Kein Sinn für Europa
Der britische Eigensinn gegenüber der Europäischen Union ist den Deutschen gestern wie heute sehr willkommen. Denn gerade das führt Deutsche und Briten zusammen, meint der Historiker Eberhard Straub: Beide denken an sich und nicht an Europa.
Zu den Grundsätzen der britischen Außenpolitik gehörte es immer, eine erhebliche Distanz zum stets etwas aufgeregten Europa zu wahren. Die wechselnden Regierungen folgten dem Grundsatz, keine dauernden Feinde oder Freunde zu kennen.
Jedes Bündnis mit einer oder mehreren Mächten galt nur einem vorübergehenden Zweck, je nach den Interessen Großbritanniens. Weitergehenden Verpflichtungen wichen die Briten aus, um nicht in Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, die für sie keine Vorteile bereithielten. Mit diesen Traditionen brachen sie, als sie 1949 der NATO beitraten und sich bald darauf darum bemühten, in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Charles de Gaulle machte seinerseits aufgrund bitterer Erfahrungen nie einen Hehl daraus, wie schrecklich es sei, unter Umständen auf Briten angewiesen zu sein. Gerade deswegen hatte er vor fünfzig Jahren den deutsch–französischen Vertrag angeregt. Er wollte den Europäern insgesamt Sicherheit geben, sie zu politischer Einheit bewegen und sie allmählich - ungestört von britischen Zwischenreden - aus der Bevormundung durch die US-Amerikaner befreien.
Er dachte an ein Europa der Vaterländer, das von Gibraltar bis zum Ural reicht, um es zu befähigen, abermals im Pluriversum der Weltmächte eine selbständige, der Alten Welt angemessene Rolle zu übernehmen. Ein Europa ohne Russland, immerhin eine klassische Großmacht, erschien Charles de Gaulle unvollkommen.
Sein politisches Programm war zu anspruchsvoll für viele Deutsche, auch in der Partei Adenauers. Sie dachten weniger an Europa als an die transatlantische Gemeinschaft, an die Westbindung als wunderbares Mittel, das alle Wunden heilt, die der Nationalsozialismus vor allem den Deutschen beibrachte.
Sie brachten das deutsch-französische Bündnis um seinen Sinn, weil sie es lediglich nutzen wollten, der deutsch-amerikanischen Allianz Dauer zu verschaffen, unbedingt mit Hilfe der Briten, ohne die sie Europa ganz einfach für hilflos hielten.
In den Briten sahen die Atlantiker Wirtschaftsliberale, Verfechter kapitalistischer Freiheiten, eben aufrichtige Westler. Darin irrten sie sich nicht. So wollten auch die Deutschen sein. In alter Tradition wehrten sich die Briten seit ihrer Aufnahme in die EWG 1973 gegen den Hang der Europäer, die von Freiheit nichts verstünden, alles zu verrechtlichen und zu bürokratisieren.
Für ihre herkömmlichen Vorurteile gebrauchen sie jetzt die magische Formel: Brüssel sei Inbegriff absolutistischer Willkür. Darin treffen sie sich wieder mit den Deutschen, die gar nicht erstaunt sind über britische Sonderwege. Beide verstehen Europa als Markt, Freiheit als wirtschaftliche Handlungsfreiheit in einer globalisierten Welt, für die Europa längst zu klein ist.
Gerade weil Europa für die Deutschen auf den Euro schrumpfte, brauchen sie die Briten in einem rein ökonomischen Zweckverband, um Europa zu überwinden. Insofern ist den Deutschen gestern wie heute britischer Eigensinn sehr willkommen. Sie haben keine Europaidee, sie misstrauen Ideen.
Daran musste sich de Gaulle nach der eigenwilligen Interpretation des Elysée–Vertrages durch die Westdeutschen gewöhnen. Er war enttäuscht, mit ihnen vielleicht Geschäfte, aber keine europäische Politik machen zu können. Gerade das führt Deutsche und Briten zusammen, denn beide denken an sich und nicht an Europa.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a.: "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".
Jedes Bündnis mit einer oder mehreren Mächten galt nur einem vorübergehenden Zweck, je nach den Interessen Großbritanniens. Weitergehenden Verpflichtungen wichen die Briten aus, um nicht in Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden, die für sie keine Vorteile bereithielten. Mit diesen Traditionen brachen sie, als sie 1949 der NATO beitraten und sich bald darauf darum bemühten, in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen zu werden.
Charles de Gaulle machte seinerseits aufgrund bitterer Erfahrungen nie einen Hehl daraus, wie schrecklich es sei, unter Umständen auf Briten angewiesen zu sein. Gerade deswegen hatte er vor fünfzig Jahren den deutsch–französischen Vertrag angeregt. Er wollte den Europäern insgesamt Sicherheit geben, sie zu politischer Einheit bewegen und sie allmählich - ungestört von britischen Zwischenreden - aus der Bevormundung durch die US-Amerikaner befreien.
Er dachte an ein Europa der Vaterländer, das von Gibraltar bis zum Ural reicht, um es zu befähigen, abermals im Pluriversum der Weltmächte eine selbständige, der Alten Welt angemessene Rolle zu übernehmen. Ein Europa ohne Russland, immerhin eine klassische Großmacht, erschien Charles de Gaulle unvollkommen.
Sein politisches Programm war zu anspruchsvoll für viele Deutsche, auch in der Partei Adenauers. Sie dachten weniger an Europa als an die transatlantische Gemeinschaft, an die Westbindung als wunderbares Mittel, das alle Wunden heilt, die der Nationalsozialismus vor allem den Deutschen beibrachte.
Sie brachten das deutsch-französische Bündnis um seinen Sinn, weil sie es lediglich nutzen wollten, der deutsch-amerikanischen Allianz Dauer zu verschaffen, unbedingt mit Hilfe der Briten, ohne die sie Europa ganz einfach für hilflos hielten.
In den Briten sahen die Atlantiker Wirtschaftsliberale, Verfechter kapitalistischer Freiheiten, eben aufrichtige Westler. Darin irrten sie sich nicht. So wollten auch die Deutschen sein. In alter Tradition wehrten sich die Briten seit ihrer Aufnahme in die EWG 1973 gegen den Hang der Europäer, die von Freiheit nichts verstünden, alles zu verrechtlichen und zu bürokratisieren.
Für ihre herkömmlichen Vorurteile gebrauchen sie jetzt die magische Formel: Brüssel sei Inbegriff absolutistischer Willkür. Darin treffen sie sich wieder mit den Deutschen, die gar nicht erstaunt sind über britische Sonderwege. Beide verstehen Europa als Markt, Freiheit als wirtschaftliche Handlungsfreiheit in einer globalisierten Welt, für die Europa längst zu klein ist.
Gerade weil Europa für die Deutschen auf den Euro schrumpfte, brauchen sie die Briten in einem rein ökonomischen Zweckverband, um Europa zu überwinden. Insofern ist den Deutschen gestern wie heute britischer Eigensinn sehr willkommen. Sie haben keine Europaidee, sie misstrauen Ideen.
Daran musste sich de Gaulle nach der eigenwilligen Interpretation des Elysée–Vertrages durch die Westdeutschen gewöhnen. Er war enttäuscht, mit ihnen vielleicht Geschäfte, aber keine europäische Politik machen zu können. Gerade das führt Deutsche und Briten zusammen, denn beide denken an sich und nicht an Europa.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u.a.: "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit" und "Zur Tyrannei der Werte".