Katholische Kirche "fürchtet" Aufdeckung
Nach Beendigung der Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und dem Kriminologen Christian Pfeiffer fühlen sich viele, wie auch Matthias Katsch vom Opferverband "Eckiger Tisch", bestätigt: Der katholischen Kirche liege wenig an einer Aufarbeitung im Missbrauchsskandals.
Philipp Gessler: Da können einem doch Zweifel kommen: In der nun zu Ende gehenden Woche standen die katholischen Bischöfe Deutschlands mal wieder in einem sehr unschönen Licht der Öffentlichkeit. Mit einem Paukenschlag sind sie aus ihrem Vertrag mit dem Kriminologen Christian Pfeiffer ausgestiegen. Der Hannoveraner Wissenschaftler sollte seit 2010 im Auftrag der Kirche mit seinen Fachleuten und mithilfe der Personalakten aus allen 27 deutschen Bistümern die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche erforschen. Darunter auch Fälle, die Jahrzehnte zurückliegen. Doch die riesige Studie kam nie voran. Pfeiffer wirft der Kirche nun vor, sie habe ihn zensieren wollen.
Die Bischofskonferenz behauptet dagegen, mit Pfeiffer könne man einfach nicht zusammenarbeiten. Das Vertrauensverhältnis zu ihm sei zerrüttet. Und sie betont, die Aufklärung gehe weiter, eben nur nicht mit Pfeiffer. Wie denken die Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche über das Ende dieser Zusammenarbeit mit dem Hannoveraner Wissenschaftler? Wollen die katholischen Bischöfe überhaupt eine Aufklärung? Darüber habe ich vor der Sendung mit Matthias Katsch vom Opferverband "Eckiger Tisch" gesprochen, einem ehemaligen Opfer von sexueller Gewalt in Berlin, der die Kraft und den Mut hat, für die so lange verdrängten Opfer solcher Verbrechen durch Priesterhand zu kämpfen. Herr Katsch, die katholische Kirche betont, ihr Ausstieg, also der Ausstieg der Kirche aus dem Vertrag mit dem kriminologischen Institut von Professor Pfeiffer zur Aufklärung des Missbrauchsskandals liege vor allem an diesem Kriminologen selbst. Nehmen Sie der Kirche dies ab?
Matthias Katsch: Also ich kann nicht das Arbeitsverhältnis zwischen Herrn Pfeiffer und der Bischofskonferenz oder der Kirche beurteilen, dafür fehlen mir die Kenntnisse über die Hintergründe. Ich glaube nicht, dass das der tiefere Grund ist für dieses Zerwürfnis und für diese Trennung.
Gessler: Was wäre denn Ihrer Ansicht nach der tiefere Grund?
Katsch: Ich glaube, das Problem ist tatsächlich, dass es in der katholischen Kirche in Deutschland Leute gibt, die sich mehr fürchten vor dem, was aufgedeckt werden könnte, als dass sie dem Ansinnen der Aufarbeitung positiv gegenüberstehen. Das heißt, wenn wir jetzt hören, dass möglicherweise in einigen Bistümern – routinemäßig sogar – Missbrauchsakten verschwunden oder vernichtet worden sein sollen, dann zeigt das eben: Diese Leute haben nichts verstanden von dem, was wir in den letzten drei Jahren versucht haben zu diskutieren. Und man kann dahinter nicht wirklich einen Willen erkennen, über die Vergangenheit in Wahrhaftigkeit Erkenntnisse zu gewinnen. Und das scheint mir der Hintergrund, neben allen anderen Dingen, die da vielleicht eine rolle gespielt haben, Persönliches zwischen Herrn Pfeiffer und den Bischöfen, das scheint mir der wirkliche Hintergrund zu sein.
Gessler: Man hat ja manchmal den Eindruck, dass es innerhalb der Bischofskonferenz auch verschiedene Gruppen gibt: die Aufklärer, die einverstanden wären mit der Aufklärung, und andere Bischöfe, die das irgendwie verhindern wollen. Glauben Sie, das ist realistisch?
Katsch: Auch das ist wieder etwas, was man als Außenstehender, ich denke mal, auch die Mehrzahl der Menschen wird das so sehen, nicht beurteilen kann. So ein bisschen hat das auch so den Eindruck, das ist so eine Aufführung, die da stattfindet. Die einen wollen ja, aber können nicht, und die anderen outen sich aber nicht als die, die nicht wollen. Das Ergebnis ist klar: Es findet keine Aufarbeitung statt. Und es hat in den letzten drei Jahren außer der akuten Phase in den ersten Monaten 2010, Frühjahr, Sommer, keine Aufarbeitung stattgefunden. Und so, wie es jetzt aussieht, haben die eineinhalb Jahre nur darüber verhandelt, wie die Ergebnisse, die man irgendwann mal erheben will, dann veröffentlicht werden sollen.
Das heißt, zwischen der Ankündigung, wir machen eine Studie, und dem Scheitern lagen eineinhalb Jahre, in denen nichts passiert ist. Das heißt, wir sind tatsächlich zurückgeworfen auf den Sommer 2010 und fangen wieder von vorn an. Und was ich sage, ist, es hat sich damit gezeigt, dass die Kirche, wie jede andere Institution vermutlich auch in der Situation, nicht in der Lage ist, sich selber aufzuarbeiten. Ob jetzt mithilfe von Wissenschaftlern oder nicht, das ist kein Vertrauen, was da entstehen kann. Und deswegen glaube ich, dass die Aufarbeitung, die wir dringend brauchen, nur von außen geschehen kann.
Gessler: Wenn Sie mit anderen Missbrauchsopfern über den Ausstieg aus dem Vertrag mit Professor Pfeiffer reden, fühlen die sich dann verraten?
Katsch: Das ist so eine gemischte Stimmungslage. Ich glaube, sehr viele haben überhaupt kein Vertrauen gehabt in das Vorhaben an sich. Und die sind dann natürlich auch nicht enttäuscht, sondern die fühlen sich nur bestätigt. Diejenigen, die immer eher optimistisch an die Sachen herangehen, so wie ich, die sagen ja tatsächlich, es ist ein Beleg, dass die Kritiker recht gehabt haben, dass es nicht funktioniert, von innen heraus selber sich an die Akten heranzumachen und zu erwarten, dass da dann was an Positivem, an Neuem entstehen oder herauskommen würde.
Diesen Skeptikern oder Kritikern muss ich recht geben, ja, das ist tatsächlich enttäuschend. Im Grunde genommen reiht sich dieses Ereignis jetzt ein in eine Kette der Frustrationen oder Enttäuschungen. Es ist ja nicht nur die kirchliche Aufarbeitung, die versagt hat, sondern all das, was am runden Tisch besprochen wurde, was an Hilfsangeboten entwickelt werden sollte, das ist ja auch nicht realisiert worden. Das, was an Gesetzgebungsvorhaben auf der politischen Ebene beschlossen wurde, ist nicht umgesetzt worden. Also da ist schon sehr viel Wut und Enttäuschung bei Betroffenen da, ja.
Gessler: Die ganzen gesetzlichen Dinge, die hat natürlich die Kirche nicht in der Hand. Da ist eher der Staat der Verantwortliche.
Katsch: Das ist richtig. Deswegen ist es ja auch gut, dass es jetzt diese öffentliche Aufmerksamkeit im Thema Gott sei Dank wieder gibt, und ich hoffe, dass die Diskussion, die jetzt geführt wird, es allen Beteiligten klar macht, dass wir noch mal einen neuen Ansatz brauchen. Dass die Energie, mit der 2010 begonnen wurde, sich dem Thema zuzuwenden, dass wir die nun wieder neu aktivieren müssen. Das betrifft sowohl die Frage der Aufarbeitung als auch die Frage der Hilfe und letztendlich auch die Frage der Entschädigung.
Gessler: Professor Pfeiffer und sein Team wollten ja offenbar auch noch mal mit den Opfern reden über die Taten, die ihnen angetan wurden. Glauben Sie, dass die meisten Missbrauchsopfer das überhaupt wollten?
Katsch: Das Problem, was ich hier gesehen habe, war, dass es offensichtlich ein Forschungsvorhaben im Auftrag der Kirche war, und ich habe Professor Pfeiffer das auch so gesagt: Ich glaube, dass es für viele Betroffene aus diesem Grunde schon schwer gewesen wäre, an diesen Opferbefragungen teilzunehmen. Wenn wir wirklich die Betroffenen zu Wort kommen lassen wollen, dann brauchen wir ein ganz anderes Setting als das, was die Bischöfe und Professor Pfeiffer vorgehabt haben, nämlich eines, wo eine unabhängige Instanz die Betroffenen auffordert, sich zu Wort zu melden, und eine unabhängige Instanz sich auf den Weg macht, zu untersuchen, Akten anzuschauen – und nach Lage der Dinge kann diese Instanz nur aus dem Parlament, aus dem Bundestag heraus agieren, weil sonst gibt es auf nationaler Ebene keine andere Instanz, die einer Institution wie der katholischen Kirche gegenübertreten könnte.
Gessler: Mann könnte ja der Kirche zugutehalten, dass die Kirche bisher die einzige große Institution war, die überhaupt Geld an Opfer gezahlt hat. Überzeugt Sie diese Sichtweise?
Katsch: Keineswegs, weil zunächst mal muss man ja sich angucken, warum die Kirche Geld an Opfer zahlen soll. Das soll sie ja nicht tun aus Mildtätigkeit heraus, sondern weil sie als Institution massiv Verbrechen begünstigt und verheimlicht und vertuscht hat über Jahrzehnte hinweg und Verbrechen ermöglicht hat damit. Und das ist der Grund, warum sie in Anspruch genommen wird für Entschädigungsleistungen. Und wie sie diesem Anspruch gerecht geworden ist, das ist allerdings sehr kritikwürdig, denn sie hat alles getan, um auch in diesem Falle das Verfahren in der Hand zu behalten und von sich aus festzulegen, was es ihr denn wert ist und was sie bereit ist zu zahlen. Sie hat zu keinem Zeitpunkt Bereitschaft signalisiert, mit den Betroffenen darüber zu sprechen oder eine neutrale Instanz, wie das üblich ist bei solchen Streitfällen, entscheiden zu lassen, was angemessen ist und was nicht.
Gessler: Sehnen Sie sich denn manchmal danach nach all diesen Jahren des Kampfes, dass dieser Kampf und dieses Leid, was damit verbunden ist, endlich zu Ende sein könnte?
Katsch: Na ja, ich muss sagen, tatsächlich haben wir 2010 nicht gedacht, dass das so ein Dauerlauf werden würde, wie es sich jetzt entwickelt hat. Andererseits zeigt das Beispiel in vielen anderen Ländern, dass das eben ein langer Weg ist hin zu einer wirklichen Auseinandersetzung, einer wirklichen positiven Lösung auch, eines Abschlusses dieser Verwundungen. Und persönlich muss ich sagen, es ist auch ein Stück ein Prozess der Befreiung gewesen über die letzten Jahre, sodass ich also wohlgemut bin und hoffe, dass wir es schaffen werden, in den nächsten Jahren diesen Aufarbeitungsprozess wirklich jetzt in Gang zu kriegen, weil ich glaube, es gehört zu einer wirklichen Präventionsarbeit, dass man sich der Vergangenheit und den Fehlern, die da gemacht worden sind, offen und ehrlich stellt. Und das ist bisher leider nicht ausreichend geschehen.
Gessler: Die Öffentlichkeit schien bis zum Eklat um die Pfeiffer-Studie langsam ja auch das Interesse an diesem Thema zu verlieren. Verbittert Sie das?
Katsch: Nein, neil ich glaube, dass dies einfach zu den Gesetzmäßigkeiten der öffentlichen Aufmerksamkeit gehört, dass Themen eben nicht beliebig lange im öffentlichen Diskurs sein können. Ich hatte aber keinen Zweifel, dass das Thema deswegen nicht verschwunden ist, weil nicht mehr so laut und so oft darüber gesprochen wird. Denn es geht einfach viel zu viele Menschen an. Es sind viel zu viele Menschen in Deutschland betroffen. Wir sprechen allein im Bereich der katholischen Kirche, wenn wir mal die Zahlen aus zum Beispiel den Niederlanden auf Deutschland hochrechnen von 40.000 bis 80.000 Betroffenen aus den letzten Jahrzehnten. Die haben Familien, Familienangehörige. Das Thema ist viel zu virulent, als dass es von alleine vergehen oder verschwinden würde. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn man das Gefühl hat, es wird nicht mehr angemessen darüber nachgedacht, aber ich glaube, wir haben jetzt die Chance, vielleicht auch mit kühlerem Kopf auch als 2010 einen neuen Anlauf zu machen. Und das müssen wir dann jetzt auch tun.
Gessler: Vielen Dank, Herr Katsch!
Katsch: Ich danke Ihnen!
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Matthias Katsch: Also ich kann nicht das Arbeitsverhältnis zwischen Herrn Pfeiffer und der Bischofskonferenz oder der Kirche beurteilen, dafür fehlen mir die Kenntnisse über die Hintergründe. Ich glaube nicht, dass das der tiefere Grund ist für dieses Zerwürfnis und für diese Trennung.
Gessler: Was wäre denn Ihrer Ansicht nach der tiefere Grund?
Katsch: Ich glaube, das Problem ist tatsächlich, dass es in der katholischen Kirche in Deutschland Leute gibt, die sich mehr fürchten vor dem, was aufgedeckt werden könnte, als dass sie dem Ansinnen der Aufarbeitung positiv gegenüberstehen. Das heißt, wenn wir jetzt hören, dass möglicherweise in einigen Bistümern – routinemäßig sogar – Missbrauchsakten verschwunden oder vernichtet worden sein sollen, dann zeigt das eben: Diese Leute haben nichts verstanden von dem, was wir in den letzten drei Jahren versucht haben zu diskutieren. Und man kann dahinter nicht wirklich einen Willen erkennen, über die Vergangenheit in Wahrhaftigkeit Erkenntnisse zu gewinnen. Und das scheint mir der Hintergrund, neben allen anderen Dingen, die da vielleicht eine rolle gespielt haben, Persönliches zwischen Herrn Pfeiffer und den Bischöfen, das scheint mir der wirkliche Hintergrund zu sein.
Gessler: Man hat ja manchmal den Eindruck, dass es innerhalb der Bischofskonferenz auch verschiedene Gruppen gibt: die Aufklärer, die einverstanden wären mit der Aufklärung, und andere Bischöfe, die das irgendwie verhindern wollen. Glauben Sie, das ist realistisch?
Katsch: Auch das ist wieder etwas, was man als Außenstehender, ich denke mal, auch die Mehrzahl der Menschen wird das so sehen, nicht beurteilen kann. So ein bisschen hat das auch so den Eindruck, das ist so eine Aufführung, die da stattfindet. Die einen wollen ja, aber können nicht, und die anderen outen sich aber nicht als die, die nicht wollen. Das Ergebnis ist klar: Es findet keine Aufarbeitung statt. Und es hat in den letzten drei Jahren außer der akuten Phase in den ersten Monaten 2010, Frühjahr, Sommer, keine Aufarbeitung stattgefunden. Und so, wie es jetzt aussieht, haben die eineinhalb Jahre nur darüber verhandelt, wie die Ergebnisse, die man irgendwann mal erheben will, dann veröffentlicht werden sollen.
Das heißt, zwischen der Ankündigung, wir machen eine Studie, und dem Scheitern lagen eineinhalb Jahre, in denen nichts passiert ist. Das heißt, wir sind tatsächlich zurückgeworfen auf den Sommer 2010 und fangen wieder von vorn an. Und was ich sage, ist, es hat sich damit gezeigt, dass die Kirche, wie jede andere Institution vermutlich auch in der Situation, nicht in der Lage ist, sich selber aufzuarbeiten. Ob jetzt mithilfe von Wissenschaftlern oder nicht, das ist kein Vertrauen, was da entstehen kann. Und deswegen glaube ich, dass die Aufarbeitung, die wir dringend brauchen, nur von außen geschehen kann.
Gessler: Wenn Sie mit anderen Missbrauchsopfern über den Ausstieg aus dem Vertrag mit Professor Pfeiffer reden, fühlen die sich dann verraten?
Katsch: Das ist so eine gemischte Stimmungslage. Ich glaube, sehr viele haben überhaupt kein Vertrauen gehabt in das Vorhaben an sich. Und die sind dann natürlich auch nicht enttäuscht, sondern die fühlen sich nur bestätigt. Diejenigen, die immer eher optimistisch an die Sachen herangehen, so wie ich, die sagen ja tatsächlich, es ist ein Beleg, dass die Kritiker recht gehabt haben, dass es nicht funktioniert, von innen heraus selber sich an die Akten heranzumachen und zu erwarten, dass da dann was an Positivem, an Neuem entstehen oder herauskommen würde.
Diesen Skeptikern oder Kritikern muss ich recht geben, ja, das ist tatsächlich enttäuschend. Im Grunde genommen reiht sich dieses Ereignis jetzt ein in eine Kette der Frustrationen oder Enttäuschungen. Es ist ja nicht nur die kirchliche Aufarbeitung, die versagt hat, sondern all das, was am runden Tisch besprochen wurde, was an Hilfsangeboten entwickelt werden sollte, das ist ja auch nicht realisiert worden. Das, was an Gesetzgebungsvorhaben auf der politischen Ebene beschlossen wurde, ist nicht umgesetzt worden. Also da ist schon sehr viel Wut und Enttäuschung bei Betroffenen da, ja.
Gessler: Die ganzen gesetzlichen Dinge, die hat natürlich die Kirche nicht in der Hand. Da ist eher der Staat der Verantwortliche.
Katsch: Das ist richtig. Deswegen ist es ja auch gut, dass es jetzt diese öffentliche Aufmerksamkeit im Thema Gott sei Dank wieder gibt, und ich hoffe, dass die Diskussion, die jetzt geführt wird, es allen Beteiligten klar macht, dass wir noch mal einen neuen Ansatz brauchen. Dass die Energie, mit der 2010 begonnen wurde, sich dem Thema zuzuwenden, dass wir die nun wieder neu aktivieren müssen. Das betrifft sowohl die Frage der Aufarbeitung als auch die Frage der Hilfe und letztendlich auch die Frage der Entschädigung.
Gessler: Professor Pfeiffer und sein Team wollten ja offenbar auch noch mal mit den Opfern reden über die Taten, die ihnen angetan wurden. Glauben Sie, dass die meisten Missbrauchsopfer das überhaupt wollten?
Katsch: Das Problem, was ich hier gesehen habe, war, dass es offensichtlich ein Forschungsvorhaben im Auftrag der Kirche war, und ich habe Professor Pfeiffer das auch so gesagt: Ich glaube, dass es für viele Betroffene aus diesem Grunde schon schwer gewesen wäre, an diesen Opferbefragungen teilzunehmen. Wenn wir wirklich die Betroffenen zu Wort kommen lassen wollen, dann brauchen wir ein ganz anderes Setting als das, was die Bischöfe und Professor Pfeiffer vorgehabt haben, nämlich eines, wo eine unabhängige Instanz die Betroffenen auffordert, sich zu Wort zu melden, und eine unabhängige Instanz sich auf den Weg macht, zu untersuchen, Akten anzuschauen – und nach Lage der Dinge kann diese Instanz nur aus dem Parlament, aus dem Bundestag heraus agieren, weil sonst gibt es auf nationaler Ebene keine andere Instanz, die einer Institution wie der katholischen Kirche gegenübertreten könnte.
Gessler: Mann könnte ja der Kirche zugutehalten, dass die Kirche bisher die einzige große Institution war, die überhaupt Geld an Opfer gezahlt hat. Überzeugt Sie diese Sichtweise?
Katsch: Keineswegs, weil zunächst mal muss man ja sich angucken, warum die Kirche Geld an Opfer zahlen soll. Das soll sie ja nicht tun aus Mildtätigkeit heraus, sondern weil sie als Institution massiv Verbrechen begünstigt und verheimlicht und vertuscht hat über Jahrzehnte hinweg und Verbrechen ermöglicht hat damit. Und das ist der Grund, warum sie in Anspruch genommen wird für Entschädigungsleistungen. Und wie sie diesem Anspruch gerecht geworden ist, das ist allerdings sehr kritikwürdig, denn sie hat alles getan, um auch in diesem Falle das Verfahren in der Hand zu behalten und von sich aus festzulegen, was es ihr denn wert ist und was sie bereit ist zu zahlen. Sie hat zu keinem Zeitpunkt Bereitschaft signalisiert, mit den Betroffenen darüber zu sprechen oder eine neutrale Instanz, wie das üblich ist bei solchen Streitfällen, entscheiden zu lassen, was angemessen ist und was nicht.
Gessler: Sehnen Sie sich denn manchmal danach nach all diesen Jahren des Kampfes, dass dieser Kampf und dieses Leid, was damit verbunden ist, endlich zu Ende sein könnte?
Katsch: Na ja, ich muss sagen, tatsächlich haben wir 2010 nicht gedacht, dass das so ein Dauerlauf werden würde, wie es sich jetzt entwickelt hat. Andererseits zeigt das Beispiel in vielen anderen Ländern, dass das eben ein langer Weg ist hin zu einer wirklichen Auseinandersetzung, einer wirklichen positiven Lösung auch, eines Abschlusses dieser Verwundungen. Und persönlich muss ich sagen, es ist auch ein Stück ein Prozess der Befreiung gewesen über die letzten Jahre, sodass ich also wohlgemut bin und hoffe, dass wir es schaffen werden, in den nächsten Jahren diesen Aufarbeitungsprozess wirklich jetzt in Gang zu kriegen, weil ich glaube, es gehört zu einer wirklichen Präventionsarbeit, dass man sich der Vergangenheit und den Fehlern, die da gemacht worden sind, offen und ehrlich stellt. Und das ist bisher leider nicht ausreichend geschehen.
Gessler: Die Öffentlichkeit schien bis zum Eklat um die Pfeiffer-Studie langsam ja auch das Interesse an diesem Thema zu verlieren. Verbittert Sie das?
Katsch: Nein, neil ich glaube, dass dies einfach zu den Gesetzmäßigkeiten der öffentlichen Aufmerksamkeit gehört, dass Themen eben nicht beliebig lange im öffentlichen Diskurs sein können. Ich hatte aber keinen Zweifel, dass das Thema deswegen nicht verschwunden ist, weil nicht mehr so laut und so oft darüber gesprochen wird. Denn es geht einfach viel zu viele Menschen an. Es sind viel zu viele Menschen in Deutschland betroffen. Wir sprechen allein im Bereich der katholischen Kirche, wenn wir mal die Zahlen aus zum Beispiel den Niederlanden auf Deutschland hochrechnen von 40.000 bis 80.000 Betroffenen aus den letzten Jahrzehnten. Die haben Familien, Familienangehörige. Das Thema ist viel zu virulent, als dass es von alleine vergehen oder verschwinden würde. Natürlich ist es nicht angenehm, wenn man das Gefühl hat, es wird nicht mehr angemessen darüber nachgedacht, aber ich glaube, wir haben jetzt die Chance, vielleicht auch mit kühlerem Kopf auch als 2010 einen neuen Anlauf zu machen. Und das müssen wir dann jetzt auch tun.
Gessler: Vielen Dank, Herr Katsch!
Katsch: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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