Keine Chance bei über 1000 Grad im Tunnel

Von Annette Schneider-Solis |
Immer wieder haben Tunnelbrände verheerende Folgen, bei einer Reihe von solchen Feuern starben seit der Jahrtausendwende mindestens 100 Menschen. Wie Tunnel sicherer werden können, daran arbeiten Feuerforscher.
Messgeräte werden kalibriert, Sonden in Position gerückt, Kameras scharf gestellt - im Versuchstunnel San Pedro de Anes in Nordspanien. In der 600 Meter langen Röhre erfassen die Feuerforscher die Anatomie von Bränden. Denn Tunnelbrände haben ihre eigene Dynamik, weiß Mario Koch vom Institut der Feuerwehr in Heyrothsberge bei Magdeburg.

"Sie haben dort eine Kaminwirkung, und der Brandrauch und die Energie können nicht weg. Die heißen Brandgase breiten sich mit der Strömung aus, und alles, was dahinter kommt, entzündet sich dann auch."

Die Kölner Firma Fogtec bietet eine Wassernebelanlage an. In Spanien wird sie getestet. 160 Werte lassen sich bei einem Brand messen und erfassen. Darunter Temperatur und Strömung, Sauerstoff- und Giftgasgehalt. Zwar gibt es für alles Messgeräte, räumt Mario Koch ein. Doch sie sind nicht für extreme Hitze und viel Wasser gedacht. Zudem ist die Messwarte mehrere hundert Meter entfernt.

"Wir haben hier ein eigenes Netzwerk aufgebaut. Das wird alles noch mit Draht gemacht, drahtlos gibt's ein großes Problem. Drahtlos schafft man es nicht so schnell, Echtzeitdaten so einfach zu übertragen, man hat auch schnell Ausfälle durch die Brände selbst, auch durch den Tunnel selbst ist es nicht möglich, hier 'ne vernünftige Funkverbindung aufzubauen."

Mehrere Wannen mit Diesel werden entzündet. Rasant breiten sich die Flammen aus, lodern bis zur Decke. Eine schwarze Wolke kriecht bedrohlich unter der Tunneldecke auf uns zu. Plötzlich sprühen Düsen Wassernebel über die Brandstelle. Das Feuer brennt weiter, doch es kann sich nicht ausbreiten. Das ist einer der Vorteile dieser Wassernebelanlage, erklärt Stefan Kratzmeir vom Rostocker Institut für angewandte Brandschutzforschung.

"Also ein brennender LKW, das ist die Erfahrung, die man aus den großen Tunnelbränden gemacht hat, da kommt man nicht ran. Man kann den Brand nicht bekämpfen, und zusammen mit dem Wassernebelsystem kann man sicher bis auf ganz, ganz wenige Meter herangehen, und dann kann die Feuerwehr den auch bekämpfen."

Die Entlüftungsanlage verschluckt die Giftwolke, an der Wand leuchten grüne Schildchen den Weg zum Notausgang. Der Sauerstoffgehalt ist hoch genug, die Giftgaskonzentration mäßig. Das Feuer misst maximal 300 Grad - direkt über dem Feuer. Selbst wer sich unmittelbar in der Nähe aufhielte, könnte fliehen. Das alles entnimmt Mario Koch den bunten Kurven auf seinen Laptops in der Messwarte:

"Wenn man sich Brände in anderen Tunneln ansieht, die keine Brandbekämpfungsanlage haben, da sieht man, dass die Leute dort keine Chance haben. Wir haben dort schnell Temperaturen von über 1000 Grad, auch viele Meter von der Initialzündungsquelle entfernt."

Die Daten, die bei mehr als zwei Dutzend Versuchsbränden gewonnen werden, verarbeiten die Ingenieure in Computermodellen. Sie sind die Grundlage für Risiko- und Sicherheitsanalysen für Tunnel. Uwe Zimmermann erklärt es am Beispiel: Diesel läuft aus, verteilt und entzündet sich.

"Das ist das Interessante an diesen Programmen: es ist eine Eigendynamik, die jedes Mal anders abläuft. Das ist ein Programm, wo ich nicht sehr fixe Systeme habe, sondern es brennt wirklich dort in einem Computermodell. Bis ins letzte I-Tüpfelchen lässt es sich nicht berechnen. Es ist immer ein Modell. Und ein Modell ist immer der Versuch, die Wirklichkeit abzubilden. Das heißt, es wird auch nie den realen Brand exakt treffen. Und wenn ich den gleichen Brand zweimal durchrechne, habe ich zwei leicht voneinander abweichende Ergebnisse."

Doch je genauer die Wirklichkeit zuvor dokumentiert wurde, desto besser sind die Modelle, weiß Uwe Zimmermann:

"Das ist gerade Aufgabe des Projektes. Dass wir mit diesem Tunnelquerschnitt, da habe ich jetzt Messwerte, die der Realität, und Realität heißt in dem Fall von dem einen Brand an dem einen Tag mit den Randbedingungen, entspricht. Und wenn ich jetzt 5, 8 oder 10 verschiedene Versuche mit verschiedenen Parametern, wenn ich die mit dem gleichen Modell korrekt nachrechnen kann, dann hab ich auch die Sicherheit zu sagen: ok, jetzt kann ich weitere Parameter nur in der Simulation verändern und kann mich weitgehend darauf verlassen, dass es dann auch funktioniert und belastbare Aussagen für andere Szenarien gibt, die ich in einem Großbrandversuch eben nicht nachempfinden kann."

Das Modell wurde schon für diverse Risikoanalysen verwendet, etwa für den Rennsteigtunnel. Der ist für Gefahrguttransporte gesperrt. Ein Zusammenstoß zweier Gefahrguttransporte wäre dort nicht beherrschbar.

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