Keine Angst mehr vor der Dürre

Von Antje Diekhans |
Der Turkana-See liegt im Norden Kenias, an der Grenze zum Südsudan, zu Uganda und Äthiopien. Haupteinnahmequelle der dort lebenden Nomaden ist traditionell die Viehzucht. Doch seit immer häufiger Dürren die Region heimsuchen, versucht sich manch einer von ihnen als Fischer.
Dutzende Menschen drängeln sich um die Stände auf dem Fischmarkt im Norden Kenias. Wer einen Schattenplatz erwischt, kann sich glücklich schätzen. Es geht auf die Mittagszeit zu und die Luft flirrt vor Hitze. Eine Frau, die einen Eimer für ihre Einkäufe dabei hat, stützt sich an einen Pfeiler.

"Ich bin schon seit neun Uhr morgens hier. Bis jetzt warte ich immer noch."

Die gemauerten Theken unter dem Wellblechdach sehen aus, als hätte hier schon lange kein Fisch mehr gelegen. Sie sind fast klinisch rein. Als dann endlich der Fang des Tages angeliefert wird, zeigt sich warum.

Motorräder rollen auf den Marktplatz. Sie transportieren die Fische in großen Säcken auf dem Gepäckträger. Vor allem Viktoriabarsch und Tilapia, frisch aus dem Turkana-See. Kaum einer schafft es überhaupt bis zu den Ständen. Der Fang wird direkt vom Motorrad aus verkauft.

"Heute gibt es nicht genug Fisch. Der See war sehr unruhig. Viele Fischer sind früh zurückgekommen und haben nicht viel gefangen."

Gabriel Edome ist der Organisator auf dem Markt in Lodwar. Ein Mann, der auch beim größten Ansturm ruhig bleibt. Er sorgt dafür, dass selbst in diesem Trubel noch ordentlich über die Verkäufe Buch geführt wird.

"Das ist notwendig, damit niemand sagen kann, dass sein Fisch verloren ging. Wir können nachschauen und sagen, ob er angekommen ist."

Der 30-Jährige wirkt so routiniert, als hätte er nie etwas Anderes getan. Dabei ist es gar nicht lange her, dass er noch ein Viehhirte war. Gabriel ist als Nomadenjunge aufgewachsen – wie die meisten Kinder im Norden Kenias. In der Halbwüste rund um den Turkana-See ziehen die Menschen seit Generationen mit ihrem Vieh umher.

"Es ist ein schwieriges Leben. Nur wenn es regnet, haben die Tiere genug zu fressen. Und dann haben auch die Menschen ein Auskommen."

Der Regen aber ist das Problem in dieser trockenen Region. In den vergangenen Jahren ist auf die Niederschläge kaum noch Verlass. Die Dürren kommen häufiger und sie halten länger an. Die Natur und damit auch die Viehbestände können sich nicht erholen.

"Die Menschen können sich nicht auf die langen Trockenzeiten einstellen. Es gibt keine verlässlichen Anzeichen. Wenn sie dann merken, dass schon wieder Dürre herrscht, ist es meist zu spät. Das Vieh stirbt."

Besonders schlimm war die Situation 2011. Viele Menschen konnten nicht ohne Nahrungsmittelhilfen überleben. Einige verhungerten sogar in der Turkana-Region. Gabriel hatte da schon umgesattelt. Seine 80 Ziegen waren Jahre zuvor bei einer Dürre verendet. Statt sich wieder eine Herde aufzubauen, kaufte er lieber ein Boot.

"Fischen ist etwas Beständiges. Wenn du Ziegen hältst, bist du vom Klima abhängig. Aber die Netze auswerfen, kannst du immer. Das ist der Grund, warum ich das Nomadenleben aufgegeben habe und Fischer geworden bin."

Der Turkana-See glitzert in der Sonne. Er ist der größte Wüstensee der Erde, mehr als zehnmal so groß wie der Bodensee. Es gibt hier fast 60 verschiedene Fischarten. Gabriel fährt regelmäßig die zweieinhalb Stunden von Lodwar bis hierher, auch wenn er inzwischen nur noch selten mit dem Boot unterwegs ist.

"Früher habe ich gefischt. Aber jetzt versuche ich, jungen Männern das Fischen beizubringen, damit sie eine Arbeit haben. Seit ich mich um den Fischmarkt kümmere, habe ich auch selbst gar keine Zeit mehr. Ich schicke andere mit meinem Boot raus. Und später haben sie dann vielleicht ihr eigenes."

Gabriel kauft den Fischern den Fang ab – so haben beide Seiten etwas davon. Einer seiner Zöglinge hat sich inzwischen schon selbständig gemacht. Paul Ekai, 27 Jahre alt, hat gerade wieder angelegt. Er hat eine gute Ausbeute gemacht.

"Ich habe es geschafft, zwei Viktoriabarsche zu fangen. Die werden mir etwa 3.600 Shilling bringen."

Umgerechnet rund 35 Euro. Das ist in Kenia schon ein sehr guter Tagesverdienst. Es gibt Zeiten, da macht Paul ein noch besseres Geschäft.

"Wenn der See ruhig ist, fange ich oft sogar Fisch für 5.000 oder 6.000 Shilling."

Manchmal geht der Fang zum Markt in Lodwar. Aber häufig kann Paul seine Fische schon direkt am Ufer zu Geld machen.

"Wir haben verschiedene Kunden. Manche sind hier aus der Region. Aber wir verkaufen auch bis nach Nairobi. Jeden Tag kommen hier Kühlwagen an, um Fisch abzuholen."

Viktoriabarsch und Tilapia werden auf Eis gelegt und in die Hauptstadt gebracht. Mit dem Flugzeug geht es dann weiter – teils bis nach Deutschland. Der Bedarf an frischem Fisch ist in den Supermärkten und Feinkostläden im fernen Europa groß.

Paul Ekai muss sich um seinen Absatz keine Sorgen machen. Alles was er fängt, findet Abnehmer. Ein Leben als Viehhirte kann sich der junge Vater von drei Kindern nicht mehr vorstellen. Er hat sich dauerhaft am See niedergelassen. Doch ganz bricht er nicht mit den Traditionen. Zehn Ziegen gehören ihm – und die will er auch nicht abgeben.

"In unserer Kultur gehört es einfach dazu, dass du ein paar Ziegen oder auch Kühe und Schafe hältst. Aber unser Lebensunterhalt hängt jetzt vom See ab – anders als es noch bei unseren Eltern war. Wir fangen Fisch und bringen ihnen etwas zu essen."

Am Seeufer arbeiten Männer an fast fertigen Booten. Viele von ihnen kommen aus der Region am Viktoriasee in Kenia. Dort hat der Fischfang eine lange Tradition. Die Bootsbauer nutzen ihre Erfahrung, um jetzt am Turkana-See den Bedarf zu decken.

"Gerade versiegeln wir die Ritzen zwischen den Planken. Damit kein Wasser ins Boot kommt. Es gibt eine große Nachfrage. Auf dem Wasser sind schon viele Boote zu sehen – aber die Leute kaufen immer noch mehr.""

Ewig wird allerdings auch der See die Region nicht ernähren können. Er schrumpft beständig. Der Turkana-See hat zwar ein paar Zuflüsse, doch es verdunstet mehr Wasser als nachkommt. Auch daran ist zum Teil das veränderte Klima schuld. Noch größere Auswirkungen wird es allerdings haben, wenn das Nachbarland Äthiopien einen Staudamm am wichtigsten Zufluss fertig stellt. Experten fürchten, dass dann der Wasserspiegel um bis zu zwölf Meter fallen könnte. Womöglich bleibt den Menschen dann nichts anderes übrig, als diese Region ganz zu verlassen – wenn sie überleben wollen.

Noch aber bietet der Turkana-See vielen ein Auskommen. Gabriel, der Leiter des Fischmarkts, hat mit seinem Verdienst sogar einen kleinen Laden aufbauen können, in dem er regelmäßig vorbeischaut. Seine Frau Margaret verkauft hier frittierten Fisch. Außerdem hat sie Stoffe, ein paar Kleidungsstücke und Schuhe im Angebot.

""Unser Leben hat sich deutlich verbessert", erzählt sie. "Als wir geheiratet haben, lebten wir noch auf dem Land und hatten wenig. Doch seit mein Mann Fischer geworden ist, entwickelt sich alles gut für unsere Familie."

Sechs Kinder haben die beiden. Die kleinsten spielen vor dem Geschäft. Die größeren sind in der Schule – die Gebühren dafür kann Gabriel jetzt ohne Probleme zahlen. Margaret ist stolz darauf, wie weit ihr Mann es gebracht hat. Beim letzten Besuch zuhause bei der Familie ließ sie sich bewundern.

"Als ich vor ein paar Monaten dorthin gefahren bin, waren die Leute im Dorf sehr beeindruckt. Sie haben mich gefragt, was ich mache, um so gut auszusehen. Ich habe ihnen erklärt, wie sich unser Leben geändert hat und gesagt, dass sie es doch auch so machen sollen. Aber das Problem dabei ist die Kultur. Viele wollen das nicht."

Margaret leistet weiter Überzeugungsarbeit. Gerade nach der Dürre 2011, die auch die Menschen aus ihrer Gegend hart traf.

"So viele Leute haben ihre Ziegen verloren. Wenn du kein Vieh mehr hast, wird es schwer, genug Essen auf den Tisch zu bringen. Viele haben Hunger gelitten und einige sind gestorben. Es war schrecklich."

Die nächste Trockenperiode wird wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen. Hilfsorganisationen werden dann wieder säckeweise Maismehl und andere Grundnahrungsmittel in die Turkana-Region transportieren müssen. Doch viele setzen inzwischen statt auf Nothilfe darauf, den Wandel in der Region voranzutreiben. Die Internationale Organisation für Migration ist hier besonders aktiv.

Für Sozialarbeiterin Eunice Gichuru sind Gabriel und seine Frau Musterschüler. Sie betreut Projekte, in denen die Umschulung zum Fischer unterstützt wird. Zusätzlich baut IOM gerade ein Zentrum auf, in dem auch andere Berufe unterrichtet werden.

"Die meisten Leute in dieser Region konzentrieren sich vor allem auf die Viehhaltung. Wir wollen ihnen helfen, damit sie sehen, dass es mehr Möglichkeiten gibt. Sonst kommt bald die nächste Dürre, die Tiere sterben und den Menschen bleibt nichts, was sie noch machen können."

Ein Nähkurs läuft bereits im Zentrum. Außerdem gibt es Computer-Unterricht. Die moderne Welt muss bei den Turkana ankommen, meint der Leiter der Einrichtung Marc Iurio.

"Wegen der ganzen Entwicklung weltweit hat sich das Klima verändert. Wir in der Turkana-Region sind eigentlich Nomaden. Früher zogen wir mit dem Vieh von einem Ort zum anderen. Immer auf der Suche nach Weideflächen und Wasser. Aber jetzt regnet es manchmal fünf oder sechs Jahre lang nicht."

50 Schüler hat das Zentrum inzwischen, vor allem Männer. Einige Dutzend haben die Kurse schon abgeschlossen. Sie konnten überlegen, was sie mit ihren neu erworbenen Fähigkeiten anfangen.

"Danach wollen sie nicht mehr in das Leben als Viehhirte zurück. Viele eröffnen mit den Fähigkeiten, die sie hier erworben haben, ihr eigenes kleines Geschäft."

Die Organisation gibt dabei zwar keine finanzielle Hilfe, aber die Mitarbeiter unterstützen mit Rat und Tat. Der Kontakt zu den Absolventen soll nicht abreißen. Marc und seine Kollegen schauen immer mal wieder bei den früheren Schülern vorbei, von denen einige jetzt beispielsweise als Näher arbeiten. Es sind kleine Erfolgsgeschichten.

"Viele haben es gut getroffen. Sie können ihre Kinder zur Schule schicken und sich auch andere Dinge leisten. Ihr Einkommen ist zwar nicht riesig, aber sie nehmen genug ein."

Das Leben am Turkana-See verändert sich. Aber es ist noch ein langer Weg, bis die Menschen hier wirtschaftlich den Anschluss an andere Regionen Kenias schaffen, sagt Sozialarbeiterin Eunice Gichuru. Einige ziehen darum auch weg.

"Die Region hier macht es ihnen schwer. Viele, die etwas gelernt haben, versuchen ihr Glück erst mal in anderen Gebieten von Kenia. Sie sammeln dort Erfahrung in ihren Berufen. Manche kommen dann später hierher zurück und machen sich selbstständig."

Gabriel Edome ist von Anfang an geblieben. Der Mann, der den Fischmarkt in Lodwar am Laufen hält, hat ebenfalls von der Organisation profitiert. IOM baute die Verkaufstheken und sein Büro mit Geldern aus Japan auf. Gabriel und ein paar Mitstreiter hatten sich da zwar aus eigener Kraft schon zusammengeschlossen – doch die Geschäfte waren noch sehr mühselig. Jetzt läuft alles professioneller.

"Die Organisation hat uns beigebracht, wie wir wirtschaften sollen. Wir haben gelernt, nicht den ganzen Gewinn sofort auszugeben. Es ist besser, etwas zurückzulegen und auch Geld zu nutzen, um das Geschäft auszubauen."

Offiziell hat der Verband der Fischer hier jetzt schon rund 100 Mitglieder. Aber Gabriel Edome hat noch größere Pläne. Er fährt regelmäßig in die umliegenden Dörfer, um mit jungen Nomaden über ihre Zukunft zu diskutieren. Es ist keine Arbeit, für die er bezahlt wird, die ihm aber sehr am Herzen liegt.

"Ich gehe raus und spreche mit den jungen Männern. Vor allem versuche ich aber, ihnen ein gutes Beispiel zu sein. Sie sehen, das ich etwas auf meinem Leben mache. Das kann sie überzeugen, selbst Fischer zu werden."

Gabriel hat es bisher nicht eine Sekunde bereut, dass er umgesattelt hat. Er würde sich nur wünschen, sich schon früher so entschieden zu haben. Seine schlechten Erfahrungen sollen anderen helfen, nicht die gleichen Fehler zu machen.

"Es war wirklich ein Schlag, als ich all meine Ziegen verloren habe. Wenn ich damals schon schlauer gewesen wäre, hätte ich sie erst gar nicht angeschafft. Dann könnte ich jetzt noch weiter sein."
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