Kein Lebensstil
Die Autoren des Bandes sind sich einig: Kosmopolitismus ist etwas anderes als ein Lebensstil. Auch ist er keine Zierde für gelangweilte Intellektuelle, die den Reiz des Fremden suchen.
Der Kosmopolitismus hat Platz im tiefsten Kaff. In der tiefsten Provinz kann er ansetzen, weit hinter den Bergen und hinter allem, was nach Metropole aussieht. Denn der Kosmopolitismus ist auf urbanes Leben nicht angewiesen. Mag sein, dass er in den Städten eher zu Hause ist als in den Dörfern, aber zwingend ist das nicht. Man braucht, lehrt das Beispiel Immanuel Kant, Königsberg nie verlassen zu haben, um sich der ganzen Menschheit verpflichtet zu fühlen.
Und das ist vielleicht die erregendste Erkenntnis dieses Bandes: dass Kosmopolitismus auf die gängigen Symbole der Weltläufigkeit nicht angewiesen ist. Kosmopolitismus ist eine Geisteshaltung. Und die, zeigt der Band, findet sich ansatzweise schon bei den Stoikern. Sie suchten Normen und Orientierung jenseits der Sitten und Bräuche jener Orte, in die der Zufall ihr Leben gewürfelt hatte. Wo aber fand sich diese Ordnung? Die Stoiker schauten in die Natur.
"Insofern erkennt also jemand, der in Übereinstimmung mit der Natur lebt, nicht in den Gebräuchen oder Gesetzen der Gemeinschaft, in der er lebt, normative Autorität, sondern vielmehr in der Ordnung der Natur. Und ebenso erklärt diese Annahme, warum sie die Polis nicht mit irgendeiner existierenden menschlichen Gemeinschaft identifizieren, sondern vielmehr mit dem Kosmos."
Eines gilt allerdings auch: Irgendwo muss man leben. Und nur dort, wo man lebt, kann man sich engagieren, kann man Vorstellungen vom Zusammenleben entwickeln, die über die eigene Gemeinschaft hinausreichen. Für alle Autoren des Bandes ist dieser Ort heute der moderne Nationalstaat.
In ihm entwickeln sich jene Prinzipien, die sich ausbauen und erweitern lassen für eine Theorie des Miteinanders, die die Grenzen der einzelnen Nationen überschreitet. Möglich ist dies aber nur dann, wenn die Ordnung dieses Staates grundsätzlich weltoffen ist und die Gleichheit aller Menschen unterstellt. Ist dies der Fall, wird der Nationalstaat zur Keimzelle einer kosmopolitischen Existenz.
"Der Nationalstaat, der eine starke Form der nationalen Souveränität einschließt, ist ein wichtiges Gut für alle Menschen, vorausgesetzt der Staat nimmt eine bestimmte Form (liberal, demokratisch) an. Eine gute Weltkultur sollte die Souveränität und Autonomie von (liberalen und demokratischen) Nationalstaaten erhalten und die Rechte der zu ihnen gehörigen Bürger fördern."
In einem sind sich die Autoren des Bandes einig: Kosmopolitismus ist etwas anderes als ein Lebensstil. Auch ist er keine Zierde für gelangweilte Intellektuelle, die den Reiz des Fremden suchen. Prinzipiell ist Kosmopolitismus auch etwas anderes als ein Karneval der Kulturen. Er ist eben nicht, wie man gerne denkt, ästhetisch begründet. Auch ist er nicht "reizvoll", nicht "bereichernd" oder "bunt", wie die Schlagworte eines schwärmerischen Multikulturalismus suggerieren. Im Gegenteil: Kosmopolitismus ist eine Aufgabe.
"Für Kosmopolitismus im wahren Sinne des Wortes ist es notwendig, dass es nicht um ein Hobby geht. Es geht auch nicht um die Frage, ob man Zeit oder Geld übrig hat: Jemand, der erst, wenn sein eigenes Volk gut versorgt ist, mal sieht, ob noch etwas übrig ist und sich erst dann fragt, ob jemand anderes vielleicht etwas benötigt, ist kein Kosmopolit."
Kosmopolit ist jemand anderes: Derjenige, der sich über die Grenzen seiner Welt erhebt, der das Allgemein im Besonderen erkennt, sich nicht von der Logik des Unmittelbaren, des Gegebenen überwältigen lässt, sondern der in der Lage und vor allem bereit ist, darüber hinaus zu denken.
Derjenige also, der allen Menschen einen gleichen moralischen Status zuerkennt, der sich darum auch der Pflicht unterwirft, das Recht, die Freiheit und das Wohl der anderen anzuerkennen. Sehr anspruchsvolle Voraussetzungen also, die man nicht leicht erwirbt. Eben darum sind die Institutionen des Staates gefragt.
"Diese kritische Kultur muss von frühester Kindheit an in den Schulen gefördert werden, indem den Kindern beigebracht wird, dass die Fähigkeit, kritisch zu denken eine der wichtigsten Fähigkeiten des demokratischen Bürgers ist, wohingegen mechanisches Lernen und gewohnheitsmäßiges Denken die Merkmale eines schlechten Bürgers sind. In dem Maße, in dem eine Nation eine solche Kultur erfolgreich ausbildet, hat sie in jeder Stadt und Region eingebaute Schutzmechanismen gegen die Exzesse eines Amok laufenden Patriotismus."
Immer wieder weisen die Autoren darauf hin, dass der Umstand, dass die Welt – angeblich jedenfalls – zum Dorf wird, den Kosmopolitismus nicht zwangsläufig fördert. Eine Zeit, in der Raum und Reisewege schrumpfen, ist nicht automatisch auch eine Zeit, die zum globalen Miteinander beiträgt. Im Gegenteil: Der geschrumpfte Raum kann kosmopolitischem Denken auch zuwiderlaufen.
"Kosmopolitismus ist also darum auch nicht dasselbe wie ökonomische Globalisierung und schon gar nicht ein Lob der Globalisierung. Globalisierung kann zu der Verbreitung kosmopolitischer Überzeugungen beitragen, aber das muss nicht so sein.
Globalisierung kann auch mit Kolonialismus und Sklaverei zusammen auftreten, aber Kosmopolitismus kann das nicht. Auch kann die Globalisierung gerade eine antikosmopolitische Gegenbewegung hervorrufen, eine nationalistische Reaktion. Umgekehrt ist es auch möglich, dass eine isolierte Gesellschaft durchzogen wird von kosmopolitischen Idealen.
Eindrücklich zeigt der Band die hohen politischen, moralischen und intellektuellen Ansprüche auf, die kosmopolitisches Denken mit sich bringt. Es geht dabei eben nicht um multikulturelle Schwärmereien. Es geht im Gegenteil um die Zumutung, jemanden auch dann anzuerkennen, wenn uns seine Lebensweise fremd bleibt.
Wie schwer das den meisten Menschen fällt, zeigen die nicht abreißenden Debatten um die Stichworte Integration, Assimilation und Leitkultur. Kosmopolitisches Denken fordert sehr viel, oft überfordert es die Menschen sogar. Dennoch wird man es einüben müssen. Denn ohne es kommen wir gar nicht mehr aus.
Matthias Lutz-Bachmann, Andreas Niederberger, Philipp Schink (Hg.)
Kosmopolitismus - Geschichte und Zukunft eines umstrittenen Ideals
Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2010
Und das ist vielleicht die erregendste Erkenntnis dieses Bandes: dass Kosmopolitismus auf die gängigen Symbole der Weltläufigkeit nicht angewiesen ist. Kosmopolitismus ist eine Geisteshaltung. Und die, zeigt der Band, findet sich ansatzweise schon bei den Stoikern. Sie suchten Normen und Orientierung jenseits der Sitten und Bräuche jener Orte, in die der Zufall ihr Leben gewürfelt hatte. Wo aber fand sich diese Ordnung? Die Stoiker schauten in die Natur.
"Insofern erkennt also jemand, der in Übereinstimmung mit der Natur lebt, nicht in den Gebräuchen oder Gesetzen der Gemeinschaft, in der er lebt, normative Autorität, sondern vielmehr in der Ordnung der Natur. Und ebenso erklärt diese Annahme, warum sie die Polis nicht mit irgendeiner existierenden menschlichen Gemeinschaft identifizieren, sondern vielmehr mit dem Kosmos."
Eines gilt allerdings auch: Irgendwo muss man leben. Und nur dort, wo man lebt, kann man sich engagieren, kann man Vorstellungen vom Zusammenleben entwickeln, die über die eigene Gemeinschaft hinausreichen. Für alle Autoren des Bandes ist dieser Ort heute der moderne Nationalstaat.
In ihm entwickeln sich jene Prinzipien, die sich ausbauen und erweitern lassen für eine Theorie des Miteinanders, die die Grenzen der einzelnen Nationen überschreitet. Möglich ist dies aber nur dann, wenn die Ordnung dieses Staates grundsätzlich weltoffen ist und die Gleichheit aller Menschen unterstellt. Ist dies der Fall, wird der Nationalstaat zur Keimzelle einer kosmopolitischen Existenz.
"Der Nationalstaat, der eine starke Form der nationalen Souveränität einschließt, ist ein wichtiges Gut für alle Menschen, vorausgesetzt der Staat nimmt eine bestimmte Form (liberal, demokratisch) an. Eine gute Weltkultur sollte die Souveränität und Autonomie von (liberalen und demokratischen) Nationalstaaten erhalten und die Rechte der zu ihnen gehörigen Bürger fördern."
In einem sind sich die Autoren des Bandes einig: Kosmopolitismus ist etwas anderes als ein Lebensstil. Auch ist er keine Zierde für gelangweilte Intellektuelle, die den Reiz des Fremden suchen. Prinzipiell ist Kosmopolitismus auch etwas anderes als ein Karneval der Kulturen. Er ist eben nicht, wie man gerne denkt, ästhetisch begründet. Auch ist er nicht "reizvoll", nicht "bereichernd" oder "bunt", wie die Schlagworte eines schwärmerischen Multikulturalismus suggerieren. Im Gegenteil: Kosmopolitismus ist eine Aufgabe.
"Für Kosmopolitismus im wahren Sinne des Wortes ist es notwendig, dass es nicht um ein Hobby geht. Es geht auch nicht um die Frage, ob man Zeit oder Geld übrig hat: Jemand, der erst, wenn sein eigenes Volk gut versorgt ist, mal sieht, ob noch etwas übrig ist und sich erst dann fragt, ob jemand anderes vielleicht etwas benötigt, ist kein Kosmopolit."
Kosmopolit ist jemand anderes: Derjenige, der sich über die Grenzen seiner Welt erhebt, der das Allgemein im Besonderen erkennt, sich nicht von der Logik des Unmittelbaren, des Gegebenen überwältigen lässt, sondern der in der Lage und vor allem bereit ist, darüber hinaus zu denken.
Derjenige also, der allen Menschen einen gleichen moralischen Status zuerkennt, der sich darum auch der Pflicht unterwirft, das Recht, die Freiheit und das Wohl der anderen anzuerkennen. Sehr anspruchsvolle Voraussetzungen also, die man nicht leicht erwirbt. Eben darum sind die Institutionen des Staates gefragt.
"Diese kritische Kultur muss von frühester Kindheit an in den Schulen gefördert werden, indem den Kindern beigebracht wird, dass die Fähigkeit, kritisch zu denken eine der wichtigsten Fähigkeiten des demokratischen Bürgers ist, wohingegen mechanisches Lernen und gewohnheitsmäßiges Denken die Merkmale eines schlechten Bürgers sind. In dem Maße, in dem eine Nation eine solche Kultur erfolgreich ausbildet, hat sie in jeder Stadt und Region eingebaute Schutzmechanismen gegen die Exzesse eines Amok laufenden Patriotismus."
Immer wieder weisen die Autoren darauf hin, dass der Umstand, dass die Welt – angeblich jedenfalls – zum Dorf wird, den Kosmopolitismus nicht zwangsläufig fördert. Eine Zeit, in der Raum und Reisewege schrumpfen, ist nicht automatisch auch eine Zeit, die zum globalen Miteinander beiträgt. Im Gegenteil: Der geschrumpfte Raum kann kosmopolitischem Denken auch zuwiderlaufen.
"Kosmopolitismus ist also darum auch nicht dasselbe wie ökonomische Globalisierung und schon gar nicht ein Lob der Globalisierung. Globalisierung kann zu der Verbreitung kosmopolitischer Überzeugungen beitragen, aber das muss nicht so sein.
Globalisierung kann auch mit Kolonialismus und Sklaverei zusammen auftreten, aber Kosmopolitismus kann das nicht. Auch kann die Globalisierung gerade eine antikosmopolitische Gegenbewegung hervorrufen, eine nationalistische Reaktion. Umgekehrt ist es auch möglich, dass eine isolierte Gesellschaft durchzogen wird von kosmopolitischen Idealen.
Eindrücklich zeigt der Band die hohen politischen, moralischen und intellektuellen Ansprüche auf, die kosmopolitisches Denken mit sich bringt. Es geht dabei eben nicht um multikulturelle Schwärmereien. Es geht im Gegenteil um die Zumutung, jemanden auch dann anzuerkennen, wenn uns seine Lebensweise fremd bleibt.
Wie schwer das den meisten Menschen fällt, zeigen die nicht abreißenden Debatten um die Stichworte Integration, Assimilation und Leitkultur. Kosmopolitisches Denken fordert sehr viel, oft überfordert es die Menschen sogar. Dennoch wird man es einüben müssen. Denn ohne es kommen wir gar nicht mehr aus.
Matthias Lutz-Bachmann, Andreas Niederberger, Philipp Schink (Hg.)
Kosmopolitismus - Geschichte und Zukunft eines umstrittenen Ideals
Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2010