Keineswegs altersmilde
Als 1992 das Buch "weiter leben" erschien, war die 1931 in Wien geborene amerikanische Germanistin in Deutschland allenfalls in Fachkreisen bekannt. Mit dem Bestsellererfolg von "weiter leben" änderte sich da schlagartig. Klügers Erinnerungsbuch, in dem sie von ihrer Kindheit und Jugend im Holocaust, der Deportation in die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz, Christianstadt im Alter von elf Jahren erzählt, gilt heute als eines der bedeutsamsten Werke der neueren deutschen Literatur und als Klassiker der Holocaust-Literatur.
Nun ist ein weiteres Buch von Ruth Klüger erschienen. Der Titel klingt nach Nüchternheit und Melancholie: "Unterwegs verloren". In vieler Hinsicht nimmt das zweite autobiografische Buch Ruth Klügers den Faden des ersten, "weiter leben" auf. Ruth Klüger skizziert in der Reflexionsprosa von "unterwegs verloren" Szenen, Episoden, Themen aus ihrem Leben in Amerika.
Sie war sechzehn Jahre alt, als sie zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Mutter in die USA übersiedelte, in New York und in einer neuen Sprache ankam. Erst fünfzehn Jahre später, nach beruflichen Umwegen, einer gescheiterten Ehe, der Geburt ihrer zwei Söhne, begann Ruth Klüger mit 31 Jahren in Berkeley Germanistik zu studieren. Der Beginn einer glänzenden akademischen Karriere.
In "unterwegs verloren" zeigt Ruth Klüger allerdings weniger auf den Glanz denn auf den Schatten ihres Lebens im Nachkriegsamerika. Keineswegs stimmt sie ein Loblied auf die politischen Errungenschaften der freien, demokratischen Welt Neuen Welt an. Vielmehr rechnet sie mit den Zumutungen eines düsteren Zwillingspaares ab: Mit dem subtilen Antisemitismus und dem groben Machismus westlicher Gesellschaften. Mit Diskriminierungen, die sie als Jüdin und als Frau, zumal in den 50er und 60er Jahren, im Universitätsleben erfuhr.
Dass sie von der Haltung rhetorischer und zeremonieller Versöhnlichkeit nicht viel hält, hat die 77-jährige Ruth Klüger oft geäußert. Dass ihr die Haltung sogenannter Altersmilde mindestens genauso fremd ist, leitet sich daraus ab. Auch über Privates, über das gestörte Verhältnis zu ihrer Mutter, das schwierige zu ihren Söhnen schreibt Ruth Klüger in den neuen Erinnerungen.
Es ist das Buch einer ebenso empfindsamen wie aggressiven, politischen und menschlichen Kränkbarkeit. Ein, wenn man so will, tatsächlich schonungsloses Buch, denn die Autorin schont darin weder sich, noch andere. Ein Fluchtmensch, schreibt Ruth Klüger, sei sie nach der Verfolgung durch den Nationalsozialismus geblieben und immer gewesen. Dünnhäutig, zornesfähig und gelegentlich robust in der Gegenwehr: Einem Universitätskollegen, von dem sich Ruth Klüger vor Jahren verunglimpft fühlte, schüttete sie öffentlich ein Glas Wein ins Gesicht.
Auch stilistisch erinnert "unterwegs verloren" an ihr Erfolgsbuch "weiter leben". Ruth Klüger schreibt nüchtern, bisweilen salopp, bisweilen mit einem etwas sarkastischen Humor. Über die Weinglas-Attacke merkt sie an: So etwas dürfe eine Frau nur einmal im Leben machen, sonst gelte sie als Flintenweib und die Gelegenheit für dieses eine Mal müsse sie sich genau überlegen.
Rezensiert von Ursula März
Ruth Klüger: unterwegs verloren. Erinnerungen
Zsolnay Verlag, Wien 2008
240 Seiten. 19,90 Euro
Sie war sechzehn Jahre alt, als sie zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihrer Mutter in die USA übersiedelte, in New York und in einer neuen Sprache ankam. Erst fünfzehn Jahre später, nach beruflichen Umwegen, einer gescheiterten Ehe, der Geburt ihrer zwei Söhne, begann Ruth Klüger mit 31 Jahren in Berkeley Germanistik zu studieren. Der Beginn einer glänzenden akademischen Karriere.
In "unterwegs verloren" zeigt Ruth Klüger allerdings weniger auf den Glanz denn auf den Schatten ihres Lebens im Nachkriegsamerika. Keineswegs stimmt sie ein Loblied auf die politischen Errungenschaften der freien, demokratischen Welt Neuen Welt an. Vielmehr rechnet sie mit den Zumutungen eines düsteren Zwillingspaares ab: Mit dem subtilen Antisemitismus und dem groben Machismus westlicher Gesellschaften. Mit Diskriminierungen, die sie als Jüdin und als Frau, zumal in den 50er und 60er Jahren, im Universitätsleben erfuhr.
Dass sie von der Haltung rhetorischer und zeremonieller Versöhnlichkeit nicht viel hält, hat die 77-jährige Ruth Klüger oft geäußert. Dass ihr die Haltung sogenannter Altersmilde mindestens genauso fremd ist, leitet sich daraus ab. Auch über Privates, über das gestörte Verhältnis zu ihrer Mutter, das schwierige zu ihren Söhnen schreibt Ruth Klüger in den neuen Erinnerungen.
Es ist das Buch einer ebenso empfindsamen wie aggressiven, politischen und menschlichen Kränkbarkeit. Ein, wenn man so will, tatsächlich schonungsloses Buch, denn die Autorin schont darin weder sich, noch andere. Ein Fluchtmensch, schreibt Ruth Klüger, sei sie nach der Verfolgung durch den Nationalsozialismus geblieben und immer gewesen. Dünnhäutig, zornesfähig und gelegentlich robust in der Gegenwehr: Einem Universitätskollegen, von dem sich Ruth Klüger vor Jahren verunglimpft fühlte, schüttete sie öffentlich ein Glas Wein ins Gesicht.
Auch stilistisch erinnert "unterwegs verloren" an ihr Erfolgsbuch "weiter leben". Ruth Klüger schreibt nüchtern, bisweilen salopp, bisweilen mit einem etwas sarkastischen Humor. Über die Weinglas-Attacke merkt sie an: So etwas dürfe eine Frau nur einmal im Leben machen, sonst gelte sie als Flintenweib und die Gelegenheit für dieses eine Mal müsse sie sich genau überlegen.
Rezensiert von Ursula März
Ruth Klüger: unterwegs verloren. Erinnerungen
Zsolnay Verlag, Wien 2008
240 Seiten. 19,90 Euro