Keine kulturellen Klischees
"Multikulturalität ist eine Erfahrung die zum Alter dazugehört!" sagt Ute Bychowski energisch. Diese Idee realisiert sie im Victor-Gollancz-Hause in Frankfurt Sossenheim. Die Wohnbereiche sind offen, muslimische und christliche Feiertage werden gemeinsam gefeiert. Und Kontakte entstehen ungezwungen zwischen den türkischen und deutschen Bewohnern des Pflegeheims.
Es duftet nach Frischgebackenem. Yildiz Dag, die in der Wohngruppe 6 für die Verpflegung zuständig ist, verteilt Cay - türkischen Tee - in kleine geschwungene Gläser. Sie holt die Teigtaschen aus dem Ofen und stellt sie auf den großen Tisch. Drum herum sitzen Frauen, alle über 70, manche in Rollstühlen. Die Männer halten um diese Zeit Mittagsschlaf, während die Bewohnerinnen die Süßigkeiten genießen, und sich unterhalten.
"Aber ich gern in Deutschland leben. Sehr gern."
"Frau Birtürk seit wann sind sie in Deutschland? Das habe ich noch nicht verstanden?"
"Ich bin 22 alt, ich bin nach Deutschland gekommen. Dann ich habe viele Jahre Arbeit. Wiesbaden."
Fehime Birtürk, eine kräftige Frau mit kurzen grauen Locken, ist Anfang der 60er Jahre nach Deutschland gekommen. Damals war sie 22. Sie ist in Anatolien geboren, hat in Istanbul gelebt, 20 Jahre lang hat sie in einem deutschen Krankenhaus gearbeitet. Erst seit Kurzem hat ihre Familie sie im interkulturellen Pflegeheim Victor Gollancz untergebracht, in der Wohngruppe für pflegebedürftige Musliminnen und Muslime. Sie wirkt froh, dass andere Türkinnen um sie herum sind und sie türkisch sprechen kann.
"Wunderbar. Ich habe andere Altersheim gesehen. Ich konnte nie schlafen. Wunderbar hier. Sehr gut. Alle zusammen ist besser. Ist besser. Türkin mit Deutschen zusammen ist nicht so gut."
Ich habe niemand in Istanbul. Meine Kinder und Enkel auch in Deutschland wohnen, die hier geboren. Meine Tochter auch. Was sollen ich gehen in Türkei. Kennen Leute mich nicht. Oder?"
Fehime Birtürk ist in Deutschland alt geworden. Sie hat Autofahren gelernt und Freiheiten genossen, die sie in der Türkei als Frau nicht hatte, betont sie. In der Türkei fühlt sie sich mittlerweile selbst fremd. Anders Frau Kiras. Sie hatte mit ihrem Mann nach einem langen Arbeitsleben schon den Umzug in die Türkei geplant. Plötzlich wurde er zum Pflegefall. Jetzt besucht sie ihn täglich im Pflegeheim, und unterhält sich gerne mit den anderen Türkinnen.
Ute Bychowski, die Leiterin des Pflegeheims sitzt heute mit den alten Damen zum Tee. Sie hat das Konzept einer "kultur-sensiblen Pflege", wie sie es selbst nennt, für das Victor-Gollancz-Haus entwickelt.
"Ich glaube, dass es wichtig ist, so etwas wie einen sicheren Hafen zu bieten. Das ist hier die Wohngruppe und das ist hier auch diese Teestube. Hier wird türkischer Tee getrunken, hier wird in der Regel Türkisch gesprochen. Es gibt türkische Spezialitäten, Kaffee, d.h. die Menschen haben hier richtig einen Ort, wo sie sagen, was etwas Heimatliches hat.
Und gleichzeitig gibt es aber Begegnungen mit den deutschen Bewohnern, sei es bei einer Frühstücksrunde, sei es bei einer Kunsttherapie, bei der Gymnastik, und natürlich bei allen Festen."
Für den Alltag der Bewohner heißt das: im ganzen Haus sind die Hinweisschilder in Deutsch und in Türkisch zu lesen. Es gibt mehrere zweisprachige Mitarbeiter. Kontakte zur türkischen Gemeinde sind geknüpft. Der Imam kommt mindestens einmal die Woche. Acht Frauen und vier muslimische Männer leben zurzeit im Haus. Ein türkischer Mann bewohnt auf eigenen Wunsch ein Zimmer im "deutschen" Trakt. Er kommt aber zum gemeinsamen Essen und öfter auch mal auf einen Tee in der Teeküche vorbei und spricht hier mit den Damen ein bisschen Türkisch.
"Diese Bewohner vermissen sehr Heimatessen."
Nasan Sezgin die Krankenpflegehelferin und Yildiz Dag, die Köchin, beide sind Türkinnen, sind für die Pflegeleitung wichtige Ratgeberinnen. Sie übersetzen die Bedürfnisse der alten Damen. Das Ergebnis: Eine sehr persönliche Art der Betreuung. Yildiz Dag, eine quirlige Frau um die 40, kauft jeden Tag ein, und kocht das Helal – Essen, manchmal machen die alten Damen mit, rollen Weinblätter, helfen Teig kneten. Nasan Sezgin, Mitte 20, übernimmt die Pflege. Hier in der Wohngruppe 6 hat sie oft mehr Arbeit - das Pflegebedürfnis ist bei den Musliminnen größer.
"Die Leute wollen zweimal die Woche duschen mit Haare. Eigener Wunsch: Zweimal duschen, zweimal mit Haare."
Das Bild von der türkischen Großfamilie, die selbstverständlich die Versorgung der Alten übernimmt, ist nur noch ein Bild in unseren Köpfen, ein Mythos, sagt Ute Bychowski.
"Der Gleiche besteht natürlich auch grade bei den Migranten in einem unglaublichen Ausmaß, also dass die Familie für die Pflege im Alter zuständig sein muss. Und in der Türkei sich jetzt in den Großstädten herausgestellt hat, dass es diese Großfamilie, die diese Pflegebedürftigkeit auffangen kann, nicht mehr gibt, und natürlich mit dem steigenden Alter, die Hochaltrigkeit gab es in der Türkei oder in anderen muslimischen Ländern nicht, wie sie die in den europäischen Ländern gegeben hat, ich kann vielleicht mal einen Verwandten 90 Jahre pflegen, aber wenn der Durchschnitt 80 oder 90 wird, übersteigt das den Durchschnitt der nachwachsenden Generation."
Frau Kumru, zum Beispiel, die kleine Dame mit schwarzem Zopf, ist in den 50er Jahren allein mit einer Tochter nach Deutschland gekommen, war Geschäftsfrau in Offenbach am Main. Ihre berufstätige Tochter hat sie vorübergehend im Pflegeheim untergebracht, weil sie die Pflege der Mutter nicht allein leisten kann.
"Bin ich schon lange in Deutschland. Seit 1952 ... In Offenbach ... Offenbach ..."
An ihre Vergangenheit in Offenbach am Main, wo sie gelebt und ihre Kinder großgezogen hat, erinnert sich Ferideh Kumru nur noch in Bruchstücken. Sie hatte ein Geschäft, davon erzählt sie gern. Einige der Frauen betonen, dass sie gern in Deutschland leben - von ihrer Arbeit reden die meisten nicht. "Negative Erfahrungen in der Arbeitswelt sind oft mit Scham belegt", hat Ute Bychowski beobachtet.
"Das heißt, für uns war es wichtig, zwei Erfahrungen zu ermöglichen, das eine, dass die Menschen hier von Deutschen geschätzt werden, dass auch ihre Religiosität eine Wertschätzung erhält."
Keine kühle Kacheln, sondern flauschiger Teppich in honiggelb, kleine geschnitzte Hocker, dunkelrote Kissen, eine mit orientalischen Schnitzereien verkleidete Gebetsnische, die in Richtung Osten, nach Mekka, ausgerichtet ist. Der Gebetsraum in der unteren Etage liegt neben dem christlichen Raum der Stille. Zum Altwerden gehört die Vorbereitung auf den Tod. Religiöse Gefühle spielen in dieser Lebensphase oft eine größere Rolle. Einmal in der Woche kommt ein Imam zu Besuch, hält das Freitagsgebet, aber er besucht auch die hier Frauen oben in der Teestube. Aber genau wie bei den deutschen Bewohnern ist auch bei den türkischen Frauen ist das religiöse Empfinden ganz unterschiedlich. Nur eine der Damen trägt Kopftuch.
"Wir machen Ramadan, wir feiern das Fastenbrechen, wir feiern das Opferfest, und wir feiern natürlich Weihnachten und Ostern.
Und egal ob jetzt christlich oder muslimisch, es sind immer von den Bewohnern beide Gruppen auch beteiligt, und die Erfahrung zeigt, dass die Bewohner das nicht als Konfrontation oder merkwürdig erleben sondern da mit einer großen Neugier rangehen und sich wundern wie wenig fremd es Ihnen erscheint."
Der Duft der frischgebackenen Teilchen hat eine Nachbarin angelockt.
Die Dame aus einer der benachbarten Wohngruppen schaut kurz in die Teestube - ein spontaner Besuch.
Modelle für die Pflege von alternden Migranten entwickelten sich bisher im Unsichtbaren - in Duisburg, in Bremen, in Berlin, in Frankfurt. Als die ersten Muslime pflegebedürftig wurden, haben die Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen experimentiert, mit türkischen Imbissbuden zusammengearbeitet. Im letzten Jahr eröffnete in Berlin das erste Pflegeheim ausschließlich für Muslime. Türk Uzur Evi. Ute Bychowski ist skeptisch.
"Wenn man jetzt sagen würde, es geht gar nicht anders, man kann kein interkulturelles Haus machen, in denen sich Migranten mit Deutschen wohlfühlen, dann würde ich sagen, muss man so ein ethnisches Konzept umsetzen. Aber ich finde, wir sehen hier in diesem Haus, dass es geht, und dass es auch nicht so wahnsinnig kompliziert ist, sondern dass man es, finde ich, in jeder Einrichtung umsetzen könnte, und von daher bin ich nicht positiv eingestellt diesen nicht ethnischen Konzepten gegenüber. Ich finde es das auch schade, weil dann ganz viele deutsche Einrichtungen sagen, das ist eine wunderbare Lösung. Dann haben wir eine strikt getrennte Altenhilfe, dann haben wir eine deutsche Altenhilfe und eine für die Migranten."
"Ich bin ganz jung hier hergekommen ... Ich hier Tod. Auch hier Erde. Nicht Türkei. Erde ist Erde."
Ja, Erde ist Erde, ob türkisch oder deutsch."
Alle in der Runde stellen sich diese Frage, oder haben längst entschieden: Frau Birtürk ist die Einzige, die in Deutschland beerdigt werden will. Alle anderen, in der Türkei. Hier am Tisch hat man den Eindruck, dass die türkischen Damen ein Stück "späte" Geborgenheit gefunden haben.
Erstes türkisches Pflegeheim in Deutschland eröffnet
"Haus zum Wohlfühlen'' in Berlin
Von Dorothea Jung
In Berlin hat vor einem halben Jahr das deutschlandweit erste Pflegeheim eröffnet, das ausschließlich nur für türkischstämmige Senioren konzipiert ist. Gekocht wird türkisch und ohne Schweinefleisch und ein islamischer Gebetsraum steht zur Verfügung. Das Heim ist preiswerter als andere, denn die ehemaligen Gastarbeiter bekommen im Schnitt deutlich weniger Rente als ihre deutschen Altersgenossen.
Celal Altun: "Das Andere an diesem Projekt ist, dass das Haus speziell für türkische Bürger zugeschnitten ist. Es ist nicht so, dass man in ein vorhandenes Projekt etwas angeschlossen hat, ein Teil davon nur als multikulturellen Aspekt eingebracht hat; hier ist das gesamte Haus für unsere türkischstämmigen Bürger zugeschnitten; das ist das Unterschied zwischen den anderen Häusern und uns."
Tag der offenen Tür im Türk Huzur Evi, dem türkischen Seniorenpflegeheim in Berlin Kreuzberg. Celal Altun, der Generalsekretär der türkischen Gemeinde zu Berlin hat Landsleute zur Besichtigung geladen. Das Haus ist ein Projekt seines Vereins - und Celal Altun ist sicher, dass es Bewohner finden wird.
"Wir haben zur Zeit bundesweit etwa um die 200.000 registrierte türkische Bürger, die über 60 Jahre sind; wobei wir die fast 800.000 türkischstämmigen Bürger mit deutschem Pass nicht mit drinnen haben in diesen Zahlen; und eine Million Menschen sind an der 60-Jahres-Grenze angelangt. Also: Das Bedürfnis ist da."
Bei türkischer Musik, türkischem Tee und türkischen Keksen sind am Eröffnungstag drei Rollstuhlfahrer durch das Haus gerollt. Cem Arslan, Erol Cengiz und Ali Celik haben den sonnigen Speise-Saal besichtigt und den hellen Freizeitsalon; sie haben die orientalische Wandmalerei im Eingangsbereich bewundert, den nach Mekka ausgerichteten Moscheeraum gewürdigt und die behindertengerechten Zimmer angeschaut. Sie haben den islamgemäßen Speiseplan studiert und sich erklären lassen, dass hier türkisch gesprochen wird - aber die drei türkischen Senioren wollten auf gar keinen Fall einziehen.
"Ich glaub nicht, dass man mich hier im Heim gut pflegen würde. Zu Hause ist es besser. Da kann ich meine Familie bitten, wenn ich Hilfe brauche. Das geht hier ja nicht. Hier werden die Leute dafür bezahlt, dass sie mich pflegen sollen. Letzten Endes kann es denen doch egal sein, wenn ich, entschuldigen Sie, wenn ich in der Scheiße liege."
"Das ist hier ein bisschen so wie im Krankenhaus. In den Zimmern sind zwei Betten. Man ist nirgendwo für sich. Der eine schreit, der andere heult, der Dritte muss aufs Klo oder was weiß ich. Nur, wenn man gar keine andere Möglichkeit hat, sollte man in ein Heim gehen. Also - egal ob die Einrichtung rein türkisch ist oder gemischt - ich würde niemals in ein Heim gehen."
"Eh ich hier in ein türkisches Heim ziehe, geh ich lieber in die Türkei zurück."
Auch heute, ein halbes Jahr nach seiner Eröffnung, ist das Heim noch nicht ausgelastet. Heimleiterin Nejla Kaba-Retzlaff macht sich darüber aber keine Sorgen. Sie weiß, dass viele Senioren skeptisch auf einen Heimaufenthalt reagieren. Da gebe es kaum einen Unterschied zwischen Deutschen und Türken. Und auch die Vorbehalte in den Familien seien vergleichbar.
"Nur: Bei den Türken ist das so, dass die sehr überfordert sind, weil sie oft ihre Rechte nicht kennen. Und selber teilweise mit dem eigenen Leben nicht zurechtkommen; also wir haben schon ganz viele Familien, die eben auch arbeitslos sind, die keine Perspektive haben und einen pflegebedürftigen Vater haben und dann noch dieses Tabu: Jetzt gibt man ab, ne, das ist schwer; das kann man gut nachvollziehen, also in verschiedenen Lebensphasen versagt zu haben, das Gefühl bekommen die Menschen schnell."
Dass bislang nur rund ein Fünftel der 155 Betten im Heim belegt sind, führt Nejla Kaba-Retzlaff vor allem darauf zurück, dass kaum eine türkische Migrantenfamilie jemals von einem Rechtsanspruch auf einen Heimplatz gehört hat. Da muss die 40-jährige Heimleiterin viel Informationsarbeit leisten, um Vertrauen werben - und die Familien immer wieder durchs Haus führen.
"Hier dieser Bereich ist sozusagen Bewohnerbereich, und wir haben einen ganz großen Salon für unser Bewohner, für ihre Angehörige - und wir haben Vögel hier! Vögel sind unheimlich, da kommen noch mehr, aber sie machen ganz viel Dreck, hi hi, aber es wird auch richtig, ja, mit Freude auch begleitet; ein Bewohner, der mag die Vögel sehr, und dann mit ihm zusammen machen wir sauber, dann wird hier gefüttert, Wasser frisch gegeben, und ja: Türken mögen Vögel. Ist auf jeden Fall verbreitet, dass die Wellensittiche und Kanarievögel haben."
Hell ist der Salon, Sonne fällt über den Innenhof auf die großen gerahmten Fotos an der Wand - sie zeigen türkische Basar-Szenen. Die Farbgebung ist überall zart, pastellig, fast luftig. Viel entscheidender als derartige Details ist aber nach Meinung von Nejla Kaba-Retzlafff, dass die die Pflege der Patienten im Türk Huzur Evi generell "kultursensibel" ist.
"Das bedeutet: Ich habe als Pflegekraft einen Menschen vor mir, und ich schau mir an, woher kommt der, ich beziehe den ganzen Menschen mit seiner Biografie, mit seiner Geschichte mit ein. Und das ist natürlich eine bedürfnisorientierte Pflege. Ich gucke genau, was braucht genau dieser Mensch."
Jedes Mitglied im Personalteam des Altenheims hat einen türkischen Migrationshintergrund und kennt sich aus mit dem Schicksal von Heimatverlust und Entwurzelung. Jeder im Stab weiß um die meist religiös motivierte Schamhaftigkeit vieler Bewohner. Im Türk Huzur Evi werden Frauen nur von Frauen und Männer nur von Männern gepflegt. Für Hüseyin Kaya war dieses Konzept ein Grund, sich als Physiotherapeut im Türk Huzur Evi zu bewerben.
"Dass hier auf die Bedürfnisse der türkischen Mitbewohner, muslimischen Mitbewohner eben speziell drauf geachtet wird und so gut wie möglich auch versucht wird, dem entgegenzukommen; und - ja - das hat mir am meisten hier gefallen und gefällt mir immer noch; und das ist eben auch einzigartig."
Das Heim-Essen wird nach islamischen Vorschriften zubereitet, am Freitag kommt ein Imam und predigt in der kleinen Heim-Moschee. Und hier muss kein Bewohner Angst haben, dass die Pflegekräfte ihn nicht verstehen.
"Was für die Menschen aus der Türkei ganz was Besonderes darstellt, ist, dass von der Leitung bis zum Putzfrau, Küchenpersonal, alle die gleiche Sprache sprechen; das ist etwas ganz Neues, so ein Konzept gibt es einfach in Deutschland nicht; das macht die türkischen Menschen in Deutschland froh."
Viele der Bewohner haben in ihrem Leben die Erfahrung gemacht, dass sie entweder auf einen Übersetzer warten oder Missverständnisse in Kauf nehmen müssen, weiß Altenpflegerin Yüksel Sen.
"Die freuen sich dann darüber, dass die mit mir Türkisch reden können und sind dann erleichtert, dass sie verstanden werden. Und die können sich dann so ausdrücken, wie sie es gerne möchten und wir gehen dann den Wünschen genauer nach, weil wir die richtig verstehen."
Der Innenhof des Heims ist als Terrasse gestaltet. Dort sitzen einige Bewohner an Rollstühlen um einen Tisch unter einem Sonnenschirm. Sie lauschen der türkischen Musik, die Yüksel Sen aufgelegt hat. Ein älterer Herr legt eine Hand vor seine Brust, lächelt der Heimleiterin zu und deutet eine leichte Verbeugung an.
Auf einer Bank an der Hauswand blinzelt Ude Djkak in die Sonne. Die 80-Jährige strickt. Rasch und mechanisch, als gelte es, einen Preis zu gewinnen. Ude Djak leidet an Schlaflosigkeit. Was sie in der Nacht strickt, ribbelt sie des Morgens wieder auf und fängt die Handarbeit von vorn an. Offenbar ohne großes Bedauern.
Aciye Tas stimmt in das Lachen der alten Frau ein. Aciye Tas ist mehr als 40 Jahre jünger als ihre strickende Mitbewohnerin und leidet an Multipler Sklerose. Die kleine Frau mit Bubikopf und Kapuzenshirt strahlt trotz ihrer Krankheit Energie und gute Laune aus. Aciye Tas hat sich ganz bewusst für dieses Heim entschieden.
"Ach, ich werde immer gut versorgt. Also zu Hause, meine Mutter, hatte keine Versorgung für mich; die musste dann auch zum Arbeiten gehen, und ich hab meinen Sohn bei ihr gelassen. Und das wollte ich auch selber. Ich hab einen 16-jährigen Sohn, der war gestern bei mir. Aber der macht Praktikum zurzeit."
Darum kann er nicht so oft kommen wie sonst, wenn er zur Schule geht. Auf die Frage, wie sie sich als jüngerer Mensch unter den älteren Mitbewohnern fühlt, antwortet Aciye Tas:
"Also, ich finde, die passen auf mich auf. Ja, doch!"
Es ist heiß geworden auf der Terrasse, Aciye Tas und zwei Mitbewohner ziehen sich in den kühleren Besuchersalon zurück, wo der Riesen-Fernsehbildschirm eine türkische Unterhaltungsshow zeigt.
Im Eingangsbereich wartet derweil eine Rollstuhlfahrerin auf ihre Pflegerin. Ein Arztbesuch steht auf dem Programm. Die Bewohnerin ist offenbar demenzkrank und kann sich nicht mehr deutlich artikulieren. Sie schaut missmutig drein, als sei irgendetwas nicht in Ordnung
Die Pflegerin kommt und bringt ein Kopftuch mit. Das zeigt sie der alten Frau, und die nickt strahlend. Mit zwei, drei routinierten Bewegungen, die verraten, dass die Pflegerin in ihrem Leben viele tausend Kopftücher gebunden hat, legt sie der Seniorin das Tuch um.
Dann stupst sie der Bewohnerin leicht auf die Nase, sagt etwas Neckendes, das die Frau zum Lachen bringt und schiebt los.
Das Türk Huzur Evi steht erst am Anfang seiner Geschichte als türkisches Senioren- und Pflegeheim. Heimleiterin Nejla Kaba-Retzlaff musste sich im letzten halben Jahr sich oft den Vorwurf gefallen lassen, dass ein 'Altenheim nur für Türken' integrationsfeindlich sei.
"Es geht nicht um Kinder, die man hier aufbewahrt und nur türkisch spricht, sondern es sind einfach alte, kranke Menschen, die eben 'ne Migrationsgeschichte haben, die viele Verletzungen haben. Was will man da noch integrieren? Er hat Schlaganfall, er hat keine Sprachkompetenzen mehr - und die eben hier besser aufgehoben sind. Für die, die das wollen, natürlich. Und es gibt, und wird es immer geben, die, die das nicht brauchen, und die eben sich anders entscheiden, und das ist alles legitim."
In der türkischen Presse stand das Türk Huzur Evi, das türkische Senioren- und Pflegeheim von Berlin Kreuzberg, in der Kritik, weil es nicht nur ein Projekt der Türkischen Gemeinde zu Berlin, sondern auch der Marseille-Kliniken ist. Unternehmensgründer Ullrich Marseille hatte sich nämlich einst in Sachsen-Anhalt für die Schill-Partei engagiert. Die rechtskonservative Ausrichtung der Schillpartei hatten die Zeitungen für unvereinbar mit der Errichtung eines türkischen Altenheims gehalten. Heimleiterin Kaba-Retzlaff hat diese Presse ohne Begeisterung zur Kenntnis genommen. Die Türkische Gemeinde betreibe mit dem Heim ein wichtiges soziales Projekt, sagt sie, da dürfe man sich durch derartige Medienberichte nicht beirren lassen. Aber vielleicht wäre das ohnehin eine neue Geschichte.
"Aber ich gern in Deutschland leben. Sehr gern."
"Frau Birtürk seit wann sind sie in Deutschland? Das habe ich noch nicht verstanden?"
"Ich bin 22 alt, ich bin nach Deutschland gekommen. Dann ich habe viele Jahre Arbeit. Wiesbaden."
Fehime Birtürk, eine kräftige Frau mit kurzen grauen Locken, ist Anfang der 60er Jahre nach Deutschland gekommen. Damals war sie 22. Sie ist in Anatolien geboren, hat in Istanbul gelebt, 20 Jahre lang hat sie in einem deutschen Krankenhaus gearbeitet. Erst seit Kurzem hat ihre Familie sie im interkulturellen Pflegeheim Victor Gollancz untergebracht, in der Wohngruppe für pflegebedürftige Musliminnen und Muslime. Sie wirkt froh, dass andere Türkinnen um sie herum sind und sie türkisch sprechen kann.
"Wunderbar. Ich habe andere Altersheim gesehen. Ich konnte nie schlafen. Wunderbar hier. Sehr gut. Alle zusammen ist besser. Ist besser. Türkin mit Deutschen zusammen ist nicht so gut."
Ich habe niemand in Istanbul. Meine Kinder und Enkel auch in Deutschland wohnen, die hier geboren. Meine Tochter auch. Was sollen ich gehen in Türkei. Kennen Leute mich nicht. Oder?"
Fehime Birtürk ist in Deutschland alt geworden. Sie hat Autofahren gelernt und Freiheiten genossen, die sie in der Türkei als Frau nicht hatte, betont sie. In der Türkei fühlt sie sich mittlerweile selbst fremd. Anders Frau Kiras. Sie hatte mit ihrem Mann nach einem langen Arbeitsleben schon den Umzug in die Türkei geplant. Plötzlich wurde er zum Pflegefall. Jetzt besucht sie ihn täglich im Pflegeheim, und unterhält sich gerne mit den anderen Türkinnen.
Ute Bychowski, die Leiterin des Pflegeheims sitzt heute mit den alten Damen zum Tee. Sie hat das Konzept einer "kultur-sensiblen Pflege", wie sie es selbst nennt, für das Victor-Gollancz-Haus entwickelt.
"Ich glaube, dass es wichtig ist, so etwas wie einen sicheren Hafen zu bieten. Das ist hier die Wohngruppe und das ist hier auch diese Teestube. Hier wird türkischer Tee getrunken, hier wird in der Regel Türkisch gesprochen. Es gibt türkische Spezialitäten, Kaffee, d.h. die Menschen haben hier richtig einen Ort, wo sie sagen, was etwas Heimatliches hat.
Und gleichzeitig gibt es aber Begegnungen mit den deutschen Bewohnern, sei es bei einer Frühstücksrunde, sei es bei einer Kunsttherapie, bei der Gymnastik, und natürlich bei allen Festen."
Für den Alltag der Bewohner heißt das: im ganzen Haus sind die Hinweisschilder in Deutsch und in Türkisch zu lesen. Es gibt mehrere zweisprachige Mitarbeiter. Kontakte zur türkischen Gemeinde sind geknüpft. Der Imam kommt mindestens einmal die Woche. Acht Frauen und vier muslimische Männer leben zurzeit im Haus. Ein türkischer Mann bewohnt auf eigenen Wunsch ein Zimmer im "deutschen" Trakt. Er kommt aber zum gemeinsamen Essen und öfter auch mal auf einen Tee in der Teeküche vorbei und spricht hier mit den Damen ein bisschen Türkisch.
"Diese Bewohner vermissen sehr Heimatessen."
Nasan Sezgin die Krankenpflegehelferin und Yildiz Dag, die Köchin, beide sind Türkinnen, sind für die Pflegeleitung wichtige Ratgeberinnen. Sie übersetzen die Bedürfnisse der alten Damen. Das Ergebnis: Eine sehr persönliche Art der Betreuung. Yildiz Dag, eine quirlige Frau um die 40, kauft jeden Tag ein, und kocht das Helal – Essen, manchmal machen die alten Damen mit, rollen Weinblätter, helfen Teig kneten. Nasan Sezgin, Mitte 20, übernimmt die Pflege. Hier in der Wohngruppe 6 hat sie oft mehr Arbeit - das Pflegebedürfnis ist bei den Musliminnen größer.
"Die Leute wollen zweimal die Woche duschen mit Haare. Eigener Wunsch: Zweimal duschen, zweimal mit Haare."
Das Bild von der türkischen Großfamilie, die selbstverständlich die Versorgung der Alten übernimmt, ist nur noch ein Bild in unseren Köpfen, ein Mythos, sagt Ute Bychowski.
"Der Gleiche besteht natürlich auch grade bei den Migranten in einem unglaublichen Ausmaß, also dass die Familie für die Pflege im Alter zuständig sein muss. Und in der Türkei sich jetzt in den Großstädten herausgestellt hat, dass es diese Großfamilie, die diese Pflegebedürftigkeit auffangen kann, nicht mehr gibt, und natürlich mit dem steigenden Alter, die Hochaltrigkeit gab es in der Türkei oder in anderen muslimischen Ländern nicht, wie sie die in den europäischen Ländern gegeben hat, ich kann vielleicht mal einen Verwandten 90 Jahre pflegen, aber wenn der Durchschnitt 80 oder 90 wird, übersteigt das den Durchschnitt der nachwachsenden Generation."
Frau Kumru, zum Beispiel, die kleine Dame mit schwarzem Zopf, ist in den 50er Jahren allein mit einer Tochter nach Deutschland gekommen, war Geschäftsfrau in Offenbach am Main. Ihre berufstätige Tochter hat sie vorübergehend im Pflegeheim untergebracht, weil sie die Pflege der Mutter nicht allein leisten kann.
"Bin ich schon lange in Deutschland. Seit 1952 ... In Offenbach ... Offenbach ..."
An ihre Vergangenheit in Offenbach am Main, wo sie gelebt und ihre Kinder großgezogen hat, erinnert sich Ferideh Kumru nur noch in Bruchstücken. Sie hatte ein Geschäft, davon erzählt sie gern. Einige der Frauen betonen, dass sie gern in Deutschland leben - von ihrer Arbeit reden die meisten nicht. "Negative Erfahrungen in der Arbeitswelt sind oft mit Scham belegt", hat Ute Bychowski beobachtet.
"Das heißt, für uns war es wichtig, zwei Erfahrungen zu ermöglichen, das eine, dass die Menschen hier von Deutschen geschätzt werden, dass auch ihre Religiosität eine Wertschätzung erhält."
Keine kühle Kacheln, sondern flauschiger Teppich in honiggelb, kleine geschnitzte Hocker, dunkelrote Kissen, eine mit orientalischen Schnitzereien verkleidete Gebetsnische, die in Richtung Osten, nach Mekka, ausgerichtet ist. Der Gebetsraum in der unteren Etage liegt neben dem christlichen Raum der Stille. Zum Altwerden gehört die Vorbereitung auf den Tod. Religiöse Gefühle spielen in dieser Lebensphase oft eine größere Rolle. Einmal in der Woche kommt ein Imam zu Besuch, hält das Freitagsgebet, aber er besucht auch die hier Frauen oben in der Teestube. Aber genau wie bei den deutschen Bewohnern ist auch bei den türkischen Frauen ist das religiöse Empfinden ganz unterschiedlich. Nur eine der Damen trägt Kopftuch.
"Wir machen Ramadan, wir feiern das Fastenbrechen, wir feiern das Opferfest, und wir feiern natürlich Weihnachten und Ostern.
Und egal ob jetzt christlich oder muslimisch, es sind immer von den Bewohnern beide Gruppen auch beteiligt, und die Erfahrung zeigt, dass die Bewohner das nicht als Konfrontation oder merkwürdig erleben sondern da mit einer großen Neugier rangehen und sich wundern wie wenig fremd es Ihnen erscheint."
Der Duft der frischgebackenen Teilchen hat eine Nachbarin angelockt.
Die Dame aus einer der benachbarten Wohngruppen schaut kurz in die Teestube - ein spontaner Besuch.
Modelle für die Pflege von alternden Migranten entwickelten sich bisher im Unsichtbaren - in Duisburg, in Bremen, in Berlin, in Frankfurt. Als die ersten Muslime pflegebedürftig wurden, haben die Mitarbeiter der Pflegeeinrichtungen experimentiert, mit türkischen Imbissbuden zusammengearbeitet. Im letzten Jahr eröffnete in Berlin das erste Pflegeheim ausschließlich für Muslime. Türk Uzur Evi. Ute Bychowski ist skeptisch.
"Wenn man jetzt sagen würde, es geht gar nicht anders, man kann kein interkulturelles Haus machen, in denen sich Migranten mit Deutschen wohlfühlen, dann würde ich sagen, muss man so ein ethnisches Konzept umsetzen. Aber ich finde, wir sehen hier in diesem Haus, dass es geht, und dass es auch nicht so wahnsinnig kompliziert ist, sondern dass man es, finde ich, in jeder Einrichtung umsetzen könnte, und von daher bin ich nicht positiv eingestellt diesen nicht ethnischen Konzepten gegenüber. Ich finde es das auch schade, weil dann ganz viele deutsche Einrichtungen sagen, das ist eine wunderbare Lösung. Dann haben wir eine strikt getrennte Altenhilfe, dann haben wir eine deutsche Altenhilfe und eine für die Migranten."
"Ich bin ganz jung hier hergekommen ... Ich hier Tod. Auch hier Erde. Nicht Türkei. Erde ist Erde."
Ja, Erde ist Erde, ob türkisch oder deutsch."
Alle in der Runde stellen sich diese Frage, oder haben längst entschieden: Frau Birtürk ist die Einzige, die in Deutschland beerdigt werden will. Alle anderen, in der Türkei. Hier am Tisch hat man den Eindruck, dass die türkischen Damen ein Stück "späte" Geborgenheit gefunden haben.
Erstes türkisches Pflegeheim in Deutschland eröffnet
"Haus zum Wohlfühlen'' in Berlin
Von Dorothea Jung
In Berlin hat vor einem halben Jahr das deutschlandweit erste Pflegeheim eröffnet, das ausschließlich nur für türkischstämmige Senioren konzipiert ist. Gekocht wird türkisch und ohne Schweinefleisch und ein islamischer Gebetsraum steht zur Verfügung. Das Heim ist preiswerter als andere, denn die ehemaligen Gastarbeiter bekommen im Schnitt deutlich weniger Rente als ihre deutschen Altersgenossen.
Celal Altun: "Das Andere an diesem Projekt ist, dass das Haus speziell für türkische Bürger zugeschnitten ist. Es ist nicht so, dass man in ein vorhandenes Projekt etwas angeschlossen hat, ein Teil davon nur als multikulturellen Aspekt eingebracht hat; hier ist das gesamte Haus für unsere türkischstämmigen Bürger zugeschnitten; das ist das Unterschied zwischen den anderen Häusern und uns."
Tag der offenen Tür im Türk Huzur Evi, dem türkischen Seniorenpflegeheim in Berlin Kreuzberg. Celal Altun, der Generalsekretär der türkischen Gemeinde zu Berlin hat Landsleute zur Besichtigung geladen. Das Haus ist ein Projekt seines Vereins - und Celal Altun ist sicher, dass es Bewohner finden wird.
"Wir haben zur Zeit bundesweit etwa um die 200.000 registrierte türkische Bürger, die über 60 Jahre sind; wobei wir die fast 800.000 türkischstämmigen Bürger mit deutschem Pass nicht mit drinnen haben in diesen Zahlen; und eine Million Menschen sind an der 60-Jahres-Grenze angelangt. Also: Das Bedürfnis ist da."
Bei türkischer Musik, türkischem Tee und türkischen Keksen sind am Eröffnungstag drei Rollstuhlfahrer durch das Haus gerollt. Cem Arslan, Erol Cengiz und Ali Celik haben den sonnigen Speise-Saal besichtigt und den hellen Freizeitsalon; sie haben die orientalische Wandmalerei im Eingangsbereich bewundert, den nach Mekka ausgerichteten Moscheeraum gewürdigt und die behindertengerechten Zimmer angeschaut. Sie haben den islamgemäßen Speiseplan studiert und sich erklären lassen, dass hier türkisch gesprochen wird - aber die drei türkischen Senioren wollten auf gar keinen Fall einziehen.
"Ich glaub nicht, dass man mich hier im Heim gut pflegen würde. Zu Hause ist es besser. Da kann ich meine Familie bitten, wenn ich Hilfe brauche. Das geht hier ja nicht. Hier werden die Leute dafür bezahlt, dass sie mich pflegen sollen. Letzten Endes kann es denen doch egal sein, wenn ich, entschuldigen Sie, wenn ich in der Scheiße liege."
"Das ist hier ein bisschen so wie im Krankenhaus. In den Zimmern sind zwei Betten. Man ist nirgendwo für sich. Der eine schreit, der andere heult, der Dritte muss aufs Klo oder was weiß ich. Nur, wenn man gar keine andere Möglichkeit hat, sollte man in ein Heim gehen. Also - egal ob die Einrichtung rein türkisch ist oder gemischt - ich würde niemals in ein Heim gehen."
"Eh ich hier in ein türkisches Heim ziehe, geh ich lieber in die Türkei zurück."
Auch heute, ein halbes Jahr nach seiner Eröffnung, ist das Heim noch nicht ausgelastet. Heimleiterin Nejla Kaba-Retzlaff macht sich darüber aber keine Sorgen. Sie weiß, dass viele Senioren skeptisch auf einen Heimaufenthalt reagieren. Da gebe es kaum einen Unterschied zwischen Deutschen und Türken. Und auch die Vorbehalte in den Familien seien vergleichbar.
"Nur: Bei den Türken ist das so, dass die sehr überfordert sind, weil sie oft ihre Rechte nicht kennen. Und selber teilweise mit dem eigenen Leben nicht zurechtkommen; also wir haben schon ganz viele Familien, die eben auch arbeitslos sind, die keine Perspektive haben und einen pflegebedürftigen Vater haben und dann noch dieses Tabu: Jetzt gibt man ab, ne, das ist schwer; das kann man gut nachvollziehen, also in verschiedenen Lebensphasen versagt zu haben, das Gefühl bekommen die Menschen schnell."
Dass bislang nur rund ein Fünftel der 155 Betten im Heim belegt sind, führt Nejla Kaba-Retzlaff vor allem darauf zurück, dass kaum eine türkische Migrantenfamilie jemals von einem Rechtsanspruch auf einen Heimplatz gehört hat. Da muss die 40-jährige Heimleiterin viel Informationsarbeit leisten, um Vertrauen werben - und die Familien immer wieder durchs Haus führen.
"Hier dieser Bereich ist sozusagen Bewohnerbereich, und wir haben einen ganz großen Salon für unser Bewohner, für ihre Angehörige - und wir haben Vögel hier! Vögel sind unheimlich, da kommen noch mehr, aber sie machen ganz viel Dreck, hi hi, aber es wird auch richtig, ja, mit Freude auch begleitet; ein Bewohner, der mag die Vögel sehr, und dann mit ihm zusammen machen wir sauber, dann wird hier gefüttert, Wasser frisch gegeben, und ja: Türken mögen Vögel. Ist auf jeden Fall verbreitet, dass die Wellensittiche und Kanarievögel haben."
Hell ist der Salon, Sonne fällt über den Innenhof auf die großen gerahmten Fotos an der Wand - sie zeigen türkische Basar-Szenen. Die Farbgebung ist überall zart, pastellig, fast luftig. Viel entscheidender als derartige Details ist aber nach Meinung von Nejla Kaba-Retzlafff, dass die die Pflege der Patienten im Türk Huzur Evi generell "kultursensibel" ist.
"Das bedeutet: Ich habe als Pflegekraft einen Menschen vor mir, und ich schau mir an, woher kommt der, ich beziehe den ganzen Menschen mit seiner Biografie, mit seiner Geschichte mit ein. Und das ist natürlich eine bedürfnisorientierte Pflege. Ich gucke genau, was braucht genau dieser Mensch."
Jedes Mitglied im Personalteam des Altenheims hat einen türkischen Migrationshintergrund und kennt sich aus mit dem Schicksal von Heimatverlust und Entwurzelung. Jeder im Stab weiß um die meist religiös motivierte Schamhaftigkeit vieler Bewohner. Im Türk Huzur Evi werden Frauen nur von Frauen und Männer nur von Männern gepflegt. Für Hüseyin Kaya war dieses Konzept ein Grund, sich als Physiotherapeut im Türk Huzur Evi zu bewerben.
"Dass hier auf die Bedürfnisse der türkischen Mitbewohner, muslimischen Mitbewohner eben speziell drauf geachtet wird und so gut wie möglich auch versucht wird, dem entgegenzukommen; und - ja - das hat mir am meisten hier gefallen und gefällt mir immer noch; und das ist eben auch einzigartig."
Das Heim-Essen wird nach islamischen Vorschriften zubereitet, am Freitag kommt ein Imam und predigt in der kleinen Heim-Moschee. Und hier muss kein Bewohner Angst haben, dass die Pflegekräfte ihn nicht verstehen.
"Was für die Menschen aus der Türkei ganz was Besonderes darstellt, ist, dass von der Leitung bis zum Putzfrau, Küchenpersonal, alle die gleiche Sprache sprechen; das ist etwas ganz Neues, so ein Konzept gibt es einfach in Deutschland nicht; das macht die türkischen Menschen in Deutschland froh."
Viele der Bewohner haben in ihrem Leben die Erfahrung gemacht, dass sie entweder auf einen Übersetzer warten oder Missverständnisse in Kauf nehmen müssen, weiß Altenpflegerin Yüksel Sen.
"Die freuen sich dann darüber, dass die mit mir Türkisch reden können und sind dann erleichtert, dass sie verstanden werden. Und die können sich dann so ausdrücken, wie sie es gerne möchten und wir gehen dann den Wünschen genauer nach, weil wir die richtig verstehen."
Der Innenhof des Heims ist als Terrasse gestaltet. Dort sitzen einige Bewohner an Rollstühlen um einen Tisch unter einem Sonnenschirm. Sie lauschen der türkischen Musik, die Yüksel Sen aufgelegt hat. Ein älterer Herr legt eine Hand vor seine Brust, lächelt der Heimleiterin zu und deutet eine leichte Verbeugung an.
Auf einer Bank an der Hauswand blinzelt Ude Djkak in die Sonne. Die 80-Jährige strickt. Rasch und mechanisch, als gelte es, einen Preis zu gewinnen. Ude Djak leidet an Schlaflosigkeit. Was sie in der Nacht strickt, ribbelt sie des Morgens wieder auf und fängt die Handarbeit von vorn an. Offenbar ohne großes Bedauern.
Aciye Tas stimmt in das Lachen der alten Frau ein. Aciye Tas ist mehr als 40 Jahre jünger als ihre strickende Mitbewohnerin und leidet an Multipler Sklerose. Die kleine Frau mit Bubikopf und Kapuzenshirt strahlt trotz ihrer Krankheit Energie und gute Laune aus. Aciye Tas hat sich ganz bewusst für dieses Heim entschieden.
"Ach, ich werde immer gut versorgt. Also zu Hause, meine Mutter, hatte keine Versorgung für mich; die musste dann auch zum Arbeiten gehen, und ich hab meinen Sohn bei ihr gelassen. Und das wollte ich auch selber. Ich hab einen 16-jährigen Sohn, der war gestern bei mir. Aber der macht Praktikum zurzeit."
Darum kann er nicht so oft kommen wie sonst, wenn er zur Schule geht. Auf die Frage, wie sie sich als jüngerer Mensch unter den älteren Mitbewohnern fühlt, antwortet Aciye Tas:
"Also, ich finde, die passen auf mich auf. Ja, doch!"
Es ist heiß geworden auf der Terrasse, Aciye Tas und zwei Mitbewohner ziehen sich in den kühleren Besuchersalon zurück, wo der Riesen-Fernsehbildschirm eine türkische Unterhaltungsshow zeigt.
Im Eingangsbereich wartet derweil eine Rollstuhlfahrerin auf ihre Pflegerin. Ein Arztbesuch steht auf dem Programm. Die Bewohnerin ist offenbar demenzkrank und kann sich nicht mehr deutlich artikulieren. Sie schaut missmutig drein, als sei irgendetwas nicht in Ordnung
Die Pflegerin kommt und bringt ein Kopftuch mit. Das zeigt sie der alten Frau, und die nickt strahlend. Mit zwei, drei routinierten Bewegungen, die verraten, dass die Pflegerin in ihrem Leben viele tausend Kopftücher gebunden hat, legt sie der Seniorin das Tuch um.
Dann stupst sie der Bewohnerin leicht auf die Nase, sagt etwas Neckendes, das die Frau zum Lachen bringt und schiebt los.
Das Türk Huzur Evi steht erst am Anfang seiner Geschichte als türkisches Senioren- und Pflegeheim. Heimleiterin Nejla Kaba-Retzlaff musste sich im letzten halben Jahr sich oft den Vorwurf gefallen lassen, dass ein 'Altenheim nur für Türken' integrationsfeindlich sei.
"Es geht nicht um Kinder, die man hier aufbewahrt und nur türkisch spricht, sondern es sind einfach alte, kranke Menschen, die eben 'ne Migrationsgeschichte haben, die viele Verletzungen haben. Was will man da noch integrieren? Er hat Schlaganfall, er hat keine Sprachkompetenzen mehr - und die eben hier besser aufgehoben sind. Für die, die das wollen, natürlich. Und es gibt, und wird es immer geben, die, die das nicht brauchen, und die eben sich anders entscheiden, und das ist alles legitim."
In der türkischen Presse stand das Türk Huzur Evi, das türkische Senioren- und Pflegeheim von Berlin Kreuzberg, in der Kritik, weil es nicht nur ein Projekt der Türkischen Gemeinde zu Berlin, sondern auch der Marseille-Kliniken ist. Unternehmensgründer Ullrich Marseille hatte sich nämlich einst in Sachsen-Anhalt für die Schill-Partei engagiert. Die rechtskonservative Ausrichtung der Schillpartei hatten die Zeitungen für unvereinbar mit der Errichtung eines türkischen Altenheims gehalten. Heimleiterin Kaba-Retzlaff hat diese Presse ohne Begeisterung zur Kenntnis genommen. Die Türkische Gemeinde betreibe mit dem Heim ein wichtiges soziales Projekt, sagt sie, da dürfe man sich durch derartige Medienberichte nicht beirren lassen. Aber vielleicht wäre das ohnehin eine neue Geschichte.