Keine Bombenstimmung mehr
Nach 17 Jahren erbitterten Widerstandes folgte das Freudenfest in der Kyritz-Ruppiner-Heide. Die Gegner des Bombodrom hatten das Aus für den größten Luft-Boden-Schießplatz der Bundeswehr in Deutschland durchgesetzt. Das war im Juli im nördlichen Brandenburg. Fast ein halbes Jahr ist ins Land gegangen, nun sind sich die Bombodrom-Gegener uneins. Einer will ein "Nationales Naturerbe" daraus machen, andere wollen die Landschaft industriell nutzen. Außerdem sind da noch manche Ungewissheiten. So hat der Bombodrom-Besitzer, der Bund, immer noch kein Geld für die Sanierung der 12.000 Hektar Militärgelände zugesagt. Bleibt jetzt die Region auf der Militäraltlast sitzen?
Frau mit Hund: "Also, mein Wunsch wäre: Natur ohne Ende! Also, das es betretbar ist, aber wild bleibt."
Eine Frau mit grünen Handschuhen, die ihren Namen lieber nicht nennen will, führt ihren Jack-Russel-Terrier auf der Dorfstraße Gassi. Und sie schwärmt von der Idylle in der Umgegend, die nach ihrer Meinung nicht bebaut werden soll:
Frau mit Hund: "Weil da sind so viele wilde Tier mittlerweile, also das fände ich schade. Und ich bin Reiterin, Reitwege wären cool. Sowas! Also nicht bebauen oder Ähnliches."
"Zempow, Stadt Wittstock, Landkreis Ostprignitz-Ruppin", steht auf dem gelben Ortseingangsschild. Ein paar Hundert Meter nördlich beginnt schon das Gebiet von Mecklenburg. Ein paar Hundert Meter südlich geht es auf das große Gelände des Bombodroms. Ein zweites Schild am Ortseingang, auf dem über Jahre der Protest gegen den Bombenabwurfplatz ausgedrückt wurde, ist mit einer Banderole überklebt: "Die Heide ist frei".
Zempow ist eines dieser typischen märkischen Straßendörfer: kleine Bauernhäuschen, eine Backsteinkirche; eine der ersten Dorfschulen gab es hier. Und damit man sich nicht im Jahrhundert irrt: Hinter der Kirche steht ein riesiger Sendemast für Mobilfunk. Schräg gegenüber liegt der Buchfinkenhof. Er hat eine wunderbare alte, grün gestrichene Tür.
Uta Lauterbach öffnet und erklärt die Stele vor dem Gebäude, die den Besucher mit der Aufschrift: "Institut für weiße Zone Forschung" irritiert. Ausgedacht hat sich das der Aktionskünstler Michael Kurzwelly, der schon aus dem deutschen Frankfurt/Oder und dem polnischen Slubice das grenzüberschreitende Projekt "Slubfurt" geschaffen hat. Entstanden ist die "weiße Zone" im Sommer 2005, als ein Expeditionsteam der DGB-Jugendbildungsstätte aus dem nahegelegenen Ort Flecken-Zechlin das 140 Quadratkilometer große Militärgebiet umwanderte.
Uta Lauterbach: "Mit polnischen und deutschen Jugendlichen ist er um das sogenannte Bombodrom herumgelaufen, und hat festgestellt, dass er – das war eine Drei-Tage-Aktion – in dem gesamten Zeitraum niemanden getroffen hat. Und das fand er schon erstaunlich, dass das mitten in Deutschland passieren kann, und hat dann das Gefühl gehabt, dass er so im völligen Nichts ist."
Ein weißer Fleck in der großen weiten Deutschlandkarte quasi. Kurzwelly gründete das IWF, das sich mit der Erforschung des Zonenrandes rund um das Bombodrom beschäftigt. Lauterbach ist vom Umland e.V. Zempow, einem Verein, der das kleine Dorfmuseum betreibt und sich mit Regionalentwicklung beschäftigt.
Uta Lauterbach: "Wir brauchen uns ja nichts vorzumachen, diese Gegend ist arm an Arbeitsplätzen, und hat doch in meinen Augen relativ viel zu bieten, nämlich diese unsagbar wunderbare Natur. Aber was das kulturelle Angebot betrifft, ist es denn doch schon spärlich."
Und so richtete das Institut eine Bibliothek und eine Videothek ein, sowie hinter dem Haus den schönen Bauerngarten als Kunstobjekt.
Uta Lauterbach: "Wir haben uns nicht festgelegt auf Künstler oder Wissenschaftler oder was weiß ich ... , sondern jeder, der eine Idee hat, und irgendetwas umsetzen möchte, kann das hier im Institut für Weiße Zone-Forschung tun."
Und das war nur eine der vielfältigen Aktionen gegen die Bombodrompläne. Die Bundeswehr wollte das Gelände unter anderem für 1700 Tiefflugeinsätze pro Jahr nutzen. Organisatoren des Protestes: die Bürgerinitiativen Freie Heide und Freier Himmel. Protestwanderungen, Drachensteigen, Badeparty, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
So sang inbrünstig der Liedermacher Uli Klahn.
Benedikt Schirge: "Wir haben 4000 Kraniche Ostern in den Himmel geschickt, an 1500 Luftballons festgebunden, und dann kamen immer wieder weiter Kraniche zu uns, von Leuten die uns unterstützen wollen oder die einfach etwas für den Frieden tun wollen, die ihre Solidarität ausdrücken wollen."
Alter Mann: "Das haben wir ja seit '45 an erlebt, also jahrzehntelang, Krach, Krach und Angst vor Bombenabwürfen, Fehlwürfe, Flugzeugabstürze und alles solche Sachen, haben wir alles durchgehabt. Dass direkt bei uns im Ort Flugzeuge abgestürzt sind, Bomben gefallen sind, haben wir alles durch. Deswegen."
Frau: "Tiefflugschau gratis, auch nachts, außer Sonnabend, Sonntag. Eigentlich fehlte noch inklusive Betriebsferien. Das Haus liegt hier ziemlich am Rande: Flecken Zechlin, also ziemlich dicht an der Einflugschneise."
Seit die Rote Armee der Sowjetunion 1992 abzog und die Bundeswehr ihre Pläne öffentlich machte, wurde dagegen in der Region protestiert, auf mehr als Hundert Protestmärschen. Und der Widerstand wuchs auch politisch immer weiter. Am Ende waren die Regierungen von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern dagegen und auch der Bundestag folgte der Empfehlung des Petitionsausschusses gegen den Boden-Luft-Übungsplatz.
Mehrere Gerichtsurteile hatten die Bombodrom-Gegner in ihrer Auffassung unterstützt. Am 9. Juli 2009 gab Verteidigungsminister Franz Josef Jung bekannt, auf eine Revision vor Gericht zu verzichten. Der CDU-Politiker warnte aber davor, die Entscheidung als eine politische Niederlage des Verteidigungsministeriums zu bewerten. Die Bombodrom-Gegner fühlten sich aber dennoch als Sieger. Der Brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck bekam die Nachricht auf einer touristischen Sommertour am Scharmützelsee:
Matthias Platzeck: "Also mich hat die Meldung eben erreicht. Ich hab mich sehr gefreut. Und zwar für alle Menschen im Norden Brandenburgs, im Süden Mecklenburgs. Aber ganz speziell für die vielen, vielen Aktivisten, die über anderthalb Jahrzehnte in der Bürgerinitiative freie Heide dafür gekämpft haben, viele auch damit eingenommen haben und davon überzeugt haben, dass die Pläne zu verfolgen vom sowjetischen, damals unrechtmäßig in Anspruch genommenen Truppenübungsplatz einfach in unsere demokratische Gesellschaft fortzuschreiben, dass diese Pläne keine Zukunft haben dürfen, weil sie die Entwicklung für die Region verhindern würden, weil sie die abschneiden würden. Die liegt nämlich im Natur nahen Tourismus."
Der SPD-Politiker sagte, der lange Weg zeige, dass in einem Rechtsstaat es immer Sinn mache, sich zu wehren, für sein Recht zu kämpfen und Geduld zu haben.
Matthias Platzeck: "Ich wünsche mir, dass die Entwicklung dieser Region im sanften touristischen Bereich die Zukunft zu suchen, dass viele, die bislang Investitionen sehr verhalten getätigt bzw. gestockt haben, weil sie gesagt haben, mit Tieffliegern vereinbart sich das nicht, sodass die jetzt auch sagen, jetzt tun wir es. Es ist eine wunderschöne Region, die jetzt einer zivilen Nutzung entgegensieht und anderthalb Jahrzehnte Unklarheit, wie es weitergeht, sind endgültig vorbei."
Erst einmal funktionierte die Bürgerinitiative Freie Heide eine schon lange geplante Protestwanderung zu einem Fest um. Auch Ministerpräsident Platzeck war wieder dabei, der schon einst in den 90er-Jahren als Umweltminister gegen die Militärpläne protestiert hatte. Die Frage, was aus dem 14.000 Hektar großen Gelände wird, bezeichnete er als noch ein bisschen zu früh:
"Hier geht die längste Protestwanderung Deutschlands erfolgreich zu Ende. Und die Menschen haben's einfach verdient, dass man an dem Tag der Freude mal freien Lauf lässt."
Klar ist auf jeden Fall: das riesige Gebiet muss beräumt werden, die ganze Munition muss weg. Eigentümer ist der Bund, der ist und bleibt in der Pflicht. Aber Munitionsräumung ist ein teures Unternehmen, geschätzte Kosten für das Bombodrom: 220 Millionen Euro. Ob der Bund das Geld nach Absage noch freigibt, ist längst nicht geklärt. Aber die politische Aussage, dass die Heide frei ist, wird schon jetzt von vielen beim Wort genommen.
In der Kyritz-Ruppiner Heide bei Wittstock sind immer wieder Pilzsammler unterwegs. Die Bundeswehr warnt mit Flyern vor alter Munition: "Achtung Lebensgefahr!" Ein Logo warnt vor Explosionen. Auf der Rückseite ist eine Landkarte mit der Fläche des früheren sowjetischen Truppenübungsplatzes eingezeichnet. Dazu heißt es:
"Im markierten Gebiet befinden sich über 1,5 Millionen nur schwer erkennbare Blindgänger - Bomben, Granaten und Minen."
Bürgermeister der Umlandgemeinden fürchten schon eine "Anti-Werbung für den Tourismus" in der Region. Aber es gibt auch Karten, auf denen die Wege durch das Gelände eingezeichnet sind. Schließlich sind die Militärs ja auch nicht explodiert. Nach einer gefühlten Unendlichkeit durch den Kiefernwald kommt ein rotweißer Schlagbaum und ein Schild warnt erneut: "Militärischer Sicherheitsbereich. Blindgänger. Lebensgefahr. Unbefugtes Betreten des Platzes ist verboten und wird strafrechtlich verfolgt. Der Kommandant."
Uta Lauterbach: "Das ist uns total Wurst. Ich kann Ihnen sagen, da wo wir jetzt hingehen, da passiert uns nichts."
Ein Fußmarsch von fünf Minuten, dann quert der Besucher einen Schotterweg auf dem Schießplatz, eine Schneise, ein alter Weg. Denn das Gelände trennt auch Dörfer, die früher benachbart waren. Lauterbach steht im Wald und holt tief Luft. Ganz in der Ferne sind Autos zu hören, die Straße nach Flecken Zechlin, Richtung Neuruppin:
Uta Lauterbach: "Aber wenn man etwas tiefer gehen würde, würde man gar nichts mehr hören. Ach, da fällt mir so eine Geschichte ein. Man sagt es, dass dieses Riesengebiet nun auch von dem lieben Wolf wieder erobert worden ist. So sehr freuen darüber kann man sich nicht. Weil auf den Truppenübungsplätzen in der Lausitz, genau da leben die Wölfe auch, also die können mit der Bundeswehr leben."
Aber auf diese Koexistenz legen die meisten in der Region keinen Wert. Die Bürgerinitiativen hatten bislang schon einen langen Atem, haben über 17 Jahre die Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), Rudolf Scharping (SPD), Peter Struck (SPD) und nun auch Franz Josef Jung (CDU) erlebt und politisch überlebt. Nach der Sektlaune im Juli, als sich die Nachricht von Telefon zu Telefon verbreitete, kam ganz schnell der Katzenjammer. Denn auch der regelmäßige Protest hatte etwas Heimatliches.
Uta Lauterbach: "Man hatte schon das Gefühl, das ist etwas, was einen sehr ausgefüllt hat und einen auch sehr aktiviert hat, irgendwo nicht mehr vorhanden ist. Und es war eine so merkwürdige Ruhe, mit der man schwerlich umgehen konnte. Ich kenne auch Leute, nachdem die Meldung um sich gegriffen hatte, geweint, also für die das eine Riesen-Erlösung war, aber es ging relativ schnell, dass die Leute für sich ein neues Tätigkeitsfeld gesucht haben."
Horror Vacui, die Angst vor dem Nichts, das wäre eigentlich ein weiteres Betätigungsfeld für das Institut für weiße Zone Forschung. Jetzt wird nach einem Nutzungskonzept für das Bombodromgelände gesucht. Vom Bund gibt es keine eindeutigen Signale, viele Anwohner sagen, der Schwarze Peter werde der Region zugeschoben. Sie hoffen auf sanften Tourismus und Naturschutz, nicht aber auf Massentourismus. Jürgen Seidel, Wirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern:
"Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass etwa 130.000 Menschen bei uns im Land entweder mittelbar oder unmittelbar mit dem Tourismus was zu tun haben, dann ist das natürlich eine Größenordnung, die nicht nur nicht zu vernachlässigen ist, sondern die eine große Bedeutung für den Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern hat. Die mecklenburgische Seenplatte hat an der Steigerung der Übernachtungs- und Gästezahlen doch wesentlichen Anteil. Also der Wassertourismus. Es bietet sich förmlich an, die mecklenburgische Seenplatte geht ja über Brandenburg dann bis nach Berlin, auf der anderen Seite bis nach Hamburg. Und so gesehen haben wir eine gemeinsame Vermarktung seit 2004."
Und gegen sonst gerade im Tourismus gern geübte lokalpatriotische Bestrebungen verzichtet die Region in Brandenburg auf eine eigene Dachmarke und firmiert für die erhofften Gäste aus aller Welt auch als Mecklenburgische Seenplatte. Auch die Unternehmerinitiative "Pro Heide" hatte sich gegen die Bundeswehrpläne engagiert. Ein Hotelier hofft, dass die in den Fünfzigerjahren von der Sowjetarmee beschlagnahmten Grundstücke schnell zurückgegeben werden. Die brandenburgische Linkspolitikerin Kirsten Tackmann warnte schon vor einer Privatisierung der Bombodrom-Fläche und vor Bodenspekulanten. Ulrich Junghanns, CDU, bis zur Wahl im September Wirtschaftsminister von Brandenburg:
"Jawohl, wir brauchen noch Klarheit über die letztlich zivile Nutzung, Ansatzpunkte sind genannt als Aufgabenstellung. Das sind die fünf Felder: der Wassertourismus, Naturtourismus, Aktivtourismus, Kulturtourismus und Gesundheitstourismus. Es gibt eine Diskussion: was ist klug und was ist nicht klug. Die Ruppiner Heide zusammenzuhalten und sie einem nationalen Kulturgut – Flächenpool zu bewahren, oder Stück um Stück die Erschließung des Platzes selbst in Angriff zu nehmen."
Und dabei wäre dann auch eine teilweise industrielle Nutzung der strukturschwachen Region nicht ausgeschlossen, beispielsweise für ein Solarkraftwerk. Naturschutzverbände wollen das ehemalige ´Bombodrom´ zum ´Nationalen Naturerbe´ erklären lassen.
Deutschland muss bis 2020 zwei Prozent des Bundesgebiets als Wildnisflächen ausweisen, noch fehlen 25.000 Hektar dafür, ein Fünftel der von der Bundesregierung geplanten Fläche. Und auch die Große Koalition in Brandenburg aus SPD und Linkspartei will Klarheit. Die parlamentarischen Geschäftsführer Klara Geywitz und Christian Görke fordern die Bundesregierung auf:
Klara Geywitz: "... entsprechende regionale Initiativen, Bürgerinitiativen vor Ort zu unterstützen bei der zivilen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide und eine entsprechende Gesamtkonzeption zu erarbeiten."
Christian Görke: "Die Haushaltsberatungen im Bund sind für uns natürlich wichtig. weil die Freigabe der Mittel für die notwendige Altlastenbeseitigung im Bund auf der Agenda steht und wir wollen uns als die Landesregierung tragende Fraktionen noch mal deutlich hier positionieren."
Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Bürgerinitiativen, der Anliegergemeinden, regionalen Vereinen und Verbänden soll in einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft, an einer Art "Runder Tisch Kyritz-Ruppiner Heide" Vorschläge entwickeln. Die Bürgerinitiative Freie Heide hat ihr Eintreten für eine zivile Nutzung der Heide bekräftigt und vor einer Hinhaltetaktik der Bundeswehr gewarnt, die doch bald den endgültigen Verzicht auf das Gelände erklären sollte.
Noch einmal zurück nach Zempow. Uta Lauterbach weiß, es gibt außer dem Institut für weiße Zone Forschung und dem Autokino einen weiteren kulturellen Punkt im Dorf, eine Art Kommunikationszentrum:
"Marion weiß alles. Und man wird auch immer vollständig informiert und man meldet sich ab, wenn man wegfährt, damit da keine Irritationen entstehen."
"Marions Laden" ist keine Hundert Meter vom IWF entfernt. Ein paar Treppenstufen über die Holzveranda, am Schwarzen Brett hängen jede Menge Zettel und ein Schild "Quelle Bestellannahme". Marion Wichert will eigentlich nichts sagen, und auch wenn Klagen der Gruß der Kaufleute ist, der Laden läuft gerade mal so, aber nur, weil sie es einfach noch macht. Richtig rechnen tue es sich schon lange nicht mehr in einem Dorf mit 232 Einwohnern, stöhnt sie, zumal als Konkurrenz fünf Verkaufswagen in der Woche durchs Dorf fahren, die ihre Waren anbieten. Eine Kundin ist da freimütiger. Renate Hake erzählt:
"Da kann schon wat draus werden. Naturschutzgebiet, aber dann müsste auch ein Kiosk oder so, dass die Leute wenn se mit Fahrrad durchkommen, dass da ein schöner Fahrradweg ist und ein kleines Restaurant, denn jeder trinkt ja mal einen Kaffee oder irgendwie was. Das wär ganz angebracht. Dit wär schon ganz in Ordnung. Aber mehr kann man ja nicht machen daraus eigentlich!"
Eine Frau mit grünen Handschuhen, die ihren Namen lieber nicht nennen will, führt ihren Jack-Russel-Terrier auf der Dorfstraße Gassi. Und sie schwärmt von der Idylle in der Umgegend, die nach ihrer Meinung nicht bebaut werden soll:
Frau mit Hund: "Weil da sind so viele wilde Tier mittlerweile, also das fände ich schade. Und ich bin Reiterin, Reitwege wären cool. Sowas! Also nicht bebauen oder Ähnliches."
"Zempow, Stadt Wittstock, Landkreis Ostprignitz-Ruppin", steht auf dem gelben Ortseingangsschild. Ein paar Hundert Meter nördlich beginnt schon das Gebiet von Mecklenburg. Ein paar Hundert Meter südlich geht es auf das große Gelände des Bombodroms. Ein zweites Schild am Ortseingang, auf dem über Jahre der Protest gegen den Bombenabwurfplatz ausgedrückt wurde, ist mit einer Banderole überklebt: "Die Heide ist frei".
Zempow ist eines dieser typischen märkischen Straßendörfer: kleine Bauernhäuschen, eine Backsteinkirche; eine der ersten Dorfschulen gab es hier. Und damit man sich nicht im Jahrhundert irrt: Hinter der Kirche steht ein riesiger Sendemast für Mobilfunk. Schräg gegenüber liegt der Buchfinkenhof. Er hat eine wunderbare alte, grün gestrichene Tür.
Uta Lauterbach öffnet und erklärt die Stele vor dem Gebäude, die den Besucher mit der Aufschrift: "Institut für weiße Zone Forschung" irritiert. Ausgedacht hat sich das der Aktionskünstler Michael Kurzwelly, der schon aus dem deutschen Frankfurt/Oder und dem polnischen Slubice das grenzüberschreitende Projekt "Slubfurt" geschaffen hat. Entstanden ist die "weiße Zone" im Sommer 2005, als ein Expeditionsteam der DGB-Jugendbildungsstätte aus dem nahegelegenen Ort Flecken-Zechlin das 140 Quadratkilometer große Militärgebiet umwanderte.
Uta Lauterbach: "Mit polnischen und deutschen Jugendlichen ist er um das sogenannte Bombodrom herumgelaufen, und hat festgestellt, dass er – das war eine Drei-Tage-Aktion – in dem gesamten Zeitraum niemanden getroffen hat. Und das fand er schon erstaunlich, dass das mitten in Deutschland passieren kann, und hat dann das Gefühl gehabt, dass er so im völligen Nichts ist."
Ein weißer Fleck in der großen weiten Deutschlandkarte quasi. Kurzwelly gründete das IWF, das sich mit der Erforschung des Zonenrandes rund um das Bombodrom beschäftigt. Lauterbach ist vom Umland e.V. Zempow, einem Verein, der das kleine Dorfmuseum betreibt und sich mit Regionalentwicklung beschäftigt.
Uta Lauterbach: "Wir brauchen uns ja nichts vorzumachen, diese Gegend ist arm an Arbeitsplätzen, und hat doch in meinen Augen relativ viel zu bieten, nämlich diese unsagbar wunderbare Natur. Aber was das kulturelle Angebot betrifft, ist es denn doch schon spärlich."
Und so richtete das Institut eine Bibliothek und eine Videothek ein, sowie hinter dem Haus den schönen Bauerngarten als Kunstobjekt.
Uta Lauterbach: "Wir haben uns nicht festgelegt auf Künstler oder Wissenschaftler oder was weiß ich ... , sondern jeder, der eine Idee hat, und irgendetwas umsetzen möchte, kann das hier im Institut für Weiße Zone-Forschung tun."
Und das war nur eine der vielfältigen Aktionen gegen die Bombodrompläne. Die Bundeswehr wollte das Gelände unter anderem für 1700 Tiefflugeinsätze pro Jahr nutzen. Organisatoren des Protestes: die Bürgerinitiativen Freie Heide und Freier Himmel. Protestwanderungen, Drachensteigen, Badeparty, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
So sang inbrünstig der Liedermacher Uli Klahn.
Benedikt Schirge: "Wir haben 4000 Kraniche Ostern in den Himmel geschickt, an 1500 Luftballons festgebunden, und dann kamen immer wieder weiter Kraniche zu uns, von Leuten die uns unterstützen wollen oder die einfach etwas für den Frieden tun wollen, die ihre Solidarität ausdrücken wollen."
Alter Mann: "Das haben wir ja seit '45 an erlebt, also jahrzehntelang, Krach, Krach und Angst vor Bombenabwürfen, Fehlwürfe, Flugzeugabstürze und alles solche Sachen, haben wir alles durchgehabt. Dass direkt bei uns im Ort Flugzeuge abgestürzt sind, Bomben gefallen sind, haben wir alles durch. Deswegen."
Frau: "Tiefflugschau gratis, auch nachts, außer Sonnabend, Sonntag. Eigentlich fehlte noch inklusive Betriebsferien. Das Haus liegt hier ziemlich am Rande: Flecken Zechlin, also ziemlich dicht an der Einflugschneise."
Seit die Rote Armee der Sowjetunion 1992 abzog und die Bundeswehr ihre Pläne öffentlich machte, wurde dagegen in der Region protestiert, auf mehr als Hundert Protestmärschen. Und der Widerstand wuchs auch politisch immer weiter. Am Ende waren die Regierungen von Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern dagegen und auch der Bundestag folgte der Empfehlung des Petitionsausschusses gegen den Boden-Luft-Übungsplatz.
Mehrere Gerichtsurteile hatten die Bombodrom-Gegner in ihrer Auffassung unterstützt. Am 9. Juli 2009 gab Verteidigungsminister Franz Josef Jung bekannt, auf eine Revision vor Gericht zu verzichten. Der CDU-Politiker warnte aber davor, die Entscheidung als eine politische Niederlage des Verteidigungsministeriums zu bewerten. Die Bombodrom-Gegner fühlten sich aber dennoch als Sieger. Der Brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck bekam die Nachricht auf einer touristischen Sommertour am Scharmützelsee:
Matthias Platzeck: "Also mich hat die Meldung eben erreicht. Ich hab mich sehr gefreut. Und zwar für alle Menschen im Norden Brandenburgs, im Süden Mecklenburgs. Aber ganz speziell für die vielen, vielen Aktivisten, die über anderthalb Jahrzehnte in der Bürgerinitiative freie Heide dafür gekämpft haben, viele auch damit eingenommen haben und davon überzeugt haben, dass die Pläne zu verfolgen vom sowjetischen, damals unrechtmäßig in Anspruch genommenen Truppenübungsplatz einfach in unsere demokratische Gesellschaft fortzuschreiben, dass diese Pläne keine Zukunft haben dürfen, weil sie die Entwicklung für die Region verhindern würden, weil sie die abschneiden würden. Die liegt nämlich im Natur nahen Tourismus."
Der SPD-Politiker sagte, der lange Weg zeige, dass in einem Rechtsstaat es immer Sinn mache, sich zu wehren, für sein Recht zu kämpfen und Geduld zu haben.
Matthias Platzeck: "Ich wünsche mir, dass die Entwicklung dieser Region im sanften touristischen Bereich die Zukunft zu suchen, dass viele, die bislang Investitionen sehr verhalten getätigt bzw. gestockt haben, weil sie gesagt haben, mit Tieffliegern vereinbart sich das nicht, sodass die jetzt auch sagen, jetzt tun wir es. Es ist eine wunderschöne Region, die jetzt einer zivilen Nutzung entgegensieht und anderthalb Jahrzehnte Unklarheit, wie es weitergeht, sind endgültig vorbei."
Erst einmal funktionierte die Bürgerinitiative Freie Heide eine schon lange geplante Protestwanderung zu einem Fest um. Auch Ministerpräsident Platzeck war wieder dabei, der schon einst in den 90er-Jahren als Umweltminister gegen die Militärpläne protestiert hatte. Die Frage, was aus dem 14.000 Hektar großen Gelände wird, bezeichnete er als noch ein bisschen zu früh:
"Hier geht die längste Protestwanderung Deutschlands erfolgreich zu Ende. Und die Menschen haben's einfach verdient, dass man an dem Tag der Freude mal freien Lauf lässt."
Klar ist auf jeden Fall: das riesige Gebiet muss beräumt werden, die ganze Munition muss weg. Eigentümer ist der Bund, der ist und bleibt in der Pflicht. Aber Munitionsräumung ist ein teures Unternehmen, geschätzte Kosten für das Bombodrom: 220 Millionen Euro. Ob der Bund das Geld nach Absage noch freigibt, ist längst nicht geklärt. Aber die politische Aussage, dass die Heide frei ist, wird schon jetzt von vielen beim Wort genommen.
In der Kyritz-Ruppiner Heide bei Wittstock sind immer wieder Pilzsammler unterwegs. Die Bundeswehr warnt mit Flyern vor alter Munition: "Achtung Lebensgefahr!" Ein Logo warnt vor Explosionen. Auf der Rückseite ist eine Landkarte mit der Fläche des früheren sowjetischen Truppenübungsplatzes eingezeichnet. Dazu heißt es:
"Im markierten Gebiet befinden sich über 1,5 Millionen nur schwer erkennbare Blindgänger - Bomben, Granaten und Minen."
Bürgermeister der Umlandgemeinden fürchten schon eine "Anti-Werbung für den Tourismus" in der Region. Aber es gibt auch Karten, auf denen die Wege durch das Gelände eingezeichnet sind. Schließlich sind die Militärs ja auch nicht explodiert. Nach einer gefühlten Unendlichkeit durch den Kiefernwald kommt ein rotweißer Schlagbaum und ein Schild warnt erneut: "Militärischer Sicherheitsbereich. Blindgänger. Lebensgefahr. Unbefugtes Betreten des Platzes ist verboten und wird strafrechtlich verfolgt. Der Kommandant."
Uta Lauterbach: "Das ist uns total Wurst. Ich kann Ihnen sagen, da wo wir jetzt hingehen, da passiert uns nichts."
Ein Fußmarsch von fünf Minuten, dann quert der Besucher einen Schotterweg auf dem Schießplatz, eine Schneise, ein alter Weg. Denn das Gelände trennt auch Dörfer, die früher benachbart waren. Lauterbach steht im Wald und holt tief Luft. Ganz in der Ferne sind Autos zu hören, die Straße nach Flecken Zechlin, Richtung Neuruppin:
Uta Lauterbach: "Aber wenn man etwas tiefer gehen würde, würde man gar nichts mehr hören. Ach, da fällt mir so eine Geschichte ein. Man sagt es, dass dieses Riesengebiet nun auch von dem lieben Wolf wieder erobert worden ist. So sehr freuen darüber kann man sich nicht. Weil auf den Truppenübungsplätzen in der Lausitz, genau da leben die Wölfe auch, also die können mit der Bundeswehr leben."
Aber auf diese Koexistenz legen die meisten in der Region keinen Wert. Die Bürgerinitiativen hatten bislang schon einen langen Atem, haben über 17 Jahre die Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), Rudolf Scharping (SPD), Peter Struck (SPD) und nun auch Franz Josef Jung (CDU) erlebt und politisch überlebt. Nach der Sektlaune im Juli, als sich die Nachricht von Telefon zu Telefon verbreitete, kam ganz schnell der Katzenjammer. Denn auch der regelmäßige Protest hatte etwas Heimatliches.
Uta Lauterbach: "Man hatte schon das Gefühl, das ist etwas, was einen sehr ausgefüllt hat und einen auch sehr aktiviert hat, irgendwo nicht mehr vorhanden ist. Und es war eine so merkwürdige Ruhe, mit der man schwerlich umgehen konnte. Ich kenne auch Leute, nachdem die Meldung um sich gegriffen hatte, geweint, also für die das eine Riesen-Erlösung war, aber es ging relativ schnell, dass die Leute für sich ein neues Tätigkeitsfeld gesucht haben."
Horror Vacui, die Angst vor dem Nichts, das wäre eigentlich ein weiteres Betätigungsfeld für das Institut für weiße Zone Forschung. Jetzt wird nach einem Nutzungskonzept für das Bombodromgelände gesucht. Vom Bund gibt es keine eindeutigen Signale, viele Anwohner sagen, der Schwarze Peter werde der Region zugeschoben. Sie hoffen auf sanften Tourismus und Naturschutz, nicht aber auf Massentourismus. Jürgen Seidel, Wirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern:
"Wenn wir davon ausgehen dürfen, dass etwa 130.000 Menschen bei uns im Land entweder mittelbar oder unmittelbar mit dem Tourismus was zu tun haben, dann ist das natürlich eine Größenordnung, die nicht nur nicht zu vernachlässigen ist, sondern die eine große Bedeutung für den Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern hat. Die mecklenburgische Seenplatte hat an der Steigerung der Übernachtungs- und Gästezahlen doch wesentlichen Anteil. Also der Wassertourismus. Es bietet sich förmlich an, die mecklenburgische Seenplatte geht ja über Brandenburg dann bis nach Berlin, auf der anderen Seite bis nach Hamburg. Und so gesehen haben wir eine gemeinsame Vermarktung seit 2004."
Und gegen sonst gerade im Tourismus gern geübte lokalpatriotische Bestrebungen verzichtet die Region in Brandenburg auf eine eigene Dachmarke und firmiert für die erhofften Gäste aus aller Welt auch als Mecklenburgische Seenplatte. Auch die Unternehmerinitiative "Pro Heide" hatte sich gegen die Bundeswehrpläne engagiert. Ein Hotelier hofft, dass die in den Fünfzigerjahren von der Sowjetarmee beschlagnahmten Grundstücke schnell zurückgegeben werden. Die brandenburgische Linkspolitikerin Kirsten Tackmann warnte schon vor einer Privatisierung der Bombodrom-Fläche und vor Bodenspekulanten. Ulrich Junghanns, CDU, bis zur Wahl im September Wirtschaftsminister von Brandenburg:
"Jawohl, wir brauchen noch Klarheit über die letztlich zivile Nutzung, Ansatzpunkte sind genannt als Aufgabenstellung. Das sind die fünf Felder: der Wassertourismus, Naturtourismus, Aktivtourismus, Kulturtourismus und Gesundheitstourismus. Es gibt eine Diskussion: was ist klug und was ist nicht klug. Die Ruppiner Heide zusammenzuhalten und sie einem nationalen Kulturgut – Flächenpool zu bewahren, oder Stück um Stück die Erschließung des Platzes selbst in Angriff zu nehmen."
Und dabei wäre dann auch eine teilweise industrielle Nutzung der strukturschwachen Region nicht ausgeschlossen, beispielsweise für ein Solarkraftwerk. Naturschutzverbände wollen das ehemalige ´Bombodrom´ zum ´Nationalen Naturerbe´ erklären lassen.
Deutschland muss bis 2020 zwei Prozent des Bundesgebiets als Wildnisflächen ausweisen, noch fehlen 25.000 Hektar dafür, ein Fünftel der von der Bundesregierung geplanten Fläche. Und auch die Große Koalition in Brandenburg aus SPD und Linkspartei will Klarheit. Die parlamentarischen Geschäftsführer Klara Geywitz und Christian Görke fordern die Bundesregierung auf:
Klara Geywitz: "... entsprechende regionale Initiativen, Bürgerinitiativen vor Ort zu unterstützen bei der zivilen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide und eine entsprechende Gesamtkonzeption zu erarbeiten."
Christian Görke: "Die Haushaltsberatungen im Bund sind für uns natürlich wichtig. weil die Freigabe der Mittel für die notwendige Altlastenbeseitigung im Bund auf der Agenda steht und wir wollen uns als die Landesregierung tragende Fraktionen noch mal deutlich hier positionieren."
Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern der Bürgerinitiativen, der Anliegergemeinden, regionalen Vereinen und Verbänden soll in einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft, an einer Art "Runder Tisch Kyritz-Ruppiner Heide" Vorschläge entwickeln. Die Bürgerinitiative Freie Heide hat ihr Eintreten für eine zivile Nutzung der Heide bekräftigt und vor einer Hinhaltetaktik der Bundeswehr gewarnt, die doch bald den endgültigen Verzicht auf das Gelände erklären sollte.
Noch einmal zurück nach Zempow. Uta Lauterbach weiß, es gibt außer dem Institut für weiße Zone Forschung und dem Autokino einen weiteren kulturellen Punkt im Dorf, eine Art Kommunikationszentrum:
"Marion weiß alles. Und man wird auch immer vollständig informiert und man meldet sich ab, wenn man wegfährt, damit da keine Irritationen entstehen."
"Marions Laden" ist keine Hundert Meter vom IWF entfernt. Ein paar Treppenstufen über die Holzveranda, am Schwarzen Brett hängen jede Menge Zettel und ein Schild "Quelle Bestellannahme". Marion Wichert will eigentlich nichts sagen, und auch wenn Klagen der Gruß der Kaufleute ist, der Laden läuft gerade mal so, aber nur, weil sie es einfach noch macht. Richtig rechnen tue es sich schon lange nicht mehr in einem Dorf mit 232 Einwohnern, stöhnt sie, zumal als Konkurrenz fünf Verkaufswagen in der Woche durchs Dorf fahren, die ihre Waren anbieten. Eine Kundin ist da freimütiger. Renate Hake erzählt:
"Da kann schon wat draus werden. Naturschutzgebiet, aber dann müsste auch ein Kiosk oder so, dass die Leute wenn se mit Fahrrad durchkommen, dass da ein schöner Fahrradweg ist und ein kleines Restaurant, denn jeder trinkt ja mal einen Kaffee oder irgendwie was. Das wär ganz angebracht. Dit wär schon ganz in Ordnung. Aber mehr kann man ja nicht machen daraus eigentlich!"