Katholische Kirche

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Kardinäle und Bischöfe bei der Messe zur Amtseinführung von Papst Franziskus in Rom am 19.3.2013
Kardinäle und Bischöfe bei der Messe zur Amtseinführung von Papst Franziskus in Rom am 19.3.2013 © dpa / picture alliance / Riccardo Antimiani / Eidon
Von Norbert Copray · 01.12.2014
Jeden Sonntag stehen Menschen nebeneinander in der Kirche, die ganz Verschiedenes glauben, meint der Philosoph Norbert Copray. Eine explosive Gemengelage, denn der Pluralismus erzeugt innere Spannungen.
Aus Distanz sieht der Katholizismus immer noch recht monolithisch aus, wie ein großes Ganzes, wie ein Block, ein schwarzer Block. Aus der Nähe zeigt sich der katholische Block als ein unübersichtliches Gewebe.
Es besteht aus hunderten, tausenden, hunderttausenden Haupt-, Teil-, Unter- und Nebenströmungen - in noch einmal zig Gemeinden, Bistümer, Provinzen und Gruppen. Kein Wunder, unter mehr als 1,3 Milliarden Katholiken. Ohne Substruktur kann ein soziales Gebilde dieser Größe gar nicht existieren.
Mehr noch: Die katholische Landschaft ist seit Mitte der 1960er-Jahre von einem heftigen Pluralisierungsschub erfasst worden, wie er für Modernisierungsprozesse typisch ist. Und dadurch geraten die vielen Strömungen zueinander in Gegensatz und in erbitterten Kampf.
Vielfalt überwindet das Uniforme
Eine komplexe Struktur wurde von einem dynamischen Prozess erfasst. Vielfalt überwindet das Uniforme, verändert einen Katholizismus, wie er in den Augen vieler Menschen Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang bestanden hat. Von esoterisch angehauchter Spiritualität über eine sozial-liberale Haltung bis hin zu traditionell dogmatisch fixierter Riten- und Formelgläubigkeit ist alles vorhanden, was an Bandbreite überhaupt denkbar ist.
Wenn die römisch-katholische Kirche trotzdem monolithisch erscheint, rührt dies allein daher, dass sie nicht föderal, sondern zentral organisiert ist, vom Papst und dem Vatikan repräsentiert wird. Gerade der agile Franziskus lenkt die Aufmerksamkeit wieder sehr auf diese Konfession und ihre Zentrale. Daneben werden andere Kirchen kaum noch wahrgenommen.
Austritte und innere Spannungen
Das Aufbrechen des Monoliths geht in zweierlei Richtung. Zum einen in eine explosive Richtung. Liberal-kritische Reformer treffen auf fundamental-hierarchisch-klerikal fixierte Traditionalisten. Ihre Kontroverse konnte auf der jüngsten Familiensynode im Vatikan nur mit Mühe kaschiert werden.
Zum anderen geht es in eine implosive Richtung. Kirchenmitglieder treten aus oder verschwinden lautlos aus dem Gemeindeleben. Mal sind sie von sexuellen Missbrauchsfällen angewidert, mal empört über das Amtsverständnis eines Bischofs wie Tebartz-van Elst, oder ihr Lebensgefühl löst sich vom Katechismus des Lehramtes.
So stehen Menschen nebeneinander in der Kirchenbank, die ganz Verschiedenes glauben, was gar nicht auf einen Nenner zu bringen ist. Und das gibt es sogar innerhalb einer Person: Brüche, Widersprüche, Deformiertes, Anachronistisches im individuellen Glauben.
Der Katholizismus mutiert zu Katholizismen
Was ist der nächste Prozessschritt in diesem Umbruch? Die Spannungen zwischen Modernisierungsverweigerern und Traditionsorientierten werden zunehmen. Solange die Zentrale institutionelle Einheit bewahren kann, bleibt es beim Patt. Lehre und Hierarchie stagnieren, explosive Gemengelagen nehmen zu - oben Verkrustung, unten expressiver Druck.
Wer dem ausweichen möchte, geht entweder in die Distanz oder baut sich mit Versatzstücken ein Glaubensportfolio aus katholischen, evangelischen, charismatischen und nichtchristlichen Mosaiksteinen.
Aus dem Monolith katholische Kirche ist längst ein Mosaik geworden: individuell und sozial. Der Katholizismus mutiert zu Katholizismen. Auf das Mosaik wird das weitläufige Netzwerk folgen, durchzogen von roten Fäden.
Noch stemmen sich Papst, Glaubensbehörde und Reformblockierer dagegen. Doch diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten, höchstens zu kaschieren oder zu leugnen. Das aber verschärft die Spannungen und beschleunigt den Prozess.
Norbert Copray, geboren 1952, ist Philosoph, Diplomtheologe, Sozialwissenschaftler und Journalist, Gründer und Direktor der Fairness-Stiftung sowie Herausgeber und Gesellschafter von "Publik-Forum". Er leitet seit 1977 das Rezensionswesen von "Publik-Forum" und arbeitete als Autor zahlreicher Bücher und Artikel. Als Coach und Berater begleitet es Führungskräfte, Teams und Organisationen.
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Norbert Copray ist Philosoph, Diplomtheologe, Sozialwissenschaftler und Journalist. © privat
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