Kein Spaß im "Spielgetto" mit Schaukel und Wippe

Günter Beltzig im Gespräch mit Frank Meyer |
Unsere Spielplätze sind nicht besonders fantasiefördernd. Das kritisiert der Spielplatzdesigner Günter Beltzig. Die Erwachsenen sollten sich klar machen, dass Kinder eigentlich mit allem und jedem spielen und ihnen auch in Ballungsräumen mehr Freiräume zugestehen.
Frank Meyer: Spielplätze haben es jetzt schon ins Museum geschafft. Im New Yorker Museum of Modern Art gab es im vergangenen Jahr eine große Ausstellung über Design für Kinder und dabei auch Kinderspielplätze. Auch in Deutschland macht das Thema Spielplatz jetzt Karriere in der Ausstellung "Das Kind, die Stadt und die Kunst" in der Kunstsammlung NRW. Michael Köhler war für uns auf den Museumsspielplätzen.

Einspieler: Spielplatz gestern und heute

Meyer: Michael Köhler über die Ausstellung "Das Kind, die Stadt und die Kunst" in der Kunstsammlung NRW. Der deutsche Spielplatzdesigner, das ist Günter Beltzig. Er hat mindestens 400 Spielplätze selbst entworfen und er schätzt selbst, dass er bei mindestens 12.000 Spielplätzen als Berater dabei war. Seien Sie uns willkommen, Herr Beltzig!

Günter Beltzig: Hallo!

Meyer: Also Sie haben ein Leben für Spielplätze geführt, das kann man schon sagen, und dennoch sagen Sie irritierenderweise, "Spielplätze sind Krücken für eine Gesellschaft, die nicht mit Kindern umgehen kann". Warum sagen Sie das?

Beltzig: Ja, weil wir eben wirklich mit Kindern nicht umgehen können. Wir können nicht akzeptieren, dass Kinder um uns sind, bei uns sind. Wir haben da so Gettos geschaffen, dahinten, da ist der Spielplatz, ihr stört, haut ab, geht dort hinten zum Spielplatz. Der Spielplatz ist eine Krücke, weil wir es nicht akzeptieren können. Wobei natürlich eben eine gute Krücke auch wichtig ist. Deswegen ist das nicht abwertend gemeint, sondern wir sollten einfach anders denken.

Meyer: Aber die meisten Eltern werden nun natürlich sagen: Ja klar sind Spielplätze wichtig, weil anderswo braust der Verkehr oder hab ich Angst vor Kriminalität. Sind diese Ängste oder Einwände der Eltern denn nicht berechtigt?

Beltzig: Also auf dem Spielplatz kann natürlich genau so viel passieren, obwohl wir eine Sicherheitsnorm haben. Aber schon allein in der Wohnung, allein im Treppenhaus, allein vor dem Haus könnten Kinder sich beschäftigen. Und Kinder spielen überall, jederzeit, mit allem!

Wir wollen nicht, dass sie überall jederzeit mit allem spielen, deswegen machen wir eben irgendwelche Spielmaschinen in irgendwelchen Spielgettos. Das bedeutet durchaus, dass das auch interessant sein kann, weil ich zum Beispiel in diesem Spielplatz andere Spieler hinlocke. Wo treffen wir uns? Auf dem Spielplatz.

Meyer: Aber müsste man nicht, wenn man jetzt Ihrer Idee folgt und sagt, man sollte eigentlich den Kindern in der ganzen Stadt Raum geben, müsste man die Städte da nicht auch radikal verändern, dann zumindest sicherer machen für die Kinder.

Beltzig: Kinder brauchen das Risiko. Wir haben festgestellt, dass sehr sichere Spielplätze gefährlich sind, weil die Kinder dann leichtsinniger sind. Spielen ist, mit seiner Umwelt sich auseinanderzusetzen, seine Grenzen, seine eigenen Grenzen merken. Und so wäre eine Stadt, wo Kinder rumlaufen könnten, wo sie spielen könnten, wo sie akzeptiert würden, durchaus möglich.

Wir verteufeln jetzt sehr das Auto. Die Städte sind sehr autoorientiert gemacht. Aber eben Bürgersteige oder eben, was ich sehr hasse, dieses Wort, "Abstandsgrün", diese Grünanlagen in der Stadt, das könnten alles Spielflächen sein, wenn wir die Kinder da akzeptieren würden.

Meyer: Das heißt, wir bräuchten mehr Freiräume und müssten dann auch zulassen, dass die Kinder sich da austoben.

Beltzig: Wir haben eine ganze Reihe Freiräume. Nein, wir müssten es eigentlich akzeptieren, dass Kinder dort eben quer über die Wiese laufen dürfen. Spielplätze sind hochkomplexe soziale Funktionsräume. Und sie werden eben zu 90 Prozent, 95 Prozent eben von Landschaftsarchitekten gemacht, die eben eher eine Landschaft dekorieren. Und eben da dann auch ein paar Spielgeräte hinstellen, aha, das ist eine Schaukel, aha, das ist jetzt ein Spielplatz. Wenn wir eben den Kindern einfach Freiraum lassen würden und sie würden da rumtoben dürfen, dann brauchten wir das nicht als Spielplatz zu bezeichnen.

Meyer: Wenn wir aber jetzt auf den Spielplatz selbst schauen, verstehe ich Sie da richtig, dass Sie sagen, der ideale Spielplatz wäre eigentlich der leere Spielplatz, wo eben nichts dekoriert ist und den Kindern nichts vorgegeben ist?

Beltzig: Nein. Es muss eine kleinzelligere Hügellandschaft, Steine, es müssten Räume entstehen, es müssten Büsche sein, ich muss mich verstecken können, ich müsste irgendwo raufklettern können. Nein, natürlich brauche ich Aktionsgeschichten. Bloß eben dieses sehr standardisierte, Rutsche, eine Schaukel, einen Sandkasten, ein Kletterturm. Es gibt eben fast hundert Hersteller in Deutschland. Jeder macht seine Schaukel, Rutsche, Kletterturm und Sandkasten. Der eine macht es wie ein Tier, der andere macht es wild gebaut, der andere macht es aus Stahl. Das ist immer der gleiche Mist.

Meyer: Und warum sehen wir diesen, wie Sie sagen, immer gleichen Mist auf so vielen Spielplätzen? Wer entscheidet das eigentlich?

Beltzig: Tja. Es gibt weltweit keine Ausbildungsstätte für Spielen in der Stadt. Wir haben einen Lehrstuhl zum Beispiel für Friedhofsgestaltung, aber für Spielplätze nicht. Weil es eben ein sozialer, psychologischer Funktionsraum ist, und damit beschäftigen sich Gestalter nicht gerne. Die Pädagogik ist auf dem Spielplatz Blödsinn. Sondern wir sollten wie Anthropologen Kinder beobachten und gucken, was brauchen sie denn wirklich und das ihnen geben.

Meyer: Aber wenn Sie jetzt kommen, Herr Beltzig, Sie als so erfahrener Spielplatzgestalter, und sagen, aus meiner Erfahrung heraus würde ich einen Spielplatz so machen – wer legt Ihnen denn da Steine in den Weg? Die Kommunen oder die Eltern?

Beltzig: Also die Eltern haben natürlich oft sehr enge Vorstellungen. Also ich bin ja Fachmann, ich bin ja als Kind Kind gewesen, also weiß ich, was ich als Kind gemacht habe, und das will ich für meine Kinder auch haben. Es ist aber Quatsch, weil ich mich gar nicht an meiner Kindheit erinnern kann. Sondern ich interpretiere diese Erinnerung mit den späteren Erfahrungen. Und wenn ich zum Beispiel sage, ich hab immer gerne gerutscht – wie viele Sekunden ist ein Rutschvorgang? Das sind vier Sekunden. Dann laufe ich rum – wie oft habe in der Woche dort auf dem Spielplatz gerutscht? Genauso auch die Schaukel.

Das sind aber Tätigkeiten. Spielen ist eigentlich, in meiner Fantasie ausleben, eben meine eigene Welt zu entwickeln. Natürlich, dazu brauche ich auch Kinder, das ist eben auch das Problem, dass ich Kinder kaum treffe, also muss ich den Sammelplatz Spielplatz haben, wo ich die Kinder hintreibe.

Meyer: Wir haben ja am Anfang über diese Ausstellung berichtet, die sich nun mit Spielplätzen auseinandersetzt, und ich habe zu Beginn auch gesagt, dass sogar das berühmte Museum of Modern Art in New York hat sich jetzt schon mit dem Thema Spielplätze beschäftigt. Also das Thema scheint doch mehr in den Fokus zu rücken und ernster genommen zu werden. Sie haben ja schon gesagt, bedauerlicherweise gibt es keine zielgerichtete Ausbildung dafür. Aber denken Sie jetzt angesichts auch dieser Ausstellungen, dass vielleicht doch der Weg frei werden könnte auch für andere Spielplätze, die nicht so genormt sind, nicht alle mit Schaukel, Rutsche, Wippe und so weiter daherkommen?

Beltzig: Wir haben natürlich auch den anderen Spielplatz, den Naturspielplatz, den Waldspielplatz. Ich glaube, dass jetzt man sich da mit Spielplätzen beschäftigt, liegt an unserer sozialen Situation. Früher hatte man Kinder, wenn man halt jung war und sich liebte. Heute hat man erst mal beruflichen Erfolg, man hat ja die Pille, man plant, man hat dann seine Weltreise gemacht, sein Auto und seine Eigentumswohnung, und dann schafft man sich ein Kind an.

Und dann natürlich, weil es schon spät ist, nur noch eins, und an diesem Kind, weil wir ja schon alles haben, wird nicht gespart. Es wird der Prinz, es wird verwöhnt. Mein Kind soll nun ja möglichst auch Bundeskanzler werden oder zumindest Vorstandsvorsitzender von VW oder so – ich stelle unheimliche Anforderungen. Ich lerne überall, also in der Schule muss es gut sein, also muss vielleicht der Spielplatz auch ein Lernort werden.

Meyer: Das heißt, sie befürchten eher, dass die Spielplätze noch bevormundender werden, noch pädagogisch ambitionierter werden und den Kindern noch weniger Freiräume lassen in Zukunft?

Beltzig: Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass wir eben mehr wieder dazu neigen, den Kindern mehr Freiräume zu geben, wenn wir einfach merken, dass die Kinder überlastet sind. Andererseits, die Erwartungen sind natürlich auch hoch. Wir hatten versucht, jetzt Kindern eine Art Waldbereich als Spielplatz zu machen. Die Kinder sind nicht hingegangen, weil sie eigentlich Harry-Potter-Wald oder Herr-der-Ringe-Wald erwarten. Da müsste jetzt eben ein Geist und ein Zauberer sein. Wir füttern sie mit diesem Zucker oder Süßstoff dieser Filme, die eben eine Welt suggerieren, die eben gar nicht existiert.

Meyer: Mehr Freiräume für Kinder statt abgezirkelter Spielplätze fordert der Spielplatzdesigner Günter Beltzig. Wir haben mit ihm geredet aus Anlass der Ausstellung "Das Kind, die Stadt und die Kunst" in der Kunstsammlung NRW. Herr Beltzig, vielen Dank für das Gespräch!

Beltzig: Bitte schön!

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