Kathrin Weßling: "Nix passiert"
Ullstein fünf, Berlin 2020
240 Seiten, 18 Euro
Der Roman für alle Verlassenen
Autorin Kathrin Weßling erzählt in ihrem vierten Buch aus der Perspektive eines Mannes. Den Liebeskummer ihres Helden Alex schildert sie in "Nix passiert" voller Mitgefühl. Vielleicht, weil beim Schreiben auch ihr Herz gebrochen war.
Ein junger Mann verlässt aus Liebeskummer die Großstadt und kehrt in das kleine Dorf seiner Herkunft zurück. Wie das ist und was er dort alles erlebt, davon erzählt die Schriftstellerin Kathrin Weßling in ihrem neuen Roman "Nix passiert". Und im Gegensatz zu ihren vorherigen Geschichten und Romanen, zuletzt "Super, und Dir?", schreibt sie diesmal aus der Perspektive eines Mannes. Die Hauptfigur, Alex, 30 Jahre alt, hat einmal Germanistik studiert, jetzt irgendeinen Job und keine Freundin mehr.
Weßling sagt, sie habe das Schreiben aus Männerperspektive als gar nicht so unterschiedlich empfunden. "Weil ich finde, dass Männer auch Menschen sind, und ich schreibe ja aus Menschenperspektive."
Erstmals männlicher Protagonist
Sie habe bewusst einen männlichen Protagonisten gewählt und den auch bewusst viele Dinge machen lassen, die nicht den Klischees und role models von Männern entsprächen: "Der macht Yoga und der weint ganz viel und der redet ganz viel mit seinen Freunden über seine Gefühle und so – weil ich solche Freunde habe. Und auch glaube, dass das eigentlich ein schönes Männerbild ist, dass Männer nicht diese chauvinistischen Typen sind, die dann erst mal prügelnd durch die Stadt ziehen, wenn sie Liebeskummer haben."
Die Entstehungsgeschichte des Werkes hat eine ganz eigene Dramatik, die Weßling in der Danksagung andeutet. Dort schreibt sie, der Roman habe ihr alles abverlangt. "Mir wurde kurz vor der Abgabe des Buches das Herz gebrochen, und ich habe die Abgabe nicht geschafft." Sie habe es dann schon durchgezogen, sei aber nicht so zufrieden gewesen, erinnert sich Weßling. "Im Prinzip gibt es eigentlich zweimal 'Nichts passiert'", denn sie habe die erste Version am Ende komplett verworfen und den Roman in zwei Monaten nochmal komplett neu geschrieben.
"Es gibt ja manchmal Situationen im Leben, wo man so krass auf die Nase fällt und alles so unter einem wegbricht, dass man auch die Chance hat, sich dann noch mal neu aufzustellen." Eines Tages habe sie plötzlich angefangen, es neu zu schreiben, so Weßling. "Das war mir vorher auch nicht bewusst, dass ich das komplett neu schreiben will."
Flucht zu den Eltern
Heraus kam jedenfalls eine herzzerreißende Schilderung von Liebeskummer. Es zieht einem das Herz zusammen, und Alex tut einem wirklich leid. Manchmal hat man das Gefühl, das ist der Roman für alle Verlassenen. Den muss man allen schenken, denen auch das Herz gebrochen wurde. Und dann kommt dieser Entschluss von Alex, nach Hause zu gehen, zu den alten Herrschaften im Heimatdorf.
"Er tut so vor sich selber, als würde er das nur machen, um vor Jenny zu fliehen, weil er ständig Angst hat, ihr zu begegnen, und fährt dann in so einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu seinen Eltern", erläutert Weßling. "Also er denkt, er macht das nur deshalb. Aber im Laufe des Romans wird klar, dass mit dieser Heimatstadt eigentlich alles angefangen hat und nicht so richtig aufgehört hat. Er hat auf jeden Fall viele Dinge in seiner Kindheit und Jugend erlebt, mit seinen Eltern, mit Freunden, die ihn zu diesem Punkt geführt haben, an dem er heute ist mit dieser Trennung."
Deswegen bleibe er dort auch länger als geplant, so Weßling, er erzähle auch am Anfang immer noch allen, es sei nur Urlaub und er sei auch noch mit Jenny zusammen.
Autobiografische Elemente
Weßling sagt, sie habe auch einmal, als es ihr sehr schlecht ging, versucht, eine Weile bei ihren Eltern zu bleiben: "Was ich gemerkt habe, ist, dass man glaubt – und das beschreibt Alex auch –, dass die Zeit da stehenbleibt, dass das Leben da gar nicht weitergegangen ist in dem Moment, in dem man abgehauen ist. Und dann kommt man wieder, und man passt da überhaupt gar nicht mehr rein. Das sei aber auch Alex' Unbedarftheit geschuldet, denn es sei natürlich eine unglaubliche Arroganz, zu glauben, man fahre in so eine Kleinstadt wie Braus, kaufe erst mal schön Sojajoghurt und erhebe sich über alle Kleinstadtbewohner.
Vor einigen Jahren hat Weßling einen kompletten Band mit Shortstorys dem Liebeskummer gewidmet. "Ich bin da Expertin. Also ich hatte zweimal in meinem Leben richtig schlimmen Liebeskummer, und beide Male ist ein Buch rausgekommen." Auch Panikattacken, wie sie der Held Alex einmal im Buch hat, kennt Weßling. "Ganz wenige Dinge in dem Buch sind mir passiert, aber diese Geschichte an dem Geburtstag, als er seine erste Panikattacke hat, die ist mir auch passiert. Die ist nicht so ausgegangen wie dort, aber das war bei mir genauso. Ich habe an meinem 16. Geburtstag das erste Mal bewusst eine richtig krasse Panikattacke gehabt."
"In dem Buch sind nur sehr wenige Dinge wirklich autobiografisch, weil das auch langweilig ist beim Schreiben, also für mich zumindest, einfach nur aufzuschreiben, was ich erlebt habe", sagt die Autorin. Und nein, auch das Ende sei nicht autobiografisch.
Slams, Lesebühnen, Blog über Depressionen
Weßling stand auch auf Lesebühnen und wurde dann als Bloggerin bekannt. Auf ihrem Blog "Drüberleben" hat sie über ihre Depressionen geschrieben. Sie habe sich bewusst dafür entschieden, damit in die Öffentlichkeit zu treten, die Entscheidung sei einfach notwendig gewesen: "Weil ich zu der Zeit sehr viel geschrieben habe für Lesebühnen und auch – das ist ja schon über zehn Jahre her – für Poetry Slams und ich immer nicht auftreten konnte, weil ich diese krassen Panikattacken hatte, weil ich depressiv war und immer dafür tausende Ausreden erfinden musste."
Irgendwann sei sie es einfach leid gewesen. "Ich habe beschlossen, dass ich jetzt einfach darüber schreibe, was eigentlich los ist. Also das genauso verarbeite, wie ich alles andere eigentlich auch verarbeite - mit dem Schreiben. Das war ein sehr, sehr schwieriger Schritt, und der hat mich auch wirklich sehr viel Mut gekostet. Es ist auch eine der wenigen Entscheidungen, die ich tatsächlich viel mit anderen vorher besprochen habe. Aber als ich den Schritt dann gegangen bin, war es so: Okay, jetzt kommt alles raus."
Berufswunsch Schreiben
Sie habe damals schon auch noch für Magazine und Zeitschriften geschrieben, sagt Weßling. Und auch immer das Schreiben zum Beruf machen wollen. "Dann hat mich eine Literaturagentur entdeckt, wie das in Zeiten des Internets dann öfter mal passiert, und dann hatte ich auch wirklich sehr schnell den ersten Buchvertrag."
Und weil sie Schriftstellerin habe werden wollen, sei es ihr wichtig gewesen, dass "Drüberleben", ihr erstes Buch, Fiktion war. "Die Protagonistin heißt nicht wie ich, die ist nicht ich, und die erlebt auch komplett andere Sachen. Das war mir sehr wichtig, und da bin ich auch bis heute echt richtig froh über diese Entscheidung."
Der Blog ist inzwischen gelöscht, Weßling setzt stattdessen auf Microblogging. "Ich bin sehr, sehr aktiv in den sozialen Netzwerken, ich habe einen sehr großen Twitter-Account, einen sehr aktiven Instagram-Account. Irgendwie kommt da auch dann schon viel raus." Sie glaube, es sei inzwischen eher selten, dass Menschen aus sich heraus längere Texte schrieben und einen Blog machen würden. "Es ist mehr in dieses Kleinteilige gegangen. Man kann auch unter einem Instagram-Post hervorragend Kurzgeschichten erzählen.
Atemloser Stil
"Nix Passiert" hat einen atemlosen, punktuellen Stil, mit kurzen Sätzen. "Ich bin eigentlich superfroh, wie der Stil jetzt mittlerweile ist, weil er auch noch mal krasser war, und er war dann wirklich richtig atemlos und richtig rauschhaft, und er war aber auch mal sehr langgezogen und deprimierend", sagt Weßling.
Sie sei dann viel auf Lesebühnen gegangen und habe viel vorgelesen. "Und das ändert tatsächlich eine Menge, wenn man merkt, wie ein Text im Rhythmus funktioniert. Ich glaube, meine Texte haben auch bis heute einen Rhythmus. Das ist so dö-dönn, dö-dönn, dö-dönn."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.