Schriftstellerin Katja Oskamp

Lebensgeschichten zwischen Fußbädern und Hornhäuten

05:53 Minuten
Katja Oskamp sitzt in einem TV-Studio und blickt freundlich in die Kamera
Die Schriftstellerin Katja Oskamp - vom Kosmetikstudio in die Bestsellerlisten. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Thomas Bartilla
Von Andrea Gerk |
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Die Schriftstellerin Katja Oskamp orientierte sich in einer Krise neu und machte eine Ausbildung zur Fußpflegerin. Aus den Begegnungen mit ihren Kunden entstand der Bestseller "Marzahn, mon amour". Wie das Buch entstanden ist, erzählt sie hier.
Katja Oskamp dürfte die bekannteste Fußpflegerin Deutschlands sein. Dabei sind ihre so humorvollen wie herzerwärmenden Geschichten aus dem Fußpflegestudio in Marzahn gar nicht – wie viele meinen – das Wunderwerk eines literaturbetriebsfernen Ausnahmetalents. Denn Katja Oskamp schreibt seit rund zwanzig Jahren Bücher, sie hat das Leipziger Literaturinstitut absolviert und war davor Dramaturgin am Volkstheater Rostock.
Dann, in den berüchtigten mittleren Jahren angelangt, als sie in einer Schreib- und Lebenskrise steckte, kam sie über eine Bekannte, die ein Kosmetikstudio in Marzahn eröffnet hatte, zu ihrem Job:
"Ich wollte unbedingt etwas Schreibfremdes machen. Aber was? Ich hatte mal über Massage nachgedacht, was man so fantasiert. Und meine Bekannte hat dann gesagt: Du kannst hier anfangen. Mach die Ausbildung und ich stell dich hier ein. Und dann hab ich das einfach gemacht."

Problemfüße baden und Zehen massieren

Sechs Wochen hat die Ausbildung zur Fußpflegerin gedauert, danach gab es quasi „training on the job“. Vom Frühjahr 2015 an hat Katja Oskamp zwei Tage in der Woche, immer mittwochs und donnerstags, Hornhäute geraspelt, Problemfüße gebadet oder Nägel gefeilt. Rund 19 000 Zehen hat sie massiert und in Form gebracht und sich dabei die Lebensgeschichten ihrer Kunden angehört.

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"Erst konnte ich gar nichts schreiben, ich hatte gar keine Motivation mich auszudrücken. Dann habe ich die Kunden kennen gelernt. So kamen diese ersten Kundengeschichten zustande. Toll war, dass ich an den restlichen fünf Tagen der Woche nicht irgendetwas geschrieben habe, sondern über das, was ich an den anderen zwei Tagen erlebt habe. Das war inhaltlich und zeitlich und auch von der Energie her ein optimales Mischungsverhältnis."

Sehnsucht nach einem sinnerfüllten Tag

Anfangs hatte Katja Oskamp überhaupt nicht daran gedacht, ihren Krisen-Fluchtort womöglich literarisch verwerten zu können: "Ich wollte ganz simpel einen sinnvollen Tag erleben, mit irgendwas Schönem, Sinnvollem, Gutem, wo man möglichst auch gleich mal ein Lob kriegt, und da ist das dann so passiert.“
Nachdem sie schon zwei, drei Jahre Füße geknetet und Menschen zugehört hatte, fragte eine Redakteurin, ob sie nicht über ihre Erfahrungen schreiben wolle. Daraufhin habe sie eine Art "Kundenporträt" verfasst, weil sie es bemerkenswert fand, was die Leute ihr erzählten.

Ich kannte die schon lange. Die kamen ja immer wieder, das war ein gewachsenes Stammkundenverhältnis. Das ist etwas, das man nicht mitkriegt, wenn man da nur mal kurz reportermäßig vorbeischaut mit dem Ziel: Ich geh' da jetzt hin, will möglichst viel Authentisches hören, und dann verschwinde ich wieder. Ich war wirklich Teil dieser Welt.

Katja Oskamp

Fans pilgerten zur Fußpflege bei der Autorin

Obwohl sie seit einem Jahr nicht mehr im Kosmetikstudio arbeitet, wird Katja Oskamp nach dem großen Erfolg ihres Buchs das Image der "schreibenden Fußpflegerin" wohl nicht mehr so schnell los. Bis heute gibt sie Lesungen und Interviews dazu und erzählt, dass viele Kunden zu ihr nach Marzahn gekommen seien, um mal bei der Autorin eine Fußpflege zu haben.
"Einige wollten ihrer besten Freundin ein Geschenk machen: das Buch plus eine Fußpflege bei mir. Alle möglichen Kombinationen gab es da. Es gab auch Leute, die wollten überhaupt keine Fußpflege. Die haben nur so getan und wollten mir eigentlich ihr Leben erzählen, damit ich das dann auch aufschreibe."

Einsame Tätigkeit am Schreibtisch

Aber wer in ihre Bücher kommt, das entscheide sie immer noch selbst, sagt Katja Oskamp mit ihrem herzlichen Lachen. Derzeit sitzt sie an einem neuen Roman und manchmal ist es wieder da, dieses Gefühl der Einseitigkeit, das viele einsame Schreibtischtäter von handfesten und sozialeren Tätigkeiten in Gärten, Küchen oder eben Kosmetikstudios träumen lässt:

Man darf es natürlich nicht romantisieren. Wenn man es wirklich macht, sagen wir mal 40 Stunden die Woche, das ganze Jahr über und viele Jahre, das ist einfach wahnsinnig anstrengend. Der Traum ist nur romantisch, solange man wechseln kann. Oder sich das aussuchen kann.

Katja Oskamp

Das kann Katja Oskamp und wenn ihr neues Buch mal fertig ist, möchte sie vielleicht doch heimlich und unerkannt irgendwo in Berlin einen Tag die Woche fremde Füße pflegen:
"Wenn man schreibt und sich abquält und abends dann eine Seite voll hat, sagt einem keiner, ob es gut oder schlecht war. Aber hier bekommt man sehr direkt und sofort mitgeteilt, ob man gut war. Das ist total klasse - die meckern ja auch und beschweren sich, wenn man es falsch gemacht hat und sie nicht zufrieden sind. Außerdem hat man danach - was auch besser ist als beim Schreiben - wirklich Feierabend."

Katja Oskamp: "Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin"
Suhrkamp / Insel, Berlin 2021
142 Seiten, 10 Euro

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