Kein Streit, nirgends

Von Jürgen König |
Um den Bau des Berliner Stadtschlosses wieder ins Gespräch zu bringen, organisiert der Bauherr, die "Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum", regelmäßig öffentliche Diskussionen. Nun wurden die Pläne zur Fassadenkonstruktion vorgestellt.
Wie heftig hatte man einst gestritten: über die Rekonstruktion dieses Schlosses, die damals noch "Wiederaufbau" genannt wurde. Und der Streit ließ sich an nichts so gut festmachen wie an der Frage der barocken Fassaden. "Kopie, Attrappe, Schimäre!" riefen die Kritiker, sprachen von Restauration und Geschichtsvergessenheit und fragten – mit Recht -, wozu das Schloss überhaupt gut sein solle.

Dann kam die Idee des Humboldtforums hinzu: Das Berliner Schloss als ein Zentrum der Weltkulturen, getragen von den ethnologischen Schätzen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, den wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität und von den Buch- und Medienbeständen der Berliner Zentral- und Landesbibliothek, die zudem für das nötige Publikum sorgen sollen - an dieser Idee wurde festgehalten.

Man muss an diese Vorgeschichte erinnern, um zu ermessen, was für eine Entwicklung es gegeben hat: Dass nämlich inzwischen über die Details der Fassadenrekonstruktion ohne jede Polemik öffentlich diskutiert werden kann. Die Fachleute haben das Wort, und also stellte Manfred Rettig, Vorstandssprecher der Stiftung Berliner Schloss - Humboldtforum, jetzt vor, was Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, Vertreter von Schlösserverwaltungen und Dombauhütten auf einer Tagung des "Deutsch-Italienischen Zentrums für Europäische Exzellenz" erarbeitet hatten. Nämlich: ästhetische Kriterien für die Rekonstruktion der Fassaden auf wissenschaftlicher Grundlage, nachlesbar für alle in einem jetzt erschienenen Buch.

Zehn Thesen stehen im Mittelpunkt. Berlins historische Mitte wird nicht nur als Ort der Staatsautorität und politischer Repräsentanz definiert, sondern auch als Ort der Welterkundung und Aufklärung – was ihn als heutiges Forum der Kulturen der Welt prädestiniert. Voraussetzung für die Rekonstruktion sind die in großen Teilen erhaltenen Fundamente und Keller, sie legen den Ort des Wiederaufbaus fest. Die erhaltenen Fragmente - und das sind nicht wenige, da die DDR-Staatsführung vor und nach den Sprengungen der Schlossteile viele Fassadenteile und Skulpturen noch bergen ließ –, diese Fragmente sollen wiederverwendet und als solche kenntlich gemacht werden.

Nach "bestem Wissen und Vermögen" sei die Fassadenrekonstruktion auszuführen, nach "historischer Materialität und Ausführung", formale Vereinfachungen sollen vermieden werden, die Einrichtung einer "Schlossbauhütte" nach dem Vorbild der Dombauhütten wird empfohlen. Das sind enorme Herausforderungen, muss doch nicht nur die Skulptur, sondern auch die Architektur der Fassade wiederhergestellt werden. Was nicht rekonstruierbar ist, ist als zeitgenössische Lösung kenntlich zu machen, historische Brüche sollen sichtbar gemacht werden. Für die Kuppel wiederum ist die Rekonstruktion nach historischem Vorbild vorgesehen, in den Obergeschossen ist die historische Grundrissdisposition zu berücksichtigen, auch sollten historisch wichtigen Raumfolgen im Grundriss wie im Aufriss nicht verbaut werden - beides dürfte die innenarchitektonische Planung des Humboldtforums nicht gerade erleichtern.

So weit, so anspruchsvoll – das Publikum im überfüllten Senatssaal der Humboldt-Universität lauschte - mit Andacht, hatte man manchmal das Gefühl: Kein Streit, nirgends. Wer sich gerade für einen Beruf entscheiden muss: In Berlin werden bald viele Steinmetze gebraucht.