"Zukunft ist eher wie so ein verschmiertes Ding"
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Wie wollen wir zukünftig leben? Das ist die zentrale Frage des Zukunftsmuseums "Futurium", das heute feierlich eröffnet wird. Unter anderem mit Kathrin Passig. Sie sagt: Die meisten Zukunftsvisionen sind eigentlich Beschäftigungen mit der Gegenwart.
Dieter Kassel: Ab heute gibt es in Berlin einen Ort der Zukunft. Denn genau das will es sein: das Futurium. Was es genau sein will, erfahren wir von Landeskorrespondent Dieter Nürnberger.
Dieter Nürnberger: Wie wollen wir leben? Dieser programmatische Leitspruch passt natürlich nur bedingt zu einem Museum, denn dort wird üblicherweise eher über Vergangenes reflektiert. Doch wie lässt sich die Zukunft abbilden? Das Futurium in Berlin ist deshalb mehr als eine Ausstellungsfläche, es ist auch ein Forum für Debatten und nicht zuletzt ein Ort für Erfahrbares, ein Labor, in dem Zukunftstechniken ausprobiert werden können. Dieser konzeptionelle Dreiklang soll es auch von anderen Ausstellungsorten, die sich der Zukunft verschrieben haben, unterscheiden. Wobei es die eine Zukunft ohnehin nicht gibt, sagt Stefan Brandt, der Gründungsdirektor des Futuriums, weshalb es sich auch "Haus der Zukünfte" nennt.
Stefan Brandt: Wir sind offen für sehr unterschiedliche Zukunftsvorstellungen, Zukunftsvisionen, Zukunftsideen, die ja in vielen Köpfen gedacht werden, und es ist wichtig, dass sie aus diesen Köpfen auch rauskommen und miteinander geteilt werden, diskutiert werden, auch durchaus im Streit. Insofern möchten wir diese Zukünfte erlebbar, erfahrbar machen, denn wir wissen ja heute noch nicht, welche von diesen Zukünften vielleicht mal später tatsächlich Teil der Zukunft werden.
Lösungen für die klimaneutralere Stadt
Nürnberger: Schritt für Schritt Zukünfte entdecken – Stefan Brandt hofft auf positiv überraschte Besucher, etwa wenn sie Installationen sehen, die eine Steuerung mit bloßer Hirnaktivität ermöglichen, eine Interaktion von Mensch und Maschine dank künstlicher Intelligenz. Künftig könnte dies vor allem Menschen mit eingeschränkter Mobilität helfen. Das Veranstaltungsprogramm für die ersten drei Monate steht. Ein Schwerpunkt wird der Klimawandel sein. Das Futurium ist Veranstalter des Klimaton 2019.
Brandt: Bei dem sich viele Menschen treffen und 24 Stunden lang an Lösungen arbeiten, wie Berlin klimaneutraler werden kann. Und das Format findet weltweit in über hundert anderen Städten auch statt, und da spürt man, dass man Teil eines globalen Ganzen ist.
Nürnberger: Der Mensch als gestaltende Kraft auf diesem Planeten: Das bringt nicht nur technischen Fortschritt, sondern wird auch von Eingriffen in die Natur begleitet. All diesen Fragen wird sich das Futurium stellen – wissenschaftsbasiert und durchaus auch experimentell. Stefan Brandt propagiert ein offenes Ohr für Fantasien und Utopien – ein Motto für die Macher des Futuriums und ebenso für die Besucher.
Erstmal an die Gegenwart gewöhnen
Kassel: Zukunftsversionen werden in vielen Köpfen erdacht – diesen Satz haben wir ja gerade gehört vom Gründungsdirektor des Futuriums, Stefan Brandt. Und einer dieser Köpfe gehört Kathrin Passig. Sie sitzt nämlich heute Abend als – so ist das angekündigt – Denkerin über das digitale Zeitalter auf einer Podiumsdiskussion, die zu dieser großen Eröffnung gehört, und wir wollen mit ihr reden. Sie bezeichnet sich übrigens gerne – ich darf das mal zitieren, und Sie dürfen es auch sofort bestreiten, wenn es nicht stimmt, aber ich glaube, Sie bezeichnen sich am liebsten schlicht als Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin. Ganz spontan eine Antwort: Wann beginnt für Sie Zukunft – in einer Minute, morgen oder in ein paar Jahren?
Passig: Zukunft ist eher wie so ein verschmiertes Ding, ganz schwer von der Gegenwart und der Vergangenheit zu trennen. Ich werde öfter zu Veranstaltungen eingeladen, die Zukunft irgendwie im Titel haben, und tatsächlich geht es da dann bestenfalls um die Gegenwart, meistens eigentlich um Dinge, die schon sehr, sehr alt sind. Es dauert einfach eine Weile, bis man sich auch nur an die Gegenwart gewöhnt hat. Es ist ja auch nicht gleichmäßig verteilt, das, was für den einen längst Gegenwart ist, ist für den anderen erst in 15 Jahren Thema.
Kassel: Das klingt sehr nach Technik, das gilt wahrscheinlich auch für alle anderen Sachen, aber es bezieht sich, glaube ich, ein bisschen schon auf Technik. Da würde ich vielleicht bei manchen Sachen sagen, wo Sie sagen, ihr macht das schon nicht mehr, ist zu altmodisch. Haben Sie da ein paar Beispiele für das, was Sie gerade gesagt haben?
Passig: Ja, also ich schreibe ja seit fünf Jahren zusammen mit ganz vielen anderen Leuten für einen Blog namens "Techniktagebuch", und da geht es eben um die Veränderungen im Alltag, weil wir festgestellt haben, man muss das sofort aufschreiben. Wenn man das nicht sofort macht, dann ist es zu spät, dann weiß man schon wieder nicht mehr, wie man vor fünf Jahren eigentlich irgendwas jemals bewerkstelligt hat. Da geht es ganz oft um solche Dinge, auch innerhalb der Redaktion, dass jemand was erzählt, was für ihn Alltag ist und für alle anderen ist es Zukunftsmusik oder umgekehrt.
Internet nur übers Handy
Ich versuche ja, seit es das "Techniktagebuch" gibt, die Redaktion davon zu überzeugen, dass ich meiner Zeit voraus und nicht hinterher bin, weil ich noch nie Internet, also Kabelinternet zu Hause hatte. Bei mir kommt das Internet seit 2007 aus dem Handy, und vorher hatte ich eine Weile keins, und davor hatte ich Modems. Ich habe praktisch diesen Schritt mit dem DSL übersprungen. Darüber lachen immer noch alle und sagen, eines Tages werde ich das einsehen und mir einen DSL-Anschluss legen lassen. Aber ich bin zuversichtlich, dass die Zukunft da auf meiner Seite ist.
Kassel: Aber wenn wir mal dieses Grundphänomen, was ich da bei Ihnen glaube erkannt zu haben, sehen, dass eigentlich das, was wir Beschäftigung mit der Zukunft nennen, Beschäftigung mit der Gegenwart ist und so ein bisschen auch mit Vergangenheit, würden Sie umgekehrt sagen, so richtig mit Zukunft beschäftigen kann man sich gar nicht?
Passig: Zukunft ist ja immer ausgedachte Zukunft. Ich versuche mich immer zu weigern, man kriegt – und ich verstehe das, ich würde das als Journalistin auch machen –, man kriegt ja auch oft Aufforderungen zu sagen, wie man sich die Zukunft in hundert Jahren vorstellt. Und wenn man durchliest, was andere Leute vor hundert Jahren oder vor 200 auf diese Frage geantwortet haben, ist das Ergebnis meistens albern und peinlich, deshalb sträube ich mich da immer. Entschuldigung, darüber habe ich jetzt Ihre Frage vergessen.
Kassel: Die Frage war ganz simpel: Eigentlich haben Sie mit dem Schlusssatz "deshalb sträube ich mich da immer" die Frage beantwortet, ob es überhaupt möglich ist, sich wirklich mit der Zukunft zu beschäftigen und nicht nur aus der Gegenwart ein bisschen nach vorne zu schauen.
Passig: Ich glaube, es wäre schon viel damit gewonnen, sich überhaupt mal mit der Gegenwart zu befassen. Ich sehe schon ein, dass Futurium besser klingt als Präsentium oder Präterium, aber ein Ort, an dem man einfach noch mal bereit ist, sich mit der Gegenwart zu befassen, fände ich auch eine ganz nützliche Sache.
Woher die Angst vor der Zukunft kommt
Kassel: Das Interessante ist – ich weiß nicht, ob Sie das auch so sehen –, das Interessante ist, dass ich oft das Gefühl habe, auch bei intelligenten, aufgeschlossenen Menschen, dass sie immer eher davon ausgehen, dass in der Zukunft irgendetwas mindestens komplizierter, wenn nicht sogar generell schlechter, schlimmer wird als in der Vergangenheit. Real, ich meine, Vergangenheit und Gegenwart kann man natürlich ein bisschen überblicken, da gibt es Daten, da gibt es Aufzeichnungen. Es stimmt ja so nicht, es stimmt generalisierend auf keinen Fall, aber so ein bisschen auch Angst vor der Zukunft, können Sie erklären, woher das kommt?
Passig: Ich hab da auch lange drüber nachgedacht, warum es immer gleich so ein großes Gezeter gibt, wenn man eine harmlose Veränderung passiert wie, es stehen Elektro-Tretroller auf den Gehwegen, die da gestern noch nicht waren. Ich glaube, Veränderungen sind einfach generell unbeliebt, weil sie mühsam sind und einen so ein bisschen aus den Routinen rausschubsen, und man muss dann einen Schritt zur Seite gehen vielleicht, um diesen Roller herum, der da gestern noch nicht war. Man muss nachdenken, als hätte man nicht schon genug damit zu tun, über die Sachen nachzudenken, die man sowieso schon auf der Tagesordnung hat.
Also, ich glaube, erklärungsbedürftig ist eher, warum manchmal Veränderungen doch vielleicht nicht freudig, aber zumindest gelassen angenommen werden. Das kommt ja auch hin und wieder vor, aber ich wollte noch was sagen zu Ihrer Anmerkung von vorhin, dass ja gar nicht alles immer schlechter wird: Ich glaube, aus der Sicht der Vergangenheit sieht das schon so aus. Ich habe auf dem Weg hierher drüber nachgedacht, wie das wohl für jemanden von vor hundert Jahren aussehen würde, dieser Weg hier. Ich glaube, das wäre schwer, sofort zu erkennen, dass es sich um eine in vieler Hinsicht angenehmere Zukunft handelt. Dass Antibiotika erfunden worden sind, sieht man ja nicht am Straßenbild, man sieht die vielen Autos, die da rumstehen.
Gut, dass es noch keine Zeitmaschinen gibt
Kassel: Ich finde übrigens – darauf bringen Sie mich jetzt gerade mit dem, was Sie jetzt gesagt haben – etwas ganz interessant: Sie arbeiten doch gerade an einem Handbuch für Zeitreisende, das, glaube ich, in ein paar Wochen oder spätestens Monaten rauskommen wird. Soweit ich informiert bin, beschäftigen Sie sich da ausschließlich mit Reisen in die Vergangenheit. Nun sind Sie ja in dem Fall als Schriftstellerin, Sie können ja alles erfinden, was Sie wollen. Würden Sie aber, wenn es Zeitmaschinen wirklich gäbe, auch selber gar nicht in die Zukunft reisen wollen?
Passig: Ich glaube, man erfährt dadurch wenig Nützliches. Das ist ein generelles Urlaubsproblem. Also wenn ich jetzt mal zwei Wochen in, was weiß ich, Japan zubringe, dann weiß ich hinterher wahrscheinlich nicht wesentlich mehr über Japan als vorher. Alles, was ich da sehe, sind erst mal Missverständnisse. Ähnlich ist es, wenn man in die Zukunft reist. Wenn jemand aus der Vergangenheit heute in der Gegenwart Leute auf der Straße mit sich selbst reden sieht, dann denkt der auch, in der Zukunft sind die alle irgendwie wirr im Kopf. Dass da ein Headset im Spiel ist, kann man ja nicht sehen. Man würde sehen, dass aus der Sicht des Jahres 1919 sich die Frauen relativ unsittlich kleiden und benehmen. Man würde sich wahrscheinlich empören über eine Zukunft, in der das möglich ist, und man würde versuchen, das Eintreten dieser Zukunft zu verhindern. Drum bin ich eigentlich ganz froh, dass es noch keine Zeitmaschine gibt und wir diese Missverständnisse vermeiden können.
Kassel: Kathrin Passig, das Buch zu den Zeitreisen in die Vergangenheit, das lässt noch ein bisschen auf sich warten.
Passig: Nächstes Frühjahr.
Kassel: Nächstes Frühjahr erst, dann lässt es ungefähr ein halbes Jahr, ein bisschen mehr noch auf sich warten, das Futurium in Berlin nicht mehr. Das wird heute Abend unter anderem auch mit Kathrin Passig auf der Bühne feierlich eröffnet.
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