Keine Befriedung des Konfliktes, "wenn Gorleben im Verfahren bleibt"

Rebecca Harms im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Im Streit um ein Endlager für Atommüll in Deutschland sei ein Neuanfang dringend nötig, erklärt die grüne Europa-Abgeordnete Rebecca Harms. Doch trotz geologischer Schwächen in Gorleben, sei ein umdenken nicht gewollt. Die Probleme der Endlagerung seien von einer "pharaonischen Dimension".
Gabi Wuttke: Gorleben - wird aus dem Zwischen- auch das Endlager für Atommüll in Deutschland? Zwar sollen in der ganzen Republik nach Orten für den gefährlichen Abfall gesucht werden, aber eben auch weiter in Niedersachsen. Das hat die Chefetage der Grünen beschlossen genau so wie die Sozialdemokraten. Für Stephan Weil, den Chef der niedersächsischen SPD, ist das ein Unding, wie er im Deutschlandradio Kultur sagte.

Stephan Weil: "Gorleben ist vor die Klammer gezogen worden als Standort, das halte ich nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben mit Gorleben, für ganz und gar falsch. Wir diskutieren über Gorleben jetzt sage und schreibe 40 Jahre, das muss man sich einmal vorstellen. Und der entscheidende Punkt ist, man ist nicht vorangekommen, im Gegenteil: Die geologischen Zweifel an der Eignung von Gorleben als Endlager, die sind heute größer als vor zehn, 20 oder 30 Jahren."

Wuttke: Sagte der SPD-Landesvorsitzende von Niedersachsen im Deutschlandradio Kultur auf einer Linie mit den Grünen im Land. Rebecca Harms hat ihre politische Karriere in der Anti-AKW-Bewegung im Wendland begonnen. Heute ist sie die Co-Vorsitzende der Grünenfraktion im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Frau Harms!

Rebecca Harms: Guten Morgen!

Wuttke: Steht Ihnen der Sozialdemokrat Weil in Sachen Gorleben auch näher als Jürgen Trittin?

Harms: Also ich denke, dass die Kritik und die Zweifel an Gorleben, dass die sowohl Sigmar Gabriel als auch Jürgen Trittin bekannt sind, sehr gut bekannt sind, die haben sich ja lange genug auch in Niedersachsen selber damit beschäftigt.

Was ich eben sehe, ist, dass ganz offensichtlich politisch ein Neuanfang ohne Gorleben trotz aller politischen Fehler, geologischen Schwächen des Standortes, trotz dieses jahrzehntelangen Versagens der Politik im Gorlebenkonflikt nicht gewollt wird.

Wuttke: Und wie erklären Sie sich die Entscheidung Ihres Parteirats?

Harms: Mein Parteirat in Hannover, in Niedersachsen sieht das ähnlich kritisch wie ich, auf der Bundesebene ist die Entscheidung in der Sache noch nicht endgültig gefallen. Ich glaube, dass man einfach sehen muss, dass zwar inhaltliche Argumente jetzt vorgebracht werden, also in erster Linie juristische Argumente, warum Gorleben im Verfahren bleiben muss, juristische Argumente auf der Seite der Grünen und der SPD, dass aber genau so gut Gründe dafür sprechen, dass der Mann einen echten neuen Anfang will, sich von der Geschichte der letzten 35 Jahre auch zu trennen, so wie das übrigens in anderen europäischen Ländern, als man einen Neubeginn für die Endlagersuche verabredet hat, auch passiert ist.

Wuttke: Frau Harms, in einem halben Jahr wird in Niedersachsen gewählt, in gut einem Jahr sind Bundestagswahlen. Wird es also letztlich, wenn das so kommt, wie es jetzt doch offensichtlich zu sein scheint, wird es dann die CDU sein, die aus Gorleben Honig saugen wird? Wie ist der Kurs Ihrer Partei in Berlin zu erklären?

Harms: Wissen Sie, das ist die Linie in der Argumentation, die mich in den letzten Tagen und Wochen am meisten genervt hat, manchmal sogar richtig geängstigt hat.

Die Probleme der Endlagerung, die Aufgabe, die wir lösen müssen, die ist von einer Dimension, da sagen Wissenschaftler, pharaonische Dimensionen seien noch untertrieben. Und dass dann in erster Linie politische Kompromisse bewertet werden unter dem Aspekt, wem nützt es bei einer Landtagswahl, wer saugt Honig, das ist einfach der Sache nicht angemessen.

Solange Politik mit der Aufgabe Endlagerung in diesen Kategorien umgeht, werden wir scheitern, oder wir werden ein ungeeignetes Endlager in Betrieb nehmen.

Wuttke: Aber diese meine Argumentation ist ja ein Resultat dessen, was passiert.

Harms: Ich kann an dieser Stelle immer wieder nur appellieren, es ist ein Neuanfang dringend nötig. Ich bin auch als Gegnerin Gorlebens ja von dieser Welt.

Ich kann mir vorstellen, dass man sogar eine Endlagersuche organisiert, ohne dass Gorleben aufgegeben wird, aber dann muss man an dieses Gesetz Anforderungen anlegen, die glasklar sein müssen und die eine unfaire Suche, falsche Kriterien, keine echte Bevölkerungsbeteiligung nicht zulassen.

Und über die Qualität dieses Gesetzes wird eben genau der Streit auch zwischen niedersächsischen Grünen und der Bundespartei geführt werden.

Wuttke: Wenn Sie sagen, da ist noch Bewegung in der Sache, dann glauben Sie also nicht, dass mit der Einigung in der guten Stube des neuen Bundesumweltministers Gorleben als Endlager inoffiziell bereits gesetzt ist?

Harms: Also erst mal von meiner Seite aus noch mal zur Klarstellung - das gilt sicher auch für die Wendländerinnen und Wendländer, es gilt auch für die niedersächsischen Grünen -, es wird, wenn Gorleben im Verfahren bleibt, keine Befriedung des Konfliktes geben.

Es gibt so viele Gründe, die gegen Gorleben sprechen, dass der Wiederstand dort weitergehen wird. Ob diejenigen, die jetzt in der CDU oder in der FDP schwadronieren vom Neuanfang, ob die bereit sind, tatsächlich in ihren Heimatgegenden, in ihren Bundesländern, in ihren Wahlkreisen Endlagerstandorte zu vertreten oder nicht, das werden ja erst die nächsten fünf bis zehn Jahre zeigen, darüber ist jetzt ja überhaupt noch nicht entschieden.

Wuttke: Wir sind für unseren Atommüll natürlich selbst verantwortlich, und wenn wir damit verantwortlich umgehen wollen, dann wird irgendwann mal irgendein Bundesland in den sauren Apfel beißen müssen, so oder so.

Harms: Also bisher ist es mit dem irgendein, was oft gesagt ist, irgendein Bundesland wird in den sauren Apfel beißen müssen.

Bisher, was die Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen angeht, gibt es nur den Standort Gorleben, der dafür vorgesehen ist, und der wird so, wie ich das verstehe, auch nicht aufgegeben, sondern er wird einbezogen in den Neuanfang, nach 35 Jahren des Scheiterns, er wird einbezogen trotz aller bekannter Mängel, und die ersten Gesetzesentwürfe, die ich lesen durfte - man ist ja nicht über alles informiert worden - aber die ersten Gesetzesentwürfe, die ich lesen durfte, die gaben eben auch Aufschluss darüber, dass gerade die ganzen Vorarbeiten zum Salzstock Gorleben, das Vorhandensein des Bergwerks, die Tatsache, dass obendrüber der meiste, fast der meiste hochradioaktive Atommüll in einem Zwischenlager schon angesammelt ist, dass es zusätzlich eine Konditionierungsanlage, also eine Müllbehandlungsanlage gibt, das sind Gründe, die in einem Vergleich mit anderen Standorten für Gorleben sprechen.

Wuttke: Sagt Rebecca Harms, die Co-Vorsitzende der Grünenfraktion im Europäischen Parlament zur Suche nach einem Platz für ein Atommüllendlager - und da nennt sich natürlich Gorleben. Frau Harms, besten Dank!

Harms: Wiederhören!

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Transportbehälter mit hoch radioaktiven Abfällen, darunter auch Castor-Behälter, stehen in Gorleben im Transportbehälterlager.
Transportbehälter mit hoch radioaktiven Abfällen, darunter auch Castor-Behälter, stehen in Gorleben im Transportbehälterlager.© AP
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