Keine Besserung
Das US-Gesundheitssystem steckt seit Jahren in der Krise. Nach wie vor haben Millionen Amerikaner keine Krankenversicherung. Gleichzeitig steigen die Kosten und die Nöte in den Krankenhäusern, denen mehr und mehr der Geldhahn zugedreht wird.
Der Wartesaal des Wyckoff Heights Medical Center, ein Krankenhaus in Brooklyn, ist restlos überfüllt. Überall hocken Patienten, plaudern mit Familienmitgliedern oder dösen vor sich hin. Ein Imbissstand bietet belegte Brötchen und Cola an. Der Fernseher dudelt.
Es gibt viel zu tun in der Gegend mit der höchsten Diabetes und Übergewichtrate New Yorks. 1600 Ärzte, 350 Betten und Übersetzungshilfen in 150 Sprachen stehen den Patienten, zumeist arme Einwanderer, zur Verfügung. Ganz anders die Stimmung in den leeren Räumen der Krankenhausleitung im dritten Stock. Kaum ein Ton ist zu hören, nur das Flüstern der Sekretärinnen und Gespräche mit Besuchern unterbrechen die Stille. Eine Einladung des Krankenhauses zu einem Golfturnier im Mai, die auf einem Beistelltisch liegt, erinnert an gute alte Zeiten. Doch jetzt regiert hier Ramon Rodriguez. Vor einem Monat hat der Sanierer die Leitung des Krankenhauses übernommen. Er hat viel zu tun. Seine Aufgabe: das hochverschuldete Spital vor dem Bankrott zu retten.
"Wenn wir keine schwarzen Zahlen schreiben, nicht genug Geld haben, um unsere monatlichen Zinsen zu zahlen und die Patienten nicht hervorragend behandeln, dann gibt es uns bald nicht mehr."
Der 58-Jährige mit dem breiten Kreuz ist ein zielstrebiger Mann, sichtbar bemüht, das 113 Jahre alte Krankenhaus zu retten. Trotz der 90 Millionen Dollar Schulden. Trotz einer Untersuchung der Praktiken ehemaliger Leiter durch den Generalstaatsanwalt von Brooklyn. Und trotz eines Platzes auf den letzten Rängen einer nationalen Studie in Sache Patientensicherheit: Er gibt sich zuversichtlich.
"Das Unternehmen ist unter neuer Leitung. Es sind Leute, die wissen, was sie tun. Die kein Geld aus der Kasse nehmen. Ich brauche keine große Limousine, kein teures Abendessen. Ich kämpfe sieben Tage in der Woche um dieses Krankenhaus und fahre mit dem Zug oder der U-Bahn."
Schlechte Versorgung der Patienten, Geldverschwendung, hohe Schulden, Verluste - das Wyckoff Heights Medical Center ist ein extremes Beispiel für den alarmierenden Zustand der US-Krankenhausbranche. Der Blick auf eine aktuelle Statistik genügt: Ein Viertel der rund 6000 Hospitäler in Amerika schreibt rote Zahlen, muss fusionieren oder schließen. Das große Krankenhaussterben hat begonnen.
Dass Sparmaßnahmen und Streichungen im Gesundheitssystem nicht unbedingt zur besseren Patientenpflege beitragen werden, darüber lässt sich nicht streiten. Statistiken zeigen ein erschreckendes Bild. Laut einer Studie des Magazins Health Policy Journal muss jeder dritte Patient im Krankenhaus mit einer Verletzung oder einer Infektion rechnen. 90 Prozent aller Fehler werden nicht gemeldet. Und die Sterberate der Patienten steigt.
"Schlechte Pflege macht mir Angst. Menschen kommen in Krankenhäusern um. Jährlich sterben 98.000 Patienten, weil sie schlecht versorgt werden."
Anthony Kovner ist Professor für Gesundheitsmanagement an der New York Universität. Der ehemalige Krankenhausleiter zweifelt am Reformwillen der Branche, die er so gut kennt.
"Egal ob Ärzte, die Pharma- oder die Versicherungsbranche - sie alle mögen das Gesundheitssystem so, wie es ist. Das darf man nicht vergessen. Sie verdienen drei oder vier Mal so viel wie ihre Gegenspieler in Europa."
Eine Theateraufführung im Greenwich Village. "Hot Cripple" heißt das Stück. In ihrer Rolle als " heißer Krüppel” verarbeitet Hogan Gorman ein Erlebnis, das sie nie vergisst. Vor fünf Jahren wurde die junge Frau von einem Auto angefahren - und erlitt eine schwere Kopfverletzung.
Ihr Leben, ihre Karriere als angehende Schauspielerin - alles in der Schwebe. Aber als sie blutüberströmt mit Blaulicht in der Notaufnahme eingeliefert wurde, kamen Ärzte und Pfleger ihren Pflichten kaum nach - denn sie hatte keine Krankenversicherung, mit denen sie ihre Arztrechnungen hätte begleichen können.
Heute geht es ihr wieder besser, weil ihr doch noch geholfen wurde. Aber erst, nachdem sie einen Rechtsanwalt gefunden hatte, der durchsetzen konnte, dass ein Teil der Kosten von einer Versicherung übernommen wurde. Unzufrieden mit der schlechten Behandlung im Krankenhaus ist sie dennoch.
"Ich musste stundenlang warten. Dann wurden Röntgenaufnahmen gemacht. Einen CT-Scan vom Kopf wollten sie nicht machen, ich war ja nicht versichert. Ich musste erst darum betteln. In den nächsten Tagen stellte sich heraus, dass es sehr schlecht um mich stand. Ich bekam Schwindelanfälle. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Ich bekam stechende Schmerzen im Kopf, konnte auf einmal nichts mehr sehen und bin umgefallen."
Die Gelder, die unversicherte Patienten ihnen schulden, werden von den Krankenhäusern mit harten Bandagen erkämpft. Diese Erfahrung hat auch Hope Rubel gemacht. Nachdem sie mit einem Herzanfall ins Krankenhaus gebracht wurde, verlangte die Rechnungsabteilung 88.000 Dollar für die Behandlung und verklagte die New Yorkerin wegen Nichtzahlung. Dass Rubel keinen feste Anstellung und keine Krankenversicherung hatte, schien sie nicht zu stören.
"Ich habe gesagt, dass ich nicht versichert bin. Eine Sozialarbeiterin kam, um mit mir zu sprechen. Sie hat mir Unterlagen mitgebracht, aber nichts erklärt. Ich konnte kaum sehen und hatte keine Brille dabei."
Hohe Rechnungen wie diese folgen einer ökonomischen Gesetzmäßigkeit, die dadurch entsteht, dass Amerikas 47 Millionen Unversicherte schwach und wehrlos sind, weil sie im Gegensatz zu den staatlichen und privaten Versicherungen aufgrund ihrer Situation keine Verhandlungsmacht haben. Jedes Krankenhaus handelt die Bezahlung seiner Dienste mit staatlichen und privaten Versicherungen aus. Im Geheimen, versteht sich. Doch unversicherten Amerikanern, und das ist die bittere Ironie für Hope Rubel, wird der volle Preis berechnet. Sie müssen zahlen, sagt Karen Tracey, Mitarbeiterin der Community Service Society, einer Menschenrechtsorganisation in New York.
"Krankenhäuser schalten Inkassobüros ein. Sie gehen vor Gericht. Es kann zu einer Pfandverschreibung auf dem Haus kommen und sie lassen die Bankkonten einfrieren. Sie tun viel, um Menschen finanziellen Schaden zuzufügen."
Umso mehr verärgert es Tracey, dass New Yorker Krankenhäusern ein Fonds für die Behandlung armer Patienten in der Höhe von 1,2 Milliarden Dollar zu Verfügung steht. Doch die Branche gibt das Geld nur ungern für diese Zwecke aus, sagt sie.
"Wenn jemand sagt, er sei arbeitslos und habe keine Versicherung, dann müsste man ihn im Krankenhaus darauf hinweisen, dass er finanzielle Unterstützung erhalten kann. Aber das passiert viel zu selten."
Nun soll Obamas Gesundheitsreform, 2010 vom US Kongress verabschiedet, Abhilfe schaffen. 30 Millionen Amerikaner, weder staatlich noch durch Arbeitgeber versichert, bekommen demnächst eine Krankenversicherung. Auch Krankenhäuser müssen auf Veränderungen wie Bußgelder für die Wiedereinlieferung von Patienten und eine Belohnung für mehr medizinische Pflege auf ambulanter Ebene reagieren. Ramon Rodriguez, der Leiter des Problemkrankenhauses Wyckoff, findet das gut.
"Eine Behandlung, die früher einen Monat dauerte, ist heute nach zwei Tagen beendet. Auch eine Geburt geht schnell. Das ist gut, denn im Krankenhaus gibt es viele Krankheiten. Man kann eine Infektion bekommen, wenn das Immunsystem schwach ist. Das Krankenhaus muss eng mit der Gemeinschaft zusammenarbeiten, so dass Behandlungen immer häufiger ambulant oder stationär stattfinden können."
Er sucht nach Volontären, die bei der ambulanten Vorsorge helfen können.
"Wir werden Diabetiker einstellen, die wissen, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen müssen. Das sollen sie anderen zeigen. Dann braucht keiner ins Krankenhaus, weil er sich nicht helfen kann und krank wird."
Auch das NYU Langone Medical Center, ein Krankenhaus in Manhattan mit 600 Betten, bereitet sich auf die Reform und neue Kostenrechnungen vor:
"Es gibt eine Krankenhausgebühr, eine Arztgebühr und Gebühren für den Radiologen. Aber das kann sich ändern. Bei einem Festpreis wäre von der Diagnose über den Krankenhausaufenthalt bis zum Reha-Zentrum und zum Altersheim alles inklusive. Wie das funktionieren soll, ist aber noch nicht klar. Der Teufel steckt im Detail."
James Speyer ist der Leiter der Krebsabteilung, die täglich bis zu 700 Patienten betreut. Während Krankenbetreuer an einem Freitagnachmittag in die Mittagspause gehen, sitzt der Arzt mit den weißen Haaren und der Brille in seinem Büro und telefoniert mit einer Patientin. Sie hat einen Nagel verloren und er versucht, sie zu beruhigen. Für seine Patienten schafft aber noch etwas ganz anderes Unsicherheit und Verwirrung. Die Medikamentenknappheit. James Speyer:
"Bei uns werden viele Mittel knapp. Voriges Jahr gab es zwei Wochen lang kein 5-Fluorouracil. Das ist eines der gängigsten Mittel gegen Darmkrebs. Es war einfach nicht erhältlich."
Mehr als 200 Medikamenten, darunter auch Herz- und Schmerzmittel, sind von Nachschubproblemen bedroht. Versuche, Ersatzstoffe zu finden, sind nicht immer erfolgreich.
"Manchmal schaffe ich es, manchmal nicht. Dann muss man dem Patienten in die Augen schauen und sagen: Ich habe keinen Ersatz für das Mittel, das dir so gut geholfen hat."
Tatsächlich hat die Knappheit in den USA zu einem Grauen Markt und Preistreiberei geführt, die fragwürdig, wenn nicht gar illegal ist.
"Skrupellose Leute kaufen die Mittel auf, gehen zu Ärzten und Spitälern, die sie dringend benötigen und versuchen, sie für viel höhere Preise wieder zu verkaufen."
Noch hat die US-Regierung keine Lösung für das Problem gefunden. Auch der Streit um die Gesundheitsreform ist nicht zu Ende und geht in die nächste Runde. Denn 26 der US-Bundesstaaten haben eine Klage beim Gericht eingereicht. Ihr Vorwurf: Die US-Regierung habe kein Recht, allen US-Bürgern eine Krankenversicherung vorzuschreiben. Der Oberste Gerichtshof hat den Vorwurf Ende März überprüft. Eine Entscheidung könnte im Juni fallen. Sollte eine Versicherungspflicht für alle verfassungswidrig sein, wäre das ein Rückschlag für die Gesundheitsreform.
"Das wäre nicht gut. Es ist ja so, dass ein Versicherungssystem nur funktioniert, wenn alle mitmachen und Prämien bezahlen."
Stephen Berger ist der Leiter einer Sonderkommission, beauftragt vom Bundesstaat New York, sich mit der Konsolidierung der Krankenhausbranche zu befassen. Die vielen Krankenhäuser sind dem drahtigen Leiter von Odyssey Investment Partners, einer Beteiligungsgesellschaft mit Büros hoch über der Eisbahn
"Die Krankenhausbranche in den USA hat viel zu viel gebaut. Viele Spitäler wurden errichtet, weil es leicht war, eine Finanzierung zu bekommen. Die Branche hat ein Image geschaffen, demzufolge Krankenhäuser gleichbedeutend mit dem Gesundheitswesen sind. Das stimmt aber nicht."
Fünf Krankenhäuser in New York City mussten geschlossen werden, war das Fazit seines Gremiums. Je weniger Betten, desto besser, sagt Berger.
"Es wird viel Geld vergeudet. Wir haben 10.000 Betten im US-Bundesstaat New York, die wir nicht brauchen. Das ist teuer. Das kostet zu viel."
Es spricht vieles für das, was Berger sagt. Umgerechnet auf die Kürzung von 4200 Betten würde der Staat New York in den nächsten zehn Jahren acht Milliarden Dollar sparen. Nicht schlecht. Doch die Sache hat einen Haken, sagt Carol Pittman, Sprecherin der New York State Nurses Association, eine Gewerkschaft, die rund 37.000 Krankenschwestern vertritt:
"Sie schließen viele Krankenhäuser, haben aber nichts, was sie ersetzt. Das ist der große Fehler der Berger Sonderkommission. Sie redet über Vorsorge und gute Systeme. Aber wo sollen die Leute denn hingehen, wenn ihre Krankenhäuser geschlossen werden?"
Über die leeren Gebäude des St. Vincent's Hospital an der 7th Avenue in Greenwich Village fegt ein kalter Wind. Vor zwei Jahren musste das Krankenhaus mit 750 Betten bankrott erklären, weil es 700 Millionen Dollar Schulden nicht zurückzahlen konnte. Wo früher Blinddarme und Mandeln entfernt wurden, sollen demnächst 450 Luxuswohnungen und eine Notfallambulanz entstehen. Daran konnten auch massive Proteste der Bevölkerung nichts ändern.
Ein Konferenzzimmer im Wyckoff Heights Medical Center. Leiter Ramon Rodriguez steht vor etwa 50 Mitarbeitern und feuert sie an. Er werde tun, was er kann, um dieses Krankenhaus zu retten, sagt er.
"Wir haben uns alle Ausgaben angeschaut. Das Krankenhaus muss weniger ausgeben. Und wenn wir unsere Probleme gelöst haben, wird sich unser Ruf verbessern und die Leute werden gerne zu uns kommen."
Es gibt viel zu tun in der Gegend mit der höchsten Diabetes und Übergewichtrate New Yorks. 1600 Ärzte, 350 Betten und Übersetzungshilfen in 150 Sprachen stehen den Patienten, zumeist arme Einwanderer, zur Verfügung. Ganz anders die Stimmung in den leeren Räumen der Krankenhausleitung im dritten Stock. Kaum ein Ton ist zu hören, nur das Flüstern der Sekretärinnen und Gespräche mit Besuchern unterbrechen die Stille. Eine Einladung des Krankenhauses zu einem Golfturnier im Mai, die auf einem Beistelltisch liegt, erinnert an gute alte Zeiten. Doch jetzt regiert hier Ramon Rodriguez. Vor einem Monat hat der Sanierer die Leitung des Krankenhauses übernommen. Er hat viel zu tun. Seine Aufgabe: das hochverschuldete Spital vor dem Bankrott zu retten.
"Wenn wir keine schwarzen Zahlen schreiben, nicht genug Geld haben, um unsere monatlichen Zinsen zu zahlen und die Patienten nicht hervorragend behandeln, dann gibt es uns bald nicht mehr."
Der 58-Jährige mit dem breiten Kreuz ist ein zielstrebiger Mann, sichtbar bemüht, das 113 Jahre alte Krankenhaus zu retten. Trotz der 90 Millionen Dollar Schulden. Trotz einer Untersuchung der Praktiken ehemaliger Leiter durch den Generalstaatsanwalt von Brooklyn. Und trotz eines Platzes auf den letzten Rängen einer nationalen Studie in Sache Patientensicherheit: Er gibt sich zuversichtlich.
"Das Unternehmen ist unter neuer Leitung. Es sind Leute, die wissen, was sie tun. Die kein Geld aus der Kasse nehmen. Ich brauche keine große Limousine, kein teures Abendessen. Ich kämpfe sieben Tage in der Woche um dieses Krankenhaus und fahre mit dem Zug oder der U-Bahn."
Schlechte Versorgung der Patienten, Geldverschwendung, hohe Schulden, Verluste - das Wyckoff Heights Medical Center ist ein extremes Beispiel für den alarmierenden Zustand der US-Krankenhausbranche. Der Blick auf eine aktuelle Statistik genügt: Ein Viertel der rund 6000 Hospitäler in Amerika schreibt rote Zahlen, muss fusionieren oder schließen. Das große Krankenhaussterben hat begonnen.
Dass Sparmaßnahmen und Streichungen im Gesundheitssystem nicht unbedingt zur besseren Patientenpflege beitragen werden, darüber lässt sich nicht streiten. Statistiken zeigen ein erschreckendes Bild. Laut einer Studie des Magazins Health Policy Journal muss jeder dritte Patient im Krankenhaus mit einer Verletzung oder einer Infektion rechnen. 90 Prozent aller Fehler werden nicht gemeldet. Und die Sterberate der Patienten steigt.
"Schlechte Pflege macht mir Angst. Menschen kommen in Krankenhäusern um. Jährlich sterben 98.000 Patienten, weil sie schlecht versorgt werden."
Anthony Kovner ist Professor für Gesundheitsmanagement an der New York Universität. Der ehemalige Krankenhausleiter zweifelt am Reformwillen der Branche, die er so gut kennt.
"Egal ob Ärzte, die Pharma- oder die Versicherungsbranche - sie alle mögen das Gesundheitssystem so, wie es ist. Das darf man nicht vergessen. Sie verdienen drei oder vier Mal so viel wie ihre Gegenspieler in Europa."
Eine Theateraufführung im Greenwich Village. "Hot Cripple" heißt das Stück. In ihrer Rolle als " heißer Krüppel” verarbeitet Hogan Gorman ein Erlebnis, das sie nie vergisst. Vor fünf Jahren wurde die junge Frau von einem Auto angefahren - und erlitt eine schwere Kopfverletzung.
Ihr Leben, ihre Karriere als angehende Schauspielerin - alles in der Schwebe. Aber als sie blutüberströmt mit Blaulicht in der Notaufnahme eingeliefert wurde, kamen Ärzte und Pfleger ihren Pflichten kaum nach - denn sie hatte keine Krankenversicherung, mit denen sie ihre Arztrechnungen hätte begleichen können.
Heute geht es ihr wieder besser, weil ihr doch noch geholfen wurde. Aber erst, nachdem sie einen Rechtsanwalt gefunden hatte, der durchsetzen konnte, dass ein Teil der Kosten von einer Versicherung übernommen wurde. Unzufrieden mit der schlechten Behandlung im Krankenhaus ist sie dennoch.
"Ich musste stundenlang warten. Dann wurden Röntgenaufnahmen gemacht. Einen CT-Scan vom Kopf wollten sie nicht machen, ich war ja nicht versichert. Ich musste erst darum betteln. In den nächsten Tagen stellte sich heraus, dass es sehr schlecht um mich stand. Ich bekam Schwindelanfälle. Ich konnte mich an nichts mehr erinnern. Ich bekam stechende Schmerzen im Kopf, konnte auf einmal nichts mehr sehen und bin umgefallen."
Die Gelder, die unversicherte Patienten ihnen schulden, werden von den Krankenhäusern mit harten Bandagen erkämpft. Diese Erfahrung hat auch Hope Rubel gemacht. Nachdem sie mit einem Herzanfall ins Krankenhaus gebracht wurde, verlangte die Rechnungsabteilung 88.000 Dollar für die Behandlung und verklagte die New Yorkerin wegen Nichtzahlung. Dass Rubel keinen feste Anstellung und keine Krankenversicherung hatte, schien sie nicht zu stören.
"Ich habe gesagt, dass ich nicht versichert bin. Eine Sozialarbeiterin kam, um mit mir zu sprechen. Sie hat mir Unterlagen mitgebracht, aber nichts erklärt. Ich konnte kaum sehen und hatte keine Brille dabei."
Hohe Rechnungen wie diese folgen einer ökonomischen Gesetzmäßigkeit, die dadurch entsteht, dass Amerikas 47 Millionen Unversicherte schwach und wehrlos sind, weil sie im Gegensatz zu den staatlichen und privaten Versicherungen aufgrund ihrer Situation keine Verhandlungsmacht haben. Jedes Krankenhaus handelt die Bezahlung seiner Dienste mit staatlichen und privaten Versicherungen aus. Im Geheimen, versteht sich. Doch unversicherten Amerikanern, und das ist die bittere Ironie für Hope Rubel, wird der volle Preis berechnet. Sie müssen zahlen, sagt Karen Tracey, Mitarbeiterin der Community Service Society, einer Menschenrechtsorganisation in New York.
"Krankenhäuser schalten Inkassobüros ein. Sie gehen vor Gericht. Es kann zu einer Pfandverschreibung auf dem Haus kommen und sie lassen die Bankkonten einfrieren. Sie tun viel, um Menschen finanziellen Schaden zuzufügen."
Umso mehr verärgert es Tracey, dass New Yorker Krankenhäusern ein Fonds für die Behandlung armer Patienten in der Höhe von 1,2 Milliarden Dollar zu Verfügung steht. Doch die Branche gibt das Geld nur ungern für diese Zwecke aus, sagt sie.
"Wenn jemand sagt, er sei arbeitslos und habe keine Versicherung, dann müsste man ihn im Krankenhaus darauf hinweisen, dass er finanzielle Unterstützung erhalten kann. Aber das passiert viel zu selten."
Nun soll Obamas Gesundheitsreform, 2010 vom US Kongress verabschiedet, Abhilfe schaffen. 30 Millionen Amerikaner, weder staatlich noch durch Arbeitgeber versichert, bekommen demnächst eine Krankenversicherung. Auch Krankenhäuser müssen auf Veränderungen wie Bußgelder für die Wiedereinlieferung von Patienten und eine Belohnung für mehr medizinische Pflege auf ambulanter Ebene reagieren. Ramon Rodriguez, der Leiter des Problemkrankenhauses Wyckoff, findet das gut.
"Eine Behandlung, die früher einen Monat dauerte, ist heute nach zwei Tagen beendet. Auch eine Geburt geht schnell. Das ist gut, denn im Krankenhaus gibt es viele Krankheiten. Man kann eine Infektion bekommen, wenn das Immunsystem schwach ist. Das Krankenhaus muss eng mit der Gemeinschaft zusammenarbeiten, so dass Behandlungen immer häufiger ambulant oder stationär stattfinden können."
Er sucht nach Volontären, die bei der ambulanten Vorsorge helfen können.
"Wir werden Diabetiker einstellen, die wissen, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen müssen. Das sollen sie anderen zeigen. Dann braucht keiner ins Krankenhaus, weil er sich nicht helfen kann und krank wird."
Auch das NYU Langone Medical Center, ein Krankenhaus in Manhattan mit 600 Betten, bereitet sich auf die Reform und neue Kostenrechnungen vor:
"Es gibt eine Krankenhausgebühr, eine Arztgebühr und Gebühren für den Radiologen. Aber das kann sich ändern. Bei einem Festpreis wäre von der Diagnose über den Krankenhausaufenthalt bis zum Reha-Zentrum und zum Altersheim alles inklusive. Wie das funktionieren soll, ist aber noch nicht klar. Der Teufel steckt im Detail."
James Speyer ist der Leiter der Krebsabteilung, die täglich bis zu 700 Patienten betreut. Während Krankenbetreuer an einem Freitagnachmittag in die Mittagspause gehen, sitzt der Arzt mit den weißen Haaren und der Brille in seinem Büro und telefoniert mit einer Patientin. Sie hat einen Nagel verloren und er versucht, sie zu beruhigen. Für seine Patienten schafft aber noch etwas ganz anderes Unsicherheit und Verwirrung. Die Medikamentenknappheit. James Speyer:
"Bei uns werden viele Mittel knapp. Voriges Jahr gab es zwei Wochen lang kein 5-Fluorouracil. Das ist eines der gängigsten Mittel gegen Darmkrebs. Es war einfach nicht erhältlich."
Mehr als 200 Medikamenten, darunter auch Herz- und Schmerzmittel, sind von Nachschubproblemen bedroht. Versuche, Ersatzstoffe zu finden, sind nicht immer erfolgreich.
"Manchmal schaffe ich es, manchmal nicht. Dann muss man dem Patienten in die Augen schauen und sagen: Ich habe keinen Ersatz für das Mittel, das dir so gut geholfen hat."
Tatsächlich hat die Knappheit in den USA zu einem Grauen Markt und Preistreiberei geführt, die fragwürdig, wenn nicht gar illegal ist.
"Skrupellose Leute kaufen die Mittel auf, gehen zu Ärzten und Spitälern, die sie dringend benötigen und versuchen, sie für viel höhere Preise wieder zu verkaufen."
Noch hat die US-Regierung keine Lösung für das Problem gefunden. Auch der Streit um die Gesundheitsreform ist nicht zu Ende und geht in die nächste Runde. Denn 26 der US-Bundesstaaten haben eine Klage beim Gericht eingereicht. Ihr Vorwurf: Die US-Regierung habe kein Recht, allen US-Bürgern eine Krankenversicherung vorzuschreiben. Der Oberste Gerichtshof hat den Vorwurf Ende März überprüft. Eine Entscheidung könnte im Juni fallen. Sollte eine Versicherungspflicht für alle verfassungswidrig sein, wäre das ein Rückschlag für die Gesundheitsreform.
"Das wäre nicht gut. Es ist ja so, dass ein Versicherungssystem nur funktioniert, wenn alle mitmachen und Prämien bezahlen."
Stephen Berger ist der Leiter einer Sonderkommission, beauftragt vom Bundesstaat New York, sich mit der Konsolidierung der Krankenhausbranche zu befassen. Die vielen Krankenhäuser sind dem drahtigen Leiter von Odyssey Investment Partners, einer Beteiligungsgesellschaft mit Büros hoch über der Eisbahn
"Die Krankenhausbranche in den USA hat viel zu viel gebaut. Viele Spitäler wurden errichtet, weil es leicht war, eine Finanzierung zu bekommen. Die Branche hat ein Image geschaffen, demzufolge Krankenhäuser gleichbedeutend mit dem Gesundheitswesen sind. Das stimmt aber nicht."
Fünf Krankenhäuser in New York City mussten geschlossen werden, war das Fazit seines Gremiums. Je weniger Betten, desto besser, sagt Berger.
"Es wird viel Geld vergeudet. Wir haben 10.000 Betten im US-Bundesstaat New York, die wir nicht brauchen. Das ist teuer. Das kostet zu viel."
Es spricht vieles für das, was Berger sagt. Umgerechnet auf die Kürzung von 4200 Betten würde der Staat New York in den nächsten zehn Jahren acht Milliarden Dollar sparen. Nicht schlecht. Doch die Sache hat einen Haken, sagt Carol Pittman, Sprecherin der New York State Nurses Association, eine Gewerkschaft, die rund 37.000 Krankenschwestern vertritt:
"Sie schließen viele Krankenhäuser, haben aber nichts, was sie ersetzt. Das ist der große Fehler der Berger Sonderkommission. Sie redet über Vorsorge und gute Systeme. Aber wo sollen die Leute denn hingehen, wenn ihre Krankenhäuser geschlossen werden?"
Über die leeren Gebäude des St. Vincent's Hospital an der 7th Avenue in Greenwich Village fegt ein kalter Wind. Vor zwei Jahren musste das Krankenhaus mit 750 Betten bankrott erklären, weil es 700 Millionen Dollar Schulden nicht zurückzahlen konnte. Wo früher Blinddarme und Mandeln entfernt wurden, sollen demnächst 450 Luxuswohnungen und eine Notfallambulanz entstehen. Daran konnten auch massive Proteste der Bevölkerung nichts ändern.
Ein Konferenzzimmer im Wyckoff Heights Medical Center. Leiter Ramon Rodriguez steht vor etwa 50 Mitarbeitern und feuert sie an. Er werde tun, was er kann, um dieses Krankenhaus zu retten, sagt er.
"Wir haben uns alle Ausgaben angeschaut. Das Krankenhaus muss weniger ausgeben. Und wenn wir unsere Probleme gelöst haben, wird sich unser Ruf verbessern und die Leute werden gerne zu uns kommen."