Keine Witze über Nasen

Von Mario Scalla · 08.08.2008
Respektlos, witzig und fantasiereich sind die türkischen Karikaturen. Nicht zurückgenommen und durch Tabus gezügelt, wie so mancher Westeuropäer nach dem Karikaturenstreit vermuten mag. Die Ausstellung "Die Nase des Sultans" zeigt im Museum der Weltkulturen in Frankfurt aktuelle und historische Zeitungskarikaturen aus dem muslimischen Land.
Am Anfang war die Nase. Sultan Abdülhamid II. hatte ein enormes Riechorgan und wurde deshalb gehörig verspottet und karikiert. Das gefiel ihm gar nicht und so verbot er alle Karikaturen und das Wort Nase in den Zeitungen gleich mit. Folglich durfte in der türkischen Presse niemandem eine Nase gedreht, niemandem etwas aus der Nase gezogen werden, und bis zum Tod des Sultans 1918 war es strengstens verboten, öffentlich naseweis zu sein.

So streng geht es mittlerweile in der Türkei schon lange nicht mehr zu. Die Ausstellung im Frankfurter Museum für Weltkulturen versammelt Beispiele von Karikaturen, die dort seit den fünfziger Jahren in großen Tageszeitungen veröffentlicht wurden. Viele sind sehr politisch, aber nicht auf Politik beschränkt. Bereits am Eingang wird der Besucher mit dem Liebesleben des urbanen türkischen Mittelstandsbürgers konfrontiert und merkt, dass es sich von dem des westlichen Stadtbürgers nicht wesentlich unterscheidet. Kurator Thomas Büsch erläutert Konzept und Bandbreite seiner Ausstellung:

"Aufhänger ist Karikaturenstreit, thematisch aber geht es über Geschlechterfrage, Migration in die Städte. Wir wollten die Lebensumstände in der Türkei in Deutschland näher bringen."

Und das ist ihnen auch gelungen. Religion und Politik sind natürlich ein beliebtes Thema, das in längeren Bildergeschichten oder kurzen Szenen aufgenommen wird. So unterhält sich der türkische Religionsminister mit dem Papst. Und worüber sprechen Sie? Über die Qualität ihrer Kleidungsstoffe und über die Qualität von Seide - und dem Papst gefallen die Goldstickereien auf den Roben der türkischen Geistlichen hier ausnehmend gut. Auf einer Alltagsebene können sich die religiösen Oberhäupter blendend verständigen - könnte das nicht ein guter Anfang für einen Dialog sein? Hinter dem Witz lauert Nachdenklichkeit.

Andere sind durchaus deftig, etwa wenn die Pornoindustrie in der Türkei aufs Korn genommen wird. Eine andere Karikatur sieht aus, als hätte Gerhard Seyfried Pate gestanden. Auf einer Strandparty lümmeln sich langhaarige verstrubbelte Gestalten, die im alternativen Berliner Milieu kaum aufgefallen wären.

Wer sich jetzt wundert, welche Blüte die Form der Karikatur in der Türkei annehmen kann, dem erklärt Kurator Thomas Büsch:

"Man muss wissen: Karikaturen haben dort immer eine Form der Kritik gehabt, seit dem osmanischen Reich. Sie wurden übernommen aus Europa, aber dann in der Türkei etabliert. Zum Beispiel wird das Kopftuch immer wieder Thema."

Eine türkische Schönheit spaziert durch seichtes Gewässer. Plötzlich taucht eine Haiflosse neben ihr auf, die sich jedoch als gewagt gebundenes Kopftuch entpuppt. Der Schreck ist nicht gering und führt zur Frage, was denn nun gefährlicher ist: Hai oder Kopftuch.

Viele Karikaturen sind respektlos, witzig und fantasiereich. Der bittere Ernst des Karikaturenstreits taucht in dieser Ausstellung an keiner Stelle auf. Satirisch wird Kritik geübt und an keiner Stelle hat der Besucher den Eindruck, es werde ein Tabu umschifft oder ein besonders heißes Eisen ausgespart. Auch der verdruckste Humor, nach dem Motto: Wir tun mal so, als würden wir uns drüber lustig machen, bleiben aber dabei lieb und brav, taucht an keiner Stelle auf, es regiert die spitze Feder.

Ein Tabu allerdings existiert doch, und zwar eines, das im Westen in dieser Form unbekannt ist. Thomas Büsch erklärt:

"Ein Problem ist: Wenn Menschen als Tiere dargestellt werden, das wird nicht akzeptiert. Beispielsweise wenn der türkische Ministerpräsident als Zecke dargestellt wird. Aber das führt zu Zivilprozessen und bis auf einen Fall haben die Gerichte für die Karikaturen entschieden. Kritik ist aber selbstverständlich, insofern ist die Türkei in Europa angekommen."

Zivilprozesse über boshafte Karikaturen hat es auch in Deutschland häufig gegeben, insofern herrscht auch in der Türkei europäische Normalität. Auch andere Themen kehren wieder. Über Migration in die Städte wird in der Türkei seit Jahren viel diskutiert. Siebzig Prozent aller Türken leben heute in den Großstädten. Das klassische Landleben, in Anatolien und anderswo, wird gerne gelobt und verherrlicht - aber gibt es das überhaupt noch? Ist nicht noch im letzten Dorf die urbane Kultur angekommen? In einer Bilderfolge wird eine thrakische Bäuerin gezeigt, die in alter Weise das Feld pflügt. Abends hingegen präsentiert sie sich im feschen Neglige und dokumentiert der versammelten Bäuerinnenschar die Vorzüge der bösen Großstadtkultur.

Es gibt also nicht nur einen, es gibt viele Karikaturenstreite in der Türkei. Die Bilderzeichnungen provozieren Debatten, Auseinandersetzungen, zuweilen beschäftigen sie auch die Gerichte. Aber alles bleibt im zivilen und alltäglichen Rahmen.