Kein bisschen verstaubt
Der Klassiker aller Klassiker, Homers "Ilias", ist als Hörbuch erschienen. Das Verblüffende: Auch über 21 CDs lang zieht der Rhythmus, in dem Manfred Zapatka spricht, den Hörer in seinen Bann. Seine magische Stimme entreißt den Klassiker der musealen Erstarrung.
Auszug aus dem "Ilias": "Es wimmelte nur so von Kriegern, die aufeinander einstürmten. Jeder ging auf jeden los. Jeder auf jeden."
Schlachtengetümmel vor den Toren Trojas. Und dann, nicht ein weiterer Speerwurf, sondern diese Bemerkung hier:
"Die Schlacht, in der alles Menschliche untergeht, wogte auf."
Was für ein Satz über den Krieg, über den vor Tro-ja, den in Stalingrad, Vietnam, Bagdad oder am Hindukusch. Ein Satz ...
"... in der alles Menschliche untergeht."
... geschrieben um 660 vor Christus. Homers Epos über den Krieg, die "Ilias", allerdings nicht als "Heldengesang". Kein Action-Abenteuer, wie es Wolfgang Petersen in "Troja" mit Brad Pitt in Minirock und Sandalen fürs Kino zurechtgestutzt hat, sondern eine Inszenierung, die von einer Grundbestimmung ausgeht: Die ILIAS ist der "zentrale Text Europas".
So hat es Raoul Schrott im Booklet des Hörbuches formuliert. Es geht in diesen mehr als 1500 Versen um Kultur und Barbarei, um Gier, Wut, Ehre, Verrat und um dieses Morden, das man Krieg nennt.
"Und die scharf glänzenden Spitzen, die helle Bronze der Helme, die gleißenden Schilde und spiegelnden Rüstungen blitzten auf, dass das Metall die Augen blendete. Wer diesen Anblick ertrug und sich daran noch erfreuen konnte, hatte kein Herz im Leib."
Ausgenommen die Damen und Herren da oben, die Unsterblichen, die Götter im Olymp, die sich an dem tödlichen Treiben der da unten, vor Troja, ergötzen.
"Den zwei mächtigen Söhnen des Kronos, Zeus und Poseidon, jedoch, gefiel es. Sie standen einander feindselig gegenüber und brachten bitteres Leid über alle."
Soweit so gut, diese Vergewisserung der Bedeutung der "Ilias". Allerdings, wohl traurig, aber ebenso wahr, teilt Homers Text das Schicksal vieler Klassiker, hoch gelobt nämlich zu sein, gerühmt gar, aber tendenziell ungelesen.
Verstaubend da oben im Regal. Wie nun also den abtragen, diesen Staub, wenn ein Hollywood-Abenteuer à la Wolfgang Petersens "Troja" - auf Hörfilm getrimmt - aus guten und grundsätzlichen Überlegungen nicht zu Diskussion stand?
Ausgangspunkt war in diesem Fall der Auftrag des Hessischen Rundfunks und des Deutschlandfunks an den Schriftsteller Raoul Schrott, die "Ilias" neu zu übertragen, um dann daraus das Hörspiel zu machen. Die Schrottsche Übertragung wurde in Fachkreisen zwar wegen ihrer vorgeblichen Flapsigkeit durchaus kritisiert, hier in der akustischen Adaption über-zeugt sie jedoch vollkommen.
Raoul Schrott: "Für mich aber als Dichter, als der ich mich primär sehe, gehört es mit zur Poesie, dass man sie am Leben erhält. Das ist das, was Arno Schmidt ein-mal den 'Dienst an den Ahnen' genannt hat. Das heißt, es ist Aufgabe jeder Dichtergeneration, ihre Vorläufer immer wieder neu zu aktualisieren.
Sie immer wieder neu in unsere heutige Sprache zu bringen, sie immer wieder neu in unsere heutige Gesellschaft ein- und anzupassen. Es ist ein Sprachereignis, beim dem man im Publikum einmal Lachen auslöst, einmal Betroffenheit auslöst, all diese Dinge eben inszeniert. Und das mit heutigen Mitteln nachzuinszenieren, das ist, worum es in einer poetischen Übersetzung geht."
Manfred Zapatka liest diesen Text ganz alleine, aber in der Buhlertschen Komposition der Stimme in ihren unterschiedlichen Sprechhaltungen, akustischen Richtungen und Räumen entsteht der Rhythmus, der den Hörer in seinen Bann zieht.
"Paris, du Parodie. Du Parodie! Weiberheld! Nichts als ein Blender bist du, ein Weiberheld, der jetzt noch dazu seinen Schwanz einzieht. Ich wünschte, du wärest nie geboren."
Nun ja, soweit alles schön und gut. Aber, Frage, 21 CDs lang "nur" die Stimme von Manfred Zapatka, kann das über Stunden um Stunden gut gehen? Kann, will man dem zuhören?
"Alkataos stand reglos, dass Idomeus ihm die Spitze mitten in die Brust jagte."
Die verblüffende Antwort auf die Frage: Ja! Die Hör-Fassung der "Ilias" von Raoul Schrott, Klaus Buhlert und der magischen Stimme von Manfred Zapatka erfüllt den eigenen Anspruch: Sie entreißt den Klassiker der musealen Erstarrung.
Entstaubung, brachial, poetisch, chaotisch, dramatisch, pöbelnd, krachig, blutig, zynisch, mörderisch ... Ja, dieser Klassiker, diese "Ilias", ist wieder lebendig geworden. Die uralte Homersche Erzählung über Krieg und Wahnsinn wird hier und wirkt hier tatsächlich neu.
Ohne special effects, sondern ganz und gar der Text - und was für ein Text, der - wie wir wissen - ja schon 660 vor Christus geschrieben und gleichzeitig zum Vortrag, zum Hören konzipiert war.
Rezensiert von Hartwig Tegeler
Homer: Ilias
Hörbuch; Neufassung/Übersetzung von Raoul Schrott (Buchvorlage: Hanser Verlag)
Mit: Manfred Zapatka.
Akustische Einrichtung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert.
Produktion: Hessischer Rundfunk/Deutschlandfunk/Der Hörvererlag 2008
Erschienen bei: Der Hörverlag/München (21 CDs)
Schlachtengetümmel vor den Toren Trojas. Und dann, nicht ein weiterer Speerwurf, sondern diese Bemerkung hier:
"Die Schlacht, in der alles Menschliche untergeht, wogte auf."
Was für ein Satz über den Krieg, über den vor Tro-ja, den in Stalingrad, Vietnam, Bagdad oder am Hindukusch. Ein Satz ...
"... in der alles Menschliche untergeht."
... geschrieben um 660 vor Christus. Homers Epos über den Krieg, die "Ilias", allerdings nicht als "Heldengesang". Kein Action-Abenteuer, wie es Wolfgang Petersen in "Troja" mit Brad Pitt in Minirock und Sandalen fürs Kino zurechtgestutzt hat, sondern eine Inszenierung, die von einer Grundbestimmung ausgeht: Die ILIAS ist der "zentrale Text Europas".
So hat es Raoul Schrott im Booklet des Hörbuches formuliert. Es geht in diesen mehr als 1500 Versen um Kultur und Barbarei, um Gier, Wut, Ehre, Verrat und um dieses Morden, das man Krieg nennt.
"Und die scharf glänzenden Spitzen, die helle Bronze der Helme, die gleißenden Schilde und spiegelnden Rüstungen blitzten auf, dass das Metall die Augen blendete. Wer diesen Anblick ertrug und sich daran noch erfreuen konnte, hatte kein Herz im Leib."
Ausgenommen die Damen und Herren da oben, die Unsterblichen, die Götter im Olymp, die sich an dem tödlichen Treiben der da unten, vor Troja, ergötzen.
"Den zwei mächtigen Söhnen des Kronos, Zeus und Poseidon, jedoch, gefiel es. Sie standen einander feindselig gegenüber und brachten bitteres Leid über alle."
Soweit so gut, diese Vergewisserung der Bedeutung der "Ilias". Allerdings, wohl traurig, aber ebenso wahr, teilt Homers Text das Schicksal vieler Klassiker, hoch gelobt nämlich zu sein, gerühmt gar, aber tendenziell ungelesen.
Verstaubend da oben im Regal. Wie nun also den abtragen, diesen Staub, wenn ein Hollywood-Abenteuer à la Wolfgang Petersens "Troja" - auf Hörfilm getrimmt - aus guten und grundsätzlichen Überlegungen nicht zu Diskussion stand?
Ausgangspunkt war in diesem Fall der Auftrag des Hessischen Rundfunks und des Deutschlandfunks an den Schriftsteller Raoul Schrott, die "Ilias" neu zu übertragen, um dann daraus das Hörspiel zu machen. Die Schrottsche Übertragung wurde in Fachkreisen zwar wegen ihrer vorgeblichen Flapsigkeit durchaus kritisiert, hier in der akustischen Adaption über-zeugt sie jedoch vollkommen.
Raoul Schrott: "Für mich aber als Dichter, als der ich mich primär sehe, gehört es mit zur Poesie, dass man sie am Leben erhält. Das ist das, was Arno Schmidt ein-mal den 'Dienst an den Ahnen' genannt hat. Das heißt, es ist Aufgabe jeder Dichtergeneration, ihre Vorläufer immer wieder neu zu aktualisieren.
Sie immer wieder neu in unsere heutige Sprache zu bringen, sie immer wieder neu in unsere heutige Gesellschaft ein- und anzupassen. Es ist ein Sprachereignis, beim dem man im Publikum einmal Lachen auslöst, einmal Betroffenheit auslöst, all diese Dinge eben inszeniert. Und das mit heutigen Mitteln nachzuinszenieren, das ist, worum es in einer poetischen Übersetzung geht."
Manfred Zapatka liest diesen Text ganz alleine, aber in der Buhlertschen Komposition der Stimme in ihren unterschiedlichen Sprechhaltungen, akustischen Richtungen und Räumen entsteht der Rhythmus, der den Hörer in seinen Bann zieht.
"Paris, du Parodie. Du Parodie! Weiberheld! Nichts als ein Blender bist du, ein Weiberheld, der jetzt noch dazu seinen Schwanz einzieht. Ich wünschte, du wärest nie geboren."
Nun ja, soweit alles schön und gut. Aber, Frage, 21 CDs lang "nur" die Stimme von Manfred Zapatka, kann das über Stunden um Stunden gut gehen? Kann, will man dem zuhören?
"Alkataos stand reglos, dass Idomeus ihm die Spitze mitten in die Brust jagte."
Die verblüffende Antwort auf die Frage: Ja! Die Hör-Fassung der "Ilias" von Raoul Schrott, Klaus Buhlert und der magischen Stimme von Manfred Zapatka erfüllt den eigenen Anspruch: Sie entreißt den Klassiker der musealen Erstarrung.
Entstaubung, brachial, poetisch, chaotisch, dramatisch, pöbelnd, krachig, blutig, zynisch, mörderisch ... Ja, dieser Klassiker, diese "Ilias", ist wieder lebendig geworden. Die uralte Homersche Erzählung über Krieg und Wahnsinn wird hier und wirkt hier tatsächlich neu.
Ohne special effects, sondern ganz und gar der Text - und was für ein Text, der - wie wir wissen - ja schon 660 vor Christus geschrieben und gleichzeitig zum Vortrag, zum Hören konzipiert war.
Rezensiert von Hartwig Tegeler
Homer: Ilias
Hörbuch; Neufassung/Übersetzung von Raoul Schrott (Buchvorlage: Hanser Verlag)
Mit: Manfred Zapatka.
Akustische Einrichtung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert.
Produktion: Hessischer Rundfunk/Deutschlandfunk/Der Hörvererlag 2008
Erschienen bei: Der Hörverlag/München (21 CDs)