Theologe Bogner über die katholische Kirche

Ein monarchistisches System ohne Kontrolle

14:03 Minuten
Eine mittelalte Frau schwingt lachend riesige goldene Flügel und stellt sich damit als einen "Schutzengel" dar.
Ein "Schutzengel" beim Katholikentag in Stuttgart: Hilft sie einer Kirche in Bedrängnis? © picture alliance / dpa / Marijan Murat
Daniel Bogner im Gespräch mit Sandra Stalinski |
Audio herunterladen
Die katholische Kirche muss ihre Strukturen von Grund auf reformieren, sonst ist sie nicht mehr zu retten, meint der Theologe Daniel Bogner. Sie sei ein totalitäres System, das mangels Kontrolle Missbrauch und dessen Vertuschung möglich mache.
"Die Kirche muss sich grundständig ändern und verändern, damit das, was ihr wichtig ist, zu retten ist", fordert Daniel Bogner. Er ist Professor für theologische Ethik an der Universität Fribourg in der Schweiz und Autor des 2019 im Herder Verlag erschienenen Buches "Ihr macht uns die Kirche kaputt – doch das lassen wir nicht zu!"
Sein Urteil steht fest: "Die Kirche in der Gestalt, wie sie heute existiert, ist nicht zu retten."
Beim Thema Missbrauch sei die grundlegende Frage, was die systemischen Ursachen für sexualisierte Gewalt seien. Das sei die Wurzel, der man sich widmen müsse:
"Strukturen, Regeln, Funktionsweisen, auch Mentalitäten in der Kirche, die letztlich der tiefste Grund dafür sind, dass so eine Kultur, in der sexualisierte Gewalt möglich wurde, auch von den Kirchenmitgliedern zugelassen werden konnte, sich ausgebreitet hat." Da müsse die Kirche insgesamt ein ziemlich dickes Brett bohren, sagt Bogner.

Systematische Vertuschung

Es brauche dabei institutionelle Regularien, die es in der Kirche unmöglich machen, "dass man mit bestimmten Dingen durchkommt". Übergriffe und Verletzungen geschähen zwar quasi in allen gesellschaftlichen Feldern, in Schulen, im Sport, in Familien und Vereinen. Der zweite Skandal bei der Kirche sei aber, dass der Missbrauch auch noch systematisch vertuscht worden sei.
"Da trägt die Kirche eine enorme institutionelle Verantwortung, da muss sie ran."
Das Vertuschen habe sehr viel damit zu tun, dass die Kirche ein monarchistisches System sei, meint Bogner: "Dass sie nicht Mechanismen von Machtkontrolle erkennt, wie wir sie in unserer politischen Welt längst als völlig selbstverständlich kennen und praktizieren."
Da müsse die Kirche, deren institutionelles Gerüst sich seit der Spätantike entwickelt habe, viel nachholen, womit sie sich sehr schwertue.
Daniel Bogner nennt die Stichworte Teilhaberechte, verbindliche Mitsprache, Kontrolle, Gewaltenteilung: "In der Kirche ist ein Bischof auf der Diözesanebene oder der Pfarrer auf der Pfarreiebene ein Monarch, im besten Falle ein guter Monarch, der seine Macht nicht ausnutzt."
Es gebe jedoch keine verbindlichen Mechanismen, wie man ihm bei Fehlverhalten in die Arme fallen könnte. Das sei eine jahrhundertelang gewachsene Kultur, die theologisch-religiös-spirituell gerechtfertigt und überhöht werde: "Wie wollte man einen, der Repräsentant Christi ist, jetzt kontrollieren? Der kann doch gar nicht anders als richtig handeln!"

Tief verankerter Gehorsam

Dies habe nicht nur bei den Akteuren ein Bewusstsein ("Ich habe die Vollmacht") geprägt, sondern – und das sei vielleicht noch verhängnisvoller – es habe auch bei den Kirchenmitgliedern einen vorauseilenden Glaubensgehorsam geweckt: "Die tun das schon richtig. Es gehört sich ja auch nicht, hier streng zu kontrollieren."
Gegen diese Kultur, die tief theologisch und auch im Glaubensgefühl der Leute verankert sei, müsse man anarbeiten – eine längere Aufgabe, glaubt Bogner.
In der Kirchenverfassung müssten die Regeln der "monarchistischen Struktur" radikal infrage gestellt werden, fordert der 1972 geborene Theologe, also das Verhältnis von Laien zu Klerikern, von Geweihten zu Nicht-Geweihten und natürlich auch das Geschlechterverhältnis:

Die Kirche redet ja von der Menschenwürde aller, das ist zentraler Kern ihrer Botschaft. Im eigenen Betrieb praktiziert sie aber eine Spezialwürde für Frauen, denen bestimmte Aufgaben zugewiesen werden: dienend, Kirchen schmückend, zuarbeitend, Katechese für die Kinder machend.

Daniel Bogner, Theologe

Männer hingegen würden geweiht und hätten dann Ordnungsgewalt, Leitungsgewalt, Steuerungsgewalt. "Solange der Handlungsrahmen so strukturiert ist, ist es für die Akteure, egal an welchem Ort, unglaublich schwer, substanziell etwas zu bewegen."
Die große Reform erwartet Bogner aber nicht von Rom, das heißt der Weltkirche. Verschiedene Ströme müssten zusammenfließen wie beim Fall der Berliner Mauer 1989. Selbst Bischöfe hätten ja beim Katholikentag ihre Hoffnung auf den Druck der Basis, der Gemeinden geäußert. Die Laien hätten viel zu lange erlaubt, dass sich dieses System so etablieren konnte, konstatiert Bogner.
"Sie haben etwas in der Hand, den Druck von unten, zu sagen: Nein, wir machen es so nicht mehr mit, wir lassen es euch nicht mehr durchgehen." Das sei besser, als "den Laden zu verlassen", denn dann habe man keine Möglichkeit mehr, Einfluss zu nehmen.

Die Kirche als totalitäres System

Die Kirche, resümiert Bogner zuspitzend, sei ein wenig so etwas wie "ein wohlwollend totalitäres System" als Monarchie. Totalitär, weil die Handlungskompetenz an ganz ausgewählten Positionen nur festgemacht werde und alle Beteiligung nur zugelassen, geduldet sei.
Und wohlwollend, weil die Kirche eine ganz wertvolle Botschaft habe und eine lebendige, dynamische Bewegung auch wieder beim Katholikentag zu erleben gewesen sei. Diese Ressourcen müssten aktiviert werden, um den erstarrten Handlungsrahmen porös zu machen und die Institution katholische Kirche zu öffnen.
(cre)
Mehr zum Thema