Kein Forschungsobjekt

Die Krise Europas und die Hochschulen

Blick auf die bunt angestrahlte Dresdner Altstadt im Rahmen der Aktion "Dresden ist bunt". Links im Bild: die Hochschule für Bildende Künste.
Blick auf die bunt angestrahlte Dresdner Altstadt im Rahmen der Aktion "Dresden ist bunt". Links im Bild: die Hochschule für Bildende Künste. © imago/Hentschel
Von Peter Widmann |
Auch, wenn die Konsequenzen erst in naher Zukunft spürbar sein werden: Die Krise innerhalb der Europäischen Union macht sich auch an europäischen Universitäten und Forschungseinrichtungen bemerkbar.
Für die Hochschulen waren bis vor kurzem diejenigen weit weg, die in Deutschland bei Pegida-Demonstrationen sprechen, in der Schweiz für Anti-Einwanderungs-Referenden trommeln oder in Großbritannien für den Austritt aus der Europäischen Union. Nationalisten, Populisten und Menschen, die Brüssel für das Zentrum eines totalitären Unterdrückungsapparates halten, trifft man selten im liberalen akademischen Milieu. Allenfalls waren die neuen Rechten ein Untersuchungsobjekt für Sozialwissenschaftler, die ihre Ideologie, ihre Strategien und ihre Wählerschaft analysierten.

Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft

Das ändert sich gerade. Fakultäten und Hochschulverwaltungen werden daran erinnert, dass die Wissenschaft nicht nur Beobachterin der Gesellschaft ist, sondern ein Teil von ihr. Manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bemerkten das in den vergangenen Jahren schon beim Blick auf ihr elektronisches Postfach.
Populisten denunzieren gern Forscher, die etwa den Klimawandel oder fremdenfeindliche Einstellungen untersuchen, als Vertreter einer volks- und realitätsfernen Elite und überziehen sie mit Beleidigungen und Drohungen. Inzwischen fordert der neue Nationalismus aber auch die Hochschulen als Institutionen heraus.

Beispiel Schweiz und Großbritannien

Wo es Rechtspopulisten gelingt, Politik mitzugestalten, sind auch die Universitäten betroffen. Als sich im Jahr 2014 eine knappe Mehrheit der Schweizer in einer von der Schweizer Volkspartei initiierten Abstimmung dafür aussprach, Zuwanderung zu begrenzen und damit die mit Brüssel vereinbarte Personenfreizügigkeit einzuschränken, gerieten die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union in eine Krise. Die EU setzte die Verhandlungen mit der Schweiz über das Forschungsprogramm "Horizon 2020" und das Austauschprogramm "Erasmus plus" aus.
Mit großer Mühe gelang es der Schweiz jetzt, den Zugang zum europäischen Forschungsprogramm "Horizon 2020" zu retten, und damit zu einer der wichtigsten Quellen für Forschungsgelder und wissenschaftliches Prestige. Dazu bedurfte es eines Beschlusses des Schweizer Parlaments im vergangenen Dezember, demzufolge das Land die bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union in allen Belangen respektiert.
Großbritannien stehen solche Auseinandersetzungen noch bevor. Unter welchen Bedingungen Unionsbürger künftig an britischen Universitäten studieren können, ist unklar. Für Universitäten in Großbritannien ist die Frage wichtig, weil der Anteil von Studierenden aus der EU an vielen Hochschulen hoch ist und ihre Gebühren eine wichtige Einnahmequelle sind.
Im vergangenen Juni warnte der Präsident des Londoner University College, am dem zwölf Prozent der Studierenden aus Ländern der Europäischen Union stammen, dass der Brexit zum Rückbau der Universitäten und zu Stellenkürzungen führen könnte.

Eine "Nicht willkommen-Atmosphäre"

Vom Kontinent auf die Britischen Inseln gekommene Forscher denken an Abwanderung. Vieles könnte für sie schwieriger werden, etwa die Einwerbung von Forschungsmitteln. Dazu kommt eine Atmosphäre, in der mancher den Eindruck hat, nicht mehr willkommen zu sein.
Auch in Deutschland spüren Hochschulen den Einfluss der Rechtpopulisten, selbst wenn sie hier nicht das Regierungshandeln mitbestimmen. Unter dem Imageschaden, den die Pegida-Demonstranten Dresden zufügen, leidet auch die Technische Universität der Stadt. Nachwuchswissenschaftler aus anderen Ländern registrieren die Aufmärsche der Fremdenfeinde und suchen sich Alternativen.
Hochschulpolitiker und Universitäten haben die Europäisierung und Globalisierung mitbetrieben, denen die Populisten den Kampf angesagt haben. Sichtbar ist das etwa im Europäischen Hochschulraum mit vergleichbaren Abschlüssen und einem einheitlichen Punktesystem, im Erasmus-Austauschprogramm, in der steigenden Zahl englischsprachiger Studiengänge und in expandierenden Abteilungen für internationale Beziehungen in den Hochschulverwaltungen. Damit sind die Hochschulen Mitakteure einer europaweiten politischen Auseinandersetzung geworden.
Die Ursachenanalyse der europäischen Krise und die Suche nach Gegenstrategien ist für die Universitäten mehr als eine akademische Übung. Es geht dabei um die Grundlagen ihrer eigenen Zukunft.

Peter Widmann, geboren 1968, ist Politikwissenschaftler und koordiniert das Projekt "Marburg International Doctorate" an der Philipps-Universität Marburg. Er hat an der Technischen Universität Berlin über die Integrationspolitik deutscher Kommunen promoviert und war Mitarbeiter am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung. Vor 2010 bis 2015 lehrte und forschte er als DAAD-Lektor am Europa-Institut der Istanbul Bilgi University.

Der Politikwissenschaftler Peter Widmann
© Foto: privat
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