Kathy Zarnegin: Chaya
weissbooks, 243 Seiten, 20 Seiten
Weigerung, eine Exotin zu sein
Wie entfernt man sich möglichst weit von den Werten und Prägungen der Familie? Wie wird man Schriftstellerin in neuer Umgebung und einer anderen Sprache? Kathy Zarnegins Romandebüt "Chaya" steckt voller bissiger Beobachtungen, radikaler Argumente und Ambivalenzen.
Kathy Zarnegin ist Lyrikerin, Essayistin und Übersetzerin. Außerdem arbeitet sie als Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin mit einer eigenen Praxis. Sie wurde 1964 in Teheran geboren, kam als Teenager in die Schweiz, hat bei Verwandten gelebt, Philosophie in Basel studiert, in Zürich vergleichende Literaturwissenschaft, dann mit einem Doktortitel abgeschlossen. Ihre Biografie hat nun Niederschlag gefunden in ihrem ersten Roman "Chaya" – eine Art Entwicklungsroman, in dem die Heldin Chaya sich so weit wie möglich von ihrer Herkunft entfernen möchte.
Im "Bücherfrühling" von Deutschlandradio Kultur auf der Leipziger Buchmesse sagte Kathy Zarnegin zur Frage nach Übereinstimmungen zwischen der Romanfigur Chaya und ihr selbst:
"Ich habe Probleme damit, wenn man das eins zu eins zusammenlegt, weil das überhaupt nicht die Intention des Romans war und auch gar nicht die Veranlagung des Romans ist. Dass da autobiografische und biografische Schnittstellen vorhanden sind, das ist gar nicht von der Hand zu weisen. Ich habe ja eine Ausbildung als Psychoanalytikerin, also ich bin lange genug auf einer Couch gelegen und habe meine Geschichte schon erzählt. Dieses Bedürfnis habe ich eigentlich nicht, noch einmal meine Geschichte durchzukauen. Ich bin von ein paar wichtigen, signifikanten Daten meines Lebens ausgegangen: Geburt in Teheran, Übergang in die Schweiz, neue Sprache, der Wunsch, Autorin zu werden – und habe daraus ein neues Leben gemacht."
War der "Austritt aus der Muttersprache", wie Kathy Zarnegin in ihrem Roman schreibt, für sie mehr ein Abschied oder mehr eine Selbstermächtigung?
"Ich glaube, dass man sich gar nicht bewusst ist, was es bedeutet, in der Muttersprache zu sein. (…) Da raus zu sein und zu wissen: Da bin ich jetzt nicht mehr, ich muss mir woanders – also jetzt wirklich im Hölderlinschen Sinne – dieses Zuhause mit einem anderen Sprachmaterial schaffen und mich zurechtfinden. Das ist ein Abschied und zugleich natürlich wie jeder Abschied auch ein Neubeginn."
Anerkennung finden als Lyrikerin
Mit der neuen Sprache erfindet diese junge Frau auch sich selbst neu – was gibt Chaya die Kraft, sich an keins der gängigen Angebote zu halten? Warum will sie keine Exotin sein?
"Die Weigerung, eine Exotin zu sein, ist ja auch der Wunsch, so zu sein wie die anderen. Es ist zweischneidig. (…) Sie will sie selber sein und gleichzeitig ist sie einfach eine fremde Person. Was ihr Kraft gibt seit ihrer Kindheit, ist dieser Wunsch, in der Schriftkultur anzukommen und sich als Lyrikerin anerkannt zu wissen. Das ist die treibende Kraft bei Chaya in den verschiedenen Übergängen: von einer Sprache in die andere, von der Kindheit ins Erwachsenenleben, von einer Kultur in die andere – als Lyrikerin, als Autorin in Freiheit zu leben. Sie möchte frei leben."
Die Schweiz habe sich über die letzten Jahrzehnte sehr verändert, sagte Kathy Zarnegin:
"Als ich in die Schweiz kam, war ich in der Schulklasse die einzige Ausländerin. Das war damals wirklich exotisch. Die Fremdsprachigen waren Italiener, aber die waren besser integriert. Das war eine ganz andere Situation. Die heutige Schweiz ist eigentlich ein anderes Land als das Land vor 35, 40 Jahren. Das sieht man schon im Straßenbild, egal wo Sie sind in der Schweiz. Das hat sich sehr stark geändert. Das hat Vor- und Nachteile. Vorteil ist, das ist wirklich eine Multikulti-Gesellschaft geworden. Nachteil ist, dass viele diesen Wandel, wie überall, nicht mit nachvollzogen haben und erstaunt sind, dass sie in gewissen Quartieren keine Schweizer mehr antreffen, zum Beispiel."