Kein Deich, kein Land, kein Leben

Von Matthias Günther · 19.03.2009
Rund 420 Kilometer Landesschutzdeiche - also die erste Deichlinie von Nord- und Ostsee - schützen das Land vor Überflutung. Mit dem verbauten Material ließe sich ganz Schleswig-Holstein um zehn Zentimeter aufschütten. Neue Deiche werden kaum noch gebaut und dennoch hat der Wasserbau eine Zukunft. Der erwartete Anstieg des Meeresspiegels lässt den Küstenschutz wichtiger werden denn je. Die Meeresangriffe auf die Küsten werden stark zunehmen. Im Generalplan Küstenschutz des Landes ist für die Bemessung der Deichverstärkung bereits ein "Klimazuschlag" eingeplant.
3. Januar 1976: die Jahrhundertsturmflut. Der stärkste Orkan seit 30 Jahren drückt das Wasser mit Geschwindigkeiten von bis zu 145 Kilometern in der Stunde an die Deiche. Weite Teile der schleswig-holsteinischen Nordseeküste erleben die höchsten jemals gemessenen Wasserstände. In Husum steigt der Pegel auf 5, 66 Meter über Normalnull. Über Funk teilt der Katastrophenabwehrstab die Rettungskräfte zum Schutz der Deiche ein:

Die meisten Deiche halten diesmal Stand – 14 Jahre zuvor war das anders gewesen.

Nach der damaligen Sturmflutnacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 meldete sich ein Reporter des Norddeutschen Rundfunks von der schleswig-holsteinischen Westküste:

"Ich stehe hier heute Morgen an der Husumer Schleuse und sehe vor mir nun die Gaststätte 'Erholung' weit draußen im Meer. An 20 Stellen an der Westküste und besonders hier in Eiderstedt und Nordfriesland sind die Deiche schwer beschädigt worden. An einigen Stellen sind sie durchbrochen; zum Beispiel im Uelvesbüller Koog in Eiderstedt ist der Deich durchbrochen, da wurden heute Morgen die Leute aus dem Koog evakuiert. Um acht Uhr oder kurz danach saß noch eine Familie, eine Bauernfamilie, auf dem Dach ihres Hauses und die Bundeswehr versuchte, mit Sturmbooten diese Familie abzuholen. Ob es geglückt ist, weiß ich noch nicht."

Anders als in Hamburg, wo bei der Sturmflut von 1962 315 Menschen ums Leben kamen, gab es in Schleswig-Holstein keine Todesopfer. Aber von 560 Kilometer Deichen wurden 70 Kilometer zerstört, 80 Kilometer schwer beschädigt. Das Land zog Konsequenzen. Johannes Oelerich, der Leiter des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz in Husum:

"Aus 1962 hat man durch viele Tote, die es gegeben hat, durch viele Verletzte, durch viele Deichbrüche lernen müssen, hat danach ein Programm aufgelegt, wie die Küstenschutzanlagen ertüchtigt werden. Eine Sturmflut von 1976, die für weite Bereiche Schleswig-Holsteins die höchsten je gemessenen Wasserstände geliefert hat - respektive 1981 für andere Bereiche Schleswig-Holsteins - haben Wasserstände geliefert, die weit höher waren als 1962, und dank der Küstenschutzanlagen, so wie sie dann konzipiert und verwirklicht worden sind, hat es keine nennenswerten Schäden gegeben."

Und auch bei den Sturmfluten in den 90er Jahren hielten die Deiche stand. Doch die Landesregierung warnt: ein Viertel der Fläche Schleswig-Holsteins ist potenziell überflutungsgefährdet, hier wohnen 345.000 Menschen, und hier gibt es Sachwerte von 47 Milliarden Euro. Das Umweltministerium hat deshalb eine Broschüre an alle Haushalte verteilen lassen. Darin werden die Bürger darüber aufgeklärt, was bei einer Sturmflut passieren kann und wie sie sich verhalten sollen. Johannes Oelerich nennt einige nützliche Tipps:

"Die wichtigste Pflicht ist, Ruhe zu bewahren, das Radio einzuschalten, sich mit den aktuellen Informationen zu versorgen, die Hilfskräfte nicht zu behindern und sich selbst, wenn die Informationslage es denn hergibt, sich darauf vorzubereiten, dass möglicherweise ein Versagen der Küstenschutzanlagen ansteht. Es ist natürlich ausgesprochen vorteilhaft, dass man Kerzen im Haus hat, dass man Taschenlampen im Haus hat, dass man ein Batterie getriebenes Radio im Haus hat. Das sind so die Grundvoraussetzungen, die eigentlich für den Alltag auch gelten."

Bei den meisten Bürgern an der Küste sind die Informationen gut angekommen:

"Ich finde die optimal. Weil, wir hatten neulich ja schon sehr hohes Wasser, sage ich mal. Das ging bis zur Böschung. Und da war so ein bisschen Alarm hier, fand ich, oh Gott, wie weit geht’s noch. Ja, das macht schon Angst. Und Vorsorge finde ich immer richtig in der heutigen Zeit. Ich finde das 'ne gute Sache."
"Das ist sehr interessant, und finde ich auch wichtig, weil man so im Grunde vorher gar nicht gewusst hat, welche Gefahren so lauern können, obwohl man hier schon lange wohnt."

Andere Bürger halten die Hinweise für überflüssig – auch wenn sie nur einen Steinwurf vom Strand entfernt wohnen:

"Wir sind hier an der Küste ja doch schon ein bisschen drauf vorbereitet, näch. Wir leben da ja schon mit – mit dem Hochwasser."
"Bis hierhin ist es ja bis jetzt noch nie gekommen. Ich glaub da wenig dran, dass wir hier mal Hochwasser kriegen – also dass das bis hier drüben hinkommt."

Schleswig-Holsteins oberster Küstenschützer Johannes Oelerich rät aber dringend dazu, die Gefahren des Meeres nicht zu unterschätzen:

"Wir glauben, dass die Küstenschutzbauwerke Schleswig-Holsteins sicher sind. Es gibt aber keine 100-prozentige Sicherheit. Unsere Altvorderen können noch von diesen Situationen berichten, wo die Küstenschutzbauwerke versagt haben. Und jeder muss wissen, dass ein solcher Versagensfall eintreten kann. Für diesen Fall müssen gerade die, die nicht mehr auf das Erlebete zurückgreifen können, informiert werden, wie man sich in solch einem Fall verhalten sollte. Das hat nichts mit Panikmache zu tun, sondern mit einer Information, die zu einem verantwortungsbewussten Handeln auch im Katastrophenfall führen soll."

Das Risiko, dass ein solcher Gefahrenfall eintritt, wird in den kommenden Jahrzehnten steigen. Grund ist der Klimawandel. Der UN-Weltklimarat, IPCC, geht davon aus, dass der Meeresspiegel aufgrund der Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts um 20 bis 60 Zentimeter steigen wird. Gleichzeitig ist im Herbst und Winter mit kräftigeren Stürmen zu rechnen – vor allem an der Nordseeküste wächst die Gefahr von Sturmfluten. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung berücksichtigt deshalb beim Küstenschutz schon seit 2001 einen Klimazuschlag, wie Dietmar Wienholdt vom Umweltministerium sagt:

"Wir machen es so, dass wir unsere jetzigen Deiche überprüfen – auf den derzeitigen Zustand und stellen uns ein auf die Frage, ob sie derzeitig hoch genug sind. Und wenn wir feststellen, sie sind jetzt zu niedrig, dann bauen wir sie neu aus, und dann schlagen wir zu dem Bemessungswasserstand noch mal extra 50 Zentimeter Höhe drauf – als Klimazuschlag."

Schleswig-Holstein hat an Nord- und Ostsee eine Küstenlinie von rund 1200 Kilometern. 527 Kilometer werden durch Deiche vor Sturmfluten geschützt. Die Deiche sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an neue Erkenntnisse angepasst worden, aber:

""Wir haben im Moment 75 Kilometer noch, die dringend verstärkt werden müssen, weil sie nach heutigen Gesichtspunkten schon zu niedrig sind. Und die werden dann gleich mit Klimazuschlag ausgebaut. Wir haben aber auch schon 30 Kilometer neu verstärkt, die diesen Klimazuschlag beinhalten."

Ältere Deiche sind zwischen 70 und 90 Meter breit, neue Deiche bis zu 150 Meter. Denn sie werden, damit sie den Sturmfluten besser standhalten, nicht mehr so steil gebaut. Die Erhöhung eines Deiches ist aufwändig, erklärt Rüdiger Schirmacher, der den Deichbau in Schleswig-Holstein leitet:

"Es wird Sandboden im Wattbereich gewonnen, wird mittels Spülbaggern dann an Land transportiert. Und dieser Deichkern, der dann eben aus Sand besteht, wird dann mit einem erosionsfesten Material, das ist bei uns der so genannte Kleiboden, abgedeckt. Kleiboden ist ein sehr erosionsfester Boden, der entstanden ist aus Ablagerungen der Nordsee. Diese Abdeckung beträgt an der Außenböschung, also zur Seeseite hin, circa. einen Meter Schichtstärke, und zur Landseite hin circa. 50 Zentimeter."

Mit dem Klimazuschlag sollen die schleswig-holsteinischen Deiche bis zum Ende des Jahrhunderts den Sturmfluten Stand halten. Danach kann man sie weiter erhöhen. Aber es gibt Grenzen, weiß der Fachmann:

"Es gibt Bereiche bei uns, die also sehr große Weichschichten unter den Deichen aufweisen, das sind ganz besonders die Deiche im Bereich der Elbmarschen. Dort haben wir so Setzungszuschläge zu beachten, die bis zu zweieinhalb Meter gehen. Soweit innerhalb sehr kurzer Zeit sinkt dieser Deich ab – auch wenn man noch wieder was drauf tut: dann sinkt er wieder (lacht), ja, das ist so."

Deshalb werden in solchen Fällen beispielsweise Spundwände gesetzt. Oft haben die Deichbauer mit Widerständen zu kämpfen – vor allem mit Einwänden von Naturschutzbehörden oder Naturschutzverbänden, auch mit Anwohnern, die Schäden an ihren Häusern durch Erschütterungen beim Deichbau befürchten, und manchmal auch mit Anwohnern, denen der Deich die Sicht versperrt, berichtet Rüdiger Schirmacher:

"Also Ärger gibt’s immer, wenn welcher Seite auch immer. Da sind wir eben gefordert, die Planungen so abzustimmen, dass es möglichst wenig Ärger gibt, aber ein Bürger hat kein Recht auf freie Aussicht auf die Nordsee oder auf die Ostsee."

Besonders gefordert ist der Küstenschutz bei den Inseln und Halligen vor der schleswig-holsteinischen Westküste. Auf Sylt gleicht der Küstenschutz einer Sisyphusarbeit. Grund sind die alljährlichen Sandverluste bei den Winterstürmen, sagt Dietmar Wienholdt vom Umweltministerium:

"Da wird man auch in Zukunft ein besonderes Augenmerk darauf haben, wie stark ist diese Insel durch Sturmfluten und höhere Wasserstände belastet. Aber auch dort wissen wir, dass wir auch bei stärkerer Belastung dem am besten begegnen können, wenn wir das, was das Meer sich jedes Jahr wiederholt, wieder hinbringt, indem man Sand vorspült. Das ist immer noch die wirtschaftlichste Methode, und auch dort werden wir auch bei Veränderungen des Meeresspiegels noch eine ganze Zeit gut mit zurechtkommen.

Alle andere Maßnahmen, auch bauliche feste Maßnahmen, bedingen zusätzlich Sandvorspülungen. Und von daher merkt man: Es ist zwar nicht für jeden verständlich, dass der Sand immer wieder weg ist, aber es ist immer der wirtschaftlichste Teil, wenigstens eine Million Kubikmeter jedes Jahr wieder vorzuspülen – und diese Million Kubikmeter holt sich das Meer regelmäßig wieder."
Der immer wieder einmal erhobenen Forderung, Sylt doch einfach aufzugeben, um auf diese Weise viel Geld zu sparen, entgegnet Dietmar Wienholdt:

"Das ist sehr leicht gesagt, aber schwer getan. Man darf nicht vergessen: Sylt ist natürlich eine sehr interessante Insel, sie ist, was den Tourismus angeht, von ganz besonderer Bedeutung. Und wenn man auch auf der anderen Seite sieht, was für ein Steueraufkommen dort erzielt wird, dann sind die sechs oder sieben Millionen Euro, die wir jedes Jahr in die Sandvorspülung stecken, im Verhältnis zu dem, was dort produziert wird, relativ geringe Summen."

Anders ist es bei den Halligen – ihnen droht auch bei steigendem Meeresspiegel und vermehrten Sturmfluten nicht, weggespült zu werden:

"Die Halligen selbst, die wachsen mit. Weil sie regelmäßig überflutet werden, bei leichten Sturmfluten schon, und wachsen auf mit dem Sediment. Nun leben die Menschen dort auf Warften, und wir können natürlich nicht grenzenlos die Warften erhöhen um die Häuser herum, sondern wir werden irgendwann mal die Warften höher machen müssen und auch die Häuser höher legen müssen. Und darüber sind wir jetzt schon mit den Halligbewohnern im Gespräch, damit dann, wenn dort in der heutigen Zeit mal neu gebaut wird, auch dran gedacht wird, dass möglicherweise der Meeresspiegel es erfordert, das Fundament höher zu legen."

Auch dort ist also ein Klimazuschlag angebracht.

Auf dem Deich von Nordstrand stehen Schafe. Hans-Dieter Schulz lebt auf dieser mit dem Festland verbundenen Insel. Er fühlt sich hinter dem Deich sicher. Hier denkt man nicht ständig an die Möglichkeit der Überflutung, versichert er:

"Also hier im Festlandsbereich und Nordstrand denke ich mal nicht so viel. Mehr bereitet man sich sicherlich auf den Inseln und Halligen vor. Die, denke ich mal, haben auch Kerzen und Taschenlampen parat, wenn Sturmflutmeldungen kommen. Also hier ist das eigentlich selten, dass wenn eine Sturmflut kommt, dass dann auch Stromausfall und alles gleichzeitig da ist.

Ich bin vor sechs Jahren mit meiner Familie nach Nordstrand gezogen. Wir haben vorher auf der Geest gewohnt. Und ich denke mal, die Deiche, die sind relativ sicher. Wenn man bedenkt, vor ein paar hundert Jahren, da waren die Deiche so circa drei Meter über Mitteltidehochwasser, und jetzt sind sie doch sechs Meter über Mitteltidehochwasser, also ist die Sicherheit doch wesentlich erhöht worden, und wenn das nicht gewesen wäre, wäre ich da auch nicht hingezogen."

Hans-Dieter Schulz ist vom Fach. Er sorgt für die Instandhaltung der Deiche.

"Also wenn ein Deich fertig ist nach einer Erhöhung oder nach einer Baumaßnahme, geht er in die Unterhaltung unseres Regiebetriebes über. Und wir also haben unsere Kolonnen stetig am Deich. Im Vorland arbeiten die und machen die Deichunterhaltung, das ist, wenn Sturmflut gewesen ist, dass wir das Treibgut dort abräumen, um die Grasnarbe zu schonen. Wenn Schäden an der Grasnarbe sind, dann werden die ausgebessert, wenn Schäden an den Steindecken sind, dann werden die ausgebessert. Also wir sind das ganze Jahr über mit unseren Leuten und Kolonnen am Deich unterwegs und beobachten, ob dort irgendwie Sachen kaputt sind. Und die werden dann gleich von uns repariert."

Wichtige Helfer sind die Schafe auf dem Deich:

"Einerseits fressen die das Gras kurz. Und zwar: das Gras sollte möglichst kurz gefressen sein, damit sich kein Ungeziefer dort aufhalten kann unter dem langen Gras, wie zum Beispiel Wühlmäuse, Maulwurf usw., da also kann man schnell sehen, wo diese sich eingenistet haben oder wo Schäden entstehen. Und das zweite ist: Die Schafe mit ihren kleinen Hufen treten auch die Kleidecke schön fest, also dass die Kleidecke immer sehr gut verdichtet ist. Und insofern sind die Schafe also für uns eigentlich gar nicht wegzudenken am Deich."

Besonders zu schaffen machen den Küstenschützern die Maulwürfe in den Deichen:

"Die Maulwürfe werden von uns – ja, gefangen, wir haben also eine Ausnahmegenehmigung. Die stehen ja auf der Roten Liste, aber für den Küstenschutz ist das eine große Gefährdung für einen Deich, wenn so ein Maulwurf am Deich ist, und deswegen haben wir da eine Ausnahmeregelung, dass wir da die Maulwürfe bekämpfen dürfen."

Von der Westküste zur Ostküste von Schleswig-Holstein. Viele Menschen wohnen hier direkt hinter der Stranddüne und haben noch keine schwere Sturmflut erlebt. Allerdings: Im Jahre 1872 stieg der Wasserstand in der Lübecker Bucht um 3,50 Meter über den normalen Meeresspiegel, Hunderte Quadratkilometer wurden überflutet, 271 Menschen kamen ums Leben. Eine ältere Anwohnerin der Strandallee in Scharbeutz hat davon aus erster Hand erfahren:

"Ich weiß noch immer von meiner Großmutter, dass die früher erzählte, das war 1872, und dass der Onkel oben im Baum gesessen hat, sie war ein sechsjähriges Kind, und dass die mit einem Ruderboot ihn da noch rausgeholt haben aus dem Baum. Da erzählte sie sehr viel von - uns Kindern."

Solche extremen Wasserstände an der Ostseeküste lassen sich, wie Dietmar Wieholdt vom Umweltministerium sagt, mit dem so genannten Badewanneneffekt erklären:

"Wenn wir eine längere Zeit Westwind haben, dann staut sich das Wasser nach Norden in der Ostsee. Und wenn der Wind wieder nachlässt und die Kraft nachlässt, dann schwappt das zurück. Und weil das das Gleiche ist, wie ein Mensch, der in der Badewanne die Wassermasse zu den Füßen bewegt, der wird auch erleben, dass auf der anderen Seite eine Welle ihm entgegen kommt und ihm möglicherweise bis zum Hals reicht."

Da die große Sturmflut aber 137 Jahre zurückliegt, tun sich die Küstenschützer schwer, die Menschen an der Ostsee von der Gefährlichkeit des Meeres zu überzeugen.

"Ja, das ist unser Problem, dass die Sturmfluten an der Ostsee wesentlich seltener auftreten in den Extremhöhen als an der Westküste. Das hat damit zu tun, dass die Extremwindstärken, die dazu führen, zu einem hohen Wasserstand, dort seltener eintreten und ungünstige Konstellationen zusammenkommen müssen. Dieser berühmte Badewanneneffekt – überlagert durch eine Sturmflut – führt zu den höchsten Wasserständen, die unsere Küsten gefährden. Und da ist es nun mal so, dass das schlimmste Ereignis 1872 war. Und das ist natürlich weit aus der Erinnerung der Bevölkerung raus. Was wir in den letzten Jahren erlebt haben, waren zwar auch Sturmfluten, aber die haben nicht dieses Ausmaß von 3,50 Meter Erhöhung erreicht, sondern haben in dem Bereich von maximal zwei Metern gelegen."
Auch an der Ostseeküste wird der Küstenschutz verbessert. Während es an der Nordsee einen Klimazuschlag von 50 Zentimetern gibt, werden neue Schutzanlagen an der Ostsee 30 Zentimeter höher gebaut, als für heutige Verhältnisse nötig wäre. Der Bau von Deichen ist hier oft nicht möglich, denn – gerade in der Lübecker Bucht – liegen Orte wie Scharbeutz und Timmendorfer Strand direkt am Strand. Für Deiche ist hier oft kein Platz, sagt Johannes Oelerich, der Leiter des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz.

"In den Ortschaften an der Lübecker Bucht ist der Tourismus von sehr starkem Interesse. Dem müssen die Hochwasserschutzanlagen Rechnung tragen. Daher wird zusammen mit der Bevölkerung das Schutzniveau ermittelt, festgelegt, um es dann mit geeigneten Strukturen zu verwirklichen. Geeignete Strukturen heißt: Sie müssen sich in die Örtlichkeit einfügen. Dort wo Platz ist, kann man Deiche bauen. Dort wo wenig Platz ist, muss man zurückgreifen auf feste Bauwerke, Spundwände, die dann zum Beispiel kaschiert werden durch dünenartige Strukturen. Aber dort, wo man die Blickachse zur Ostsee sicherstellen will, findet man an der Ostsee auch Glasscheiben, die dann den Hochwasserschutz sicherstellen."

In Scharbeutz sind die Arbeiten zum besseren Schutz vor schweren Sturmfluten schon abgeschlossen. Die Düne zwischen dem Strand und der Strandallee ist jetzt einen Meter höher als vorher. Und damit die Düne bei einer schweren Sturmflut nicht einfach weggespült wird, ist sie nun durch eine acht Meter tief in den Grund reichende, kaum sichtbare Spundwand gesichert. Bürgermeister Volker Owerien erklärt den Nutzen der Baumaßnahme. Weite Teile der Gemeinde liegen sehr tief, sagt er und zeigt auf die Häuser an der Strandallee:

"Wenn man mal den strandnahen Bereich nimmt, dass heißt also, das ist der Bereich, der weniger als drei Meter über dem Meeresspiegel liegt, dann wären allein in diesem Bereich rund 5700 Menschen bei entsprechendem Hochwasser gefährdet. Und dazu dann natürlich noch die Sachwerte – hier beziffert mit ungefähr 1,76 Milliarden Euro, die bei einem extremen Hochwasser dann bedroht wären."

Um solche Werte in Scharbeutz und anderen Küstenorten zu sichern, sind die Investitionen für den Küstenschutz gut angelegtes Geld, meint Dietmar Wienholdt vom Umweltministerium in Kiel:

"Ich finde schon. Wir müssen es uns leisten. In Schleswig-Holstein, wo, wenn Sie so wollen, ein Viertel der Landesfläche überflutungsgefährdet ist, wo nach dem Stand von 2000 eine Wertschöpfung von achteinhalb Milliarden ist in den Bereichen, dort jährlich für die Sicherheit der Menschen 50 oder 55 Millionen Euro auszugeben, ist vernünftig, ist auch sinnvoll. Und wir sind auch froh und dankbar, dass auch von der Politik nicht nur das Geld bereit gestellt wird, sondern auch für die Verbesserung der Sicherheit zusätzliche Mittel in den nächsten Jahren für Schleswig-Holstein zur Verfügung stehen werden."

Der Klimazuschlag von 50 Zentimetern an der Nordsee und 30 Zentimetern an der Ostsee ist nur eine vorläufige Planung. Wenn es neue Erkenntnisse gibt, werden sie berücksichtigt:

"Wir prüfen sowieso alle zehn Jahre, ob wir mit unserer Bemessung unserer Deiche richtig sind und ob sich dort Veränderungen ergeben haben. Und wir sind gerade wieder in so einer Phase, dass wir nicht nur in Schleswig-Holstein alleine, sondern mit unseren Kollegen in den Nachbarbundesländern diese Frage uns stellen und diese Überprüfung vornehmen."

Dietmar Wienholdt kann sich durchaus Szenarien vorstellen, die die jetzigen Planungen wieder über den Haufen werfen:

"Was uns Sorgen macht, ist die Frage: Was ist mit der Eiskappe von Grönland. Denn die ist da nicht mit drin enthalten. Und wir haben auch gerade in der letzten Zeit erfahren: Wenn in Grönland nur zehn Prozent des Eises abschmelzen würden, was nicht ganz unwahrscheinlich zu sein scheint bis 2100, dann würden noch mal extra 70 Zentimeter oben drauf zu rechnen sein, so dass wir uns auch ständig überprüfen müssen, ob wir mit unseren Einschätzungen des Meeresspiegelanstiegs richtig liegen."