Kegeln in Deutschland

"Wir sind kurz vor dem Aussterben"

23:37 Minuten
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Der slowenische Kegler Uros Stoklas, der für den RKV Rot-Weiß Zerbst antritt. © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Von Eduard Hoffmann |
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Bis in die 1990er-Jahre war Kegeln in Ost- und Westdeutschland nicht nur ein Freizeitvergnügen, sondern Leistungssport. Heute fehlt es den Vereinen an Nachwuchs. Als Partyevent erlebt Kegeln allerdings gerade eine Renaissance. Eine Chance auch für das Sportkegeln?
Seid um den Becher ihr vereint, sei euer Herz voll Fröhlichkeit,
doch denkt auch, dass die Sorge weint, und seid zum Wohltun gern bereit.
Gut Holz! Gut Holz! Gut Holz!
Auf der Bahn beim ältesten deutschen Kegel-Verein, 1822 gegründet von betuchten Handwerksmeistern und Kaufleuten als Kegel-Club-Gesellschaft vom Ratsweinkeller zu Stade, gut 30 Kilometer Luftlinie von Hamburg entfernt. Auch heute sind die Mitglieder gut situierte Bürger: Ärzte, Ingenieure, Architekten und kleine Unternehmer. Hier wird Tradition gepflegt und getreu dem Trinkspruch der Gründerväter weiterhin Bedürftigen unter die Arme gegriffen, erzählt der 75-jährige Gerd Röseler.
"Das ist das Motto, und das heißt eben, ruhig etwas mehr in die Spendenkasse zu geben. Wenn einer Lust hat, kann er auch mal einen Zehn-Euro-Schein da rein tun, und das kommt dann eben unserem Spendenaufkommen zu Gute, nicht?"
Aus Mitgliedsbeiträgen, Pudel- und Rundengeldern sowie mit eigenen Spenden konnte der Ratsweinkeller-Club in den letzten Jahren zahlreiche soziale Projekte in der Stadt unterstützten, von Kindergärten und Jugendeinrichtungen bis zu Altenheimen.
"Gut Holz! Gut Holz! Gut Holz!"

"Unser Outfit ist der Smoking"

Ab und an, etwa bei der Generalversammlung, so erklärt der 67-jährige Reiner Tschirschwitz, schmeißen sich die Kegelbrüder traditionell richtig in Schale.
"Unser Outfit ist eben der Smoking, den wir dann tragen, und unseren schwarzen Zylinder, und die Lackschuhe wollen auch nicht vergessen sein."
Dann kreist auch der mit Wein gefüllte, bestens erhaltenen Silber-Pokal aus dem Jahre 1845. Alle zwei Wochen treffen sich die Ratsweinkeller-Kegler. Der Abend dient dem privaten Austausch und ist eine willkommene Abwechslung vom oft stressigen Alltag. Freundschaftspflege und Geselligkeit stehen im Vordergrund. Kegeln ist nur noch Beiwerk.
In früheren Jahren musste sogar mit Schlips und Kragen gekegelt werden, erinnert sich Gerd Röseler, der seit 1981 Club-Mitglied ist.
"Zur damaligen Zeit herrschte auf der Kegelbahn Krawattenzwang, und es waren eben, ja, einige der älteren Kegelbrüder dabei, die sehr konservative Ansichten hatten. Da musste man sich als halbwegs junger Spund erst so'n bisschen dran gewöhnen. Die erste Zeit hat man die Klappe gehalten, ne?"
Wie überall in den Kegel-Clubs, fehlt auch dem ältesten deutschen Kegel-Verein der Nachwuchs. Waren Mitte des 19. Jahrhunderts über 100 Kegelbrüder versammelt, sind es heute gerade noch neun. Und davon sind die meisten weit über 60 Jahre alt, drei sogar schon über 70.
"Es ist also in der heutigen Zeit sehr schwierig, insbesondere auch jüngere Menschen zu finden, die sich für uns interessieren. Wir haben also schon Einiges unternommen, beispielsweise, dass wir mal Anzeigen im Stader Tageblatt geschaltet haben, aber die Resonanz war praktisch gleich null."

Kegeln galt mal als Teufelswerk und Gotteslästerung

Seit dem Mittelalter wird in Deutschland gekegelt, wobei die Obrigkeit immer wieder Verbote ausgesprochen habe, erklärt Uwe Veltrup, Marketingreferent des Deutschen Kegler- und Bowling-Bundes DKB:
"Die haben damals gezockt, und zwar um Haus und Hof, und da gab's dann auch wirklich Tragödien und es gab dann auch Schlägereien und Raufereien. Dieser ganze Zusammenhang - Wetten, Alkohol, Raufereien - hat dazu geführt, dass das Kegeln dann auch verboten worden ist."
Für die Kirche war das ausschweifende Kegelvergnügen Teufelswerk und galt als Gotteslästerung. Aber den Dombau in Xanten im 13. Jahrhundert ermöglichte erst eine Kegelgilde, ein Zusammenschluss von angesehenen Herren und ihren Frauen sowie kirchlichen Würdenträgern.
"Ziemlich genau 1265, da gab es diese Kegelgilde in Xanten, und der Dom, der heute in Xanten steht, der wurde mit den Geldern, die in dieser Kegelgilde quasi generiert worden sind, finanziert, also das war so 'ne Mischung zwischen einem Dombauverein, wenn man so will, und einem Kegelclub."
Das Wurf- und Zielspiel erfreute sich fortan wachsender Beliebtheit und die Anhängerschaft wuchs. Bald gab es kaum einen Jahrmarkt ohne Kegelbahn.
"Also, das war wirklich Volksfreizeitbeschäftigung, Sport würde ich nicht sagen, weil, das war er dann erst so mit der Bewegung, die mit dem Turnvater Jahn begann im 19. Jahrhundert. Und im Zuge dieser Turn- und Sportbewegung ist auch dann Kegeln mehr und mehr zum Sport geworden."

Wie der Kegelsport in geregelte Bahnen gelenkt wurde

Zahlreiche Vereine und regionale Zusammenschlüsse gründen sich. Und am 7. Juni 1885 wird in Dresden der Zentralverband Deutscher Kegelklubs ins Leben gerufen. Vier Jahre später nennt er sich Deutscher Keglerbund und lenkt den Kegelsport in geregelte Bahnen. Landesverbände entstehen, ein Spielbetrieb mit verschiedenen Ligen beginnt. 1922 finden die ersten Deutschen Mannschaftsmeisterschaften statt, in den drei verschiedenen Arten: im Bohle-, Asphalt-, heute Classic genannt, und im Scherekegeln.
Ein Spieler auf der Kegelbahn hofft mit einem Wurf auf "alle Neune".
Ein Spieler auf der Kegelbahn hofft mit einem Wurf auf "alle Neune".© dpa / picture alliance / Heiko Wolfraum
Während die 35 Zentimeter schmale Bohlebahn gerade durchläuft bis zu den Kegeln, geht die Scherebahn in der Mitte auseinander und verbreitert sich bis zum Ende.
Aus dem Asphaltkegeln ist das heutige Classic-Kegeln geworden. Die Bahnen sind aus hochwertigem Kunststoff gefertigt. In einer Breite zwischen 1,30 und 1,50 Meter ziehen sie sich gleichmäßig bis zu den aufgestellten Kegeln. Während die Bohle- und Schere-Bahnen eine Kehlung haben, also ein wenig konkav gebogen sind, verlaufen die anspruchsvollen Classic-Pisten ganz plan und eben.
Auf Bohlen wird vor allem in Norddeutschland, Berlin und Brandenburg gekegelt. Classic-Kegeln ist hauptsächlich im Süden und Südosten Deutschlands verbreitet. Und die Schere-Kegler schieben ihre Kugeln vorwiegend im Westen und Südwesten.
"Gut Holz! Gut Holz! Gut Holz!"

In den 1960er-Jahren begann der Kegelboom

Mitte der 1950er-Jahre wurden in der Bundesrepublik die Bahnen automatisiert. Bis dahin hatten Kegeljungen immer wieder alle Neune aufgesetzt. Diese Arbeit übernahmen jetzt Stellmaschinen. Ein Meilenstein in der Entwicklung des Kegelsports, sagt Uwe Veltrup vom DKB:
"In Berlin gab's dann eine Anlage mit 41 Kegelbahnen, in Hannover gab es eine Großanlage mit 40 Kegelbahnen, das war dann auch so der Auslöser des Kegelbooms in den 60er-, 70er-Jahren, da, glaube ich, wurden so viele Kegelbahnen gebaut wie nie zuvor, und in den 80er-Jahren fing es an zu stagnieren. Und ohne Kegelanlage keine Kegelsportvereine und ohne Kegelsportvereine keine Mitglieder."
Bis in die 1970er-Jahre hinein war Aachen eine Kegelhochburg. Der erste deutsche Meister war ein Aachener, und seither gingen zahlreiche Einzel- und Mannschaftstitel in die Domstadt, bei den Männern und später auch bei den Frauen. Als Kegel-Legende und Idol gilt noch heute der 2013 verstorbene Joe Hennes, Welt- und Europameister sowie mehrfacher Deutscher Meister.
Sohn Ralf und dessen Frau Sabine haben sein Erbe angetreten. Der 55-jährige Ralf Hennes ist ein "Spätzünder". Erst in den letzten Jahren ist er in der Herren-A-Klasse der über 50-Jährigen deutscher Meister, Europa- und Weltmeister geworden. Nach den ersten Versuchen hatte der Vater noch abgewunken: Das wird nix!
"Das war für mich dann auch der Ansporn, um ihm dann halt zu beweisen, hier, ich hab's doch drauf, ne? Und dann fing ich dann auch an, entsprechend viel zu trainieren, weil ich in den Anfängen tatsächlich festgestellt habe, Mensch, dieses Kegeln, das ist ja tatsächlich Sport, und da muss man auch was für tun."
Bis zu 1.000 Wurf in der Woche, plus Radfahren, Schwimmen und Laufen als Ausgleichssport. Heute tritt Hennes mit Grün-Weiß Rösrath in der zweiten Bundesliga Schere an.
Seine Frau Sabine kegelt von Kindesbeinen an. Beide haben sich auf der Kegelbahn kennen gelernt. Die 50-Jährige spielt mit der SG 63 Aachen-Knickertsberg in der ersten Damen-Bundesliga, das einzige noch erstklassige Aachener Team.
"Es kommt auf den Bewegungsablauf an, weil aus dem Bewegungsablauf beziehungsweise aus dem Arm holt man dann die Geschwindigkeit raus und letztendlich kommt's dann auch auf die Handstellung an, dass man da schon sehr genau ist. Also, es ist jetzt nicht, je fester, je besser - gar nicht, es ist schon die Technik letztendlich."
Noch 1882 hatte die "Berliner Zeitung" ihre Leserinnen gewarnt: "Kegeln ist schädlich für das Weib!" Erst 1926 nahm der Deutsche Keglerbund die erste Frau in seine Reihen auf.
"Gut Holz! Gut Holz! Gut Holz!"

Kegelsport ist Vielen völlig unbekannt

Wie überall in der Republik plagen auch die Aachener Sportkegler Nachwuchssorgen. Sie haben alles Mögliche versucht, um vor allem bei Kindern und Jugendlichen die Neugier fürs Kegeln zu wecken. Aufwendige Präsentationen auf Stadtfesten etwa und immer wieder Kooperationen mit Schulen - ohne Erfolg.

Kaum jemand kennt die Randsportart, und in den Medien kommt sie so gut wie gar nicht vor, muss auch Ralf Hennes immer wieder erfahren.
"Zum Beispiel meine Kollegen, die sagen, hör mal, wenn du diesen Sport nicht betreiben würdest, dann wüssten wir heute noch nicht, dass es diesen Sport gibt."
Deutschlandweit beklagen sowohl Kegel- als auch Bowling-Clubs einen rasanten Mitgliederschwund. Uwe Veltrup vom Deutschen Kegler und Bowlingbund nennt Zahlen:
"1990 hatten wir im DKB, Ost und West, zirka 200.000 aktive Kegel- und Bowlingsportler, Sportlerinnen und Sportler. Und heute sind es noch 80.000."
Überalterung und fehlender Nachwuchs: In Zeiten des Internets und unzähliger Freizeitangebote sind die Aussichten alles andere als rosig.
Zudem müssen die Sportkegler immer noch gegen das Image ausschweifender und zechfreudiger Gesellschaftsclubs ankämpfen.

"Zu sehr auf Tradition ausgelegt"

Kegeln sei "ein sehr konservativer Sport" und "zu sehr auf Tradition ausgelegt", meinte jüngst DKB-Präsident Uwe Oldenburg. Man solle doch "auch mal ein bisschen an die Zukunft denken".
Doch dem Verband fehlen zukunftsweisende Konzepte. Die ehrenamtlichen Funktionäre haben lange die Zeichen der Zeit nicht erkannt oder ignoriert. Alle Versuche der letzten Jahre, den Mitgliederschwund zu stoppen, blieben erfolglos. Der Bremer Freizeitforscher Rainer Hartmann macht Mut. "Wenn man Kegeln wieder hip machen wolle", erklärte er Anfang des Jahres, müsse man es modernisieren und bräuchte andere Räume.
Manche Anlagen bieten ein ansprechendes Ambiente, mit flottem Lichtdesign und modernster Computertechnik. Die meisten Kegelbahnen jedoch versprühen weiterhin einen eher biederen Charme, auch wenn sie bestens gepflegt und gewartet werden und technisch in einwandfreiem Zustand sind.
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Präsident des erfolgreichsten Kegelvereins in Deutschland: Lothar Müller© picture alliance / dpa / Jens Wolf
Sehr modern und professionell sind die Classic-Kegler in der anhaltinischen Kleinstadt Zerbst aufgestellt. Der SKV Rot-Weiß ist bei den Männern mit Abstand der erfolgreichste Sportkegel-Club Deutschlands und Europas, wenn nicht gar weltweit.
Im VIP-Raum der vereinseigenen High-Tech-Vier-Bahnen-Anlage zeugen zahlreiche Urkunden, Plaketten und Pokale von drei Champions-League-Titeln, acht Weltpokal-Siegen und zwölf Deutschen Meisterschaften in Serie. Die Chancen auf einen weiteren Meisterschaftstitel und Champions League Pokal stehen gut.
"Entscheidend war, dass wir 2003 an die Stadt herangetreten sind und haben gesagt, wir möchten diese Sportstätte käuflich erwerben. Die Stadt hat uns dann die Halle geschenkt, aber den Grund und Boden haben wir käuflich erworben und noch bißchen Land dazu für'n zweckmäßigen Anbau noch, Sanitärtrakt und Umkleiden, alles, und so hat sich die Infrastruktur bei uns verändert, und das ist eine der schönsten Sportstätten in Deutschland, klein und fein."
Vereinspräsident und Manager Lothar Müller ist gebürtiger Zerbster und war zu DDR-Zeiten selber ein hervorragender Kegler. Müller wurde in den Kader der Nationalmannschaft berufen und 1972 als 18-Jähriger von Zerbst nach Halle delegiert. Dort befand sich, angeschlossen an die Buna-Chemiewerke in Schkopau, eine der vier Kegel-Schwerpunktsektionen der DDR. Mit Halle gewann der talentierte Athlet 1972, 73 und 74 den Europapokal.
"Die DDR war Weltspitze, absolute Weltspitze, und der erste Weltmeister der DDR war ein Kegelsportler, das war Eberhard Luther, das war ein Ausnahmesportler, er konnte diesen Sport leben, er hat Titel, also Weltmeistertitel, ohne Ende geholt."

Der erste Weltmeister kam aus der DDR

(Historische Reportage:) "Die Kugel kommt, alles ist wieder aufgebaut, sie geht in die Gasse, sieben, sieben, noch zwei Punkte braucht er, aber er kann noch weiter schieben, jetzt stehen die alten Kegelenthusiasten auf ihren Stühlen, 80 Jahre alt sind manche, die hier zuschauen, ein Leben lang dem Kegelsport verschrieben sind. Da bringt Luther die zwei Punkte, die letzten beiden Hölzer fallen, er ist vorn und er wird Weltmeister 1959 hier in Bautzen werden."
Schon 1955, bei der ersten WM in Essen, war Eberhard Luther Weltmeister geworden, sowohl im Einzel, als auch mit der DDR-Mannschaft. Seit 1946 spielte er bei Lok Pirna.
"Beim Kegeln kann man von Kindesbeinen an bis ins hohe Alter spielen. Es ist auch deshalb so populär, weil viele Sportler, welche ihre Altersgrenze, mal angenommen im Fußball, in der Leichtathletik erreicht haben und dort keine Leistungen mehr bringen können, aber trotzdem noch Sport treiben wollen, zum Kegeln kommen. Also, man kann wirklich sagen, es ist ein wahrer Volkssport."
Auch Lothar Müller hatte das große Idol noch in der DDR-Sonderliga auf der Bahn kennen gelernt.
"Klar war das ein Ansporn, wenn wir gegeneinander gekegelt haben, und du durftest neben Eberhard Luther spielen, und du warst fast dran, ihn mal zu schlagen, das war das Größte. Aber er hat's immer wieder geschafft. Er war ein Ausnahmesportler im Kegeln und es war ein Vorbild, und ich bin glücklich, dass ich so was erleben durfte."
Als die DDR-Führung Anfang der 70er-Jahre die Sportförderung änderte und fast nur noch medaillenträchtige olympische Sportarten unterstützte, ging es mit dem Kegelsport bergab. 20 Jahre später brachte die Wende ein großes Sterben von Clubs und Kegelsportstätten mit sich.
"Die Kommunen hatten kein Geld, die Hallen gehörten ja der Kommune, und plötzlich musste gespart werden, und die sogenannten freiwilligen Leistungen wurde runtergefahren und wir standen eigentlich vor dem Aus."

Die selbstbewussten Kegler von Zerbst

Der große Zerbster Mehrsparten-Verein Einheit-Empor aus DDR-Zeiten, zu dem Lothar Müller schon Mitte der 70er-Jahre zurückgekehrt war, wurde zum TSV Rot-Weiß. Kegelsport spielte nur noch eine untergeordnete Rolle. Müller und seine Freunde wollten mehr. Mit Unterstützung von finanzkräftigen örtlichen Sponsoren gründeten sie 1999 den eigenständigen Sportkegler-Verein, SKV Rot-Weiß Zerbst.
"Du musst einfach selbständig über deine Finanzen entscheiden können. Wenn wir Gelder akquirieren im Sponsoring-Bereich, das waren denn unsere, die gingen denn nicht in diesem Verein unter, und wir waren unseres Glückes Schmied. Wir haben dann also wirklich sukzessive, sukzessive uns auch mit Kegelsportlern verstärkt aus der Region, Roßlau, Dessau, Wittenberg, und ich hab' mich halt vor den Karren gespannt, und so ging dieses System sukzessive nach oben. Klar hast du dann auch Unterstützer, die das würdigen, aber wir mussten auch die Infrastruktur verändern, und das war die große Herausforderung unseres Vereins."
Die Bahnanlage mit Kneipe wurde gekauft und modernisiert, und die Erfolge ließen nicht lange auf sich warten.
Bei wichtigen Spielen kommen bis zu 140 Zuschauer und zahlen Eintritt, für die erste Bundesliga fünf Euro. Ungewöhnlich für den Kegelsport, wo man sich normalerweise über jeden Besucher freut. Neben den großen Sponsoren wie Lotto und den Stadtwerken unterstützen viele kleine lokale Unternehmen den Club. Die Wände der Kegelanlage sind voll mit ihren Logos.
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Die Wettkampfanlage des Sportkeglervereins Rot-Weiß Zerbst.© picture alliance / dpa / Jens Wolf
120.000 Euro muss Manager Müller alljährlich für seine Weltklassekegler akquirieren. Und die kommen aus Slowenien, aus Bayern und Baden-Württemberg, kein einziger aus Zerbst. Das ist bei nahezu allen Bundesliga-Vereinen so. Geld werde aber nicht gezahlt, versichert Müller, lediglich die Fahrtkosten würden erstattet, mit 30 Cent pro Kilometer.
"Wir rechnen die Spieler nach Reisekostenrichtlinie ab, wie es üblich ist. Wenn sie übernachten müssen, wird das auch noch bezahlt, sicherlich gibt's auch mal ein Essen, aber mehr gibt es nicht."

Ein Kegler reist jedes Mal aus Slowenien an

"In very small number of clubs you have people which have heart for Kegeln, for nine pin, and this I find here. With the fans, with the leadership, with the team and because of that I'm here, I'm still here."
Nur in ganz wenigen Vereinen gebe es Leute mit Leidenschaft fürs Kegeln, Fans, Vorstand und Mannschaft, sagt der Slowene Boris Benedic, mehrfacher Einzel- und Mannschaftsweltmeister. In Zerbst sei das so, und deshalb spiele er auch immer noch dort. Seit 2007 – mit kurzer Unterbrechung – reist der 51-jährige Familienvater für jedes Spiel aus der slowenischen Heimat an, hin und zurück 1.800 Kilometer.
"Wir wollen Erfolg haben, und da wissen wir auch, dass da ein gewisser Aufwand notwendig ist, und den betreiben wir gerne, weil's hier halt 'ne tolle Mannschaft, ein toller Verein ist und wir immer sehr erfolgsorientiert arbeiten."
Coach Timo Hoffmann, ein weiterer Weltmeister, ist gleichzeitig Nationaltrainer. Der 48-jährige Oberfranke aus der Nähe von Kulmbach spielt seit 2004 beim SKV.


Fabian Seitz, Weltmeister und Nationalspieler aus Schwäbisch Gmünd, fährt ebenfalls über 1.000 Kilometer pro Spieltag.
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Timo Hoffmann, Trainer der Deutschen Kegler-Nationalmannschaft und Teamchef des Sportkeglervereins Rot-Weiß Zerbst.© picture alliance / dpa / Jens Wolf
"Die Stimmung ist super, sonst würden wir nicht jede Woche gemeinsam diese Strapazen auf uns nehmen, und tolles Publikum, immer top gepflegte Bahnen, also, wir arbeiten immer gemeinsam für ein Ziel und das ist entscheidend."

Die meisten Spiele werden im Kopf entschieden

Trainiert wird individuell in den Heimatorten, auf der Bahn, aber auch außerhalb: Joggen, Gymnastik, Fitnessstudio und autogenes Training, denn in der Spitze werden die meisten Spiele im Kopf entschieden.
"Der größte Wettbewerbsvorteil, den wir gegenüber den anderen haben, ist die Struktur des Vereines, dass wir einen Präsidenten haben, der das natürlich mit Leib und Seele lebt, der die Rahmenbedingungen schafft für des Ganze hier, also Lothars Lebenswerk Rot-Weiß Zerbst, das kann man gar nicht mit Leistung beschreiben, sondern das ist großartig und das ist in unserem Sport definitiv einzigartig."
Dennoch weiß man auch in Zerbst um die großen Schwierigkeiten, in denen sich der Kegelsport, aber auch das Gesellschaftskegeln in Deutschland befinden.

Renaissance als Partyevent

Wer nicht aus einer Keglerfamilie stammt, lässt sich ganz selten für den Wurf auf alle Neune begeistern. Der 28-jährige Fabian Seitz schaut denn auch ziemlich pessimistisch in die Zukunft.
"Wir sind eigentlich kurz vor dem Aussterben. Man spricht hier immer von Digitalisierung und Entwicklung, und eigentlich muss man sagen, wir im Kegeln sind noch mehr als Steinzeit, und selbst in der Bundesliga haben wir noch keine Live-Übertragung ins Internet, keine Kommentatoren, da verschlafen wir einfach viel zu viel Zeit, da ist das Präsidium einfach zu veraltet, da denk ich, da würde junges Blut anders herangehen, und man investiert einfach falsch. Wir haben kaum Medien, kaum Fernsehteams hier vor Ort, ich denke, das sind alles so Dinge, die unseren Sport sehr unattraktiv gestalten."
Auch vielen Gesellschaftskegelclubs fehlt der Nachwuchs. Aber es scheint auch einen gegenläufigen Trend zu geben. "Kegeln erlebt Renaissance", titelte vor einigen Jahren der "Kölner Stadt-Anzeiger". Tatsächlich entdecken junge Leute wieder verstärkt das Kegeln: als Partyevent, zu Geburtstagen und Junggesellenabschieden oder einfach nur zum geselligen Beisammensein.
So etwa auch in der Aachener Kneipe "Zuhause". Für Betreiber Stefan Wohnig sind die beiden alten Kegelbahnen im Keller eine Goldgrube. In der Vorweihnachtszeit hätte er sie sogar doppelt und dreifach vermieten können.
"Und selbst jetzt im Januar, Februar, März, ist die Nachfrage noch sehr hoch und es lohnt sich diese Bahnen zu betreiben, ja. Das ist wahrscheinlich eins der effektivsten Dinge, die wir hier machen im Lokal."

WLAN und Rundum-Wohlfühl-Service

Ohne allzu großen Aufwand haben Wohnig und seine Kollegen die verstaubten Bahnen partytauglich und für junges Publikum attraktiv gemacht, regelmäßige Reinigung und Wartung inklusive. Sie ließen WLAN verlegen, sodass die Gruppen beim Kegeln ihre eigene Musik hören können, installierten eine eigene Zapfanlage für Fassbier und bieten seither einen Rundum-Wohlfühl-Service auf den Bahnen.
- "Klar macht das Laune, man kann sich so'n bißchen gegenseitig sticheln, sag ich mal - 'Uuh, der war aber nicht so gut' -, aber alles halt im Spaß und dabei nett zusammen sein, ein bisschen quatschen."
- "Das jetzt als richtiges Hobby anzufangen, dafür würde mir einfach gerade die Zeit fehlen, aber ansonsten..."
- "Das gesellige Zusammensitzen, das Miteinander-was-machen-Können und das Dabei-miteinander-Reden, das ist das Wichtige."
- "Bei 'ner Kegelbahn ist man halt in 'ner schönen, kleinen Runde, ja, und das macht's eigentlich schöner, ja."
Eine Gruppe von Elektrotechnik Studenten feiert Geburtstag und amüsiert sich beim Kegeln im "Zuhause". Nebenan auf der Bahn schiebt ein Freundeskreis von 40-Jährigen alle zwei Wochen eine ruhige Kugel, richtig mit Kegelbuch und Kasse, mit Präsident und Jahresbericht.
"Wir haben's schätzen gelernt und haben da Spaß dran. Für uns passt das, aber als ich jünger war, kam das für mich auch nicht in Frage.
"Das, was dem anhaftet, ist Altherren, der Altherrensport", meinen Torsten und Johannes.
"Aber wir werden nicht dem Kegelsport erneut zum Durchbruch verhelfen, das ist leider nicht in unserer Macht und auch nicht unser aller Absicht."
"Gut Holz! Gut Holz! Gut Holz!"
Dieses Feature wurde erstmals gesendet am 11. März 2018.
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