Keanu Reeves: "Das Buch Anderswo"

Nachsinnen über Tod und Endlichkeit

06:41 Minuten
Buchcover "Das Buch Anderswo" von Keanu Reeves/China Miéville
© Gutkind Verlag

Reeves, Keanu, Miéville, China

Aus dem Englischen von Jakob Schmidt

Das Buch AnderswoGutkind Verlag, Berlin 2024

528 Seiten

24,00 Euro

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In „Das Buch Anderswo“ von Keanu Reeves und China Miéville geht es um einen untötbaren Krieger, der glaubt, dass er unsterblich ist. Nichts ersehnt BRZRKR (Berserker), wie man ihn nennt, mehr, als endlich sterben zu können.
Keanu Reeves ist ein Hollywoodstar, bekannt geworden durch die „Matrix“-Filme, durch die Neon-Noir-Action-Filmreihe „John Wick“ oder durch „My Private Idaho“. 2021 publizierte Reeves die erste Folge einer auf zwölf Ausgaben limitierten Comicserie, die er zusammen mit dem Illustrator Matt Kindt und dem Übersetzer Ron Garney kreiert hatte – eine Mischung aus brutaler Action, Spiritualität, zartem Humor und Drama. Sie verkaufte sich über zwei Millionen Mal. Über die Netz-Börse Kickstarter gelang es dem Schauspieler, knapp eineinhalb Millionen Dollar für die Serie zusätzlich einzusammeln. Ein Coup. Inzwischen wird die Comicserie von Netflix mit Reeves in der Hauptrolle verfilmt. Ein weiterer Coup.

Hollywood-Star als Romanautor

Nun kommt ein Roman: „Das Buch Anderswo“. Reeves, der demnächst sechzig wird, beschäftigt sich in diesem Teil der Berserker-Saga, den er zusammen mit dem Londoner Filmemacher und Autor China Miéville verfasste, mit Tod und Endlichkeit. Nicht als Comic, (noch) nicht als Film, sondern als Buch, als Literatur, als Fantasy und Genre. Ein Buch muss ja nicht schlecht sein, nur weil es Teil einer groß angelegten Marketingstrategie ist.
Und Reeves Buch „Das Buch Anderswo“ ist nicht schlecht. Es ist flüssig erzählt, ein dicker Schmöker, dessen teils verschlungener, teil spannender, wenngleich nicht immer völlig verständlicher Handlung man gerne folgt. Reeves und Miéville ist es gelungen, mit ihrem Roman das Raunen und die Verrätselung zu einem eigenen Genre zu erheben.

„Einmal hast du drei Lebenszeiten damit verbracht, bewegungslos auf einem Steinsitz auf halber Höhe eines Berges zu verharren, um herauszufinden, was geschehen würde. Nichts geschah. Dieses Mal bist du ohne Eile nach Süden gereist, durch bunte, vielfältige Landschaften. Du hast die kleinen Ortschaften gemieden und dir einen Weg durch überwucherte Feuchtgebiete gesucht, in denen die Welt selbst zu schwitzen schien, vorbei an erstarrten Flüssen, die sich darauf vorbereiteten, eines Tages wieder zu fließen, zu verschwinden, nur Stein zurückzulassen. Vor Jahren hast du die Küste erreicht und wusstest, dass der Ort namens Suhal auf der anderen Seite des seichten Meeres lag. Du hast das Volk des Mündungsgebietes gesucht und gefunden.“

Aus „Das Buch Anderswo“

Nachsinnen über den Todestrieb

„Das Buch Anderswo“ ist gerahmt von einer Patientengeschichte. Ein Arzt sinniert über den Todestrieb – und dieses Nachsinnen ist ventiliert von einem Patienten, der eines Tages in dieser Praxis aufkreuzt und mit dem es zu drei langen Sitzungen kommt.
Was dem Arzt im Verlauf der Behandlung zu Ohren kommt, ist eine seltsame und bedeutungsschwangere Geschichte – so bedeutungsschwer, dass sich der Psychiater oder Psychoanalytiker am Ende seines Lebens dazu veranlasst fühlt, ein Protokoll dieser seltsamen und mysteriösen Begegnung anzulegen – ein Protokoll, das nun in Form von „Das Buch Anderswo“ der Weltöffentlichkeit vorliegt.

„'Ich töte und töte und töte, immer wieder', sagte er. 'Und ehrlich gesagt würde ich mich gerne ausruhen, etwas anderes tun, etwas anderes als zu töten, aber nein, immer wieder überkommt mich das Töten. Und manchmal, nicht oft, aber viele Mal im Lauf meines Lebens, sterbe ich. Und es tut weh. Und es ist eine blutige Angelegenheit. Und ich spüre jeden Schlag.'“

Aus „Das Buch Anderswo“

Berserker - Wiedergänger von Jesus Christus

Der Halbgott, der, wie der Leser erfährt, nicht, wie alle Welt glaubt, unsterblich ist, sondern nur unendlich oft sterblich, dieser Krieger und Halbgott kann begriffen werden als literarischer Wiedergänger einer religiösen Figur namens Jesus Christus – Wiedergänger eines Halbgotts, der Mensch und Sohn Gottes zugleich war und der den Tod des Menschen auf sich genommen hat – ähnlich wie Berzerker oder Unute oder das Kind des Blitzes alle Tode des Menschen gewissermaßen einzeln nacherlebt, ohne deswegen unsterblich zu sein, auch wenn er das selbst streckenweise glauben mag.
Ein weiterer geheimnisvoller Protagonist ist ein Babirusa, ein Hirscheber, der eher wie ein Fabeltier oder Covergirl der Perry-Rhodan-Reihe aussieht, tatsächlich aber zur Säugetiergattung der echten Schweine gehört. Wir erfahren, dass das Babirusa jederzeit jeden Raum betreten kann, in dem sich der Halbgott befindet – einzig und allein, um ihn, wie es heißt: „... einmal mehr zu töten, ein letztes Mal.“
Jedes letzte Mal ist folglich das vorletzte Mal. Im Babirusa spiegelt sich das unerträgliche Leben des Halbgotts wider, der in der Gegenwart der Erzählung seine Fähigkeiten in den Dienst der US-Regierung gestellt hat. Für die soll er sich in die Schlachten stürzen, die für alle anderen zu gefährlich und zu brutal sind und die niemand überlebt. Auch der Halbgott nicht, aber das ewige Töten und Sterben und Wiederauferstehen gehört nun mal zu seinem Schicksal. Es ist letztlich das Schicksal des Menschen.

Im Buch wird mehr behauptet als erzählt

Dieses Schicksal gilt nach christlicher Überlieferung bis zu dem Tag, an dem er erlöst, wiederauferstehen und ins Paradies eintreten wird. Auch der Halbgott wird sich seines Tages wie ein Schmetterling verpuppen.
Im Gegenzug für seine Dienste für die US-Armee wird Berserker das Einzige versprochen, wonach er sich sehnt: eine Antwort darauf, was hinter seinem ewigen blutgetränkten Dasein steckt – und wie er es ein für alle Mal beenden kann. Der Weg zu dieser erlösenden Antwort ist jedoch kein Spaziergang – und für den Leser nicht immer zweifelsfrei zu klären. Das macht aber nichts. Obwohl in dem Buch mehr behauptet als erzählt wird, haben wir verstanden, wo das Anderswo des „Buches Anderswo“ liegt: im altbekannten Jenseits.
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