Kein Mitleid, keine Angst, kein Hass auf die Verhältnisse
Der Schriftsteller Dieter Wellershoff spricht über seine Zeit in der Division Hermann Göring. Dabei hat man das Gefühl, nicht von einem grauenhaft sinnlosen Abschlachten erzählt zu bekommen, sondern von Stellungswechseln, Ereignissen, Äußerlichkeiten.
"Ich habe nicht viel Angst gehabt. Also Angst würde ja schon fast jede Initiative unterbinden. Ich war sehr auf die Initiative eingestellt, die jetzt nötig war. Richtige Angst hab ich nicht gehabt."
Wie rettet sich ein 17-Jähriger vor dem Krieg, einem Krieg, den er sich ursprünglich als Abenteuer und ständige Abfolge heldenhafter Taten vorgestellt hatte? Der dann aber tatsächlich eine "Zeit der Auslöschung und Entmenschung" war. Dieter Wellershoff hat seine zwei Jahre bei der Division Hermann Göring in einem Interviewband einmal so genannt: Zeit der Entmenschung. Klaus Sander, dem Betreiber des Supposé Verlags, hat er nun davon erzählt. Und auch von dem, was davor lag: seine Kindheit in einem gutbürgerlichen Elternhaus im niederrheinischen Städtchen Grevenbroich.
"Ich habe festgestellt, dass mein Vater eine angesehene Persönlichkeit war, und zwar hab ich das am Hüteziehen auch gemerkt. Wenn wir zusammen durch den Ort gingen, dann zogen die Leute den Hut und er zog meistens als Zweiter den Hut. Einmal hab ich aber gemerkt, dass er den Hut als Erster zog und dann zur Erklärung meinte: Das war der Landrat. Also sein oberster Vorgesetzter."
Der Vater ist Kreisbaumeister und früh Mitglied der SA. In den letzten Kriegsjahren ist er für die Errichtung von Scheinfabriken zuständig: Gut sichtbare Kulissen unweit der wirklichen Industrieanlagen, die die Bombenflieger der Alliierten irreleiten sollten. Den Vater beschreibt Dieter Wellershoff mit Stolz in der Stimme mehrmals als schlank und groß. Auch dass er als Protestant den Mut besaß, sich während der katholischen Fronleichnamsprozessionen als Einziger nicht hinzuknien, berichtet Dieter Wellershoff wie einen kürzlich genossenen Triumph.
Über die Mutter hingegen hat er nicht allzu viel zu sagen. Er bezeichnet sich als Vaterkind.
"Sie war eine sehr liebenswürdige, warmherzige, auch nicht dumme Frau. Aber sie neigte zur Depression und zur Hysterie und das ist ja nicht gut für die Entwicklung."
Die Mutter war gegen den Krieg, was der Sohn ihr als weitere Schwäche auslegt. Auch später im Feld mag er Kameraden nicht, die die Fassung verlieren beim Sterben und etwa nach ihrer Mutter schreien. Wellershoff erinnert sich an seinen ersten Toten im Feld:
"Es spielte sich nichts in mir ab, ich war wie versteinert. Etwas, was sich später mehr und mehr in mir vertieft hat, ist, dass ich dachte: Schau Dir das an, das ist der Krieg. Das hat mir irgendwie geholfen, auch die am Anfang waren noch die heroischen Vorstellungen, dass ich dachte, wie stellt der sich denn an? … haben mir geholfen, den Schock zu bekämpfen. Aber auch dann dieser Objektivismus: Schau Dir das an!"
Dieser Objektivismus, wie Wellershoff ihn nennt, hat seine Nachteile, jedenfalls für dieses Hörbuch. Man hat das Gefühl, nicht von einem grauenhaft sinnlosen Abschlachten erzählt zu bekommen, sondern von Stellungswechseln, Ereignissen, Äußerlichkeiten. Als würde man nur die halbe Geschichte hören, weil der heute 85-jährige Dieter Wellershoff den Krieg ohne emotionale Beteiligung beschreibt. Dabei kann er auch ganz anders. Das beweisen seine Romane mit den feinen, tiefen Beschreibungen menschlichen Leids.
1945 wird Wellershoff an der Ostfront von einem Granatsplitter getroffen und kann mit letzter Kraft hinter einen Strohhaufen kriechen.
"Da hab ich meine eiserne Ration aufgegessen, um mich zu beruhigen. Das war eine Art gepresstes Rindfleisch in der Blechbüchse. Und dann kam ein Unteroffizier vorbei, der hatte hier Schlüsselbein zerschossen oder was. Der sagte: 'Komm, willste nicht zurück?' Ich sagte: 'Ja, ich kann nicht gehen, ich kann nicht gehen.' Und dann lief er weiter, und dann sah ich, er wurde getroffen und lag da. Patsch. Fiel er um. Stückchen weiter weg. Ja."
Auch hier kein Gefühl: kein Mitleid, keine Angst, kein Hass auf die Verhältnisse. Nur Konkretes. Wellershoff produziert mit fast maschinell anmutender Zuverlässigkeit ein fortlaufendes Protokoll der äußeren Welt.
"Es war so, dass man sich innerlich damit begnügte festzustellen: Der ist jetzt tot."
Das Hörbuch "Schau dir das an, das ist der Krieg" ist erzähltes Fotoalbum. Die Bilder sind unverändert, die Erinnerung eingefroren, als hätten die 60 folgenden Lebensjahre Wellershoffs an ihnen nicht rühren können. Einmal hervorgeholt, ist das Trauma wieder präsent und die Reaktion wie damals. Der Gefühlspanzer, der einst in gefährlicher Situation dem Überleben diente und von dessen Existenz der studierte Psychologe Wellershoff durchaus weiß, ist wieder geschlossen, während er von seinem Leben als Soldat erzählt: Schau dir das an, das ist der Krieg.
"Es fasziniert mich, es zu erzählen, weil ich dabei entdecke, das hab ich tatsächlich erlebt. So weit ist das von mir weg, dass ich dann plötzlich eine erstaunliche Nähe … das war ja ich, das hab ja ich erlebt, so geht es mir!"
Besprochen von Brigitte Neumann
Dieter Wellershoff: Schau dir das an, das ist der Krieg. Dieter Wellershoff erzählt sein Leben als Soldat
Supposé Verlag, Berlin 2010
215 Minuten, 29,80 Euro
Wie rettet sich ein 17-Jähriger vor dem Krieg, einem Krieg, den er sich ursprünglich als Abenteuer und ständige Abfolge heldenhafter Taten vorgestellt hatte? Der dann aber tatsächlich eine "Zeit der Auslöschung und Entmenschung" war. Dieter Wellershoff hat seine zwei Jahre bei der Division Hermann Göring in einem Interviewband einmal so genannt: Zeit der Entmenschung. Klaus Sander, dem Betreiber des Supposé Verlags, hat er nun davon erzählt. Und auch von dem, was davor lag: seine Kindheit in einem gutbürgerlichen Elternhaus im niederrheinischen Städtchen Grevenbroich.
"Ich habe festgestellt, dass mein Vater eine angesehene Persönlichkeit war, und zwar hab ich das am Hüteziehen auch gemerkt. Wenn wir zusammen durch den Ort gingen, dann zogen die Leute den Hut und er zog meistens als Zweiter den Hut. Einmal hab ich aber gemerkt, dass er den Hut als Erster zog und dann zur Erklärung meinte: Das war der Landrat. Also sein oberster Vorgesetzter."
Der Vater ist Kreisbaumeister und früh Mitglied der SA. In den letzten Kriegsjahren ist er für die Errichtung von Scheinfabriken zuständig: Gut sichtbare Kulissen unweit der wirklichen Industrieanlagen, die die Bombenflieger der Alliierten irreleiten sollten. Den Vater beschreibt Dieter Wellershoff mit Stolz in der Stimme mehrmals als schlank und groß. Auch dass er als Protestant den Mut besaß, sich während der katholischen Fronleichnamsprozessionen als Einziger nicht hinzuknien, berichtet Dieter Wellershoff wie einen kürzlich genossenen Triumph.
Über die Mutter hingegen hat er nicht allzu viel zu sagen. Er bezeichnet sich als Vaterkind.
"Sie war eine sehr liebenswürdige, warmherzige, auch nicht dumme Frau. Aber sie neigte zur Depression und zur Hysterie und das ist ja nicht gut für die Entwicklung."
Die Mutter war gegen den Krieg, was der Sohn ihr als weitere Schwäche auslegt. Auch später im Feld mag er Kameraden nicht, die die Fassung verlieren beim Sterben und etwa nach ihrer Mutter schreien. Wellershoff erinnert sich an seinen ersten Toten im Feld:
"Es spielte sich nichts in mir ab, ich war wie versteinert. Etwas, was sich später mehr und mehr in mir vertieft hat, ist, dass ich dachte: Schau Dir das an, das ist der Krieg. Das hat mir irgendwie geholfen, auch die am Anfang waren noch die heroischen Vorstellungen, dass ich dachte, wie stellt der sich denn an? … haben mir geholfen, den Schock zu bekämpfen. Aber auch dann dieser Objektivismus: Schau Dir das an!"
Dieser Objektivismus, wie Wellershoff ihn nennt, hat seine Nachteile, jedenfalls für dieses Hörbuch. Man hat das Gefühl, nicht von einem grauenhaft sinnlosen Abschlachten erzählt zu bekommen, sondern von Stellungswechseln, Ereignissen, Äußerlichkeiten. Als würde man nur die halbe Geschichte hören, weil der heute 85-jährige Dieter Wellershoff den Krieg ohne emotionale Beteiligung beschreibt. Dabei kann er auch ganz anders. Das beweisen seine Romane mit den feinen, tiefen Beschreibungen menschlichen Leids.
1945 wird Wellershoff an der Ostfront von einem Granatsplitter getroffen und kann mit letzter Kraft hinter einen Strohhaufen kriechen.
"Da hab ich meine eiserne Ration aufgegessen, um mich zu beruhigen. Das war eine Art gepresstes Rindfleisch in der Blechbüchse. Und dann kam ein Unteroffizier vorbei, der hatte hier Schlüsselbein zerschossen oder was. Der sagte: 'Komm, willste nicht zurück?' Ich sagte: 'Ja, ich kann nicht gehen, ich kann nicht gehen.' Und dann lief er weiter, und dann sah ich, er wurde getroffen und lag da. Patsch. Fiel er um. Stückchen weiter weg. Ja."
Auch hier kein Gefühl: kein Mitleid, keine Angst, kein Hass auf die Verhältnisse. Nur Konkretes. Wellershoff produziert mit fast maschinell anmutender Zuverlässigkeit ein fortlaufendes Protokoll der äußeren Welt.
"Es war so, dass man sich innerlich damit begnügte festzustellen: Der ist jetzt tot."
Das Hörbuch "Schau dir das an, das ist der Krieg" ist erzähltes Fotoalbum. Die Bilder sind unverändert, die Erinnerung eingefroren, als hätten die 60 folgenden Lebensjahre Wellershoffs an ihnen nicht rühren können. Einmal hervorgeholt, ist das Trauma wieder präsent und die Reaktion wie damals. Der Gefühlspanzer, der einst in gefährlicher Situation dem Überleben diente und von dessen Existenz der studierte Psychologe Wellershoff durchaus weiß, ist wieder geschlossen, während er von seinem Leben als Soldat erzählt: Schau dir das an, das ist der Krieg.
"Es fasziniert mich, es zu erzählen, weil ich dabei entdecke, das hab ich tatsächlich erlebt. So weit ist das von mir weg, dass ich dann plötzlich eine erstaunliche Nähe … das war ja ich, das hab ja ich erlebt, so geht es mir!"
Besprochen von Brigitte Neumann
Dieter Wellershoff: Schau dir das an, das ist der Krieg. Dieter Wellershoff erzählt sein Leben als Soldat
Supposé Verlag, Berlin 2010
215 Minuten, 29,80 Euro