"Die Kirche ist jetzt schon eine andere"
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Der Missbrauchsskandal hat die katholische Kirche in eine tiefe Krise gestürzt. Im Gesprächsformat "Synodaler Weg" soll nun die innerkirchliche Debatte vertieft werden. Die Theologie-Professorin Dorothea Sattler setzt auf Reformen.
Kirsten Dietrich: In Frankfurt am Main haben seit Donnerstag 230 Katholiken und Katholikinnen zusammengesessen, um über die Zukunft ihrer Kirche zu beraten. Nicht irgendwelche Katholikinnen natürlich, sondern die, die in ihrer Kirche wirklich etwas verändern können, weil sie diejenigen sind, die die Entscheidungen treffen, als Bischöfe. Oder weil sie sich als sogenannte einfache Gläubige über ihre Gemeinde hinaus engagieren, zum Beispiel im Zentralkomitee der deutschen Katholiken oder anderen Verbänden.
Es ging um die entscheidende Frage, seit vor zehn Jahren endlich die öffentliche Aufdeckung des umfassenden Missbrauchs durch kirchliche Amtsträger begann: Was sind die Konsequenzen? Und zwar über die direkten Betroffenen und Täter hinaus. Wenn die katholische Kirche ernst nimmt, dass Missbrauch möglich wurde, weil sie eben so ist, wie sie ist – und nicht nur, weil einzelne falsch gehandelt haben, dann kann man eigentlich nicht so weitermachen wie bisher. Aber weil das mit der Veränderung schwer ist, und in einer Kirche mit Ewigkeitsanspruch noch mal schwerer, hat es eben zehn Jahre gedauert, bis jetzt geweihte Amtsträger, Bischöfe, und die Vertreter der Basis ans Eingemachte gehen. Sie reden über Macht, über das Priestersein, über Frauen in der Kirche und über Sexualität.
Sie wollen nicht nur reden, sondern auch zu Beschlüssen und Änderungen kommen, das fordert zumindest die Basis. "Synodaler Weg" heißt diese riesige Debatte, in den letzten Tagen hat sie begonnen – und ob das ein guter Start war, das soll uns jetzt Dorothea Sattler erzählen, Theologieprofessorin an der Universität Münster. Ihre Furcht vor der Versammlung war, dass die unterschiedlichen Positionen zu weit weg für ein vernünftiges Gespräch sind. Ihre Hoffnung, dass trotzdem eine vernünftige Auseinandersetzung zustandekommt. Was hat gewonnen, Frau Sattler, Hoffnung oder Befürchtung?
Dorothea Sattler: Gewonnen hat auf jeden Fall der Austausch. Wir hatten sehr viele Wortmeldungen, die konnten dann nur in knapper Zeit aufgerufen werden. Es gibt ganz viel Partizipation, ganz viel Bereitschaft, sich zu äußern. Gewonnen hat auf jeden Fall die Wahrnehmung, dass es Austausch gibt.
Neue Intensität der Debatte
Dietrich: Nun gab es solche Dialogprozesse, auch zwischen Bischöfen und Laien, in der katholischen Kirche in den letzten zehn Jahren ja schon öfters. Ohne wirkliche konkrete Ergebnisse. Das in Frankfurt, dieser Synodale Weg, der sollte etwas anderes sein. War er das auch?
Sattler: Ja, das war es. Wir haben doch sehr intensiv aufeinander gehört. Das ist anders als etwa bei dem Gesprächsprozess, beim letzten hat die Bischofskonferenz die Personen benannt. Jetzt ist es paritätisch in der Einladung, und es sind viele weitere dazugekommen. Es ist durchaus auch in der Leitung verändert. Und es sind auch andere Themen, vor allem kritische Themen auf der Tagesordnung gewesen und sie werden es weiterhin sein.
Dietrich: Das heißt, über diese Themen wie Macht und Teilhabe oder auch priesterliches Leben ist vorher so noch gar nicht diskutiert worden?
Sattler: In dieser Intensität mit ganz konkreten Fragen nicht in der Form wie in Frankfurt.
Dietrich: Auf der Tagesordnung stand in Frankfurt erstmal die Tagesordnung. Das wirkt von außen betrachtet ein bisschen absurd: In der Kirche wackeln die Grundfesten, und man diskutiert darüber, wer welche Zwei-Drittel-Sperrmehrheiten haben kann.
Sattler: Ja, das kann ich gut nachvollziehen, und viele von uns hätten sich auch gewünscht, dass wir mehr Zeit haben für die inhaltlichen Themen. Ich denke aber an der Stelle, dass diese strukturellen, institutionellen Fragen Teil des Themas sind. Wer hat Macht, wer hat Autorität, wer bestimmt die Tagesordnung? Insofern ist die Debatte über die Geschäftsordnung auch ein Teil der Analyse der Problematik in der römisch-katholischen Kirche. Von daher habe ich das gerne mitgemacht, und wir haben gute Ergebnisse erzielt. Ich meine, diese Geschäftsordnungsdebatte war auch im Ergebnis wichtig.
Dietrich: Das heißt, es ist sinnvoll, dass jetzt nicht nur die Bischöfe zu zwei Dritteln einem Beschluss zustimmen müssen, damit der gültig wird, sondern dass auch alle anwesenden Frauen – die sind nicht Bischöfe – auch zu zwei Dritteln zustimmen müssen?
Sattler: Auf Antrag kann das eingefordert werden, ein eigenes Votum der Frauen bei bestimmten Fragen. Es gibt die Möglichkeit, über die Geschäftsordnung einen entsprechenden Antrag zu stellen. Das ist gelungen.
Die Missbrauchsopfer standen nicht im Zentrum
Dietrich: Es gab den Vorwurf von vom Missbrauch Betroffenen, dass bei dieser Versammlung die Täter untereinander über die Konsequenzen reden, bevor die Betroffenen eigentlich wirklich gehört wurden und vor allem auch, bevor sie wirklich entschädigt wurden. Ist das ein berechtigter Vorwurf?
Sattler: Ich bin da sehr zurückhaltend in jedem Urteil. Wir hatten in der Versammlung unterschiedliche Stimmen. Wir hatten Stimmen, die davor gewarnt haben, etwa die Opfer so zur Sprache bringen zu wollen, wie sie es vielleicht selbst gar nicht möchten. Es war eine hohe Bereitschaft zur Sensibilität in dieser Frage gegenwärtig in der Versammlung.
Ich denke, dass auch an anderen Stellen – Bischof Ackermann hat das deutlich betont – diese Frage noch einmal aufgenommen wird. Das ist letztlich nicht eine Thematik dieser Versammlung, des Synodalen Weges, das ist noch mal davon gesondert. Das hat ja auch den Hintergrund, dass die institutionelle Seite der Römischen Kirche an dieser Stelle ihre Eigenverantwortung wahrnimmt und die Frage, inwieweit die gesamte römisch-katholische Christenheit in Deutschland davon betroffen ist, auch noch mal eigens zu thematisieren ist. Die Bischöfe nehmen an dieser Stelle auch ihre Eigenverantwortung wahr, und das haben wir gutgeheißen.
Nachdenken über das Priesteramt für Frauen
Dietrich: Dieses Reden über die inhaltlich notwendigen Konsequenzen wurde aufgedröselt in vier Bereiche, es ging um Macht und Teilhabe, um priesterliches Leben, um Frauen und Amt und um gelingende Sexualität. Sie waren verantwortlich in der Vorbereitung für das Thema Frauen und Amt. Was nehmen Sie denn an inhaltlichen Impulsen, an inhaltlichem Gewinn durch die Diskussion jetzt in Frankfurt bei der Versammlung mit?
Sattler: Ich nehme sehr viel mit. Ich nehme vor allem die Wahrnehmung mit, dass die allermeisten Wortmeldungen nach unserer Vorstellung der bisherigen Dokumente sich auf diese Frage bezogen haben, mit sehr hohem Engagement. Das hat mich sehr berührt und ermutigt mich für die Fortsetzung dieser Aufgabe, einfach zu schauen, wie Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche auf Zukunft hin besser beteiligt werden könnten. Es war eine sehr gute Atmosphäre.
Es gab an der Stelle eigentlich wenig Kontroverse, viel Zustimmung zu den Grundanliegen und vor allem Zustimmung zu der Perspektive, dass wir sowohl die Frage aufnehmen, wie heute schon in den Rahmenbedingungen des gegenwärtigen Kirchenrechts Frauen in Leitungsdiensten stärker beteiligt sein könnten. Und zugleich sind wir auch ermutigt worden, auch die Grundfragen der Theologie, ob Frauen nicht auch im sakramentalen Dienstamt, als Priester und Bischöfe und als Diakoninnen beteiligt werden können, intensiv aufzunehmen. Beide Themenbereiche sind wichtig. Und zu beiden Themenbereichen sind wir intensiv ermutigt worden.
Dietrich: Aber ist dann, wenn es um Frauen und Priesteramt geht, nicht sofort das Ende der Diskussion da, weil das so ein Reizthema ist und weil es eine Blockade auslöst, weil man sagt: Das erlaubt Rom sowieso nicht, sodass man gar nicht zu konkreten Veränderungen kommt?
Sattler: Nein, das war überhaupt nicht die Stimmung. Das Geschehen war auch begleitet von viel Gebet und Gesang, schon auf dem Weg der Synodalen hin zu der ersten Versammlung und dann in der Nacht im Dom, mit ständigem Gebet. Es gibt Frauen und Männer – es waren ja nicht nur Frauen versammelt – die das Ende der Debatte gar nicht sehen und anders handeln. Und auch in der ganzen Versammlung war nirgendwo spürbar ein "Darüber dürfen wir nicht sprechen, das ist nicht sinnvoll oder zielführend". Das war überhaupt nicht die Atmosphäre, von daher gehen wir das erstmal vertrauensvoll an.
Schweigende Mehrheit wartet auf Reformen
Dietrich: Aber was schon deutlich zu hören war, dass es in dieser Versammlung zwei große, sich gegenüberstehende Fraktionen gibt. Die einen sagen, die katholische Kirche kann so nicht mehr funktionieren. Die anderen sagen, wenn wir an unseren Normen rütteln, dann wird die Kirche gar nicht mehr als Kirche erkennbar sein.
Sattler: Ja, das war spürbar, auch in der Versammlung, und war in den Redebeiträgen durchaus ausgeglichen. In den Abstimmungsergebnissen ist aber auch sehr deutlich geworden, dass die weithin auch schweigende Mehrheit dann doch der Überzeugung ist, dass Reformen anstehen. Wir hatten nahezu durchgehend Prozentzahlen in den Abstimmungsergebnissen, die deutlich gemacht haben, dass in der Regel unter zehn Prozent der Anwesenden sich zögerlich zeigen oder kritische Anfragen haben. In aller Regel waren 80 bis 90 Prozent für die Themen und dass sie aufgenommen werden.
Dietrich: Wird wirklich was damit, dass am Ende dieses Prozesses, der auf zwei Jahre angelegt ist, wirklich Beschlüsse gefasst werden, die Veränderung in der katholischen Kirche in Deutschland bringen?
Sattler: Ja, das ist das klare Ziel und auch die gemeinsame Perspektive. Wir wollen Beschlüsse, die eine deutliche Veränderung anzeigen. Es gibt ja Bereiche, in denen die Ortsbischöfe dann in ihrem Rechtsbereich auch Veränderungen erwirken können. Solche sind natürlich erstmal zu identifizieren. Ich bin aber auch tiefgehend der Überzeugung, dass es wichtig ist, diesen Prozess so zu gestalten, dass auch die Themen wichtig genommen werden, bei denen wir jetzt erstmal sondieren, beraten und dann später vielleicht, in der Kirchengeschichte, sehen, was daraus wird.
Ich geh noch mal zurück auf meine Thematik, Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche: Dass ich allein in den letzten Monaten erlebt habe, dass Bischöfe zuhören und natürlich auch die anderen zuhören, dass wir gelten lassen, was andere Positionen sind, und dass wir einfach gemeinsam schauen, wie eine wissenschaftlich-theologische Argumentation in dieser Thematik überhaupt gelingen könnte, allein das macht mich schon hoffnungsfroh. Allein deshalb hat es sich schon gelohnt, diesen Weg einzugehen. Und dann schauen wir, wie es weitergeht. Ich denke, es ist ein sehr guter Weg, dieser Synodale Weg.
"Der Synodale Weg schützt mich"
Dietrich: Sie haben aber – um noch mal ein bisschen Wasser in den Wein zu gießen – erlebt, dass Sie ganz persönlich für Äußerungen zur Männlichkeit und Weiblichkeit im Gottesbild, die für meine zugegebenermaßen nicht-katholischen Ohren sehr plausibel und gar nicht gotteslästerlich klingen, ein Verfahren vor der Glaubenskongregation angehängt bekommen.
Sattler: Ja, das ist der Fall. Nun habe ich aber auch Fürsprecher. Von daher ist auch deutlich geworden, auch in diesem Geschehen, dass ich nun weder die Erste noch die Einzige bin, die sich entsprechend äußert. Insofern schützt mich dieser Synodale Weg auch vor der Möglichkeit, mich als Einzelpersönlichkeit zu sanktionieren. Wir sind eine Gemeinschaft an dieser Stelle. Und wir fordern auch entsprechende Qualität in der Argumentation ein.
Dietrich: Dieser "gute Weg", der jetzt beschritten werden soll, ist auf zwei Jahre angelegt. Was wäre für Sie ein befriedigendes Ergebnis am Ende – ein Schuldbekenntnis? Frauen am Altar? Spekulieren Sie mal!
Sattler: Gar nicht leicht. Ich blicke erstmal auf den Beginn und wünsche mir noch mal in verstärktem Maße ein vertrauensvolles Miteinander. Nicht nur die Frage, was wir besprechen, sondern wie wir die Themen besprechen, scheint mir wichtig zu sein. Auch als Zeugnis nach außen. Das wirkt vielleicht als zu wenig, aber im internen römisch-katholischen Kontext in Deutschland ist es wichtig, dass wir Vertrauen zueinander behalten und das auch entsprechend gestalten.
KOnkrete Veränderungen sind denkbar
In der konkreten Frage, was denn sich verändern kann, kann ich mir sehr gut vorstellen, das steht auch in unseren Texten, dass Frauen und Männer, die nicht am ordinierten Amt teilnehmen, also Laien, in dieser etwas schwierigen Sprachgestalt, dass ausgebildete Theologinnen und Theologen das Wort Gottes, das Evangelium, verkündigen können auch in der Eucharistiefeier. Eine solche Möglichkeit scheint mir gut gegeben.
Es zeichnet sich ab, dass wir über die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare miteinander anders sprechen als dies vor Zeiten möglich war. Es zeichnet sich auch ab, dass wir im Bereich der Finanzen, also der Verantwortung in der Verteilung der Kirchensteuermittel, noch mal andere Formen wählen in der Mitverantwortung von Laien.
Es gibt einzelne Bereiche, in denen ich mir ganz kurzfristig auch konkrete Veränderungen vorstellen kann. Wichtig ist mir aber auch, dass hier ein Synodaler Weg in der römisch-katholischen Kirche eingeübt wird, der nicht zu Ende geht mit zwei Jahren, sondern der eine wichtige, auch geistliche Form bildet, die wegweisend sein kann für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche, auch über die zwei Jahre hinaus.
Dietrich: Das heißt, so oder so wird die katholische Kirche danach eine andere sein?
Sattler: Ja. Sie ist jetzt schon eine andere, einfach durch die Begründung und Zustimmung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, dieses Vertrauen, das wir zueinander gefunden haben. Sie ist jetzt schon verändert, wir gehen miteinander diesen Weg und verantworten natürlich auch die Ergebnisse. Und wir müssen schauen, dass wir an dieser Stelle auch geeignete Wege finden, uns auch in der medialen Wirklichkeit, in der Kommunikation so zu präsentieren, dass eben nicht der Eindruck ensteht, dass wir gegeneinander stehen.