Ein Papst im Kreuzfeuer
Von Papst Franziskus haben sich die Gläubigen große Erneuerungen erhofft. Tatsächlich fliegen ihm noch immer die Sympathien des Kirchenvolks zu, im höheren Management des Vatikans dagegen wird die Kritik immer lauter.
Sie erinnern sich? Alice Cooper? Dieser gruselig-grell geschminkte Schock-Rocker aus den Siebzigern, der auf der Bühne seinen Kopf so gern unter das Messer einer Guillotine legte? Exakt der. Der hat jetzt den Papst gelobt. "Ich finde", sagte er in einem Interview, "ich finde, dass dieser Mann genau der Richtige für diese Kirche ist. Er hat das Papstamt vom Sockel gehoben und zurück auf den Boden geholt. Das ist ein gigantischer Schritt."
Nun muss man wissen, dass Künstler Cooper es trotz seiner diabolischen Auftritte privat eher mit dem lieben Gott hält. Er geht regelmäßig zur Kirche, sammelt Spenden und kann sich sogar über den Ehrendoktor einer christlichen Universität freuen.
Bildungsbürgerlicher Grandseigneur
Wenn Dr. Cooper also den Papst lobt, ist das ein Lob von einem äußerst bunten Vogel, und derlei wird im Vatikan derzeit nicht überall gern gehört. Peter Seewald, deutscher Journalist von besonderer Benedikt-Nähe sowie - in des Wortes doppelter Bedeutung - ein rechter Katholik, hegt beispielsweise tiefes Unbehagen gegenüber dem offenen Stil des populären neuen Pontifex. Ganz bildungsbürgerlicher Grandseigneur vermisst er heute vieles, was er vom zurückgetretenen Papst gewohnt war: "die Präzision in der Sprache, den Reichtum der Tradition, die Noblesse in der Form." Ihm sekundiert Erzbischof Georg Gänswein, engster Vertrauter Benedikts.
Der gern als vatikanische Clooney-Kopie gefeierte Monsignore meint nur vordergründig die vom neuen Papst verschmähten roten Schuhe, wenn er klagt: "Es war vergebliche Liebesmüh zu versuchen, ihn zu überzeugen, dass es möglicherweise nicht nur aus Gründen der Optik, sondern auch der Tradition richtiger wäre, sich in die Linie seiner Vorgänger einzufügen."
Genau dieser kritische Umgang mit dem, was gestern noch als Norm galt, ist es aber, was dem Hirten Franziskus die Achtung und Zuneigung seiner Herde eingebracht hat. Dieser Papst lässt sich nicht auf Linie bringen, von einer konservativen römischen Kurie schon gleich gar nicht. Der schreibt er vielmehr deutliche Worte ins Stammbuch:
"Hinter der Spitzfindigkeit, hinter dem kasuistischen Denken verbirgt sich immer eine Falle. Immer! Gegen die Menschen, gegen uns und gegen Gott."
An den Rändern unserer Gesellschaft
Alles andere als von der Duldsamkeit des Alters geprägt, legt das 77-jährige Kirchenoberhaupt sich mit denen an, die es sich bequem – zu bequem – gemacht haben in den halbdunklen Winkeln der klerikalen Macht. Er räumt auf, sei es nun in Fragen des Missbrauchsskandals oder einer Vatikanbank, die das Wohl der Gläubiger nur zu oft über das Wohl der Gläubigen stellte. Nur Freunde macht er sich damit nicht, und so tauschen Anhänger und Kritiker des Papstes gegenwärtig die Seiten. Standen erstere nach den Maßstäben der Politik bisher fast immer rechts und letztere links, ist es heute eher umgekehrt.
Für all jene hellwachen Träumer, die unsere Erde näher an das himmlische Paradies rücken möchten, ist die katholische Kirche völlig unerwartet wieder zu einer ersten Adresse geworden. Will es doch der bescheidene Mann auf dem Petrusthron nicht bei unverbindlichen Wünschen für einen guten Abend belassen, er meint es ernst mit seiner Aufforderung, an die Ränder dieser Gesellschaft zu gehen und dort für eine Welt zu arbeiten, die sich nicht mehr nur um Macht, Geld und Gut dreht.
In den Kammern und auf den Korridoren des Kirchenstaats weht ein frischer Wind, seit Franziskus mit Nachdruck begonnen hat, Fenster aufzustoßen, die das 2. Vatikanische Konzil vor fünfzig Jahren zwar schon einmal geöffnet hatte, die von einer verschnupften Kurie aber nach und nach wieder geschlossen worden waren.
Das neue Klima
Ein neues "Aggiornamento", eine neue Öffnung der Kirche zur Welt, kündigt sich an. Wenn dadurch der Muff unter so manchen Talaren vertrieben werden könnte, so mag das für die Träger dieser Talare zwar unangenehm sein, bei anderen dürfte das neue Klima aber umso mehr Beifall finden. Und nicht nur beim ach so braven Bürgerschreck Alice Cooper.
Uwe Bork, Jahrgang 1951, ist seit 1998 Leiter der Fernsehredaktion "Religion, Kirche und Gesellschaft" des Südwestrundfunks in Stuttgart. Für seine Arbeiten wurde er unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Außer seinen Filmen hat Uwe Bork auch mehrere Bücher veröffentlicht. In ihnen setzt er sich humorvoll-ironisch mit dem Alltag in deutschen Familien auseinander (Väter, Söhne und andere Irre; Endlich Platz im Nest: Wenn Eltern flügge werden) oder räumt ebenso sachlich wie locker mit Urteilen und Vorurteilen über Religion auf ("Wer soll das alles glauben?" und andere schlaue Fragen an die Bibel; Die Christen: Expedition zu einem unbekannten Volk).