Ausstellung "Keith Haring"
BOZAR, Brüssel
6. Dezember 2019 bis 19. April 2020
Ab dem 29. Mai 2020
Museum Folkwang, Essen
Kunst ist für alle da
07:08 Minuten
Eine Retrospektive im BOZAR Brüssel zeigt Keith Harings Werkentwicklung von den späten 70er-Jahren bis zu seinem Tod. Schon in seiner Frühphase sind seine Neigung zur Vereinfachung sowie sein politisches Engagement erkennbar.
Mit Keith Haring assoziiert man häufig comicartige Strichfiguren. Im BOZAR Brüssel wird nun seine gesamte Werkentwicklung im Überblick gezeigt. Die Ausstellung setzt in den späten 1970er-Jahren an, als der gerade 20-jährige Keith Haring zunächst noch Werbegrafik in Pittsburg studierte und dann an die School of Visual Arts in New York wechselte, um freier malen und zeichnen zu können.
Zu seinen Inspirationen gehörten damals nicht nur die Pop-Art, sondern auch Jean Dubuffet, der abstrakte Maler Pierre Alechinsky oder die sogenannte Art brut, deren "kindlichen", vermeintlich so unbefangenen, völlig freien Gestus Haring auch für sich als Weg sah. Zeichnungen und Entwürfe, die er als 20- oder 21-Jähriger gemacht hat und die am Anfang der Ausstellung in Brüssel stehen, wirken noch nicht wie ein "typischer" Haring.
Man erkennt aber schon seine Neigung zur Vereinfachung, zur Reduktion von Zeichen und zu durchgehenden Linien: abstrakte Stadtformen und immer wieder durchgespielte, geometrische Formen.
Politische Botschaften - verpackt in "Kinderzeichnungen"
Aber auch in seiner Frühphase werden politische Themen und Engagement erkennbar. In Videos, die er an der School of Visual Arts noch vor 1980 gedreht hat, sieht man ihn vor ausufernden abstrakten grundrissartigen Mustern an seinen Studiowänden, zwischen denen er herumtanzt und die er mit weißer Farbe bespritzt. Diese abstrakten Landschaften nennt er "painted environments" (gemalte Umgebungen) und seine Aktionen darin "body envolvement" (Körperbeteiligung).
Er öffnete sein Studio, das direkt an der Straße lag, für Passanten und ging selbst mit seinem Zeichenvokabular auf die Straße, indem er etwa mit Schablonen den Schriftzug "Clones Go Home" (Klone, geht nach Hause) in den Straßenzügen an der Grenze von East und West Village gegen die Gentrifizierung sprühte. Für Kurator Darren Pih von der Tate steht er damit in der Tradition jener Künstler der Moderne, die Kunst und Leben vereinen wollten. Bei Keith Haring sei es die Verbindung von Kunstwelt mit Graffiti und Hip-Hop oder auch uralten Kunstformen wie der Kalligrafie gewesen.
Interessant ist auch in dieser Ausstellung zu sehen, wie Harings rapide anwachsender Starruhm in ein Lifestyle-Phänomen überging. Zunächst gingen sein politischer Aktivismus und sein Ruhm sogar Hand in Hand. Die spielerische Eingängigkeit seiner Bildsprache ermöglichte es ihm, heikle öffentliche Themen plötzlich ganz groß aufzuziehen.
Das berühmte Poster von 1984 zum Beispiel gegen die Apartheid, auf dem eine schwarze Figur mit Strick um den Hals eine weiße Figur per Fußtritt aus dem Bild befördert: Wie schnell kann solch ein Motiv, von einem weißen Künstler gezeichnet, peinlich chauvinistisch wirken? Bei Haring hat es die entwaffnende Anmutung von Kinderzeichnungen, die jedoch alles andere als niedlich sind.
Bis seine Zeichensprache in ein Branding umkippte
Gerade wenn es um sexuelle Themen geht, die Haring immer wieder beschäftigen, sein Bekenntnis zur Homosexualität, die Thematisierung von Unterdrückung und sexueller Gewalt oder das Engagement für Aids-Erkrankte: Alles ließ sich mit dieser Zeichensprache transportieren und binnen kurzer Zeit war Haring damit so erfolgreich, dass diese Zeichensprache in ein Branding umkippte.
Dann fing er an, Grace Jones' Körper zu bemalen oder einen Rock für Madonna. Er selbst fand jetzt - entgegen seiner früheren Abneigung gegen Werbegrafik -, dass Kommerzialisierung gut zu seiner künstlerischen Strategie passe - nach dem Motto, das man auch in der Ausstellung lesen kann: Wenn ich einem Kind, das sich kein Bild für 30.000 Dollar leisten kann, eines auf sein T-Shirt male, dann ist es das, wofür ich kämpfe.
Dagegen kann man natürlich kaum etwas sagen. Bekanntlich blieb es aber nicht bei Kinder-T-Shirts, sondern ging weiter mit Sportwagen und Luxusartikeln.
Dagegen kann man natürlich kaum etwas sagen. Bekanntlich blieb es aber nicht bei Kinder-T-Shirts, sondern ging weiter mit Sportwagen und Luxusartikeln.
Ab Ende Mai 2020 in Essen zu sehen
Keith Haring im Museum zu zeigen, muss daher nicht unbedingt ein Widerspruch zu seiner künstlerischen Intention sein. Die Brüsseler Schau, die aus der Tate Modern in London kommt und danach weiter ins Folkwang Museum nach Essen wandern wird, bemüht sich jedenfalls, seine ursprünglichen Anliegen stark zu machen und ihn von der etwas übermächtig gewordenen "Labelisierung" zu trennen, die nach seinem Tod seiner Rezeption eher geschadet als genützt hat.
Zeitgleich läuft im Brüsseler Design-Museum ADAM eine Ausstellung über "Punk Graphics", die ebenfalls sehenswert ist, die jedoch auch den Eindruck einer vergangenen Epoche vermittelt. Bei Haring hat die Musealisierung der Wucht seiner Bildsprache dagegen eher nicht geschadet, weil, wie Darren Pih anmerkt, alle Themen von Haring nach wie vor aktuell sind: von Homophobie über Rassismus bis zur HIV-Stigmatisierung.
Den Widerstand dagegen bringt Haring schon vor 30, 40 Jahren auf verblüffend simple Bildformeln, weshalb auch in Brüssel, wie zuvor schon in London, reichlich Publikum für die Ausstellung zu erwarten ist.
Den Widerstand dagegen bringt Haring schon vor 30, 40 Jahren auf verblüffend simple Bildformeln, weshalb auch in Brüssel, wie zuvor schon in London, reichlich Publikum für die Ausstellung zu erwarten ist.