunächst in den Etappen Seligsprechung und jetzt eben Heiligsprechung als letzte Etappe, aber es ist jedes Mal ein dreistufiges Verfahren mit Anhörungen. Und das kommt natürlich bei diesem Papst hinzu: Er ist ein sogenannter aktueller Heiliger, das heißt, es leben auch noch Zeugen.
Und man hat sehr viele Zeugen gehört, unter anderem auch Menschen jüdischen Glaubens, weil er denen besonders verbunden war, dann die Frage, wie er sich während der Nazi-Herrschaft gegenüber Juden verhalten hat. All das spielt eine Rolle und das ist wahnsinnig alles! Man darf annehmen, es waren 100 Leute permanent beschäftigt.
von Billerbeck: Nun habe ich erzählt, dass es bis zum Mittelalter genügte, wenn das Volk rief: Heilig, aber sofort! Inzwischen gibt es umfassende Regeln. Wie kam es dazu? Gab es eine Schwemme von Heiligsprechungen und man musste das eindämmen?
Kampling: Also, wir haben zunächst einmal – wir müssen noch weiter zurückgehen, in die Antike –, da haben wir die Märtyrer, bei denen man annehmen konnte, dass sie tatsächlich sofort im Zustand der Heiligkeit waren. Dann haben wir die Bekenner und dann gab es immer Bestrebungen, dass insbesondere nach der doch stärker werdenden Trennung zwischen Ostrom und Westrom, dass dieses eine bischöfliche Aufgabe des Bischofs von Rom ist. Und wir haben es dann das erste Mal belegt, so sagt man, im 10. Jahrhundert bei der Heiligsprechung von Sankt Martin. Aber bereits 1170, 1180 herum – und natürlich wieder Alexander III., der überhaupt unüberschätzbar für Europa und die katholische Kirche ist, obwohl ihn keiner mehr kennt –, also, der hat dann gesagt, es ist allein päpstliches Vorrecht.
Und dann entwickelte sich sozusagen das, was Sie sagen: Wir haben also Leute, die heilig galten wie zum Beispiel mein Namenspatron, der in Osnabrück als Heiliger verehrt wurde, aber sonst nirgendwo, und man hat dann sich entschieden zu sagen, ja, es gibt Abstufungen, das Lokale ist mehr das Selige, aber das für die allgemeine Kirche, das ist ein Vorrecht des Papstes. Aber de facto, muss man sagen, hat sich das erst mit (Name nicht zu verstehen. Anm. d. R.) nach der Reformation durchgesetzt.
von Billerbeck: Nun muss ja jemand, der heiliggesprochen werden soll, zwei Dinge geleistet haben: Entweder er muss zwei Wunder vollbracht haben oder ein Martyrium durchlitten haben, habe ich gelernt, das gehört zu den Regeln. Was bedeutet das konkret?
Kampling: Das Martyrium ist das Zeugnis der Liebe zu Gott, also, eine größere Liebe hat keiner. Der ...
von Billerbeck: Das ist doch aber nicht messbar?
"Die Wunder sind nach dem Tod zu erbringen"
Kampling: In dem Akt des Sterbens. Ja, wir haben ja zum Beispiel in der Antike Menschen, die im Akt des Martyriums sozusagen zur Fülle des Glaubens gelangten. Das andere ist mit den Wundern: Die Wunder sind nach dem Tod zu erbringen sozusagen. Da muss man einfach sagen: Es gibt eine Vorstellung von Heiligkeit, diese Heiligkeit ist ... Der Mensch ist ja nicht für sich heilig. Und es gibt Erscheinungsformen der Heiligkeit und man hat bei den großen Reformen gesagt, es muss sich im Wunder niederschlagen. Man kann übrigens auf Wunder auch verzichten. Denn in diesen Wundern zeigt sich tatsächlich der Charakter der Heiligkeit, also, dass das weiterwirkt.
Interessanterweise kommt deswegen Ärzten eine hohe Rolle zu, wie ich finde, ein wenig irritierend, weil es nicht zur Aufgabe von Ärzten gehört, über Wunder zu sprechen. Aber letztendlich entscheiden natürlich Theologen, ob es ein Wunder ist. Aber es ist schon ähnlich wie bei Lourdes, zuerst muss eine Ärztekommission überhaupt sagen, ob es ein Wunder ist, also ob jemand krank war. Ja, es ist die Vorstellung, dass wirklich Heiligkeit sich auswirkt. Und das ist eben eine Vorstellung, die sich dann bezeugt in wunderbaren Ereignissen. Es gibt zweifelsohne leichte Fixierung auf Heilungswunder, was ich theologisch für sehr schwierig finde.
von Billerbeck: Nun ist es ja so, dass diese Wunder – Sie haben das eben schon erwähnt – geprüft werden. Das klingt für mich so ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. Also, man hat Wunder vollbracht, aber dann holt man sich eine Kommission, wo unter anderem eben auch Ärzte dabei sind, denn es geht oft um medizinische Wunder, die dieses Wunder prüft. Was ist denn von dieser Wunderprüfung zu halten?
Kampling: Also, die Ärzte stellen fest, dass etwas geschehen ist, was sie nach dem Stand ihrer Wissenschaft nicht erklären können.
von Billerbeck: Das heißt, der Glauben nimmt die Wissenschaft, um seinen Glauben stärker zu machen?
Kampling: Das wäre eine schöne Vorstellung, ein interessanter Aspekt! Aber ich befürchte, es ist ein Zugeständnis an die Vorstellung. Denn Sie dürfen nicht vergessen: Die letzte große Reform, die ... Gut, Johannes Paul II. hat ja selber reformiert, aber der Wechsel des mittelalterlichen Heiligen zum neuzeitlichen ist wirklich ein Epochenschub. Es gibt wunderbare Heilige im 17. Jahrhundert, die völlig mittelalterlich heilig waren, die aber weggesperrt wurden von ihren Orden, weil sie peinlich waren.
Also, wir haben herrliche Berichte von fliegenden Mönchen und dergleichen. Und man hat versucht, das Ganze sozusagen ordentlich zu regeln. Natürlich kann ein Arzt nicht feststellen, dass es ein Wunder ist, denn es kann ja auch sein, das irgendwas passiert. Also, es gibt nach dem medizinischen Gutachten noch einmal eine Prüfung, ob es sich – wie im 19. Jahrhundert gerne gesagt – um einen Fall von Hysterie handelt. Haben wir sehr gerne, diesen Ausdruck. Freud lässt auch da grüßen. Und wenn aber dann auch die Theologen zu dem Eindruck kommen, dass dieses alles unerklärbar ist, dann wird im Analogieschluss angenommen, dass es ein Wunder ist.
von Billerbeck: Nun steht ja auch Johannes XXIII. auf der Liste und der soll auch heiliggesprochen werden. Dem wurde aber nur ein Wunder nachgewiesen. Nun habe ich aber gerade erfahren, dass es sich um zwei Wunder handelt, die man vollbracht haben muss. Wieso gibt es bei ihm einen Wundernachlass?
"Ich kenne sehr viel andere Wunder in dieser Welt"
Kampling: Also, es muss nicht. Wunder ist nicht zwingend notwendig. Im Übrigen ist die Fixierung des Wunderbegriffes wirklich erstaunlich. Also, ich kenne sehr viel andere Wunder in dieser Welt denn Gesundheitsheilungen. Ich weiß sehr viel und das eigentliche Wunder Johannes XXIII. ist die Öffnung der Kirche hin zur Welt. Das ist ein größeres Wunder, als wenn ein ganzes Krankenhaus geheilt wird. Also, wir sind vom Wunderbegriff her so medizinisch fixiert, das ist unfasslich. Also, eine Frau, die mit Arbeitslosenhilfe II eine ganze Familienhilfe durchbringt, ist ein Wunder ... und das in tiefem Glauben tut, ist ein Wunder. Wir haben eine Heilige im Münsterland, deren Wunder darin bestand, dass sie Kriegsgefangenen das Leben leichter gemacht hat. Das halte ich für ein großes Wunder. Also, immer diese Fixierung, ob jemand jetzt nachher noch Krebs hat oder so was, das ist auch sehr schwierig, weil wir wissen, er kann ja 30 Jahre lang oder später wieder hervorkommen. Nein, Johannes XXIII. hat das Wunder der Kirche vollbracht.
von Billerbeck: Wenn man mal davon absieht, dass so eine Heiligsprechung ein gigantisches Medienereignis ist und die Händler in Rom vermutlich feiern werden und die Hoteliers, denn so ein Ereignis bringt oder hält die Pilger in der Stadt, welchen Stellenwert hat diese Heiligsprechung für die katholische Kirche?
Kampling: Für die katholische Kirche gibt es zwei Aspekte: Sehen wir erst einmal das Gute, es wird gleichsam ein ... ja, man möchte doch fast sagen, eine Epoche zusammengefasst. Also, Johannes XXIII., der das Vatikanum II eröffnete und, man darf vielleicht sagen, Johannes Paul II., der es dann zum Abschluss brachte bis hin zum Kanon. Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ob es der Kirche gut ankommt, ihre Päpste heiligzusprechen. Wir haben ja eine Heiligkeitsschwemme in den letzten 100 Jahren bei den Päpsten. Ich denke, dass das doch sehr schwierig ist. Also, wenn wir nachher ein ganzes Heer von heiligen Päpsten haben, da wird natürlich auch das Amt noch mal auf besondere Weise geheiligt. Ich bestreite nicht, dass Johannes Paul II. und auch Johannes XXIII. große Menschen waren, denen man nacheifern kann, also das Grundprinzip der Heiligkeit, aber ob es wirklich notwendig ist, jeden Papst heiligzusprechen, das wage ich doch stark zu bezweifeln!
von Billerbeck: Die Bedeutung der Heiligsprechung zweier Päpste, Johannes XXIII. und Johannes Paul II., am kommenden Sonntag in Rom. Rainer Kampling war mein Gast, katholischer Theologe und Professor an der FU Berlin. Danke Ihnen!
Kampling: Bitte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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