Thomas Urban: Katyn 1940 – Geschichte eines Verbrechens
C.H. Beck Verlag, München 2015
249 Seiten, 14,95 Euro, auch als ebook
Geschichte einer verleugneten Massenerschießung
Gleich zwei vortrefflich geschriebene Bücher beschäftigen sich mit dem Massaker von Katyn im Jahr 1940. Damals ermordeten Angehörige des sowjetischen NKWD Tausende polnische Offiziere, Ärzte, Juriste, Ingenieure oder Profi-Sportler.
Jahrzehntelang assoziierte das kollektive Gedächtnis Westeuropas mit dem Namen der russischen Kleinstadt Katyn "irgendein" von Stalinisten begangenes und später verleugnetes Massaker - anstatt eines Paradebeispiels zum Verständnis des 20. Jahrhunderts.
Nun sind gleich zwei Bücher zum Thema erschienen: Thomas Urban, ehemaliger Osteuropa-Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung", legt mit "Katyn 1940 - Geschichte eines Verbrechens" ein skrupulös recherchiertes und packend geschriebenes Taschenbuch vor, während die an der Europa-Universität Viadrina lehrende Historikerin Claudia Weber mit "Krieg der Täter" noch zusätzlich die Konsequenzen für den gesamteuropäischen Erinnerungsdiskurs reflektiert.
Bürgerliche Individuen stellten für Stalin eine Gefahr da
Am 5. März 1940 hatte Stalin die Erschießung von 25.700 Polen befohlen. Doch Polen, das im September '39 zwischen der UdSSR und Nazi-Deutschland aufgeteilt worden war, hatte ja längst kapituliert, und die in den Osten deportierten Offiziere stellten keine Bedrohung dar.
Bürgerliche Individuen stellten für Stalin eine Gefahr da
Am 5. März 1940 hatte Stalin die Erschießung von 25.700 Polen befohlen. Doch Polen, das im September '39 zwischen der UdSSR und Nazi-Deutschland aufgeteilt worden war, hatte ja längst kapituliert, und die in den Osten deportierten Offiziere stellten keine Bedrohung dar.
Und weshalb exekutierte man auch 800 Ärzte, etwa 300 Ingenieure, 200 Juristen und dazu polnische Olympia-Sportler und Fußballnationalspieler? Die Antwort ist niederschmetternd einfach: Weil in Stalins Logik "bürgerliche Individuen", selbstbewusste Kinder der polnischen Republik, dann eben doch eine Gefahr dargestellt hätten für sein auf Unterordnung und Schweigen aufgebautes Reich.
Umsonst versuchte die in London ansässige polnische Exilregierung Auskünfte über ihre vermissten Landsleute zu erhalten. Von Premier Churchill gab es keine wirkliche Hilfe, vom Kreml dagegen die – durchaus plausibel klingende – Lüge, die ab Sommer 1941 vorrückenden Nazi-Truppen hätten auch in diesem Fall ein Massaker angerichtet.
Und so begann "Der Krieg der Täter", denn sogleich erkannte Goebbels, welche Chance sich hier bot: Von den deutschen Verbrechen in Polen und auf erobertem sowjetischen Territorium abzulenken und darüber hinaus einen Keil in die Anti-Hitler-Koalition zu treiben.
Moskau verweigert bis heute eine juristische Aufarbeitung
Aber auch Stalin konnte frohlocken: Wie auch immer jetzt die bürgerliche Londoner Exilregierung reagierte, sie würde in eine Falle tappen und nach Kriegsende irrelevant sein. Die einzigen, die das Spiel nicht verstanden, scheinen die vermeintlich pragmatischen Moskau-Versteher im amerikanischen State Department gewesen zu sein.
Und so ist es allein fortgesetztem polnischen Insistieren zu verdanken, dass der Massenmord nicht dem Vergessen anheim gefallen ist, denn auch die gegenwärtigen Signale aus Moskau bleiben negativ: Eine juristische Aufarbeitung von Katyn wird dort weiterhin verweigert.
Umso wichtiger sind die zwei vortrefflich geschriebenen Bücher von Thomas Urban und Claudia Weber, welche die bisherige Kluft zwischen west- und osteuropäischem Gedächtnis vielleicht nicht zu schließen vermögen, uns aber doch an deren schmerzhafte Existenz erinnern.
Claudia Weber: Krieg der Täter – Die Massenerschießungen von Katyń
Hamburger Edition, 450 Seiten, 35 Euro