Sprecher*innen: Stephanie Eidt, Martin Engler und Michael Rotschopf
Regie: Stefanie Lazai
Ton: Jan Fraune
Redaktion: Dorothea Westphal
Ken Kesey und die Suche nach der amerikanischen Seele
Ken Kesey im Juli 2001 auf seiner Farm in Pleasant Hill im US-Bundesstaat Oregon vor seinem legendären, ehemals bunt bemalten Bus "Further". © picture-alliance / dpa / Brian Davies
Kuckucksnest und Acid-Test
29:59 Minuten
Sein Debüt "Einer flog über das Kuckucksnest" war ein Welterfolg. Wichtiger war dem Autor allerdings eine Reise, die er 1964 in einem alten Schulbus durch die USA unternahm. Der Trip wurde zu einer Initialzündung der amerikanischen Gegenkultur.
"Ich glaube, dass wir mit der Hilfe von LSD eine neue Art zu denken entdeckt haben", sagte Ken Kesey einmal in einem Interview. "In den frühen 60er-Jahren ist etwas passiert, womit die LSD-Erfahrung verbunden war. Eine neue kulturelle Bewegung in Musik, Film und auf der Bühne, wie sie vielleicht nur einmal in hundert Jahren zum Aufblühen kommt. LSD war nicht der Auslöser, aber ein Teil davon."
Ruhm und Drogen
Als der New Yorker Journalist Tom Wolfe im Sommer 1966 vergeblich versuchte, Ken Keseys Aufenthaltsort in Mexiko herauszubekommen, wusste er nicht viel mehr über den Autor, als dass er ein hoch angesehener 31-jähriger Romanschriftsteller war, der bis über beide Ohren in Drogenproblemen steckte.
Sein Roman "Einer flog über das Kuckucksnest" war 1962 erschienen, der Autor wurde in einem Atemzug mit Joseph Heller, Philip Roth und einigen anderen jungen vielversprechenden Romanciers genannt. Tom Wolfe erinnert sich:
"Er war zweimal wegen Drogenbesitzes verhaftet worden, war nach Mexiko abgehauen, um der Strafe zu entgehen, die ihn erwartete. Mir kam damals der Gedanke, nach Mexiko zu fahren, ihn ausfindig zu machen und einen Artikel in der Art "Junger Romancier auf der Flucht" zu schreiben." Doch dann kehrte Kesey im Oktober wieder in die Vereinigten Staaten zurück und wurde südlich von San Francisco vom FBI festgenommen und eingesperrt.
Kultfigur der amerikanischen Gegenkultur
Mitte der 1960er Jahre war Kesey bereits eine Kultfigur der amerikanischen Gegenkultur. Legendär wurde seine Tour mit einem buntbemalten Bus quer durch die USA, zusammen mit einigen Freunden, die sich "Merry Pranksters", die "fröhlichen Witzbolde" nannten.
Während ihrer Reise propagierte die Gruppe die Bewusstseinserweiterung durch die Einnahme von LSD. Kesey konnte deswegen nicht angeklagt werden, denn LSD war zu dieser Zeit noch eine legale Substanz. Als Vorwand für Keseys Verhaftung diente dann der Besitz von einigen wenigen Gramm Marihuana.
Bei seiner Haftentlassung im Jahr 1966 sagte Kesey: "Es ist eine starre Gesellschaft, in der Du nicht von der Norm abweichen darfst. (…) Wenn du noch frei rumläufst, dann vielleicht, weil Du nichts Unrechtes tust. Vielleicht aber auch nur, weil Du noch nicht als andersartig aufgefallen bist.""
Ringkampf und kreatives Schreiben
Ken Kesey wird am 17. September 1935 in La Junta, Colorado geboren und wächst in Springfield im Bundesstaat Oregon auf. Zusammen mit seinen Brüdern und seinem Vater reist er in den 1950er-Jahren mit einer Zaubershow durchs Land. Als Ringkämpfer trainiert Kesey für die Olympia-Auswahl.
Parallel beginnt er 1959 ein Studium im Fach Kreatives Schreiben an der renommierten Stanford University in Palo Alto. Die Literaturwissenschaftlerin Astrid Fellner befasst sich seit ihrer Studienzeit mit Leben und Werk des Autors.
Sie erzählt: "Zu der Zeit war das eben im English Department ein ganz toller Ort. Da waren Schriftsteller, Wallace Stegner, Malcom Cowley, das sind Größen, die ihm dann natürlich auch bei der Veröffentlichung seines ersten Romans geholfen haben. Und dann kam er in San Francisco mit den Beats in Kontakt, und das hat ihn maßgeblich beeinflusst."
Versuchskaninchen für LSD
Jack Kerouac hatte 1957 mit seinem Buch "On the Road" der in der Eisenhower Ära erstarrten kleinbürgerlichen amerikanischen Kultur neue Impulse gegeben. Gemeinsam mit Allen Ginsberg gilt er als Begründer der Beatnik-Bewegung.
Ein weiterer prägender Impuls für Kesey war der Kontakt mit der Droge LSD, als er sich quasi als Versuchsobjekt für LSD-Tests zur Verfügung stellte.
Astrid Fellner erzählt: "Das waren zu der damaligen Zeit von der CIA gesponserte Programme, die versucht haben, diese neuentwickelte Droge auszuprobieren und zu sehen, welche Effekte die auf Leute hat. Es gab damals die Idee, dass man das auch in Kriegsgebieten einsetzen könnte."
Katzen bekamen Angst vor Mäusen
"Ziel dieser Experimente war nicht, Geisteskrankheiten zu heilen, wie wir dachten. Es wurde versucht, Menschen wahnsinnig zu machen – um sie zu schwächen und um sie unter die Kontrolle von Vernehmungsbeamten bringen zu können", sagte Kesey 1989 in einem Interview mit der Journalistin Terry Gross für den amerikanischen Radiosender NPR. Und erzählte, dass er auf keinerlei Art und Weise auf diese Erfahrung vorbereitet worden war.
"Ich hatte nur einen kleinen Artikel im Life-Magazin gelesen, in dem es darum ging, dass man es Katzen verabreicht hatte und dass Katzen Angst vor Mäusen bekamen, wenn sie LSD genommen hatten."
"Einer flog über das Kuckucksnest"
Parallel zu seinem Studentenjob als Versuchskaninchen im Menlo Park Veterans Hospital arbeitet Kesey als Nachtwache in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses. Dazu sagte er in einem Interview:
"Nachdem ich diese Drogenexperimente hinter mich gebracht hatte und in diesem kleinen Raum im Krankenhaus saß, schaute ich durch das Fenster auf die Leute da draußen, die ganz normale Verrückte waren. Ich sah sie mit meinen irren Augen an. Ich bemerkte, dass diese Leute etwas Wahrhaftiges an sich haben, das vielen abhandengekommen ist. Und so kam ich dazu, "Kuckucksnest" zu schreiben."
Mit seinem ersten Roman "Einer flog über das Kuckucksnest" gelingt Kesey auf Anhieb ein Welterfolg, es wird sein bis heute berühmtestes Werk. Die Verfilmung des Romans unter der Regie von Milos Forman wurde mit fünf Oscars prämiert. Jack Nicholson spielt die Figur des Häftlings Mc Murphy, der gegen die repressiven Strukturen in einer psychiatrischen Anstalt aktiv Widerstand leistet.
Das Buch traf den Nerv der Zeit
Keseys Roman ist eine Parabel auf den Kampf gegen totalitäre Strukturen in der Gesellschaft. In der Geschichte wird sie personifiziert durch die "Große Schwester", Mrs. Ratched, die auf der Station uneingeschränkte Macht über die Patienten ausübt.
Astrid Fellner sagt über den Erfolg des Buches: "Ich glaube, es traf den Nerv der Zeit, denn wir haben es in den 50er-Jahren natürlich mit einer Zeit zu tun in den USA, wo ein enormer Druck entstand. Die Gesellschaft war sehr gespalten. Wir haben eine technische Revolution, wir haben gleichzeitig massive gesellschaftliche Umbrüche. Wir haben die Nachkriegssituation. Und da war natürlich die Gesellschaft als Gefängnis eine gute Metapher, eben auch die hier in diesem Roman, anhand der ganz konkreten Institution, nämlich der Psychiatrie."
Mit dem Bus quer durch die USA
Bereits 1963 kommt Keseys erster Roman als Theaterstück an den Broadway, mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Kesey fliegt mit Freunden zur Uraufführung nach New York. Es entsteht die Idee, im nächsten Jahr zur Weltausstellung wieder nach New York zu kommen und dies mit einer Autoreise durch Amerika zu verbinden.
Auf der Rückfahrt an die Westküste bekommt der Plan eine neue Wendung. George Walker, Keseys Weggefährte und Prankster-Mitglied, erinnerte sich bei einer Veranstaltung nach dem Tod Keseys in San Francisco im Jahr 2001: "Wir fuhren mit meinem alten ‚Chevy Station’ - Transporter quer durchs Land und waren schon in Pennsylvania, als wir hörten: ‚Der Präsident wurde erschossen, Kennedy wurde erschossen!’
Dieses Ereignis gab unseren Plänen für eine Reise tiefere Bedeutung. Wir stellten uns vor, dass eine Reise durch Amerika, mit Leuten, die eine gemeinsame Einstellung teilen, eine gewisse Kraft und Magie haben könnte. Und wir fingen an, mehr über diese Reise nachzudenken, auf die wir uns im nächsten Sommer begeben würden."
Mehr als ein Dutzend von Keseys Freunden wollen sich der Reise anschließen. Als Gefährt findet die Gruppe einen ausrangierten großen Schulbus, der von seinem Vorbesitzer schon zum Wohnmobil umgebaut worden war. In seinem Buch "The Electric Kool-Aid Acid Test" hat Tom Wolfe die Reise im Nachhinein rekonstruiert.
Später hielt Kesey nicht seine Bücher für sein wichtigstes Werk, sondern diese mehrwöchige Reise mit dem Bus, bei der es darum ging, die Seele Amerikas zu erkunden.