Kein Land für Unschuld
Wenn über die deutsche Militärpräsenz in Afghanistan geschrieben wird, dominieren ideologisch gefärbte Erfahrungsberichte. Ausgerechnet ein versierter Politjournalist beschreitet jetzt andere Wege und macht aus dem Krieg in Afghanistan eine Liebesgeschichte.
Dirk Kurbjuweit, Leiter des "Spiegel"-Hauptstadtbüros und vielgelobter Romancier ("Zweier ohne", "Nicht die ganze Wahrheit"), erzählt die Geschichte der Soldatin Esther Dieffenbach, einer aus Rügen stammenden Mittzwanzigerin, die sich nach einer Liebesenttäuschung für zwölf Jahre bei der Bundeswehr verpflichtet und im Frühsommer 2006 nach Afghanistan kommt.
In der ihm eigenen Lakonie zeichnet Kurbjuweit das ritualisierte Lagerleben der Soldaten nach, die kaum erträgliche Hitze, die einförmige Landschaft, den Zufallssex mit Kameraden, die Langeweile und vor allem das angstbesetzte Warten auf jenen Moment, da man – endlich? – unmittelbar mit dem Krieg zu tun bekommt. Der zurückhaltenden, im Zustand innerer "Vereisung" verharrenden Esther, einer typischen Kurbjuweit-Figur, gelingt es, ihrem monotonen Alltag Abwechslung zu verleihen: Sie nimmt den Auftrag an, allwöchentlich eine Schule im Hinterland zu besuchen, deren Betrieb die Bundeswehr gewährleisten soll. Schritt für Schritt nähert sie sich dabei dem anfänglich einsilbigen Direktor Mehsud an, der zur Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte wird: Die "Einmaligkeit" ihrer Beziehung zu einem Mann, der für sie das Land Afghanistan verkörpert, bricht Esthers Gefühlsblockaden auf und lässt sie von einer – vagen – gemeinsamen Zukunft träumen.
Doch ehe die "Kriegsbraut" ihre Pläne konkretisieren kann, gerät sie in ein Feuergefecht, bei dem deutsche Soldaten und afghanische Zivilisten, Frauen und Kinder, umkommen. Wie schon in seinem letzten Roman "Nicht die ganze Wahrheit" geht es Dirk Kurbjuweit dabei um die Erzählbarkeit der Welt, und wieder zeigt sich, dass das Wesentliche gerade nicht zu erzählen ist. Esther erhält die Auflage, kein Wort über die getöteten Zivilisten zu verlieren, und gerät so in ein zweifaches Schweigegefängnis: Über ihre Liebe zu Mehsud darf sie bei einem Heimaturlaub in Berlin nicht sprechen, und die Hintergründe des Gefechtes muss sie hinter Floskeln verbergen. Während sich Deutschland im Sommer 2006 auf sein Fußball-WM-Märchen einstimmt, kehrt Leutnant Dieffenbach nach Afghanistan zurück, das "kein Land für Unschuld" ist.
"Kriegsbraut" ist ein sprachlich präziser, durch eine erzählerische Ruhe bestechender Roman, der keine politische und religiöse Debatten führt, sondern diese behutsam in die Figurenreden einbaut und so über den Krieg mehr zu sagen hat als Dutzende von Leitartikeln. Und über die Einsamkeit einer Frau, die sich in Deutschland genauso fremd fühlt wie in Afghanistan.
Besprochen von Rainer Moritz
Dirk Kurbjuweit: Kriegsbraut
Rowohlt, Berlin 2011
333 Seiten, 19,95 Euro
In der ihm eigenen Lakonie zeichnet Kurbjuweit das ritualisierte Lagerleben der Soldaten nach, die kaum erträgliche Hitze, die einförmige Landschaft, den Zufallssex mit Kameraden, die Langeweile und vor allem das angstbesetzte Warten auf jenen Moment, da man – endlich? – unmittelbar mit dem Krieg zu tun bekommt. Der zurückhaltenden, im Zustand innerer "Vereisung" verharrenden Esther, einer typischen Kurbjuweit-Figur, gelingt es, ihrem monotonen Alltag Abwechslung zu verleihen: Sie nimmt den Auftrag an, allwöchentlich eine Schule im Hinterland zu besuchen, deren Betrieb die Bundeswehr gewährleisten soll. Schritt für Schritt nähert sie sich dabei dem anfänglich einsilbigen Direktor Mehsud an, der zur Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte wird: Die "Einmaligkeit" ihrer Beziehung zu einem Mann, der für sie das Land Afghanistan verkörpert, bricht Esthers Gefühlsblockaden auf und lässt sie von einer – vagen – gemeinsamen Zukunft träumen.
Doch ehe die "Kriegsbraut" ihre Pläne konkretisieren kann, gerät sie in ein Feuergefecht, bei dem deutsche Soldaten und afghanische Zivilisten, Frauen und Kinder, umkommen. Wie schon in seinem letzten Roman "Nicht die ganze Wahrheit" geht es Dirk Kurbjuweit dabei um die Erzählbarkeit der Welt, und wieder zeigt sich, dass das Wesentliche gerade nicht zu erzählen ist. Esther erhält die Auflage, kein Wort über die getöteten Zivilisten zu verlieren, und gerät so in ein zweifaches Schweigegefängnis: Über ihre Liebe zu Mehsud darf sie bei einem Heimaturlaub in Berlin nicht sprechen, und die Hintergründe des Gefechtes muss sie hinter Floskeln verbergen. Während sich Deutschland im Sommer 2006 auf sein Fußball-WM-Märchen einstimmt, kehrt Leutnant Dieffenbach nach Afghanistan zurück, das "kein Land für Unschuld" ist.
"Kriegsbraut" ist ein sprachlich präziser, durch eine erzählerische Ruhe bestechender Roman, der keine politische und religiöse Debatten führt, sondern diese behutsam in die Figurenreden einbaut und so über den Krieg mehr zu sagen hat als Dutzende von Leitartikeln. Und über die Einsamkeit einer Frau, die sich in Deutschland genauso fremd fühlt wie in Afghanistan.
Besprochen von Rainer Moritz
Dirk Kurbjuweit: Kriegsbraut
Rowohlt, Berlin 2011
333 Seiten, 19,95 Euro