Kein Ende beim Stammeszwist
Nach dem Wahldebakel im vergangenen Jahr blieb der CSU eine Zerreißprobe erspart. Doch Friede zwischen den Oberbayern und den Franken herrscht deshalb noch lange nicht. Die Stimmung an der fränkischen Parteibasis kocht und das Verhältnis zum neuen Ministerpräsidenten Horst Seehofer ist angespannt.
Demonstration: "Ich denke, man sollte die rote Karte rausholen. Und – nicht nur der Frau Hohlmeier – sondern auch den Herren Guttenberg, Koschyk und Co. sagen: so könnt Ihr nicht mit uns umgehen. Das lassen wir uns– das lassen wir uns auf Dauer nicht gefallen. Und meine sehr geehrten Damen und Herren: Ja, wir schaffen es. Irgendwann schaffen wir es, dass die wieder von ihrem hohen Ross runterkommen, dass sie wieder zur Vernunft kommen und Politik für die Menschen machen."
Bayreuth in Oberfranken, im Januar. Ein Neujahrsempfang der CSU. Vor der Tür halten ein paar Leute Plakate hoch. "Hohlmeier – Nein danke" ist darauf zu lesen. Oder: "In München geschasst, in Bayreuth gehasst". Es ist bitterkalt, und doch haben sich etwa 30 Personen zu einer Protestaktion versammelt. Gegen die CSU. Gegen Monika Hohlmeier, Tochter des legendären Franz Josef Strauß. Sie soll für die CSU ins Europäische Parlament nach Brüssel. Die 46-Jährige ist Oberbayerin. In den Europawahlkampf aber ziehen wird sie in Oberfranken.
Lauterbach: "Ich werde ihr dringend raten, dass sie von einer Kandidatur in Oberfranken absieht, weil sie nicht die Zustimmung der Bevölkerung hat. Stoppt Monika Hohlmeier."
Ludwig Lauterbach ist empört. Er ist für die kleine Demonstration verantwortlich – gegen seine eigene Partei. Lauterbach ist seit 35 Jahren CSU-Mitglied. Er ist enttäuscht; bitter enttäuscht von seinem Bezirksvorsitzenden Karl-Theodor zu Guttenberg. Der ist auch CSU-Generalsekretär und holte die umstrittene Ex-Kultusministerin nach Oberfranken.
Lauterbach: "Wo ist denn da der politische Instinkt und das Fingerspitzengefühl des Bezirksverbandes der CSU geblieben? Für mich ist es ein Skandal, wenn Herr von Guttenberg jetzt meint, die Basis könne sich nun ein Bild von Frau Hohlmeier machen. Sehr geehrter Herr Guttenberg: Das ist für viele Menschen in Oberfranken nicht mehr notwendig. Wir haben uns schon lange ein Bild von Frau Hohlmeier gemacht. Ihre unselige Tätigkeit in der Münchner CSU. Da hat sie sich doch selbst disqualifiziert."
Monika Hohlmeier ist skandalerprobt. Der einstigen Ministerin in Edmund Stoibers Kabinett wird vorgeworfen, in eine Wahlfälscheraffäre der Münchner CSU verstrickt gewesen zu sein. 2005 musste sie als Kultusministerin zurücktreten, weil sie Parteifreunde in München mit ominösen Dossiers eingeschüchtert und ihnen mit pikanten Enthüllungen gedroht haben soll. Ihre Kandidatur sorgt in Oberfranken für viel Wirbel.
Umfrage: "In Oberbayern wollen sie die nicht mehr. Und wir in Oberfranken sollen sie jetzt nehmen."
"So blöd sind die Oberfranken doch auch nicht, dass wir jemanden, der aus München praktisch abgeschoben wird und da keine Chance mehr hat, aufnehmen müssen."
"Die soll in Oberbayern bleiben. Wir haben bei uns auch noch gute Leute, die verärgert man jetzt unheimlich."
"Die Hohlmeier können wir nicht brauchen. Wir brauchen einen Oberfranken, der uns vertreten tut."
"Man fühlt sich in seiner fränkischen Seele - nachdem Günther Beckstein nicht mehr als Ministerpräsident gekommen ist und jetzt die Aufstellung der Monika Hohlmeier - verletzt."
"Ich werde sie nicht ankreuzen. Das ist wieder mal typisch, dass man sagt, da habe ich vielleicht eine Chance Oberfranken als Sprungbrett zu benutzen. Dass ihr Oberfranken am Herzen liegt, hat sie vorher nicht gezeigt. Dann kann man diese Lippenbekenntnisse einfach nicht glauben."
"Wir haben genug Politiker, die das Amt wahrnehmen könnten in Europa, da brauchen wir nicht die Frau Hohlmeier dazu."
"Die Volksseele kocht", heißt es im Nordbayerischen Kurier aus Bayreuth. "Haben wir in Oberfranken keine fähigen Leute mehr?", fragen sich aufgebrachte Bürger in den Leserbriefspalten. Sogar von "angeschwemmtem Gut aus Oberbayern" ist die Rede. "So langsam versaut es sich die CSU mit allen Franken", schreibt einer im Fränkischen Tag, der in Bamberg erscheint. "Oberfranken kocht vor Wut", ist weiter zu lesen. Und ein anderer schimpft, Zitat: "Die andauernden Demütigungen Frankens durch Seehofer reißen nicht ab. Hoffentlich zahlen ihm das die fränkischen Wähler bei der Europawahl heim". Der gescholtene CSU-Chef gibt sich gelassen.
Seehofer: "Ja gut, solche Schlagzeilen sind mir sehr vertraut. Sie müssen immer ein Stück Gelassenheit in der Politik haben, wenn sie sich von den Tagesstimmungen leiten lassen, die ich verstehe – wir wollen ja auch eine lebendige Diskussion, wir wollen lebendige Diskussionen in der Bevölkerung – aber letztendlich muss man einfach vernünftig schauen, was ist Stimmung und was ist Substanz? Und die Monika Hohlmeier hat große Substanz und sie wird uns noch sehr helfen."
Horst Seehofer wünscht sich ein Comeback der Strauß-Tochter, deren Vater er sein großes Vorbild nennt. Er will die umstrittene Parteifreundin auf dem Umweg über Oberfranken zurück auf die politische Bühne holen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, wonach der Parteichef selbst den Hohlmeier-Deal eingefädelt haben soll. Sein Generalsekretär zu Guttenberg führte ihn nur aus - als er kurz vor Weihnachten seine oberfränkische CSU mit der Überraschungskandidatin überrumpelt hat. Bei der Wahl am 7. Juni – übrigens mitten in den Pfingstferien - kämpft die Partei um ihre europapolitische Existenz. Mit Hohlmeier als prominentes Zugpferd hofft Seehofer auf zusätzliche Wählerstimmen.
Seehofer: "Weil Frau Hohlmeier eine hochkompetente Persönlichkeit ist und wir alle wissen, dass wir den stärksten Rückgang beim Wählerzuspruch bei den Frauen haben. Und deshalb brauchen wir mehr Frauen, die für die CSU kandidieren, die im öffentlichen Leben stehen und zwar nicht irgendwo, sondern vorne mit dabei sind."
Der Parteichef macht intern mächtig Druck. So rief er mehrmals seine zehn widerspenstigen Bezirksvorsitzenden zu sich. Die CSU könne nicht einerseits Franz Josef Strauß feiern und andererseits so mit den Mitgliedern der Familie umgehen, soll er laut Sitzungsteilnehmern gepoltert haben. Und mehr noch: Der neue starke Mann der CSU stellte die Machtfrage: "Wer gegen Hohlmeier ist, der ist auch gegen mich." Seehofers Drohung zog: Auf einer Delegiertenkonferenz verlassen ihre schärfsten Kritiker aus der Münchner CSU den Saal. Und Hohlmeier gewinnt eine Kampfkandidatur. Auf Platz sechs der Europaliste kann sie relativ sicher sein, ins Europäische Parlament einzuziehen – vorausgesetzt natürlich die CSU schafft bundesweit den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde.
Hohlmeier: "Ich freue mich wirklich sehr über das Ergebnis. Und ich freue mich über die demokratische Legitimation der Landesdelegiertenversammlung."
Doch an der oberfränkischen CSU-Basis rumort es. Auch langjährige Parteimitglieder sind empört über die Art und Weise, wie ihnen die Oberbayerin als neue fränkische Hoffnung untergejubelt worden ist: In einer Hinterzimmer-Aktion nämlich, die Seehofers Beteuerungen nach einem neuen Führungsstil, nach neuer Transparenz und Offenheit wie Hohn erscheinen lassen. Roland Hollfelder aus dem oberfränkischen Kunreuth hat genug. Er legte seinen Posten als CSU-Ortsvorsitzender nieder und hat sein Parteibuch gleich dazu gepackt.
Hollfelder: "Es ist kein neuer Stil. Es ist immer noch so wie zu Stoibers Zeiten. Das Debakel mit dem Beckstein, das hat mir eigentlich schon gereicht, normalerweise hätte ich da schon austreten sollen. Aber ich habe immer gedacht, das wird noch, es wird noch, aber es ist nichts passiert. Und wenn man dann noch hört, es gebe in Oberfranken keine qualifizierten Leute, das war dann der Auslöser."
Seit gut 100 Tage erst steht Horst Seehofer an der Spitze der CSU und schon brodelt hinter den Kulissen. Er meint, es seien lediglich Einzelmeinungen. Tatsächlich aber bricht ihm wegen der Strauß-Tochter zwischen Hof und Bayreuth die Basis weg. Ganze oberfränkische Ortsverbände drohen damit, dicht zu machen.
Hollfelder: "Ich war einst ein stolzes CSU-Mitglied, aber ich kann das nicht mehr hinnehmen. Es gibt mit Sicherheit noch mehr Austritte. Ich bin überzeugt. Es hat auch der Ortsvorsitzende von Buckenhofen sein Amt niedergelegt. Wir sind der Meinung, dass man diese Partei und diese Politik nicht mehr vertreten können."
Rückblende. Landtagswahl in Bayern vergangenen September. Minus 17,3 Prozentpunkte kommen einem politischen Erdbeben gleich. Die CSU wird vom Wähler wegen Hochmut, Arroganz und Überheblichkeit abgestraft. Der Absturz dramatisch: von 60,7 auf 43,4 Prozent. Der Mythos der Unbesiegbarkeit ist verpufft. Mit der Alleinregierung im Freistaat ist es vorbei. Nach 46 Jahren brauchen die Christsozialen mit der FDP erstmals wieder einen Koalitionspartner. Das Tandem Huber-Beckstein tritt ab, entmachtet von der mächtigen Oberbayern-CSU. Parteichef Erwin Huber weint kaum einer eine Träne nach. Dem Ministerpräsidenten und Franken Günther Beckstein schon – noch heute.
Stimmen aus Franken: "Mir tut unser Herr Beckstein leid, das kann ich Ihnen sagen."
"Der Beckstein wurde gewählt und der Seehofer wurde Ministerpräsident – in der Bevölkerung höre ich das sehr oft; erst heute wieder."
" Wir haben ewig einen Ministerpräsidenten gehabt, der von Oberbayern gekommen ist. Wir haben auch nicht aufbegehrt, dass wir einen Franken wollen. Und jetzt hatten wir einen Mittelfranken. Warum? Warum kann man das nicht akzeptieren?"
"So schlecht war der nicht. Ich würde sagen, dass denen das alles der Stoiber eingebrockt hat. Das war eine Rechnung vom Stoiber, denke ich."
Der Groll an der fränkischen CSU-Basis sitzt tief. Von einer oberbayerischen Intrige ist die Rede. Von Stoibers später Rache. Hat er beim Sturz seiner Nachfolger im Hintergrund die Fäden gezogen? Man weiß, er hat viel telefoniert. Seine Mimik spricht Bände, er genießt ihren Abgang sichtlich. Der Ex-Ministerpräsident spaltet die Partei. Spannungen, Anfeindungen, zwischen den Stämmen klafft ein tiefer Riss. Die Franken sind sauer, enttäuscht und wütend. Auf Seehofers Krönungs-Parteitag machen sie ihrem Unmut Luft.
CSU-Parteitag: "Wir begrüßen in unserer Mitte, unseren Ehrenvorsitzenden Dr. Edmund Stoiber!"
Gellende Pfiffe in den Reihen der fränkischen Delegierten. Die Buh-Rufe kommen einer Demontage gleich. Der Ehrenvorsitzende ist irritiert - und seitdem Geschichte. Denn Seehofer – auch ein Oberbayer - erkennt die Notwendigkeit sofort: Er geht auf Distanz, entzieht sich Stoibers Einfluss. Der neue starke Mann der CSU braucht seinen Vor-Vorgänger nicht mehr. Mit 90 Prozent der Stimmen wird der Ingolstädter zum Parteichef gewählt; ein Jahr zuvor war er bei den Delegierten noch durchgefallen. Nun ist er ihr Hoffnungsträger.
Seehofer: "Die eigentliche Stärke Bayerns sind die Franken, die Altbayern, die Schwaben, die Heimatvertriebenen. Und, liebe Freunde, wir wären von allen Geistern verlassen, wenn wir diese ständig gegeneinander in Position bringen würden, sondern wir haben nur Erfolg, wenn wir partnerschaftlich diese Stämme zusammenführen. Und deshalb, meine Damen und Herren, werde ich missionarisch in ganz Bayern unterwegs sein. Meine Aufgabe ist, alle Volksstämme Bayerns zu vereinen, sie ernst zu nehmen und in unsere praktische Politik einzubringen."
Seehofer macht seine Ankündigung wahr. In Ober-, in Unter- und in Mittelfranken finden Regionalkonferenzen statt. Gedacht als Seelenmassage für die geschundene fränkische Basis. Journalisten müssen draußen bleiben. Hinter verschlossener Tür – unbeobachtet und unbelauscht – soll das einfache CSU-Mitglied mal Tacheles reden und offen sagen können, was ihm an seiner Partei, am Spitzenpersonal missfällt. Oder anders ausgedrückt: Die Basis darf endlich mal Frust ablassen.
Parteimitglieder: "Dass man denen sagt: kommt mal wieder runter von eurem hohen Ross."
"Ich habe mit vielen Leuten Gespräche geführt, die einfach sagen, nein es ist Schluss mit der CSU, was da passiert, da machen wir nicht mehr mit und wir wählen nicht mehr. Da ist noch lange nicht wieder Frieden eingekehrt, da ist zuviel Porzellan zerschlagen worden."
"Die Probleme, die der Bürger hat, die kommen nicht mehr an in München. Näher am Menschen, dieser Slogan, der eigentlich für die CSU gilt, der wird nicht gelebt."
"Ich glaube, dass die CSU wieder zu einer stärkeren Diskussionskultur finden muss. Ich glaube, das kam in den letzten Jahren ein bisschen zu kurz."
"Ich denke, die Partei tut gut daran, wenn sie wieder mehr auf ihre Basis hört. Das Ohr noch stärker dran an der Basis. Das hätte manches vermeiden können."
Walter Raimund aus dem oberfränkischen Creußen war bei einer dieser Frankenkonferenzen dabei. Stundenlang, erzählt er, hat Seehofer geduldig den Klagen der Basis gelauscht. Am Ende des Treffens gelobt der Parteichef feierlich Besserung: Er verspricht einen neuen Stil. Er will mehr zuhören als seine Vorgänger. Und er will die Basis künftig mehr einbinden. Das CSU-Mitglied glaubt seinem Vorsitzenden – genau zwei Tage lang.
Raimund: "Ich möchte, dass der Generalsekretär, aber auch der Vorsitzende Seehofer, sich so verhalten wie sie es uns auf der Oberfrankenkonferenz versprochen haben: Einen Neufang, mit den Leuten reden und nicht, wie es früher war, über die Köpfe der Leute hinweg, entscheiden. Aber zwei Tage später hat man etwas anderes gemacht. Ich habe persönlich gegen Frau Hohlmeier nichts, mir hat die immer schon gefallen. Aber das hat man nicht gerade geschickt gemacht. Immer das Entscheiden nach der Manier vom Stoiber."
Von wegen Neuanfang, von wegen offene Debattenkultur. Es waren hehre Worte, aber leere Phrasen – wie die Personalie Hohlmeier zeigt. Harald Mild ist enttäuscht. Er überlegte kurz, ob er seinen Posten als Ortsverbandsvorsitzender in Creußen hinschmeißt. Er bleibt, um laut sagen zu können, was er denkt. Beim Bürger, erzählt der oberfränkische Bürgermeister, habe sich am Image der CSU nichts, rein gar nichts geändert: Die Partei gelte nach wie vor als arrogant, abgehoben und überheblich.
Mild: "In manchen Bereichen wünschen wir uns mehr oder schneller die Umsetzung unseres Slogans 'näher am Menschen'. Mir hat einer gesagt: Die CSU hat momentan des Image wie Heizöl. Veraltet, ist nicht mehr gut, ist schlecht, geht aus, abgewirtschaftet, nix da. Wir müssen das Image aufpolieren. Und das muss man auch ansprechen: so geht es nicht weiter, ändert euren Stil. Aber, mir ist schon oft gesagt worden, Du bist nicht parteitreu genug, Du schimpfst zu viel."
Boettcher: "Bei dem muss man immer die Zähne so zusammenkneifen, damit man einigermaßen so klingt wie er."
Seit 100 Tagen ist Horst Seehofer in dieser Woche als bayerischer Ministerpräsident im Amt. Doch Beobachter, Karikaturisten, auch Comedians tun sich noch immer schwer. Der 59-Jährige ist Politprofi durch und durch. Mit den Medien kokettiert er gern, doch hinter sein Pokerface blicken nur die wenigsten. Oft kann man beobachten, wie er - einem bayerischen Buddha gleich - einfach nur still vor sich hinlächelt. Im Radiosender Bayern 3 widmete ihm der Comedy-Autor Chris Boettcher ein Lied.
Chris Boettcher alias Seehofer: "Ich bin eine Autorität, ein Typ wie FJS … Wie heißt der Chef von Bayern? Ich sage es Dir, dass Du es weißt: Der Oberste im Bayernland heißt Horst, heißt Horst, heißt Horst."
Horst Seehofer – der unangefochtene Alleinherrscher, der Hoffnungsträger, der Heilsbringer. Der Obama der CSU, wie ihn seine treusten Anhänger nennen. Er soll der Partei wieder Kraft und Selbstvertrauen geben – also all das, was ihr seit dem Wahldebakel vom Herbst fehlt. Das macht ihn mächtig. Die CSU ist ihm auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, bringt es der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter auf den Punkt.
Oberreuter: "Er ist im Grunde genommen, die letzte Patrone im Colt der CSU. Auf ihn richten sich jetzt alle Hoffnungen. Man muss ihm vertrauen, dass er das Richtige tut. Auch wenn man politisch vielleicht Schwierigkeiten hat, ihm Vertrauen entgegen zu bringen. Seine Position in Partei und Fraktion ist ja nicht einfach, weil ihn doch viele als einen ausgeprägten Egozentriker betrachten. Es gibt keine Alternative Das heißt im Klartext: Seehofer hat auf weite Strecken freie Hand."
Der CSU-Kenner sollte Recht behalten: Seehofer biegt sich seine Partei zurecht. Er kämpft für sie und diktiert ihr seine Bedingungen. In den ersten Wochen seiner Amtszeit hat er die CSU mehr umgekrempelt als sein Vorgänger in einem Jahr. Nicht nur inhaltlich wirft er Überkommenes über Bord, auch personell. Nur ihres Alters wegen sortiert er die Über-60jährigen aus seinem Kabinett aus. Selbst altgedienten Parteisoldaten wie Landesgruppenchef Peter Ramsauer oder Bundeswirtschaftsminister Michael Glos tritt Seehofer - wie immer lächelnd - vors Schienbein und bringt sie so auf Trab. Jeder muss sich anstrengen und neu bewähren.
Seehofer: "Alle in der CSU und alle CSU-Anhänger müssen begreifen, dass das im letzten Jahr 2008 kein Betriebsunfall war bei der Kommunal- und bei der Landtagswahl, sondern eine grundsätzliche Verschiebung auch der politischen Landschaft in Bayern. Und dass wir enorme Anstrengungen - und zwar auf längere Frist - unternehmen müssen, das Vertrauen wieder zurückzugewinnen."
In Berlin gibt er den Populisten und zeigt, wie nervig ein Christsozialer in der Großen Koalition sein kann. Damit hat er in wenigen Wochen aus der bundespolitisch völlig bedeutungslosen CSU wieder eine tonangebende Kraft gemacht. Seehofer droht, fordert, treibt – auch die Schwesterpartei CDU an. Gemeinsamer Europawahlkampf? Nicht mit ihm. Erbschaftssteuerreform. Nur nach seinen Regeln! Konjunkturpaket zwei. Ja, aber nur gekoppelt an Steuersenkungen. In Berlin wird Seehofer angeblich schon "Alpen-Sarkozy" genannt.
Seehofer: "Selbst wenn es so wäre, würde ich es Ihnen nicht sagen. Weil für mich Politik primär nicht darin besteht, um das persönliche Ansehen zu kämpfen – selbst wenn Sie es nicht glauben. Sondern uns es ein ganz, ganz großes Anliegen, dass wir eine richtige Politik machen. Und ich glaube, die Steuererleichterung ist etwas, was die Bevölkerung erwarten."
Nebenbei bastelt der Parteichef an der kommenden CSU-Führungsgeneration. Was er Wurzelgeflecht nennt, kennt man von Franz Josef Strauß. Wie sein großes Vorbild scharrt Seehofer ein Team junger politischer Talente um sich – zu denen beispielsweise Generalsekretär zu Guttenberg, der junge Finanzminister Georg Fahrenschon, Umweltminister Markus Söder, Europagruppenchef Markus Ferber oder der Europaabgeordnete Manfred Weber zählen.
Seehofer: "Ich lese dann immer, was für ein schlimmer, diktatorischer Parteichef ich da wäre. Ich merke das nur nicht."
Seehofer ist clever. Im doppelten Sinn: Mit seinen "zwölf Aposteln" – wie er sie nennt – setzt er sich von der alten, unmodernen und seiner Meinung nach verkrusteten CSU ab. Und er bindet mit Söder, Ferber und Weber Parteifreunde an sich, die ihm seines Führungsstils wegen mit öffentlicher Kritik gefährlich werden könnten: Sie sind nämlich die Vorsitzenden der CSU-Bezirke in Nürnberg, Schwaben und Niederbayern. Ganz nebenbei beobachtet er mit fast diebischem Vergnügen, wie der Nachwuchs – allen voran Markus Söder - um die Kronprinzenrolle wetteifert.
Seehofer: "Es gibt keine Altersgrenze. Ich muss aber schauen, in welchem Bereich ich welches Personal mit möglichst viel Dynamik und neuen frischen Ideen unterbringe. Ich werde dieses Jahr 60. Ich wechsle mich doch nicht selbst aus."
Seehofer steht unter enormen Erfolgsdruck. Es ist die Furcht vor einer neuen Schlappe bei der Europawahl im Juni, die ihn zum unangefochtenen Alleinherrscher macht. Aktuelle Umfragen sehen die CSU derzeit nur bei 45 Prozent. Seine Berater haben aber ausgerechnet, dass das für den Einzug ins EU-Parlament möglicherweise nicht reichen könnte. Das wäre das denkbar schlechteste Omen für die Bundestagswahl im Herbst. 2009 ist auch sein Schicksalsjahr: Seehofer spielt das Spiel "Alles oder nichts". Geht es schief – ist er weg.
Seehofer: "Es macht viel Freude, es macht Spaß. Ich bin hoch motiviert, obwohl ich es von der Lebensqualität schon besser hatte. Ich bin noch am Leben, obwohl ich diesen Wochen nicht wirklich gelebt habe."
Bayreuth in Oberfranken, im Januar. Ein Neujahrsempfang der CSU. Vor der Tür halten ein paar Leute Plakate hoch. "Hohlmeier – Nein danke" ist darauf zu lesen. Oder: "In München geschasst, in Bayreuth gehasst". Es ist bitterkalt, und doch haben sich etwa 30 Personen zu einer Protestaktion versammelt. Gegen die CSU. Gegen Monika Hohlmeier, Tochter des legendären Franz Josef Strauß. Sie soll für die CSU ins Europäische Parlament nach Brüssel. Die 46-Jährige ist Oberbayerin. In den Europawahlkampf aber ziehen wird sie in Oberfranken.
Lauterbach: "Ich werde ihr dringend raten, dass sie von einer Kandidatur in Oberfranken absieht, weil sie nicht die Zustimmung der Bevölkerung hat. Stoppt Monika Hohlmeier."
Ludwig Lauterbach ist empört. Er ist für die kleine Demonstration verantwortlich – gegen seine eigene Partei. Lauterbach ist seit 35 Jahren CSU-Mitglied. Er ist enttäuscht; bitter enttäuscht von seinem Bezirksvorsitzenden Karl-Theodor zu Guttenberg. Der ist auch CSU-Generalsekretär und holte die umstrittene Ex-Kultusministerin nach Oberfranken.
Lauterbach: "Wo ist denn da der politische Instinkt und das Fingerspitzengefühl des Bezirksverbandes der CSU geblieben? Für mich ist es ein Skandal, wenn Herr von Guttenberg jetzt meint, die Basis könne sich nun ein Bild von Frau Hohlmeier machen. Sehr geehrter Herr Guttenberg: Das ist für viele Menschen in Oberfranken nicht mehr notwendig. Wir haben uns schon lange ein Bild von Frau Hohlmeier gemacht. Ihre unselige Tätigkeit in der Münchner CSU. Da hat sie sich doch selbst disqualifiziert."
Monika Hohlmeier ist skandalerprobt. Der einstigen Ministerin in Edmund Stoibers Kabinett wird vorgeworfen, in eine Wahlfälscheraffäre der Münchner CSU verstrickt gewesen zu sein. 2005 musste sie als Kultusministerin zurücktreten, weil sie Parteifreunde in München mit ominösen Dossiers eingeschüchtert und ihnen mit pikanten Enthüllungen gedroht haben soll. Ihre Kandidatur sorgt in Oberfranken für viel Wirbel.
Umfrage: "In Oberbayern wollen sie die nicht mehr. Und wir in Oberfranken sollen sie jetzt nehmen."
"So blöd sind die Oberfranken doch auch nicht, dass wir jemanden, der aus München praktisch abgeschoben wird und da keine Chance mehr hat, aufnehmen müssen."
"Die soll in Oberbayern bleiben. Wir haben bei uns auch noch gute Leute, die verärgert man jetzt unheimlich."
"Die Hohlmeier können wir nicht brauchen. Wir brauchen einen Oberfranken, der uns vertreten tut."
"Man fühlt sich in seiner fränkischen Seele - nachdem Günther Beckstein nicht mehr als Ministerpräsident gekommen ist und jetzt die Aufstellung der Monika Hohlmeier - verletzt."
"Ich werde sie nicht ankreuzen. Das ist wieder mal typisch, dass man sagt, da habe ich vielleicht eine Chance Oberfranken als Sprungbrett zu benutzen. Dass ihr Oberfranken am Herzen liegt, hat sie vorher nicht gezeigt. Dann kann man diese Lippenbekenntnisse einfach nicht glauben."
"Wir haben genug Politiker, die das Amt wahrnehmen könnten in Europa, da brauchen wir nicht die Frau Hohlmeier dazu."
"Die Volksseele kocht", heißt es im Nordbayerischen Kurier aus Bayreuth. "Haben wir in Oberfranken keine fähigen Leute mehr?", fragen sich aufgebrachte Bürger in den Leserbriefspalten. Sogar von "angeschwemmtem Gut aus Oberbayern" ist die Rede. "So langsam versaut es sich die CSU mit allen Franken", schreibt einer im Fränkischen Tag, der in Bamberg erscheint. "Oberfranken kocht vor Wut", ist weiter zu lesen. Und ein anderer schimpft, Zitat: "Die andauernden Demütigungen Frankens durch Seehofer reißen nicht ab. Hoffentlich zahlen ihm das die fränkischen Wähler bei der Europawahl heim". Der gescholtene CSU-Chef gibt sich gelassen.
Seehofer: "Ja gut, solche Schlagzeilen sind mir sehr vertraut. Sie müssen immer ein Stück Gelassenheit in der Politik haben, wenn sie sich von den Tagesstimmungen leiten lassen, die ich verstehe – wir wollen ja auch eine lebendige Diskussion, wir wollen lebendige Diskussionen in der Bevölkerung – aber letztendlich muss man einfach vernünftig schauen, was ist Stimmung und was ist Substanz? Und die Monika Hohlmeier hat große Substanz und sie wird uns noch sehr helfen."
Horst Seehofer wünscht sich ein Comeback der Strauß-Tochter, deren Vater er sein großes Vorbild nennt. Er will die umstrittene Parteifreundin auf dem Umweg über Oberfranken zurück auf die politische Bühne holen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, wonach der Parteichef selbst den Hohlmeier-Deal eingefädelt haben soll. Sein Generalsekretär zu Guttenberg führte ihn nur aus - als er kurz vor Weihnachten seine oberfränkische CSU mit der Überraschungskandidatin überrumpelt hat. Bei der Wahl am 7. Juni – übrigens mitten in den Pfingstferien - kämpft die Partei um ihre europapolitische Existenz. Mit Hohlmeier als prominentes Zugpferd hofft Seehofer auf zusätzliche Wählerstimmen.
Seehofer: "Weil Frau Hohlmeier eine hochkompetente Persönlichkeit ist und wir alle wissen, dass wir den stärksten Rückgang beim Wählerzuspruch bei den Frauen haben. Und deshalb brauchen wir mehr Frauen, die für die CSU kandidieren, die im öffentlichen Leben stehen und zwar nicht irgendwo, sondern vorne mit dabei sind."
Der Parteichef macht intern mächtig Druck. So rief er mehrmals seine zehn widerspenstigen Bezirksvorsitzenden zu sich. Die CSU könne nicht einerseits Franz Josef Strauß feiern und andererseits so mit den Mitgliedern der Familie umgehen, soll er laut Sitzungsteilnehmern gepoltert haben. Und mehr noch: Der neue starke Mann der CSU stellte die Machtfrage: "Wer gegen Hohlmeier ist, der ist auch gegen mich." Seehofers Drohung zog: Auf einer Delegiertenkonferenz verlassen ihre schärfsten Kritiker aus der Münchner CSU den Saal. Und Hohlmeier gewinnt eine Kampfkandidatur. Auf Platz sechs der Europaliste kann sie relativ sicher sein, ins Europäische Parlament einzuziehen – vorausgesetzt natürlich die CSU schafft bundesweit den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde.
Hohlmeier: "Ich freue mich wirklich sehr über das Ergebnis. Und ich freue mich über die demokratische Legitimation der Landesdelegiertenversammlung."
Doch an der oberfränkischen CSU-Basis rumort es. Auch langjährige Parteimitglieder sind empört über die Art und Weise, wie ihnen die Oberbayerin als neue fränkische Hoffnung untergejubelt worden ist: In einer Hinterzimmer-Aktion nämlich, die Seehofers Beteuerungen nach einem neuen Führungsstil, nach neuer Transparenz und Offenheit wie Hohn erscheinen lassen. Roland Hollfelder aus dem oberfränkischen Kunreuth hat genug. Er legte seinen Posten als CSU-Ortsvorsitzender nieder und hat sein Parteibuch gleich dazu gepackt.
Hollfelder: "Es ist kein neuer Stil. Es ist immer noch so wie zu Stoibers Zeiten. Das Debakel mit dem Beckstein, das hat mir eigentlich schon gereicht, normalerweise hätte ich da schon austreten sollen. Aber ich habe immer gedacht, das wird noch, es wird noch, aber es ist nichts passiert. Und wenn man dann noch hört, es gebe in Oberfranken keine qualifizierten Leute, das war dann der Auslöser."
Seit gut 100 Tage erst steht Horst Seehofer an der Spitze der CSU und schon brodelt hinter den Kulissen. Er meint, es seien lediglich Einzelmeinungen. Tatsächlich aber bricht ihm wegen der Strauß-Tochter zwischen Hof und Bayreuth die Basis weg. Ganze oberfränkische Ortsverbände drohen damit, dicht zu machen.
Hollfelder: "Ich war einst ein stolzes CSU-Mitglied, aber ich kann das nicht mehr hinnehmen. Es gibt mit Sicherheit noch mehr Austritte. Ich bin überzeugt. Es hat auch der Ortsvorsitzende von Buckenhofen sein Amt niedergelegt. Wir sind der Meinung, dass man diese Partei und diese Politik nicht mehr vertreten können."
Rückblende. Landtagswahl in Bayern vergangenen September. Minus 17,3 Prozentpunkte kommen einem politischen Erdbeben gleich. Die CSU wird vom Wähler wegen Hochmut, Arroganz und Überheblichkeit abgestraft. Der Absturz dramatisch: von 60,7 auf 43,4 Prozent. Der Mythos der Unbesiegbarkeit ist verpufft. Mit der Alleinregierung im Freistaat ist es vorbei. Nach 46 Jahren brauchen die Christsozialen mit der FDP erstmals wieder einen Koalitionspartner. Das Tandem Huber-Beckstein tritt ab, entmachtet von der mächtigen Oberbayern-CSU. Parteichef Erwin Huber weint kaum einer eine Träne nach. Dem Ministerpräsidenten und Franken Günther Beckstein schon – noch heute.
Stimmen aus Franken: "Mir tut unser Herr Beckstein leid, das kann ich Ihnen sagen."
"Der Beckstein wurde gewählt und der Seehofer wurde Ministerpräsident – in der Bevölkerung höre ich das sehr oft; erst heute wieder."
" Wir haben ewig einen Ministerpräsidenten gehabt, der von Oberbayern gekommen ist. Wir haben auch nicht aufbegehrt, dass wir einen Franken wollen. Und jetzt hatten wir einen Mittelfranken. Warum? Warum kann man das nicht akzeptieren?"
"So schlecht war der nicht. Ich würde sagen, dass denen das alles der Stoiber eingebrockt hat. Das war eine Rechnung vom Stoiber, denke ich."
Der Groll an der fränkischen CSU-Basis sitzt tief. Von einer oberbayerischen Intrige ist die Rede. Von Stoibers später Rache. Hat er beim Sturz seiner Nachfolger im Hintergrund die Fäden gezogen? Man weiß, er hat viel telefoniert. Seine Mimik spricht Bände, er genießt ihren Abgang sichtlich. Der Ex-Ministerpräsident spaltet die Partei. Spannungen, Anfeindungen, zwischen den Stämmen klafft ein tiefer Riss. Die Franken sind sauer, enttäuscht und wütend. Auf Seehofers Krönungs-Parteitag machen sie ihrem Unmut Luft.
CSU-Parteitag: "Wir begrüßen in unserer Mitte, unseren Ehrenvorsitzenden Dr. Edmund Stoiber!"
Gellende Pfiffe in den Reihen der fränkischen Delegierten. Die Buh-Rufe kommen einer Demontage gleich. Der Ehrenvorsitzende ist irritiert - und seitdem Geschichte. Denn Seehofer – auch ein Oberbayer - erkennt die Notwendigkeit sofort: Er geht auf Distanz, entzieht sich Stoibers Einfluss. Der neue starke Mann der CSU braucht seinen Vor-Vorgänger nicht mehr. Mit 90 Prozent der Stimmen wird der Ingolstädter zum Parteichef gewählt; ein Jahr zuvor war er bei den Delegierten noch durchgefallen. Nun ist er ihr Hoffnungsträger.
Seehofer: "Die eigentliche Stärke Bayerns sind die Franken, die Altbayern, die Schwaben, die Heimatvertriebenen. Und, liebe Freunde, wir wären von allen Geistern verlassen, wenn wir diese ständig gegeneinander in Position bringen würden, sondern wir haben nur Erfolg, wenn wir partnerschaftlich diese Stämme zusammenführen. Und deshalb, meine Damen und Herren, werde ich missionarisch in ganz Bayern unterwegs sein. Meine Aufgabe ist, alle Volksstämme Bayerns zu vereinen, sie ernst zu nehmen und in unsere praktische Politik einzubringen."
Seehofer macht seine Ankündigung wahr. In Ober-, in Unter- und in Mittelfranken finden Regionalkonferenzen statt. Gedacht als Seelenmassage für die geschundene fränkische Basis. Journalisten müssen draußen bleiben. Hinter verschlossener Tür – unbeobachtet und unbelauscht – soll das einfache CSU-Mitglied mal Tacheles reden und offen sagen können, was ihm an seiner Partei, am Spitzenpersonal missfällt. Oder anders ausgedrückt: Die Basis darf endlich mal Frust ablassen.
Parteimitglieder: "Dass man denen sagt: kommt mal wieder runter von eurem hohen Ross."
"Ich habe mit vielen Leuten Gespräche geführt, die einfach sagen, nein es ist Schluss mit der CSU, was da passiert, da machen wir nicht mehr mit und wir wählen nicht mehr. Da ist noch lange nicht wieder Frieden eingekehrt, da ist zuviel Porzellan zerschlagen worden."
"Die Probleme, die der Bürger hat, die kommen nicht mehr an in München. Näher am Menschen, dieser Slogan, der eigentlich für die CSU gilt, der wird nicht gelebt."
"Ich glaube, dass die CSU wieder zu einer stärkeren Diskussionskultur finden muss. Ich glaube, das kam in den letzten Jahren ein bisschen zu kurz."
"Ich denke, die Partei tut gut daran, wenn sie wieder mehr auf ihre Basis hört. Das Ohr noch stärker dran an der Basis. Das hätte manches vermeiden können."
Walter Raimund aus dem oberfränkischen Creußen war bei einer dieser Frankenkonferenzen dabei. Stundenlang, erzählt er, hat Seehofer geduldig den Klagen der Basis gelauscht. Am Ende des Treffens gelobt der Parteichef feierlich Besserung: Er verspricht einen neuen Stil. Er will mehr zuhören als seine Vorgänger. Und er will die Basis künftig mehr einbinden. Das CSU-Mitglied glaubt seinem Vorsitzenden – genau zwei Tage lang.
Raimund: "Ich möchte, dass der Generalsekretär, aber auch der Vorsitzende Seehofer, sich so verhalten wie sie es uns auf der Oberfrankenkonferenz versprochen haben: Einen Neufang, mit den Leuten reden und nicht, wie es früher war, über die Köpfe der Leute hinweg, entscheiden. Aber zwei Tage später hat man etwas anderes gemacht. Ich habe persönlich gegen Frau Hohlmeier nichts, mir hat die immer schon gefallen. Aber das hat man nicht gerade geschickt gemacht. Immer das Entscheiden nach der Manier vom Stoiber."
Von wegen Neuanfang, von wegen offene Debattenkultur. Es waren hehre Worte, aber leere Phrasen – wie die Personalie Hohlmeier zeigt. Harald Mild ist enttäuscht. Er überlegte kurz, ob er seinen Posten als Ortsverbandsvorsitzender in Creußen hinschmeißt. Er bleibt, um laut sagen zu können, was er denkt. Beim Bürger, erzählt der oberfränkische Bürgermeister, habe sich am Image der CSU nichts, rein gar nichts geändert: Die Partei gelte nach wie vor als arrogant, abgehoben und überheblich.
Mild: "In manchen Bereichen wünschen wir uns mehr oder schneller die Umsetzung unseres Slogans 'näher am Menschen'. Mir hat einer gesagt: Die CSU hat momentan des Image wie Heizöl. Veraltet, ist nicht mehr gut, ist schlecht, geht aus, abgewirtschaftet, nix da. Wir müssen das Image aufpolieren. Und das muss man auch ansprechen: so geht es nicht weiter, ändert euren Stil. Aber, mir ist schon oft gesagt worden, Du bist nicht parteitreu genug, Du schimpfst zu viel."
Boettcher: "Bei dem muss man immer die Zähne so zusammenkneifen, damit man einigermaßen so klingt wie er."
Seit 100 Tagen ist Horst Seehofer in dieser Woche als bayerischer Ministerpräsident im Amt. Doch Beobachter, Karikaturisten, auch Comedians tun sich noch immer schwer. Der 59-Jährige ist Politprofi durch und durch. Mit den Medien kokettiert er gern, doch hinter sein Pokerface blicken nur die wenigsten. Oft kann man beobachten, wie er - einem bayerischen Buddha gleich - einfach nur still vor sich hinlächelt. Im Radiosender Bayern 3 widmete ihm der Comedy-Autor Chris Boettcher ein Lied.
Chris Boettcher alias Seehofer: "Ich bin eine Autorität, ein Typ wie FJS … Wie heißt der Chef von Bayern? Ich sage es Dir, dass Du es weißt: Der Oberste im Bayernland heißt Horst, heißt Horst, heißt Horst."
Horst Seehofer – der unangefochtene Alleinherrscher, der Hoffnungsträger, der Heilsbringer. Der Obama der CSU, wie ihn seine treusten Anhänger nennen. Er soll der Partei wieder Kraft und Selbstvertrauen geben – also all das, was ihr seit dem Wahldebakel vom Herbst fehlt. Das macht ihn mächtig. Die CSU ist ihm auf Gedeih und Verderben ausgeliefert, bringt es der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter auf den Punkt.
Oberreuter: "Er ist im Grunde genommen, die letzte Patrone im Colt der CSU. Auf ihn richten sich jetzt alle Hoffnungen. Man muss ihm vertrauen, dass er das Richtige tut. Auch wenn man politisch vielleicht Schwierigkeiten hat, ihm Vertrauen entgegen zu bringen. Seine Position in Partei und Fraktion ist ja nicht einfach, weil ihn doch viele als einen ausgeprägten Egozentriker betrachten. Es gibt keine Alternative Das heißt im Klartext: Seehofer hat auf weite Strecken freie Hand."
Der CSU-Kenner sollte Recht behalten: Seehofer biegt sich seine Partei zurecht. Er kämpft für sie und diktiert ihr seine Bedingungen. In den ersten Wochen seiner Amtszeit hat er die CSU mehr umgekrempelt als sein Vorgänger in einem Jahr. Nicht nur inhaltlich wirft er Überkommenes über Bord, auch personell. Nur ihres Alters wegen sortiert er die Über-60jährigen aus seinem Kabinett aus. Selbst altgedienten Parteisoldaten wie Landesgruppenchef Peter Ramsauer oder Bundeswirtschaftsminister Michael Glos tritt Seehofer - wie immer lächelnd - vors Schienbein und bringt sie so auf Trab. Jeder muss sich anstrengen und neu bewähren.
Seehofer: "Alle in der CSU und alle CSU-Anhänger müssen begreifen, dass das im letzten Jahr 2008 kein Betriebsunfall war bei der Kommunal- und bei der Landtagswahl, sondern eine grundsätzliche Verschiebung auch der politischen Landschaft in Bayern. Und dass wir enorme Anstrengungen - und zwar auf längere Frist - unternehmen müssen, das Vertrauen wieder zurückzugewinnen."
In Berlin gibt er den Populisten und zeigt, wie nervig ein Christsozialer in der Großen Koalition sein kann. Damit hat er in wenigen Wochen aus der bundespolitisch völlig bedeutungslosen CSU wieder eine tonangebende Kraft gemacht. Seehofer droht, fordert, treibt – auch die Schwesterpartei CDU an. Gemeinsamer Europawahlkampf? Nicht mit ihm. Erbschaftssteuerreform. Nur nach seinen Regeln! Konjunkturpaket zwei. Ja, aber nur gekoppelt an Steuersenkungen. In Berlin wird Seehofer angeblich schon "Alpen-Sarkozy" genannt.
Seehofer: "Selbst wenn es so wäre, würde ich es Ihnen nicht sagen. Weil für mich Politik primär nicht darin besteht, um das persönliche Ansehen zu kämpfen – selbst wenn Sie es nicht glauben. Sondern uns es ein ganz, ganz großes Anliegen, dass wir eine richtige Politik machen. Und ich glaube, die Steuererleichterung ist etwas, was die Bevölkerung erwarten."
Nebenbei bastelt der Parteichef an der kommenden CSU-Führungsgeneration. Was er Wurzelgeflecht nennt, kennt man von Franz Josef Strauß. Wie sein großes Vorbild scharrt Seehofer ein Team junger politischer Talente um sich – zu denen beispielsweise Generalsekretär zu Guttenberg, der junge Finanzminister Georg Fahrenschon, Umweltminister Markus Söder, Europagruppenchef Markus Ferber oder der Europaabgeordnete Manfred Weber zählen.
Seehofer: "Ich lese dann immer, was für ein schlimmer, diktatorischer Parteichef ich da wäre. Ich merke das nur nicht."
Seehofer ist clever. Im doppelten Sinn: Mit seinen "zwölf Aposteln" – wie er sie nennt – setzt er sich von der alten, unmodernen und seiner Meinung nach verkrusteten CSU ab. Und er bindet mit Söder, Ferber und Weber Parteifreunde an sich, die ihm seines Führungsstils wegen mit öffentlicher Kritik gefährlich werden könnten: Sie sind nämlich die Vorsitzenden der CSU-Bezirke in Nürnberg, Schwaben und Niederbayern. Ganz nebenbei beobachtet er mit fast diebischem Vergnügen, wie der Nachwuchs – allen voran Markus Söder - um die Kronprinzenrolle wetteifert.
Seehofer: "Es gibt keine Altersgrenze. Ich muss aber schauen, in welchem Bereich ich welches Personal mit möglichst viel Dynamik und neuen frischen Ideen unterbringe. Ich werde dieses Jahr 60. Ich wechsle mich doch nicht selbst aus."
Seehofer steht unter enormen Erfolgsdruck. Es ist die Furcht vor einer neuen Schlappe bei der Europawahl im Juni, die ihn zum unangefochtenen Alleinherrscher macht. Aktuelle Umfragen sehen die CSU derzeit nur bei 45 Prozent. Seine Berater haben aber ausgerechnet, dass das für den Einzug ins EU-Parlament möglicherweise nicht reichen könnte. Das wäre das denkbar schlechteste Omen für die Bundestagswahl im Herbst. 2009 ist auch sein Schicksalsjahr: Seehofer spielt das Spiel "Alles oder nichts". Geht es schief – ist er weg.
Seehofer: "Es macht viel Freude, es macht Spaß. Ich bin hoch motiviert, obwohl ich es von der Lebensqualität schon besser hatte. Ich bin noch am Leben, obwohl ich diesen Wochen nicht wirklich gelebt habe."